KOMMENTAR: Geschichten? Unbezahlbar!

Überfällige Gedanken zur Zukunft von Content


Warum dieser Kommentar hier und leider nicht im Magazin making games erscheint, lesen Sie in ->NEWS: Widersprich doch mal…

Seit einigen Jahren verändert sich die Branche der Videospiele mit rasanter Geschwindigkeit. Plattformen zur Distribution mit angeschlossenem Kopierschutz drängen die Käufer in Richtung digitaler Downloads, der Gebrauchtmarkt wird dadurch ausgetrocknet und kleine, unabhängige Entwickler erhalten durch Finanzoptionen wie Crowdsourcing neue Überlebenstrategien. Vieles ist in Bewegung. Das größte Heilige Kalb, um das alle tanzen, heißt jedoch Free-To-Play (F2P).

Die Philosophie hat sich längst weit über den Markt der Onlinerollenspiele mit großen Spielerzahlen (MMORPGs) hinaus ausgebreitet. Spieler können kostenlos die Programme, sogenannte Clients, herunterladen, installieren und spielen. Dass auch hochwertige Shooter so funktionieren können, unterstreichen das bereits erhältliche ->Planetside 2 von ->Sony Online Entertainment und das nun auch in Mitteleuropa gestartete ->Warface des deutschen Edelentwicklers ->Crytek. Geld wird damit eher indirekt gemacht. Die einen Anbieter stellen in virtuellen Läden Ausrüstung, Waffen und Bekleidung zum Verkauf, um damit Spielern echtes Geld für breitere Munitionsgurte, bessere Zauberstäbe oder rosa Federhüte abzunehmen. Andere verkaufen vorübergehende Vorteile, sogenannte Buffs, mit denen zeitweilig mehr Erfahrung gesammelt wird, die Spielfigur besser schießt oder stärker wird.



Planetside 2 beweist, dass MMO-Shooter mit dem F2P-Konzept höchstklassig sein können (Quelle: Trailer / Offizieller Kanal Youtube)

Das früher häufig verwendete Modell des Abonnements, bei dem je Monat ca. 10-15 € für den Zugang zu zahlen waren, ist fast schon Vergangenheit. Selbst große Marken wie ->Star Wars: Die alte Republik scheiterten unter ->Bioware und ->Electronic Arts (EA) mit Abos. Umso mehr verwundert, dass ->Bethesdas ->The Elder Scrolls – Online auch auf diese Bezahlform setzt. Es ist zur Zeit ein Himmelfahrtskommando. Eigentlich besteht der Abomarkt zu achtzig Prozent aus ->Blizzard’s Urgestein ->World of Warcraft von 2004, und selbst das plagen deutlich sinkende Spielerzahlen. Analysen aus der Branche deuten darauf hin, dass dort die Umsätze in nur einem Halbjahr um 54% gefallen sind (Quelle: ->World of Warcraft is Thinking of Microtransactions, and That’s a Good Thing, in: Superdata. Digital Goods Measurement, 11.09.2013).

Ein wesentlicher Aspekt von Videospielen kommt bei dem Trend zu F2P aber zunehmend zu kurz: das Erzählen guter Geschichten. Klassische Erlebnisse im Einzelspielermodus werden seltener, drohen gar auszusterben. Einen Plan, wie es nicht so weit kommen wird, formuliert zwar der Wiener Forscher Christoph Klampfl in einem Essay der ->making games 5/2013, doch ist seine Analyse nicht ganz überzeugend…

Nur noch wenige große Millionenproduktionen erzählen intensive Stories, sind dabei aber so teuer und personalintensiv, das kleinere Entwickler hier nicht Vergleichbares erreichen können. So setzen diese oft auf kleinere, häufig webbasierte Spiele, die nach und nach entwickelt werden können. Spieler können so einerseits mitentscheiden, wohin die Entwicklung geht, andererseits wird dadurch kaum mehr langfristig entwickelt – wie zum Beispiel an den Hintergrundgeschichten.

Im Wahn des F2P konzentrieren sich alle Entwickler auf Bezahlmodelle und auf den sanften Druck gegen den Spieler, doch endlich mal ein wenig Geld zu überweisen. Denn einem Spieler, der sich frei in einer Spielwelt bewegen kann, muss erst ein guter Grund geliefert werden, warum er dennoch das Portemonaie zücken soll. Das funktioniert nicht immer, manchmal nicht einmal in fast deckungsgleichen Fortsetzungen derselben Spiele wie selbst Branchenriese ->Zynga mit ->Cityville 2 überrascht feststellen musste.

