Keimling? Warum Keimling?
Viel über Botanik gibts hier nun wirklich nicht zu lesen. Dennoch hat dieses Blog viel mit Keimlingen zu tun. Ein Keimling ist der Anfang von etwas Großem. Ausgesät als kleine Kapsel und auf fruchtbaren Grund gefallen, sprießt bald schon eine kleine Pflanze heraus.
Sie wächst und schlägt Wurzeln, bis sie selbst groß, kräftig und unübersehbar wird. Ob aber im Ergebnis Kresse aus diesem Samen wird oder ein stämmiger Baum ist oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Vielleicht verkümmert der junge KEIMLING wieder, weil der Boden ihn doch nicht ausreichend ernährt. Möglicherweise erdrückt auch ein anderes Pflänzchen den kleinen Spross und lässt ihn enden.
Schluss mit Symbolik
Die von diesem Blog vorgestellten Innovationen in digitalen Spielen oder neuen Ansätze in digitalen Lehr-Lern-Spielen haben damit viel gemeinsam. Auch dort wird oft ein kleiner Samen der Neuerung in existierende Spielumgebungen gesetzt, der von der Öffentlichkeit mal positiv, mal negativ aufgenommen wird. Seine Wahrnehmung entscheidet darüber, ob andere Spiele seine Funktion übernehmen und weiterentwickeln. Wie bei einem Samen entscheidet der Nährboden und die Entwicklungsfreiheit darüber, ob die junge Idee sich verfestigen und ausbreiten kann. Dies gilt natürlich nicht nur für den Softwarebereich, sondern auch für technologische Innovationen bei Hardware und Dienstleistungen wie Lernspielumgebungen.
Oft tauchen Innovationen auch nur kurz auf und verschwinden wieder. Nicht immer ist jedoch deutlich, ob sie wieder verschwanden, weil die Ideen selbst nicht ausgereift waren. Manches Mal schon steckte eine kluge Innovation in einem ansonsten nicht sehr ansprechenden Gesamtpaket – beispielsweise, weil die grafische Darstellung der Konkurrenz weit unterlegen war. Die in einem solchen Spiel enthaltene Innovation musste dann oft schon die Rolle des Sündenbockes übernehmen.
Keine Marketing-Abteilung würde schließlich zugeben, dass das eigene Spiel grafisch zurückgeblieben oder erzählerisch ermüdend ist. Für das Scheitern am Markt lässt sich dann leicht die Neuerung verantwortlich machen: „Tja, die Leute wollen halt nur Altbekanntes.“ Glücklicherweise lassen sich die Kunden jedoch nicht mit solchen Sprüchen einlullen – der Ruf nach Neuerung schallt stets durch die Foren. Games-Zeitschriften stellen regelmäßig die scheinbare Diskrepanz fest, dass die Spielgemeinden sich Neuerungen wünschten. Spiele mit frischen Ideen würden jedoch bei den Verkaufszahlen letztlich das Gegenteil beweisen.
Rohrkrepierer
Dass dieses vermeintliche Paradoxon jedoch nicht wirklich existiert, erläutern ein paar Beispiele von wirklich vielversprechenden Neuerungen aus der Vergangenheit. Sie erwiesen sich aus Gründen als Rohrkrepierer, die mit der Innovation selbst nichts zu tun hatten.
Von dem Echtzeitstrategie-Spiel Endwar wurde erhofft, das sehr fummelige Genre auch auf den Konsolen zu etablieren. Deren Steuerung ermöglichte bis dahin eigentlich den dort üblichen, detailreichen Umgang mit vielen Einheiten nicht. Dafür wurde eigens eine Sprachsteuerung entwickelt, die auch hervorragend in mehreren Sprachen funktionierte. Offenbar hatte dieses Feature jedoch den Löwenanteil des Entwicklungsbudgets verschlungen. Wie ich mich schon auf der Games Convention 2006 vor Release überzeugen konnte, war das Gameplay selbst wenig einfallsreich. Einheiten waren zu dumm, Feindbeschuss zu bemerken und reihten sich ziemlich unrealistisch an Perlenketten auf. Das Spiel selbst war außerordentlich unispiriert – unter dem Schutt eines mittelmäßigen Spieles wurde auch die kluge Sprachsteuerung begraben.
Ein weiteres Beispiel ist das Spiel Mirror’s Edge, das die Battlefield-Macher D.I.C.E. ausgetüftelt hatten. Mit Spannung wurde die interessante Geschichte der Kurier-Läuferin Faith erwartet, die delikate Informationshappen über die Dächer einer sterilen, autoritären Hochhauswelt schleusen. Mit der Geschichte in einem totalitären Überwachungsstaat hätten die Entwickler besonders in Zeiten immer stärkerer Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen im Namen des Kriegs gegen den Terror punkten können. Die Hauptfigur und andere Kuriere sollten mit akrobatischen Einlagen über die Dächer von Hochhäusern sprinten, gleichsam der Jugendkultur Parcour aus französichen Vorortslums. Der Reiz hätte darin bestanden, sich den Waffen der Polizeit durch Akrobatik zu entziehen. Wohl aus Angst, klassische Shooter-Spieler zu vergrätzen, wurde das gewaltarme Spielprinzip jedoch mit Ballereien verwässert. Zudem vernachlässigten die Entwickler im Glauben an die Tragfähigkeit der Spielidee eindeutig die Hintergrundgeschichte und die Persönlichkeiten der Figuren. Die enttäuschenden Verkaufszahlen wurden darauf geschoben, dass Spieler keine Neuerungen wollten. Dass es auch daran liegen könnte, dass das Spiel selbst weder Fisch noch Fleisch war, stand nicht zur Debatte. Die Liste der jüngeren Enttäuschungen ist lang und könnte noch durch innovative Spiele wie Assassin’s Creed und Bioshock fortgesetzt werden.
Ideen bewahren
Die guten Ideen geraten oft in Vergessenheit, wenn das eigentliche Spiel nicht die Erwartungen der Publisher erfüllen kann. Nur selten inspirieren sie danach noch andere Spieletitel außerhalb der ursprünglichen Firma, innerhalb der Erstentwickler gilt die Idee als heißes Eisen. Das ist bedauerlich.
Nicht nur weil ich Historiker bin, möchte ich dieses Ideen aufgreifen und separat diskutieren. Ich glaube auch fest daran, dass es selten die neuen und frischen Ideen sind, die einem Spieltitel den Todesstoß versetzen. Daher sollte man sich mit der Geschichte dieser Neuerungen auch beschäftigen, um sie in neue Software, Hardware und Dienstleistungen im Bereich der digitalen Spiele einfließen zu lassen.
Der Auftrag
Daher geht es in diesem Blog auch nicht um die vollständige Darstellungen von bestimmten Spielen, ihren Prinzipien, ihrer grafischen Ausgestaltung und ihrem spielerischen Anspruch. Vielmehr stellt KEIMLING diejenigen Ideen und Ansätze heraus, die eine echte Neuerung darstellen. Dies kann unter anderem eine Spielmechanik betreffen, Settings, Figuren, grafische Darstellung oder das Interface. Mögliche Hardware-Neuerungen sollen diskutiert werden und in weiter zurück liegende neu bewertet werden.
Besonders im Bereich des Digital Game-Based Learning, wie der internationale Fachbegriff für die Nutzung von Computer- und Videospielen als Lehr-Lern-Umgebungen lautet, lohnt es sich, nach neuen Prinzipien der Vermittlung umzuschauen. Dabei können bereits existierende Spielprinzipien kommerzieller Spiele sicherlich auch für das Game-Based Learning taugen. Lernvorgänge und Methoden kommen so ziemlich in jedem Spiel zu tragen, von einem knappen Tutorial, um eine Shooter-Steuerung zu beherrschen, bis zu den umfangreichen Mentor-Funktionen mancher Aufbaustrategie-Spiele.
KEIMLING sortiert daher die Beiträge nach funktionalen Kategorien und Spielegenres. Die Funktionskategorien, deren Tags in Kapitälchen geschrieben werden, beschreiben aktuelle INNOVATIONen oder weisen auf bereits weiter zurückliegende Ideen zurück (RETRO). KOMMENTARe wiederum werten aktuelle Entwicklungen aus, durchaus auch aus Firmen- und Staatspolitik. REPORT VOR ORT beinhaltet Besuche von KEIMLING bei Veranstaltungen der Spielebranche oder Forschung und Lehre.
Ich wünsche allen Lesern viel Vergnügen und die eine oder ander gute Idee. Benutzen Sie die Kommentarfunktion, wenn Sie Anmerkungen haben und mitdiskutieren wollen.
Grüße,
Nico Nolden aka Blitzechse