RETRO: Besuch von den Sarianern (RESPAWN)


2019 feierte dieses Blog sein zehnjähriges Bestehen. In dieser Dekade erschienen viele Beiträge, die inhaltlich zwar auch heute noch lesenswert bleiben. Auf deren betagtes Alter nimmt aber die technische Entwicklung immer weniger Rücksicht. Verknüpfungen zerbrachen, weil Links ins Leere führen.  Oft sind Videos schlicht offline. Überarbeitete und erweiterte Versionen der Beiträge erscheinen daher neu unter dem Tag RESPAWN.  Um nicht selbst Links zu zerstören, mit denen Andere auf die älteren Artikel verweisen, bleiben die Originale natürlich online.

Originalbeitrag: ->RETRO: Besuch von den Sariens (5. Mai 2009)


’sarien.net‘ archiviert Adventure-Klassiker von Sierra online in einer spielbaren Version

Ende der achtziger Jahre lagen reine textbasierte Abenteuer unter den digitalen Spielen im Sterben. Oft war es mühselig, die szenisch beschriebenen Texte richtig zu verstehen, um daraufhin die passenden Begriffe zu erraten. Befehle mussten Spielende in eine Eingabeaufforderung (Parser) tippen. Lange vor der Erfindung des Internets blieben Spielende oft ratlos, wenn die Handlung stockte oder unlösbar scheinende Rätsel frustrierten. Viele Spiele reagierten obendrein ausgesprochen ungnädig auf fehlerhafte Eingaben oder nicht vorgesehene Lösungsversuche. Nicht selten frustrierten dann – spielmechanisch unerbittlich – plötzliche Bildschirmtode.

Legendäre Entwicklerinnen und Entwickler wie Roberta Williams, Al Lowe und oder die „Two Guys From Andromeda“ prägten beim Studio ->Sierra On-Line die Hoch- und Endphase dieser Adventure-Form. Zusammen mit der Konkurrenz beim Studio ->Lucas Arts gestalteten sie den Übergang von textbasierten Spielen zu heutigen Point&Click-Abenteuern, die sich nun meist allein mit der Maus steuern lassen. Heutige Klassiker wie die Reihen ->Space Quest oder ->King’s Quest prägten die Frühphase dieser Adventures.

Space Quest Screen Sariens
Im Browser ließ Martin Kool Klassiker von Sierra Online auferstehen – in diesem Fall das erste ‚Space Quest‘ (Abb. eigener Screenshot)

Auf der Webseite ->sarien.net veröffentlichte der Niederländer Martin Kool 2009 spielbare Varianten aus dem technischen Stand, der EGA- und VGA-Grafiken in 2D noch mit einem Text-Parser kombinierte. Sie bestachen durch eine ansehnliche grafische Kulisse, darin steuerbare Spielfiguren und umfangreich erzählte, humorige Geschichten. Lange waren Sie selbst im Orcus der Geschichte nahezu unspielbar verschollen. 2009 belebte sie dann Kool als Browsergames wieder.

Blog Martin Kool Sariens Full Story
Eine spannende Reise zwischen technischen Lösungen und der Aushandlung von Rechten schildert Martin Kool auf seinem privaten Blog. (Abb. eigener Screenshot)

Auf seinem Blog schilderte Kool unter dem Titel Sarien Net The Full Story (28. 1. 2011), vor welche Schwierigkeiten ihn die Transformation des Programm-Codes in eine Online-Variante stellte. Wie mir erst jetzt bei der Überarbeitung dieses Beitrags auffiel, scheint es gar keine Lösung in Flash gewesen zu sein. Bilder und Code übertrug Kool in ein Skript aus Javascript und HTML, bzw. später HTML5+. Neben diesen rein technischen Fragen, schildert er jedoch auch einen herausfordernden Prozess mit den jeweiligen Rechteinhabern. Schließlich gingen die Rechte an Sierra online im Zusammenschluss der Gamessparte vom Konzern Vivendi mit Activision Ende 2007 auch an den neuen Giganten ->Activision Blizzard über. Am Beispiel des Strategie-Highlights ->World in Conflict schilderte ich damals, wie dieser Merger den Games-Markt durcheinander wirbelte (NEWS: Geplünderter Weltuntergang vom 23.7.2009).