In dieser Konzentration auf die Monetarisierung stellen Geschichten bloß noch Kostenfaktoren dar, die große Risiken bergen. Sie müssen aufwändig recherchiert und weutgehend vor der Produktion geschrieben werden, sie müssen in sich stimmig sein und vom Anfang bis zu ihrem Ende durchdacht werden. Das großartige ->The Secret World machte im vergangenen Jahr den Versuch ein Onlinerollenspiel im Markt zu platzieren, das Narration zum Kern kürte. Bald zehn Jahre lang hatte der erfahrene Entwickler ->FunCom an dem Spiel entwickelt und die bislang atmosphärisch dichteste Erzählwelt der MMOs geschaffen. In dem oben beschriebenen Marktumfeld aber konnte das Spiel nur schwer bestehen.

Hintergrundgeschichte

Dass sich hier etwas ändern sollte, empfiehlt nun Christoph Klampfl den Akteuren der Branche. Er ist Forscher an der Wirtschaftsuniversität von Wien, der auch als freier Autor seit Jahren die Spielebranche beobachtet. In der ->Making Games (5/2013) stellt er fest, dass die Konzentration auf F2P einige Genres bevorzuge, deren Fokus auf dem Multiplayererlebnis liegt. Das verbindende Element der Spiele, die damit nicht zurecht kämen, sei der Singleplayer. Dort sei der Kampagnenverlauf schlicht nicht kontrollierbar, würde man spielentscheidende Gegenstände zum Verkauf anbieten. Gäbe es nur kosmetische Artikel zum Kauf, würde sie nur der Spieler selbst sehen. Solche „optischen Gimmicks“ seien nur in einer sozialen Umgebung sinnvoll, wo Prestige gegenüber anderen etwas zähle.


Die bedeutendste Entwicklerzeitschrift für Mitteleuropa thematisierte Content im Zeitalter von Free-2-Play (Quelle: Offizielle Seite / Heftarchiv)
Die bedeutendste Entwicklerzeitschrift für Mitteleuropa thematisierte Content im Zeitalter von Free-2-Play (Quelle: Offizielle Seite / Heftarchiv)

Besonders aber hindere das F2P im Singleplayer, dass an Kampagnen für Einzelspieler „astronomische Ansprüche“ gestellt würden. Kinoreife Filmsequenzen müssten hollywoodreif vertont werden, Geschichten mit glaubwürdigen Charakteren und weit verzweigten Handlungssträngen würden erwartet. Die bestehenden Mechanismen des F2P hätten darauf keine Antworten zu bieten. Die Wirkung des fortschreitenden Einflusses von kostenfreien Spieltiteln könne man vor allem am Sektor der Strategiespiele beobachten. Nur wenige Studios würden sich noch ausgefeilte epische Kampagnen wie ->Blizzard bei ->Starcraft 2: Wings of Liberty und ->Heart of the Swarm leisten. Der Schwenk hin zu F2P erfolge hier sehr schnell.

Mit klassischem stundenlangem Content von Blockbustern hielten nur Studios mit, welche sich die hohen Investitionen leisten könnten. Kleine, unabhängige Studios, die sogenannten Indies, würden zwar spielmechanisch erstaunliche Titel produzieren, allerdings könnten diese oft keine nennenswerte Geschichte erzählen. Blockbuster seien hingegen häufig nicht sehr innovativ, was die Erzählungen anginge.

Die Lösung besteht für Klampfl in kleinen Storyhappen, die wie ein Serienformat im Fersehen angeboten würden. ->Telltales ->The Walking Dead habe in Hinsicht auf den Vertrieb von Episoden wie auch die Erzählweise wegweisendes geleistet. Es gehe nicht darum F2P zu verweigern, sondern dem Trend eine andere Richtung zu geben. Das Free-To-Play würde zu Pay-4-Content umgewandelt. Erste Entwickler gingen bereits diesen Weg selbst für größere Veröffentlichungen wie zum Beispiel die ->Halo-Schöpfer ->Bungie mit dem MMO-Shooter ->Destiny. Auch das Weltraumspiel ->Star Citizen von ->Roberts Space Industry (RSI) plant einzelne Kampagnen gegen jeweilige Bezahlung und ist mit einem Etat von mehr als 30 Mio. € bei Weitem kein Mittelstandsprojekt mehr.



Die Comic-Versoftung von The Walking Dead leistete Wegweisendes, schwächelte jedoch spielerisch (Quelle: Story Trailer / Telltale Games via Youtube)

Das Singleplayerspiel würde in einem solchen Konzept zwar in Abschnitte geteilt, jedoch nicht notwendig inhaltlich karger. Ein wesentlicher Vorteil sei, dass die Entwickler in ihren Erzählungen auf die Vorlieben der Spieler reagieren könnten. Sowohl, indem sie Feedback zu besonders geliebten Charakteren erhielten, als auch indem sie nervige Figuren wie ->Jar Jar Binks in ->Star Wars – Episode 1 frühzeitig ausmerzen könnten.

Dem Kunden gegenüber sei der Entwickler allerdings auch zu regelmäßigem Nachschub verpflichtet. Lange Wartezeiten wie bei den Episoden von ->Half-Life 2 dürften nur die eingefleischtesten Fans mitmachen. Außerdem müssten ausgefeilte Analysetools die Releases begleiten, um aussagekräftige Daten über das Kundenverhalten nicht nur zu erheben, sondern auch tatsächlich auszuwerten.

Seiner Meinung nach sei dies ein geeigneter Weg, um für Einzelspieler neben dichten Erzählnetzen von Blockbustern und kreativen Indiespielen fesselnde Erfahrungen zu schaffen. Die Episodenstrukur ließe dabei Entwickler gleichzeitig überschaubarer kalkulieren und damit auch mehr Innovation wagen.

Lehren der Geschichten

Die Thesen, die Klampfl formuliert, deuten in eine spannende Zukunft für alle Freunde von Erzählungen und vielseitigen Inhalten, und doch ist seine Analyse lückenhaft. Will man ihm nicht mangelnde Sachkenntnis unterstellen, so muss man annehmen, dass die Kürze eines Essays verhindert hat, alle wichtigen Aspekte unterzubringen. Es fehlt noch einiges, was bezüglich Pay-4-Content zu bedenken ist.

Vor allem ist ein Serienformat ein viel breiter erprobter Ansatz, als der Beitrag von Klampfl den Eindruck erweckt. Schon ->Advent Rising war 2005 von Anfang an als Auftakt zu einem Mehrteiler geplant, scheiterte jedoch an schlechen Verkäufen. Die ->Half-Life 2: Episodes (2006, 2007) nahmen bewusst das Serienformat in den Namen auf, lange Entwicklungszeiten zwischen den ersten Folgen aber ließen selbst bei dieser zugkräftigen Marke die meisten Kunden abspringen. Nur eingefleischte Fans warten da heute noch hartnäckig auf die dritte Episode.

Wer nun einwendet, dies sei ja nicht ein solches Episodenformat wie bei dem ach so innovativen ->The Walking Dead, dem sei entgegnet, dass die oben genannten Beispiele auch wesentlich mehr Spiel boten. So großartig auch für mich selbst das an die gleichnamige Comicserie angelehnte Erlebnis war, sollte man doch nüchtern erkennen, dass ->Telltale damit eher interaktive Filme schuf als vollwertige Spiele. Spielerisch waren sie weniger gehaltvoll. Da ist es natürlich einfacher, in kurzen Intervallen neue Spielinhalte zu produzieren.



So funktioniert ein Serienkonzept... wenn man es denn ließe: Alan Wake (Quelle: Trailer / Kanal Machinima via Youtube)

Ein besseres Beispiel wäre wohl das Horror-Actionadventure ->Alan Wake von -> Remedy, das ursprünglich im Jahr 2006 als Serienformat gedacht war. Bis hin zur Aufteilung der Handlung in einzelne Episoden und deren Einleitung mit „previously on“- Trennern wie in US-Serien blieb dies deutlich erkennbar. Leider ging das usprünglich auch für PC entwickelte Spiel wegen der sensationellen Fehlentscheidung, es zu einem Exklusivtitel von ->Microsofts ->XBox 360 zu machen, zunächst am Markt weitgehend unter. Dabei richtet sich diese Konsole traditionell eher an actionorientierte Spieler. Diese These stützt, dass es -> Remedy mit dem Relaunch im Jahr 2012 für die Windows-Plattform in kürzester Zeit gelang, die Entwicklungskosten wieder einzuspielen. Zudem wurde das Serienkonzept gekippt und eine vollständige Season ausgeliefert. Nur zwei Addons kamen per DLC noch als Folgen. Dies war ein Scheitern von Publisher und Marketing, meiner Ansicht nach, nicht aber von der soliden Idee des Serienformats, das eine anspruchvolle Erzählung wie in ->The Walking Dead eben auch mit einer herausfordernden Spielmechanik verband (wie sie ->The Walking Dead eben nicht enthält).

