Einen Beitrag des Magazins ‚frontal_‘ zu radikalen Spielerkreisen rettet nicht einmal der mächtigste Kulturwissenschaftler
Eigentlich, so sollte man meinen, schuf die letzte Dekade ein ernsthaftes Umfeld, in dem auch kritische Themen der Spielkultur journalistisch klug behandelt werden könnten. So zum Beispiel müssten tatsächlich rechtspopulistische und -extremistische Einflüsse auf Online-Communities dringend mal auf die Tagesordnung. Da geschieht einiges, was neben der Staatsanwaltschaft weder die historisch-politische Bildung, noch die Spielenden selbst hinnehmen können.
frontal_, das betont junge Youtube-Format des ZDF-Magazins Frontal 21 nahm sich dieses hochaktuellen Themas an. Fast eine Viertelstunde lang nähert sich die Redaktion in einer Reportage den Aktivitäten von Rechtsradikalen: Erläutert werden deren Versuche, Einfluss in den Communities von Spielenden zu gewinnen. Sie zeigen beunruhigend ausgefeilte Aktivitäten der Identitären, subversiv für ihre hasserfüllte Geisteshaltung zu rekrutieren. Der Bericht knüpft an die Auseinandersetzungen beim sogenannten „GamerGate“ von 2014 an und weist auf Überlappungen von rechtsextremen Kreisen mit Spielergemeinschaften hin.
Spielerinnen und Spieler reden viel zu häufig das Problem mit rechten Haltungen klein. In diesem Fall aber liegt das gravierendste Problem im Beitrag selbst. (Nazi Gamer? Wie Rechte die Gaming-Kultur unterwandern | frontal_ in Kanal: ZDFheute Nachrichten vom 19.11.2020)
Dafür suchte sich die Redaktion sogar fachlich geeignete Gesprächspartner:innen – ungewohnt, aber erfreulich, wenn man mit der Vorgeschichte zu Frontal 21 und digitalen Spielen aus der „Killerspiel-Debatte“ vertraut ist. Trotz der hervorragenden Auswahl von Gesprächspartner:innen geht der Reportage aber zuerst jeder Kompass einer sauberen journalistischen Arbeitsweise verloren – und dann versinkt sie zusammen mit der Ernsthaftigkeit in einem betont poppigen Reportagestil. So sieht eine erfolgreiche Formatverjüngung schon einmal nicht aus.
Wie selbstverständlich räumt die Redaktion den identitären Agitatoren selbst erhebliche Sendezeit ein. Die Zeit hätte man besser verwenden können, und zwar nicht zuletzt, weil der Beitrag mit einer offenen Frage endet: Müssten sich nicht die Gaming-Communities selbst stärker gegen rechtsextreme Aktivitäten organisieren und wehren? Diese These überrascht etwas, denn es existiert nicht nur bereits mit dem Zusammenschluss „Keinen Pixel den Faschisten“ eine solche deutschsprachige Community-Aktion. Es ist auch keineswegs so, dass sich die Redaktion dessen nicht bewusst gewesen wäre: Mitglieder eben dieser Community unterstützten frontal_ bei der Recherche für diesen Beitrag.
Den Dimensionen der wirklich existenten Probleme in der Spielkultur, die ich hier keineswegs kleinrede, leistet das ZDF damit zum wiederholten Male einen Bärendienst. Eine ganze Kaskade an Kommentaren unter dem bei Youtube eingestellten Beitrag belegt, wie unvorteilhaft der Beitrag in der Sache war. Ein öffentlicher Bildungsauftrag muss nach meiner Ansicht anders aussehen…
Die Geister der vergangenen Dekade
Nur in einem kurzen Nebensatz deutet die Reportage im formatverjüngten Ableger die unheilige Vergangenheit des Reportagemagazins Frontal 21 gegenüber Videospielen an: Die Killerspieldebatte der 2000er-Jahre sei wohl überzogen gewesen, heißt es dort. Keine Studie habe belegen können, dass digitale Spiele maßgeblich verantwortlich wären, wenn jemand gewalttätig auftritt. Das ist zwar alles richtig, und gleichwohl eine verblüffende Untertreibung. Wünschenswert wäre gewesen, dass frontal_ sich gegenüber dem damaligen Auftreten des Muttermagazins Frontal 21 selbstkritischer und demütiger gibt. Eine solches Eingeständnis hätte insgesamt dem Beitrag gut getan, weil sich viele Spielenden noch lebhaft an die bewussten Verzerrungen – wenn nicht gar Verleumdungen – der damaligen Zeit erinnern. Dem ernsthaften Anliegen, auf die rechtsextremen Aktivitäten in Spiele-Communities hinzuweisen, kann sich das Magazin nicht ungestört widmen, wenn es sich nicht eindeutig von dieser Tradition absetzt.
Der Erfurter Amokläufer habe das Zielen am Computer geübt. Doom 3 oder Max Payne 2 würden nicht als jugendgefährdend gelten. Gar einen Massenmord als Kindersport sah Reporter Rainer Fromm im Beitrag von 2004. Die Jugendschützer seien deshalb selbstzufrieden, und der Jugendschutz habe sich verschlechtert. Nichts davon entsprach der Realität. Deutlich wird im Bericht auch, wie sich politische Entscheider direkt auf die voreingenommene Berichterstattung von Frontal 21 beriefen. (Frontal 21 – Killerspiele, in: Kanal spikedscorpion via Youtube vom 3.2.2008)
Denn durchaus bemerkenswert ist, wie sehr sich die Berichterstattung über digitale Spiele in der letzten Dekade gewandelt hat. Vor fünfzehn Jahren noch verschaffte das leitende Motiv in Print und Fernsehen einer diffusen, aber weitumfassenden Verängstigung ein Ventil: Jugendliche, ja Kinder gar, würden durch digitale Spiele enthemmt, übergewichtig, dumm und antriebslos. Also, die Empörung folgte ganz demselben Muster wie einst andere Generationen über die aufkommende Rock-Musik urteilten, und später beispielsweise über Metal-Musik. Selbsterkorene Expert:innen warnten in den spitzesten Tönen in ihrer jeweiligen Zeit vor der Erfindung des Farbfernsehens, dem Konsum von VHS-Videos, ja sogar vor dem Einsatz von Radiogeräten im Wohnzimmer. Letztere würden Kinder unruhig und aggressiv machen. Der Schritt zum Farbfernsehen würde Menschen überhaupt nicht mehr ermöglichen, die gesehenen Bilder von der Realität zu unterscheiden. Na, gewiss doch. Glücklicherweise schreiben und senden mittlerweile Journalist:innen über die Vorteile des Spielens in der Bildung, berichten über weltweite Wettkämpfe in eSport-Ligen und behandeln einzelne Titel feulletonistisch als Kulturgegenstände.