Die alten Klassiker erstanden nicht nur wieder online auf, sondern und wurden mit einigen Features aufgepeppt. Klickt man zum Beispiel mit der rechten Maustaste in die Spieloberfläche, empfiehlt ein Auswahlmenü mögliche, wenn auch nicht immer nützliche Handlungen. An die grafische Darstellung muss man sich mit heutigen Sehgewohnheiten wohl erst gewöhnen. Es verschließt sich dem heutigen Auge, was einst so faszinierend an dieser Grafik war. Die EGA-Darstellung des ersten ->Space Quest verzauberte mit revolutionären 16 Farben. Ein paar Neuauflagen stießen mit VGA sogar bis in 256 Farbstufen vor.  Allerdings ist der Humor noch immer von allererster Güte.

Sariens Liste Adventures Sierra
Drei Teile der Reihe ‚Kings Quest‘ lassen sich spielen, zwei der Reihe ‚Space Quest‘ und das Polizei-Abenteuer ‚Police Quest‘. Hinzu kommen ‚The Black Cauldron‘ und eine virtuelle Ausstellung, die die innere Funktionsweise von Sierra-Spielen anschaulich macht. (Abb. eigener Screenshot)

Man kann aber über den sprachlichen Einfallsreichtum staunen, mit dem Spielende früher bereit sein mussten, alle Handlungen an Objekten und mit den vom Programm gesteuerten Spielfiguren eigenhändig als Textbefehl einzugeben. Ganz offensichtlich forderten diese Spiele dadurch wesentlich mehr Gehirnschmalz von ihnen als die heutige Point&Click-Steuerung. Ein falsch gewähltes oder gar falsch getipptes Wort ließ die Rätsel scheitern. Oder eine Fehlermeldung führte zu unfreiwillig komischen Texttafeln. Eugen Pfister führte solche Reaktionen in einer ->virtuellen Ausstellung von Screenshots auf den Seiten des ->Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) vor. Bewusst gab er geschichtswissenschaftliche Fachbegriffe in den Parser solcher Spiele ein, um die Situationen auf dem Schirm zu kommentieren.

Unbarmherzig führten dann die Spiele in Sackgassen oder zum Bildschirmtod der Hauptfigur. Das als anspruchsvoll missverstandene, strafende Game-Design ist eine Erscheinung, die aus guten Gründen in den Niederungen der Geschichte digitaler Spiele verschwunden ist.  Ehrlicherweise wäre daher festzuhalten: Nach dem Genuss dieser urtümlichen Spielerfahrungen schätzt man den Komfort von Hotspot-Anzeigen und kontextsensitiven Mauszeigern in heutigen Abenteuerspielen umso mehr. Zumal sich die Verzweiflung heute kaum mehr erahnen lässt, wie alleingelassen sich Spielende ohne die heutigen Lösungshilfen des allgegenwärtigen Internet in den damaligen Zeiten gefühlt haben mussten.

Dennoch handelt es sich bei den Sierra-Klassikern um Meilensteine in der Geschichte der Computerspiele. Wer damals zu der Fanfraktion der LucasArts-Gläubigen gehörte, der sollte sich heutzutage mal mit der damaligen Konkurrenz versöhnen. Für manche bestand zwischen beiden Anhängerschaften ein ähnliches Schisma wie zwischen Android- und Apple-Jüngern heute. Für alle anderen handelt es sich ohenhin um einen Pflichtbesuch bei alten Freunden, denen man schon lange mal einen Besuch hätte abstatten sollen. Für alle, die sich angesichts der altertümlichen Parser eingerostet fühlen, folgt hier mal eine kleine Übung: „Use Link ->www.sarien.net with Mouse Pointer“

*

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert