Die gescheiterte Revolution von The Secret World ist nicht weniger als ein Fanal für die MMO-Branche
Mit Revolutionen ist das so eine Sache, manche gelingen, manche fahren sich fest, nach anderen schwingt das Pendel in die genaue Gegenrichtung. Man muss, um diese These zu untermauern, den Blick nur nach Nordafrika wenden. Die frische Brise des arabischen Frühlings schlägt mittlerweile mit eiskaltem Winterhauch zurück und lässt Ägypten wie Tunesien in eine ungewisse Zukunft steuern.
Nun mag der geschlagene Bogen zur Games-Branche zunächst nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar sein. Doch ist diese Vergleich keinesfalls abwegig, denn auch hier hat sich eine Revolution sang- und klanglos in die Ungewissheit verlaufen, obwohl sie mit großen Hoffnungen im Herbst 2012 gestartet war. ->The Secret World wollte komplexe Erzählungen endlich auch in Online-Rollenspielen etablieren, konnte aber diesen Anspruch nicht erfüllen.
Die Entwicklung ist umso bedauerlicher für die gesamte Landschaft von Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs), weil eine detaillierte Analyse offenbart, dass die Umwälzung nicht in ihrem Kern fehllief. Vielmehr zerschellte sie an den Riffen vermeidbarer Begleitumstände…
Warum dieser Kommentar hier und leider nicht im Magazin making games erscheint, lesen Sie in ->NEWS: Widersprich doch mal…
Seit einigen Jahren verändert sich die Branche der Videospiele mit rasanter Geschwindigkeit. Plattformen zur Distribution mit angeschlossenem Kopierschutz drängen die Käufer in Richtung digitaler Downloads, der Gebrauchtmarkt wird dadurch ausgetrocknet und kleine, unabhängige Entwickler erhalten durch Finanzoptionen wie Crowdsourcing neue Überlebenstrategien. Vieles ist in Bewegung. Das größte Heilige Kalb, um das alle tanzen, heißt jedoch Free-To-Play (F2P).
Die Philosophie hat sich längst weit über den Markt der Onlinerollenspiele mit großen Spielerzahlen (MMORPGs) hinaus ausgebreitet. Spieler können kostenlos die Programme, sogenannte Clients, herunterladen, installieren und spielen. Dass auch hochwertige Shooter so funktionieren können, unterstreichen das bereits erhältliche ->Planetside 2 von ->Sony Online Entertainment und das nun auch in Mitteleuropa gestartete ->Warface des deutschen Edelentwicklers ->Crytek. Geld wird damit eher indirekt gemacht. Die einen Anbieter stellen in virtuellen Läden Ausrüstung, Waffen und Bekleidung zum Verkauf, um damit Spielern echtes Geld für breitere Munitionsgurte, bessere Zauberstäbe oder rosa Federhüte abzunehmen. Andere verkaufen vorübergehende Vorteile, sogenannte Buffs, mit denen zeitweilig mehr Erfahrung gesammelt wird, die Spielfigur besser schießt oder stärker wird.
Ein wesentlicher Aspekt von Videospielen kommt bei dem Trend zu F2P aber zunehmend zu kurz: das Erzählen guter Geschichten. Klassische Erlebnisse im Einzelspielermodus werden seltener, drohen gar auszusterben. Einen Plan, wie es nicht so weit kommen wird, formuliert zwar der Wiener Forscher Christoph Klampfl in einem Essay der ->making games 5/2013, doch ist seine Analyse nicht ganz überzeugend…
Questsystem und Erzählweise von „The Secret World“ revolutionieren MMORPGs
Kingsmouth muss einst ein schönes, kleines Fischerdörfchen gewesen sein. Von der Dorfkirche herab führen nur drei Straßen zum Hafen hinunter, wo Fischtrawler dicht an dicht an den breiten Kaianlagen dümpelten. Einst lud der Pastor zum Plausch, die Straßen waren bestimmt voller Touristen und am Hafen hatte man einen sagenhaften Weitblick auf den Atlantik vor Neuengland.
Der wird jedoch seit Kurzem von einer unnatürlich dichten Nebelsuppe verschluckt, die kotzende Meermonster ausspuckt, auf den Straßen wanken höchstens noch hirnbefreite, aber nach geistiger Nahrung hungernde Zombies und der Pastor kann von Glück reden, dass ein Illuminatenzauber sein Gotteshaus von Hirnschlürfern freihält. Als wäre das noch nicht genug, streifen Wendigos durch die Wälder, rabenhafte Albtraumschnitter metzeln Spielplatzbesucher und Geister poltern ungeliebte Besucher aus ihren Häusern.
Warum das so ist, können Spieler nun im MMORPG ->The Secret World des Entwicklers ->FunCom seit kurzer Zeit selbst herausfinden. Dabei stoßen sie auf ein freies Talentsystem mit 500 frei wählbaren Fertigkeiten, eine innovative Queststruktur mit neuartiger Auftragsformen und eine stimmige Spielwelt voller einfallsreicher Geschichten. Trotz der erfrischenden Neuerungen sollten Interessierte aber jetzt zuschlagen, denn der wirtschaftliche Erfolg scheint leider auszubleiben. Das hat Gründe, die sich nicht auf Anhieb erschließen und mehr mit Genre und Branche zu tun haben, als mit dem Spiel selbst…
Gast-Kommentator erklärt die Stagnation der MMORPGs auf krawall.de
Üblicherweise verweist KEIMLING nicht auf konkrete Beiträge in anderen Gaming-Magazinen oder Portalen. Der Kommentar ->“Online Rollenspiele stinken“ von Benedikt Plass-Fleßenkämper im Games-Portal ->krawall.de hebt aber ausführlich die wesentlichen Defizite gegenwärtiger Online-Rollenspiele heraus, für die Innovation ein Fremdwort geworden zu sein scheint. So ausführlich, unterhaltsam und kompetent, dass dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist. Der Einheitsbrei aus Stagnation muss durchbrochen werden, aber wie?
Etwas unfair ist, dass der Beitrag nur unter dem Obertitel ->World of Warcraft läuft. Auch wenn sich KEIMLING die Faszination von pummeligen Pandas in von Kirschblüten umwehten Pagodenlandschaften des kommenden Addons ->Mists of Pandaria nicht erschließt, und die spielmechanisch abzusehende Monotonie repetitiver Aufgaben dort bereits an Zwangsmeditation grenzt, gibt es doch weitere Kandidaten, die ebenso viel auf dem Kerbholz haben. ->Star Wars: Die alte Republik entpuppte sich, abgesehen von mal mehr mal weniger spannenden persönlichen Handlungssträngen, als erstaunlich biederer und altbackener WoW-Klon mit wenigen atemberaubenden Momenten. Wirkliche Innovationen sind rar geworden.
Plass-Fleßenkämper ist sich sehr wohl bewusst, dass „mit Titeln wie ->’The Secret World‘ oder ->’Guild Wars 2′ interessante Alternativen zu den derzeit dominierenden MMOs vor der Tür stehen“. Das Genre insgesamt trete aber auf der Stelle, selbst wenn es Nischenprodukte wie das arbeitsintensive Weltraumonlinespiel ->Eve Online gebe. Das Flaggschiff der isländischen Entwickler von ->CCP ist nicht einsteigerfreundlich, aber es enthält viele interessante Ansätze wie einen globalen Server für alle Spieler, ein funktionierendes (radikal-kapitalistisches) Wirtschaftssystem und aktive Mitbestimmung der Spieler. „Guild Wars 2“ verspricht zwar Aufträge von Nichtspieler-Charakteren (NPCs) aus der Spielwelt abzuschaffen, offenbar erscheinen die Aufträge jetzt schlicht bei Betreten eines Gebietes am Bildschirmrand – echte Innovation fühlt sich irgendwie anders an. Auch „The Secret World“ vom norwegischen Entwickler ->FunCom behauptet, die Revolution zu planen. KEIMLING diskutierte bereits in ->NEWS: Allein unter verborgenen Mythen vom 17.2.2012 die Ambitionen der Entwickler bei Spielwelt und Narration. Aus 500 von Anfang an verfügbaren Talentbausteinen könne sich zudem jeder Spielcharakter völlig frei entwickeln, meldet der Entwickler stolz. Das ist zwar tatsächlich eine interessante spielmechanische Veränderung, jedoch angesichts der Stagnation des Genres eher ein Revolutiönchen.
Für Plass-Fleßenkämper ist klar, dass Innovationen nötig sind, „die im großen Stil funktionieren und die Spieler nicht gleich überfordern; Entwickler, die mal ganz neue Ansätze wagen. Das kann schon beim Setting anfangen: Wieso immer Fantasy oder Science-Fiction? Wie wär’s mal mit einem Bundesliga-MMO?“ Wie er sich das vorstellt und welche Fehlentwicklungen sonst noch so zu korrigieren sind, können Sie in seinem Kommentar nachlesen: ->“Irgendwas riecht hier komisch! Online Rollenspiele stinken“
FunCom leistet möglicherweise mit „The Secret World“ die überfällige narrative Evolution der MMORPGs
Wie oft wurde uns Spielern schon aufgetischt, das nächste Multiplayer-Rollenspiel wäre ein viel schmackhafteres, viel nachhaltigeres Menü als alle anderen Konkurrenten am Markt. Viel gehaltvoller und abwechslungsreicher würde es die verschiedensten Geschmäcker befriedigen und vor allem eine revolutionäre Geschmacksexplosion sondergleichen verursachen und allein optisch schon ein Augenschmaus sein. Letztlich aber saßen doch seit Jahren alle Spieler mit den gleichen langen Gesichtern und leeren Mägen vor der immer gleichen Fertigkost.
Dies lag natürlich auch daran, dass die bei Blizzard so gut funktionierenden Prinzipien quasi als Standards ins Genre einzogen und nun stur überall wiedergekäut werden. Machen Sie mal einer Marketing-Abteilung oder einer Gruppe von Investoren klar, dass Sie einen anderen Weg gehen wollen, ein anderes Feature aufbauen wollen als bei ->World of Warcraft – sollte es Ihnen gelingen, dann versuchen Sie doch als nächstes dem Leprechaun am Ende des Regenbogens seinen Topf voll Gold abzuschwatzen.
Nun, einen solchen Topf hatten die Entwickler von ->FunCom ja glücklicherweise durch ihre Erfolge im MMO-Markt und bei Adventures selbst gut gefüllt. Mit dem Geld finanzieren sie jetzt ein Projekt, dass das Zeug dazu hat, das Genre der MMOs gründlich über den Haufen zu werfen. Nicht mit besonders ausgefallenem Gameplay, sondern aufgrund der dichten Handlung, in die der Spieler verwoben wird. Jeder soll eine Vielzahl detailreicher Geschichten erleben, die in einer Welt von Mythen und Legenden für jeden Geschmack etwas bieten. Zudem sollen die globalen Ereignisse so komplex erzählt werden, dass das Durchspielen nur aufseiten einer Fraktion nicht ausreichen wird, alle Geheimnisse zu ergründen. Dies alles klingt nach einem sättigenden Menü für alle Story-Feinschmecker, für die bisherige MMOs viel zu wenig Augenmerk auf die Geschichte(n) gelegt haben.