Das Sturmgeschütz der Unredlichkeit
Frontal 21 entschied sich also für den kulturpessimistisch Ansatz, Panik zu schüren. Und den vertrat es mit brachialem Einsatz und Durchhaltevermögen. Immer wenn gestörte Teenager wie in Erfurt, Emsdetten und Winnenden 2002, 2006 und 2009 grauenerregende Blutbäder anrichteten, erkor sich das Magazin zum lautstarken Mahner gegen das vermeintlich jugendverderbende Medium. Erwartbar war sicherlich das marktschreierische Presseecho des Springer-Konzerns. Bemerkenswert rege aber beteiligte sich ZDF Frontal daran. Im alarmistisch aufgeladenen Klima überschrien die reißerischen Behauptungen viel zu häufig, dass sich später viele von ihnen als falsch herausstellten. Die Täter nutzten zum Beispiel gar nicht die behaupteten Videospiele, oder legten überhaupt kein exzessives Spielverhalten an den Tag. Bevor diese Widersprüche in den Zeitungen ankamen, war bereits die politische Nebelkerze „Killerspiel“ gezündet.
Einen hervorragenden Überblick zu dieser Debatte bietet das Dossier dazu von Matthias Dittmayer: Stigma Videospiele (2014). Dittmayer investierte viel Zeit in die Dokumentation und einordnende Stellungnahmen. Andreas Garbe ist seit 1999 im weiteren Sinne für das Fernsehen, seit 2007 spezifisch für das ZDF als Videospiele-Experte tätig. Seine Rückschau im Handbuch Gameskultur (S. 193-97) geht dreizehn Jahre später nicht nur mit dem „politischen Kampfbegriff“ hart ins Gericht, sondern auch mit der engen Verquickung aus Falschdarstellungen in der Politik, schlecht geprüfter Berichterstattung und fadenscheinigen Studien. (Das „Handbuch Gameskultur“ ist kostenlos im Download als PDF erhältlich.) Andererseits verweist Garbe zurecht auf eine gewisse Mitschuld einer Reihe von Videospielen. Deren Entwickler:innen hätten bewusst mit dem Gewaltgrad kokettiert und provoziert, um aufzufallen. Für Außenstehende mag also schwer nachvollziehbar sein, dass Titel, die in einem solchen Maße Gewalt zeigen, nicht zu Gewalt in der Wirklichkeit anstiften.
Wissenschaftliche Studien allerdings haben in bald zwei Dekaden Wirkungsforschung keine Belege für individuelle Gewalteskalation liefern können. Wie Eugen Pfister 2016 in einer treffenden Analyse der Debatte forderte, sollten deshalb digitale Spiele viel mehr als historische Quelle für die Gesellschaften ihrer Zeit betrachtet werden – und zwar nicht reduziert auf gewalthaltige Titel. Sie seien Ausdruck gesellschaftlicher Bedürfnisse und in ihrer Wirkung auf gesellschaftliche Diskurse. (Pfister, Eugen: „Plädoyer für eine argumentenbasierte Debatte zur Wirkung gewalthaltiger Spiele“, in: Spiel-Kultur-Wissenschaft 5.9.2016). Für eine dreiteilige Dokumentation der Killerspiel-Geschichte verfolgte der erfahrene Games-Journalist Christian Schiffer 2016 eher einen chronologischen und anekdotischen Ansatz (siehe ZDF-Pressemappe und „Die Spiele sind brutaler geworden“. Interview mit Filmautor Christian Schiffer, in: zdf.de 3.5.2016). Um eine adäquate Aufarbeitung zu betreiben, zeigte er mir zu viel was wann geschah und wer wann was gesagt hat – viel zu wenig jedoch, welche Motivationen dahinter auf den Seiten standen: in Politik, Journalismus, Kulturbereich und der Games-Branche. So hinterfragt die Dokumentation selbst den Kernbegriff „Killerspiel“ nicht ausreichend als Propaganda, sondern verwendet ihn wie eine Sachbezeichnung. Eine Aufarbeitung müsste da schon mehr wagen.
Erzkonservativer Aktivismus
Denn ohne Zweifel besaß das Sperrfeuer gegen „Killerspiele“ eine bewusste politische Komponente: Kurz zusammengefasst, entdeckten Erz-konservative Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und bewahrungsorientierte Pädagog:innen das junge Medium als ein Instrument für die Mobilisierung. Ihren Auftrag sahen sie primär in einer Abwehr von Gefahren für die kindliche bzw. jugendliche Seele. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forderte nach den Frontal 21-Berichten 2006 einen harten Kurs gegen Spiele. In Bayern verlangte Innenminister Joachim Herrmann 2009 wortgewaltig, diese „Tötungstrainingssoftware“ zu verbieten, und stellte sie obendrein mit Kinderpornografie und Drogenmissbrauch gleich. Schon sein Vorgänger im Amt, Günther Beckstein, hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sich „eine blutige Spur“ aus Gewalt durch das Land ziehe. Computerspiele hätten diese ausgelöst. Diese Akteure übergaben sich die Mikrofone zweitweilig für Interviews wie einen Staffelstab.
Die Diskussionen – wie hier im Talk-Format „hart, aber fair“ – strotzten vor fachlich nicht korrekten Behauptungen und reißerischen Anmoderationen, so dass moderatere Stimmen kaum mit der Aufklärung hinterher kamen. (Video: Nach Amoklauf in Winnenden; Diskussionen über „Killerspiele“ bei Hart aber Fair [1/2], in: Kanal Diavidi via Youtube 12.3.2009)
Geformt wurde ihnen das Staffeleisen nicht zuletzt von dem Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Prof. Christian Pfeiffer. Der Hannoveraner Professor für Kriminologie und Jugendstrafrecht fiel unabhängig von Videospielen in seiner juristischen und politischen Arbeit häufig durch vorschnelle Schlüsse auf. So zog er Verbindungen zwischen Erziehung und rechtem Radikalismus, obwohl sich eine Kausalität nicht nachweisen ließ. Diese Arbeitsweise führte sogar zu falschen Rechtsgutachten. Enorm prominent trat er auch in der „Killerspiel“-Debatte als wissenschaftlicher Sachverständiger mit Behauptungen auf, die seine Studien aufgrund methodischer Schwächen schlicht nicht belegten. Ohne den gesamten unhaltbaren Komplex an dieser Stelle wiederzukäuen: Er behauptete stetig, digitale Spiele seien deshalb eine Gefahr, weil sie bei übermäßiger Nutzung zum Verfall von Schulleistungen und sozialer Verwahrlosung führen würden. Um eine solche spezifische Wirkung von Spielen zu belegen, hätte er dem aber andere exzessiv betriebene Hobbies gegenüber stellen müssen. Würde beispielsweise jemand im gleichen Maße exzessiv Fussball spielen, dürfte er vergleichbar bei den schulischen Leistungen nachlassen. Leistungsabfall und sozialer Rückzug könnten ja schlicht daran liegen, dass beide Aktivitäten über Stunden vom Lernen und Freunden fernhalten können.
Dennoch war er mit starken pointierten Positionen gern gesehener Talkshow-Gast und Interviewpartner, selbst wenn er häufig völlige Unkenntnis von der Materie offenbarte. Legendär zum Beispiel ist sein Auftritt bei dem Magazin „hart, aber fair“ 2006. Dort erklärte er ausgiebig über das fantastische Online-Rollenspiel „World of Warcraft„, Spielende würden dort in einer Art Kriegsszenario militärische Rollen wie Sanitäter oder Angriffssoldat einüben. Letztlich machte ihn als SPD-Politiker und ehemaligem niedersächsischen Justizminister für die Medien wohl attraktiv, dass er qua Beruf und Amt Glaubwürdigkeit mitbrachte. Trotz all der offensichtlichen Wissenslücken und der häufig kritisierten methodischen Schwächen seiner Studien fand er als Experte immer wieder Gehör. Seine Auftritte machten ihn zu einer wichtigen Figur im erzkonservativen Aktivismus. Viele Menschen in der Games-Industrie, unter Youtuber:innen, unter Ausbilder:innen, in der Forschung zu digitalen Spielen und nicht zuletzt eine gesellschaftlich breite Spielerschaft haben diese Vergangenheit nicht vergessen. Das dokumentiert im Übrigen auch sehr gut der oben erwähnte „Killerspiele“-Dreiteiler von Christian Schiffer.
Sicherlich bereiten sich Spielende vor einem Schlachtzug in ihren verschiedenen Rollen darauf vor, verlässlich und koordiniert zu handeln, damit ihr Team gegen vielfältige Herausforderungen besteht. Wie das einführende Tutorial der bei RocketBeansTV zeigt, ähnelt das Gameplay in der fantastischen Spielwelt jedoch kaum einer militärischen Kampfsimulation. (So bereitet ihr einen Raid vor | World of Warcraft mit Mandy & Martin, in: Kanal Rocket Beans Let’s Play & Streams via Youtube vom 15.12.2020)
Proto-„Lügenpresse“
Es ist schon sehr bemerkenswert, was zeitgleich sehr viel weniger Gehör fand: Den differenzierteren Aussagen des Hamburger Hans-Bredow-Instituts zu den dünnen Befunden der Wirkungsforschung (Kunczik 2007) über digitale Spielen erhielten kaum Sendezeit. Alle oben genannten Faktoren deuten darauf hin, dass in der Killerspiel-Debatte bewusst digitale Spiele instrumentalisiert wurden, um eine konservative Agenda zu unterfüttern. Das konservative Weltbild wusste keinen Rat auf die Gewaltausbrüche an Schulen. So könnten ja Veränderungen in der Schulpolitik und den Schulen selbst Gründe dafür sein: der wachsene Leistungsdruck, das unablässige Gerede von Chancenlosigkeit ohne ein bestandenes Abitur vielleicht, der erhebliche Stress, erzeugt durch PISA-Studien bei Lehrenden und Schüler:innen sowie die dauerfeuernde Bildungskritik der Bertelsmann-Stiftung in den damaligen Jahren. Oder waren es gar viel zu große Klassen mit unüberschaubarer Mobbing-Dynamik? Die Liste denkbarer Ursachen innerhalb des Lebensmittelpunktes „Schule“ für diese pubertäre Altersgruppe ist lang. Videospiele stehen da meiner Ansicht nach nicht gerade weit oben. Adäquate Lösungen für die oben genannten Probleme fallen natürlich schwieriger aus als schlichte Verbote. So muss man beispielsweise flächendeckend schulpsychologisches und sozialpädagogisches Personal anstellen und ausbilden. Natürlich ist das weitaus kostenintensiver als schlichte Verbote irgendwelcher Medienformen.
Damit – und darum geht bei dieser langen historischen Vorgeschichte ja eigentlich – verloren auch die beteiligten Journalist:innen und ihre Magazine erhebliches Vertrauen in der Spielerschaft, bei Entwickler:innen und Ausbilder:innen. Die leicht behebbaren, und dennoch ständig wiederholten Fehler zeugten offenkundig von schlechter Recherche und handwerklichen Defiziten. Als kindliche Freizeitbeschäftigung völlig missverstanden, stießen die Medienvertreter:innen deshalb einer erheblich größeren Gruppe vor den Kopf als „nur“ Kinder: Digitale Spiele waren bereits in der Gesellschaft weit verbreitet, auch bei Erwachsenen. Die Beharrlichkeit, mit der an den fehlerhaften Berichten festgehalten wurde, deutete für viele auf bewusste inhaltliche Vorgaben aus den Chefredaktionen. Anders ließen sie sich im Grunde nicht erklären, schaut man etwa auf die erwähnte solide Dokumentation von Dittmayer zum Stigma Videospiele zurück. Die Fakten lagen ja auf dem Tisch. So verbreitete diese verquere Berichterstattung misstrauische bis ablehnende Haltungen gegenüber dem traditionellen Journalismus an sich in diesen Kreisen.
Frontal 21 als das Sturmgeschütz konservativer Medienphobien hinterließ also erheblich größere Einschläge, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dieser Umgang führte zu einer verbreiteten Ablehnung, überhaupt noch mit Pressevertreter:innen und Politiker:innen über Gaming-Themen zu sprechen. Ich selbst kenne so einige in der Ausbildung zu digitalen Spielen, die sich gegenüber Reporter:innen nicht mehr zu kritischen Themen äußern. Sie fürchteten Zusammenschnitte, die den Sinn ihrer Äußerungen enstellen. Diese Haltung geben sie auch an ihre Studierenden und Auszubildenden weiter.
Der Beitrag von frontal_ hebt selbst ein paar Mal hervor, dass einige der angefragten Gesprächspartner:innen zunächst nicht mit der Redaktion sprechen wollten. Sie taten es dann aber doch, und einige davon bereuen diesen Vertrauensvorschuss nach der Ausstrahlung dieses Berichts: Die Streamerin Sissor etwa nahm in einem eigenen Video detailliert dazu Stellung, wo sie ihre eigenen Interviewaussagen missinterpretiert sieht.
Streamerin Sissor, die der Beitrag mehrfach zu Communities heranzieht, sieht sich durch erhebliche Eingriffe im Schnitt missverständlich dargestellt (Mein Statement zum ZDF Frontal Beitrag, in: Kanal Sissor via Youtube 26.11.2020)
Das ZDF hat dem seither zaghaft geöffneten Diskursklima einen herben Dämpfer verpasst. Gerade mir als Historiker stößt das übel auf, bemühen wir uns doch im Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) seit Jahren um engere Dialoge zwischen Entwickler:innen, der Politik, Schule, Journalist:innen und Geschichtswissenschaft auch über schwierige Themen wie die Nazi-Herrschaft. Und auch da haben Historikerinnen und Historiker sich einst mit fachlicher Unkenntnis und überzogenen Äußerungen nicht gerade als Gesprächspartner:innen empfohlen. Diesen Widerstand spüren wir auch heute noch. Also, ZDF, dieser Beitrag war weder dem Klima nützlich, noch in der Sache hilfreich! In Zukunft wird es wohl noch erheblich schwieriger werden, Gesprächspartner:innen für redaktionelle Anfragen zu finden.
Fachlich hinzu-, aber nicht ausgelernt
Dass es einem Beitrag gelingt, so sehr daneben zu greifen, wird zu einem besonderen Rätsel angesichts der herangezogenen Expert:innen. Denn im Gegensatz zum geschilderten Personaltableau in früheren Berichten des Mutterformats befragte die Redaktion für frontal_ eigentlich Gesprächspartner:innen, die fachlich hervorragend geeignet sind. Selbst deren fachliche Kenntnis und ihre medientauglich eloquente Art, diese Kenntnisse rüberzubringen, vermögen allerdings nicht die bedenkliche Gesamtinszenierung zu aufzubrechen.
Scherzhaft bezeichnet er sich in Anlehnung an das Kult-Spiel Monkey Island als „mächtiger“ Kulturwissenschaftler, in der Tat aber ist Christian Huberts einer der fachlich besten Kollegen in den Game Studies, die ich kenne. Seine im Beitrag geäußerten Thesen wurzeln in belastbaren methodischen Grundlagen und sauberer wissenschaftlicher Arbeit über Jahre zu den unterschiedlichsten Phänomenen der Gameskultur. Zwischen Journalismus und Wissenschaft sowie als Projektberater bei der Stiftung Digitale Spielkultur blickt er auf einige Beiträge zum Thema Radikalismus zurück (etwa Huberts, Christian: „Mein Dampf: Die rechtsextreme Parallelwelt auf der Games-Plattform Steam“, in: derstandard.de 26.6.2018).
Hinzugezogen wird ferner im Laufe des Videobeitrags die international bewanderte Extremismusforscherin Julia Ebner. Sie analysiert seit Langem die Strategien von Radikalen, sich neue Technologien findig zu nutze zu machen (etwa im Team des Institute for Strategic Dialiogue). Ob nun zum rechten Spektrum oder einem religiösen Fanatismus verfasste sie einige Bücher und stieß dafür sogar undercover in die Communities vor (Ebner, Julia: „Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren“, 2019 (Suhrkamp)).
Die Redaktion lässt die Expertin und den Experten lediglich mit wenig komplexen One-Linern zur Sprache kommen. Dennoch machen selbst diese kurzen Statements sehr verständlich, dass das geschilderte Problem nicht nur existiert, sondern gesellschaftlich beunruhigen muss. Außerdem zeigen diese radikalen Kreise unter Spielenden immer wieder ein lautstarkes, sehr abfälliges Verhalten gegenüber Frauen. Mit der Streamerin Sissor gelingt ein Einblick in Teile dieser Community, auch wenn sie sich bei wesentlichen Bestandteilen falsch zitiert sieht. Im Kern bleibt auch hier eine erfahrene Streamerin, die über Dynamiken in Communities spricht, auf die man immer und immer wieder trifft – ob nun die Plattformen genug dagegen unternehmen oder nicht.
Treffen sich Youtube und ZDF – beide tot
Doch selbst mit den besten Zutaten gelingt einem stümperhaften Koch eben kein Gourmet-Dinner. Im Stakkato des redaktionellen Stils lassen sich die Probleme tatsächlich nur oberflächlich ankratzen. Verantwortlich für das Scheitern ist zudem der betont lässige Umgang mit den Expert:innen, durch den der Beitrag wohl ein besonders peppiges Zielpublikum erreichen soll.
Man ahnt schon, dass etwas schief läuft, wenn Huberts nicht als Kulturwissenschaftler, sondern „Gaming-Experte“ eingeführt wird. Er wird also nicht mit seiner fachlichen Qualifikation vorgestellt, sondern mit der betont frechen Frage konfrontiert, ob er ein Nerd sei. Nein, wie originell. Er kontert klug, er sei eher ein Geek, was eine Person beschreibe, die sich für das Feld leidenschaftlich interessiere, durchaus aber noch andere Leidenschaften habe. Wie genau dieser Exkurs zu dem eigentlichen Thema beiträgt, bleibt völlig offen. Soll dadurch seine Glaubwürdigkeit erhöht oder untergraben werden? Die knappe Zeit des Viertelstünders hätte man sinnvoller nutzen können. Auch Ebner hätte sicherlich sehr viel Interessantes über ihre One-Liner hinaus zu dem Video beisteuern können. Da hat man schon Forschende von Weltrang zur Verfügung und nutzt sie so wenig. Sprachlos hinterlässt die flapsige, schnoddrige Gesamtinszenierung dann zusätzlich durch die Form, mit der die bedrohliche GamerGate-Bewegung von 2014 als eine Ursuppe für radikalisierte Spielergemeinschaften inszeniert wird. Man traut kaum seinen Ohren, als es heißt: „Wir haben das mal für euch in GTA nachgebaut.“ (5:49 min)
In einer offenen Welt bietet Grand Theft Auto (GTA) 5 eine ebenso gewalttätige wie satirische Gangsterklamotte, während der Spielende stets in drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten wechseln können. Der beliebte Online-Ableger des Spieles führt weltweit Millionen von Spielenden im dargestellten Südkalifornien zusammen. (Grand Theft Auto V: Offizielles Gameplay-Video, in: Kanal Rockstar Games Deutschland, Österreich & Schweiz vom 9.7.2013)
Die „GamerGate-Bewegung“ – und dieser Absatz hier ist bitte nur als knapper Aufriss zu verstehen – startete als Hetzkampagne gegen vor allem weibliche Journalistinnen und Entwicklerinnen. Entzündet an einem Einzelfall, wurde vielen schließlich pauschal vorgeworfen, sich für Sex Vorteile in der Branche zu erschleichen. Schnell rollte aber eine viel größere Welle mit sehr viel Frauenfeindlichkeit und Hass durch die Spielercommunities. Schwer zu identifizerende Kreise lamentierten darüber, dass ihnen durch politische Korrektheit, „Social Justice Warriors“ und die Repräsentation von Frauen sowie nicht-weißen Gruppen ihre Gameskultur kaputt gemacht werde. Viele dieser selbsternannten „Aktivisten“ riefen dazu auf, dass „Gamer“ dagegen aufstehen mussten. Deshalb wird der Begriff für Spielende auch seither nicht mehr verwendet, sondern bezeichnet lediglich noch diesen aggressiven Mob. Das wird von vielen Spielenden noch immer nicht begriffen. Letztlich waren verbale Attacken bis hin zu Morddrohungen gegen Streamerinnen, Journalistinnen und Entwicklerinnen an der Tagesordnung, später auch gegen jene, die sie gegen den Mob verteidigten.
Nicht umsonst führen von diesem „GamerGate“ auch Spuren zum Gedankengut der sogenannten Alt-Right-Bewegungen weltweit sowie noch abstruseren Teilsphären wie der Incel-Bewegung (siehe Kracher, Veronika: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Mainz 2020). Diese Kreise wiederum stehen in direkter Verbindung mit rassistisch und antisemitisch motivierten Amokläufen wie in Halle oder Christchurch. Das gesamte Geflecht aus bedenklichen Verbindungen zeigt auch sehr gut, warum es hier nicht nur um einen vermeintlich abgehobenen, übertrieben beäugten Vorfall innerhalb von Spielergemeinschaften geht, die sich einfach wegbelächeln ließen.
Vorwiegend einen chronologischen Ablauf und die beteiligten Akteur:innen schildert Michael Graf in der Gamestar 10/2014 („Was ist Gamergate?“, S. 10-18 [online via Gamestar Plus]). Wie Beteiligte und Vorkommnisse mit politischen Strömungen zusammenhängen, ordnet demgegenüber besser die vierteilige Reihe „Gamergate, eine Retrospektive“ ein (Keinen Pixel den Faschisten, Okt./Nov. 2020: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4). Man muss schon ziemlich oft und sehr ordentlich etwas auf den Helm bekommen haben, um in Kenntnis dieser Hintergründe „GamerGate“ in der plumpen Weise mit GTA V vorzuführen, wie es nicht einmal ein drittklassiges Laientheater wagen würde. Schließlich hatte der eigene Beitrag zur Relevanz des kritischen Themas doch gerade erst die Expert:innen angeführt.
Schon diese Form des Berichtes reizte mittlerweile mehr als zehntausend Kommentatoren zu Relativierungen, Gegenangriffen und rechtspopulistischen Äußerungen. Gut, als Historiker kennt man diese Strategien als aktive Vorwärtsverteidigung rechter Gemeinschaften. Aber diese Zugehörigkeit trifft wohl kaum auf alle dortigen Empörten zu, und der Umstand ist wohl kaum allen Leser:innen des mäßig moderierten Youtube-Kanals bewusst. Durch die zahlreichen offenen Flanken, mit denen sich der Beitrag stilistisch und redaktionell angreifen lässt, entsteht auch über das wichtige inhaltliche Anliegen der unheilige Eindruck, hier habe die Redaktion etwas polemisch herbeifantasiert.
Lebenstraum im Pfosten
Geht so schon in diesen fünfzehn Minuten viel schief, unterläuft der Redaktion noch ein Kardinalfehler, den man in einem Format des öffentlichen Rundfunks gar nicht hoch genug aufhängen kann. Der heruntergeklappte Unterkiefer von dem stilistischen GTA-Unfall ist noch gar nicht wieder oben, da möchte er ein zweites Mal herunterfallen: Die Redaktion verschafft den rechten Agitatoren der „identitären Bewegung“ prominent eine Bühne. Sie stellt nicht nur deren Propagandatool vor, sondern inszeniert die Rechten auch noch so, dass sie die beteiligten Journalist:innen verächtlich machen können. Um die Strategie nicht auch noch zu befördern, verzichte ich in diesem Abschnitt auf Links, Video und Bilder.
Es geht um das Spiel „Heimat Defender: Rebellion“, das die Entwickler von Kultgames zusammen mit dem rechten Verein „1Prozent“ in einem cyberpunkigen Retro-Optik-Stil veröffentlichten. Der eher seichte Jump’n’Run-Platformer spricht damit ein Design an, das zurzeit sehr beliebt ist. Insofern fiel das Spiel in diesem Stil auch nicht gleich als rechtsextrem auf. Wahrscheinlich wird dieser Ansatz auch bewusst gewählt, um subversiv zu wirken, so wie man schließlich in diesen Kreisen nur noch selten mit Springerstiefeln und Bomberjacke aufmarschiert. Das Spiel inszeniert ein Weltbild, indem sehr unverholen Satiriker wie Jan Böhmermann als Feinde präsentiert werden, eine Weltverschwörung mit Antifa- und LGTBQ-Flaggen symbolisiert, und selbst das ZDF ist deutlich zu erkennen. Zentrale spielbare Figuren sind der Faschist Bernd Höcke (im Spiel fälschlich Björn genannt), Martin Sellner als Sprecher der Identitären in Österreich und Alexander Kleine (genannt Malenki) als deutscher Vertreter des rechten Mobs.
Letzterer kommt nicht nur zu Wort – er darf den Journalist:innen seine Verachtung auch noch direkt ins Gesicht spucken. Auch wenn ihm seine Community bei Twitter davon abgeraten habe, rede er halt auch mit den „niedersten Journalisten“. Irritierend, dass der Bericht ihm dafür nicht nur verbal die Bühne bereitet, sondern auch noch aufwändig die besagten Umfrageergebnisse einblendet „Rede nicht mit der Lügenpresse!“ Nicht nur nimmt man damit implizit das Etikett an, obendrein wird Zusehenden damit noch sein Twitter-Account bekannt gemacht. Ist das irgendso ein journalistisches Sado-Maso-Spiel, dass ich nicht recht begreife? Ist es der Nervenkitzel, die Sensation, einen echten Radikalen filmen zu dürfen, weshalb da die Konrollmechanismen aussetzen? Auch Kultgames zeigt der Beitrag mit einem direkten Statement. Die Entwickler sprechen unumwunden aus, es gehe mit dem Spiel darum, „Botschaften zu vermitteln auf lustige, humorvolle, unterhaltsame Art und Weise“. Grundsätzlich könnte man für digitale Spiele diese Aussage sicher als Games-Forscher unterstreichen – ginge es hier nicht um den Missbrauch eines Mediums als Propagandamittel für hasserfüllte Weltbilder.
Alexander Kleine selbst verkündet dann auch ungeniert, er selbst sei kein Spieler, das Spiel überfordere ihn. Für seine Identitären sei das Spiel ein erfolgreiches Propagandatool. Man möchte eigentlich noch hinzufügen: Ja, liebes ZDF, und wenn ihr diesen Personen auch noch eine Bühne dafür liefert, seid ihr Teil dieser Propagandastrategie. Es geht ihnen ja offensichtlich nicht um das Spiel, das mittlerweile aus Distributionsportalen verbannt wurde. Sicherlich überrascht es die Beteiligten nicht einmal. Es ist in die Strategie eingepreist und frontal_ macht sich zum Handlanger. Das Video ist ja nicht einmal in einem separaten Frontal-Kanal zu sehen, sondern im Kanal der ZDFheute Nachrichten. Damit erhält es einen zusätzlichen Grad an Reputation. Wieso räumt die Redaktion diesen Figuren vom rechten Rand so viel Aufmerksamkeit ein, als ginge es um irgendwelche kulturell relevanten Entwickler? All die Jahre hat Frontal kulturell bedeutenden Personen in der Branche nicht so viel Zeit eingeräumt wie jetzt diesen Rechten. Wieso widmet sich der Beitrag nicht stärker einer Analyse durch die genannten Ansprechpartner:innen? Diese haben sie ja ohnehin gut ausgewählt. Dieser Teil des Beitrags ist daher nicht nur eine üble Fahrlässigkeit, sondern ein Affront gegen alle, die sich für eine plurale Gesellschaft auch in der Gameskultur einsetzen.
Dabei sind doch selbst in demselben Beitrag die Wortmeldungen von Huberts glasklar zu verstehen: Die Spielekultur selbst hat kein Problem mit überbordendem Rechtsextremismus, aber sehr wohl einzelne Subcommunities. Codes und Symbole werden verwendet, um Aufmerksamkeit für Ideologien zu erzeugen. Spiele mit ganz klarer rechter Agenda bestehen und bestehen nicht erst seit Kurzem, denkt man bis zum KZ-Manager auf deutschen Schulhöfen der Neunziger Jahre zurück. Die rechte Propaganda sucht den Gegenwind gegen das Spiel bewusst, um damit Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn das mittelmäßige Spiel also bewusst darauf angelegt ist, solche sensationsheischenden Reaktionen hervorzurufen, wieso folgt frontal_ genau dieser Strategie. Die Redaktion präsentiert das Spiel, Gameplay und Figuren ausführlich. Sie räumt einen erheblichen Minutenanteil des Beitrages den Identitären Sellner und Kleine sowie den Entwicklern von Kultgames ein. Genau die gewollte Aufmerksamkeit verschafft frontal_ ihnen damit. Jetzt weithin bekannt, lässt sich das Spiel obendrein weiter über den Verein beziehen. Zwischen den Wellen meines aufkommenden Würgereizes muss ich Respekt zollen: Strategie gelungen!
Keine Heimat für Antifaschisten?
Das ganze ist umso ärgerlicher, als dass der Beitrag auf einer dramatisierenden Note endet. Das Fazit redet herbei, es gebe in Communities der Spielenden weder ein Bewusstsein, noch eine Gegenwehr gegen rechtsextreme, faschistische und fundamentalistisches Machenschaften. Dass dieses Bewusstsein durchaus in Communities existiert, und auch Widerstand hervorruft, betont die Streamerin Sissor in ihrem Video zur Richtigstellung mehrfach. Sicher könnte man sich mehr Durchsetzungskraft wünschen, und ihre Community mag auch nicht repräsentativ für alle stehen können, aber Anfänge sind in jedem Fall gemacht.
Diese Behauptungen der Redaktion sind aber besonders deswegen eine Frechheit in dem Beitrag, weil die Macher:innen schließlich selbst in der Vorbereitung bei einer solchen Community-Aktion Rat eingeholt haben. Recht reserviert äußerte sich der Verbund „Keinen Pixel den Faschisten“ deshalb auch in Reaktion auf Form, Inhalt und Stil des Beitrags von frontal_ („Anmerkungen von Keinen Pixel zum Beitrag ‚Wie Rechte die Gaming-Kultur unterwandern‘ von frontal vom 19.11.2020“, in: Keinen Pixel den Faschisten vom 27.11.2020). Die Sammelbewegung gründete sich im Nachgang des Attentats von Halle 2019 aus diversen Kreisen der Spielekultur. Sie verbindet Forscher:innen, Spieleentwickler:innen, Streamer:innen und vielen anderen Personen, die sich für die Gameskultur und Communities verantwortlich fühlen.
Innenminister Horst Seehofer hatte nach dem Angriff davon gesprochen, eine rechte Gamer-Szene sei für die Radikalisierung des Täters mitverantwortlich (Kogel, Dennis: Ein Sieg für den Täter von Halle, in: Deutschlandfunk Kultur 14.10.2019). Entsprechend erhob sich der Beißreflex von Spielerkreisen, die jede Verbindung kategorisch von sich wiesen. Viele Reaktionen auf Seehofers Pauschalisierungen erinnerte an die verhärmte Abwehrhaltung durch Spielende in Killerspiel-Debatten oder während der „GamerGate“-Exzesse. Auch game, der Verband der deutschen Games-Branche, wehrte in einer Presseerklärung nach dem Angriff von Halle die Anschuldigungen Seehofers als Pauschalverurteilung scharf ab. („game-Verband kritisiert Generalverdacht gegen Games-Community“, in: game. Offizielle Webseite 13.10.2019). Angesichts der obigen Befunde aber wären ein paar nachdenklichere Sätze dazu auch von der Games-Brache selbst angebrachter gewesen. Schließlich bleibt nicht nur die Politik, sondern auch sie bislang einen Masterplan gegen rechte Umtriebe schuldig. Kritsiert Falk also zurecht Seehofers Äußerungen für viel Unkenntnis, deuteten sie doch auf ein wahres Problem.
Deshalb entschloss sich die Sammelbewegung „Keinen Pixel den Faschisten“ einen bewussten Gegenpol zum spielekulturellen Beißreflex herzustellen. Natürlich sind nicht alle Spielenden in Gefahr rechtsradikal zu werden, so wie es bei Seehofer anklang. Viele millionen Menschen tummeln sich täglich in digitalen Spielen und diskutieren in Foren. Nicht in Abrede stellen lässt sich aber, dass es das Problem gibt, und dass auch frontal_ es zurecht aufgreift. Als Vertretung für Historiker:innen, die in dem Bereich forschen, entschloss sich deshalb auch der Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS) zur Beteiligung, den ich 2015 mitgründete und seither maßgeblich mit koordiniere. Wer, wenn nicht wir Historiker:innen, sollte einen Beitrag gegen Faschisten leisten.
Schritt nach vorn, nur ohne Fortschritt
Die Frage danach, ob Communities selbst nicht genügend entgegen setzen, wirkt angesichts der Gesamtinszenierung des Beitrags wie Hohn. Gewiss stehen die Bemühungen erst am Anfang, allerdings hätte die Redaktion darauf ja auch hinweisen können, anstelle sie nicht einmal zu erwähnen. Zumal der Beitrag in der geschilderten Weise den Identitären eine Bühne verschafft, und sich selbst jede Glaubwürdigkeit durch seinen unsäglichen Stil abräumt. Dabei hatte die Redaktion kluge Gesprächspartner:innen zusammen geholt, um eine Viertelstunde allein mit deren Expertise sinnvoll zu füllen. Es hätte völlig ausgereicht, über das Phänomen auch anhand des aktuellen Spieles zu berichten. Dafür hätte man aber nicht unbedingt mit den identitären Agitatoren sprechen müssen. Dass sie nur Erwartbares beisteuern, belegen ja ihre Wortmeldungen selbst. Welchen zusätzlichen Grad an Glaubwürdigkeit sollten diese Äußerung denn einer solchen Recherche verleihen, den nicht die Expert:innen bereits hätten liefern können? Weshalb man stattdessen die Community-Aktion nicht selbst eingebunden hat, bleibt ein Rätsel.
Schon aus journalistischer Sicht ist dieser Beitrag daher handwerklich misslungen. Stilistisch kann man sich gar nicht so oft an den Kopf fassen, wie man es möchte. Der hippe Sprechstil biedert sich an eine skeptische Community an, die das keineswegs goutiert, weil Spielende nur in der Vorstellungswelt eines ZDF hipp, trendy und unter 25 sind. Die breite Gesellschaft spielt längst digitale Spiele; sie nimmt man so nicht ernst. Dass die Redaktion zudem noch einen solchen inszenatorischen Aufwand treibt, um die kokette Verachtung und das Etikett „Lügenpresse“ durch die Twitter-Umfrage von Kleine als digitale Einblendung zu verbreiten, hinterlässt sprachlos. Seinen Accountnamen dazu zu verbreiten, wirkt dann nur noch wie ein Detail. Die unglaubliche Krönung ist aber der performative Missgriff, „GamerGate“ durch gewaltsame Übergriffe in GTA V darzustellen. Er ist nicht nur einem Magazin nicht angemessen, dass zu Beginn mit dem Satz aufmacht: „Trotzdem: Games, Terror und Rechte, irgendwas muss ja dran sein!“ Diese dramatisierende, unfreiwillig komische Aufmachung ist auch angesichts der gravierenden Verbindungen zwischen Gamergate und rechten Machenschaften inhaltlich überhaupt nicht angemessen.
Es ist zudem speziell frontal_ nicht angemessen, weil es sich an der Vorgeschichte seines Muttermagazins messen lassen muss. Schließlich hatte das immer behauptet, Spiele würden mindestens zur gewalttätigen Verrohung beitragen – und nun setzt frontal_ Prügelattacken und Schießereien für platte Effekthascherei ein. In den 2000ern machte sich das Muttermagazin – ob nun in bewusster Niedertracht oder gutem Glauben – zu einem wirkungsvollen Verstärker von einem erzkonservativem Aktivismus. Dieser schob angesichts schulischer Vorfälle einem Medium und seiner Spielerschaft pauschal und kulturpessimistisch die gesamte Verantwortung zu. Wie gezeigt, gab es in der Zeit genügend Gründe, weshalb Menschen damals dem schulischen Klima und Druck nicht gewachsen sein konnten. Digitale Spiele funktionierten gesellschaftlich nicht zuletzt durch die Mithilfe von Frontal auf diese Weise als Nebelkerze für sozial- und schulpolitische Ratlosigkeit.
frontal_ kann sich angesichts dieser Vorgeschichte deshalb auch nicht schlicht mit einem Satz am Rande aus dieser Verantwortung ziehen: Damals gaben „Politik und viele Medien Computerspielen eine Mitschuld.“ Ja, und das ZDF war aktiv daran beteiligt, was zu erwähnen, zur Aufrichtigkeit gehört hätte. „Also, ja, die Killerspieldebatte war überzogen.“ heißt es dann durch die Sprecherin weiter. ÜBERZOGEN ist wohl kaum der richtige Ausdruck für ein Jahrzehnt einer medienfeindlichen Debatte, die gesellschaftliche Folgen hatte. Viele Spielende wurden zuhause wie mögliche Attentäter angesehen. Sie mussten sich in der Schule für ihr Hobby verteidigen. Angehende Games-Entwickler sich vorwurfsvolle Vorträge anhören, warum sie in einer solchen Industrie arbeiten wollten. Ausbildungsstätten hatten Schwierigkeiten staatliche Mittel am Standort Deutschland zu mobilisieren. Und nicht zuletzt: Forschende wurden unablässig mit denselben abwegigen Pfeifferschen Konstruktionen in Interviewanfragen belästigt. Diese zitierten Sätze der Sprecherin beweisen, dass der Redaktion jedes Verständnis dafür abgeht, was die Killerspieldebatte für die Branche und Spielende in Deutschland anrichtete und welche Rolle gerade Frontal dabei spielte.
Das ist auch der zentrale Kerngrund, woran dieser Beitrag journalistisch scheitert. Anstelle mithilfe der befragten Fachleute zu beweisen, dass Öffentlich-Rechtliches Fernsehen diesen wichtigen kulturellen Sektor endlich ernst nimmt und sich deshalb um den Zustand der Communities sorgt, legen der oberflächliche Stil und inhaltlich die redaktionelle Aufbereitung massive Kenntnislücken offen. Aus der Reflexion der „überzogenen“ Killerspiel-Debatte folgt dann der entscheidende Satz: „Aber muss es deshalb für Nazis zwischen Gamer:innen so gemütlich sein?“ Mir ist auch nach dem vielfachen und schrittweisen Nachhören dieses Berichtes für diesen Kommentar nicht klar, wie dieser Zusammenhang in einer Gedankenfolge logisch wird. Spielende schalten nicht auf stur, weil sie wegen der Killerspiel-Debatte und „GamerGate“ schwerwiegende Phänomene der Spielkultur ignorieren würden. Sie schalten auf stur, weil sie schlechten Journalismus erwarten – und davon hat ihnen frontal_ erneut eine gehörige Portion serviert.
Viele Akteur:innen wie die genannte Sissor werden es sich in Zukunft wieder genauer überlegen, ob sie mit Medienvertreter:innen sprechen. Dabei benötigt die Gameskultur im Kampf gegen Radikalismus, Fundamentalismus, Frauenhass, Rassismus, Antisemitismus und weitere gesellschaftlich verbreitete Probleme wie Verschuldung oder Suchtverhalten doch gerade mehr Offenheit, und nicht weniger. Dem Gesprächsklima hat der Beitrag somit einen Bärendienst erwiesen. Zurecht hat er deshalb viel Widerspruch bekommen, wenn auch nicht immer aus der richtigen Ecke. Dennoch: Das erwähnte Handbuch Gameskultur aus 2020 zeigt ein breites und buntes, reflektiertes und fundiertes Spektrum von sehr vielen Expert:innen in der Forschung, der Wirtschaft, dem Kultursektor und der Ausbildung, was den Blick auf digitale Spiele und ihre Spielkultur angeht. Angesichts dieser enormen gesellschaftlichen Entwicklung mag es sich bei dieser Reportage vielleicht um einen kleinen Schritt nach vorn für das Format ZDF und sein Format Frontal handeln – ein echter Fortschritt war sie aber noch lange nicht.
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Ich glaube, damit ist alles gesagt.