Wenn man Klampfls Beitrag liest, drängt sich zudem der Eindruck auf, es gäbe drei getrennte Erfahrungswelten für Einzelspieler – die Blockbuster, die Indies und nach Klampfls Vorstellung demnächst das Pay-4-Content per Download in kleineren Einheiten. Bei vielen Spielen sind diese Bereiche jedoch schon jetzt durchmischt. Nimmt man als besonders herausragendes Beispiel die ->Mass Effect-Reihe von ->Bioware, gibt es dort drei Hauptprogramme in einer komplexen Spielwelt mit verwobenen, dynamischen Erzählungen, die sich über alle drei Teile beeinflussen: Blockbusterprogramm. Daneben überzeugte es jedoch auch immer durch innovative Elemente im Gameplay wie Minispiele, um Rohstoffe zu gewinnen oder die Kriegsbereitschaft in der Galaxis zu erhöhen. Die muss man nicht mögen, doch als Innovation anerkennen. Dass der Multiplayerpart des dritten Teils auch die Kampagne beeinflusste, wäre ein drittes Beispiel für die von Klampfl eher Indies zugesprochene Innovationskraft. Letztlich bot das Spiel aber eben auch genau das, was er Pay-4-Content nennt.



Die Mass Effect-Reihe von Bioware liefert eine der besten Erzählungen der Videospielgeschichte (Quelle: Trilogy Trailer / Kanal Bioware Mass Effect via Youtube)

Im Laufe der Zeit erschienen mehrere Episoden als Downloadable Content (DLC), die teils eigenständige Nebenschauplätze thematisierten, teils das Spektrum interessanter Charaktere erweiterten, die danach auf Missionen mitgenommen werden konnten. Ein dritter Typ aber bot substantielle Erweiterungen der Handlung, erklärte wichtige Aspekte der Hintergrundwelt und lieferte neue Puzzleteile, um die philosophische Grundidee des Spieles über den Konflikt zwischen Menschen und intelligenten Maschinen besser zu verstehen.

Solche Angebote zu schaffen, stellt Entwickler besonders im Hinblick auf das Erzählen von Geschichten vor große Herausforderungen. Dabei ist gänzlich unerheblich, ob ein zusammenhängender Blockbuster mit neuen Inhalten erweitert wird oder ein Serienkonzept neue Folgen erhält. Klar sollte jedem sein, dass eine solche Episode in sich schlüssig sein muss, jedoch muss auch viel Aufwand getrieben werden, um sie ohne Fehler in die Hintergrundwelt und die Handlung einzubetten.

Wenn aber die herunterladbaren Inhalte nicht verpflichtend sind, entstehen neue Sorgen. Hat ein Spieler eine Episode nicht gekauft, dürfen ihm nicht wesentliche Spielinhalte fehlen. Eine Download-Randgeschichte wie ->Kasumi’s Stolen Memory bei ->Mass Effect 2 bietet einen weitgehend abschlossenen Erzählraum, der das Erlebnis der Hauptgeschichte nicht beeinträchtigt. Anders sah es da bei den Episoden ->From Ashes und ->Leviathan für ->Mass Effect 3 aus. Der Entwickler ->Bioware verärgerte die Spielerschaft besonders bei ersterer damit, dass die Zusatzinhalte für das Verständnis von Spielwelt und Handlung in der Tat essentiell war. Außerdem handelte es sich um einen sogenannten Day-1-DLC, der also mit dem Releasetag angeboten wurde. Das ist natürlich eine sehr unfeine Art. Denn dieses Vorgehen vermittelte den Kunden das Gefühl, hier wären Inhalte mit Absicht vom Hauptspiel ausgekoppelt worden, um zusätzliche Einnahmen zu realisieren. Vermutlich war es nur eine Folge des Produktionsablaufs, denkbar unklug war es jedoch, so erhebliche Storyteile nur den Käufern der Collector’s Edition kostenlos mitzugeben. Die Käufer der Standardversion mussten dafür immerhin zusätzlich 7 € aufbringen. Das Vorgehen sorgte zurecht für großen Unmut. Etwas weniger scharf kritisierte die Spielergemeinde den zweiten optionalen Storybogen ->Leviathan, der allerdings ebenso wichtige Hintergründe zu den Hauptfeinden im Spiel beisteuerte.



Der Leviathan-DLC zu Mass Effect 3 enthielt wesentliche Storyhintergründe (Quelle: Leviathan Trailer / Kanal Bioware Mass Effect via Youtube)

Bei solch einer Erzählstruktur kann aber ein Entwickler kaum noch erreichen, dass ein Spieler alles zu Gesicht bekommt. Der Hauptunterschied einer TV-Serie zu einem Pay-4-Content-Modell ist, dass die Folgen einer Serie in der Regel nicht einzeln abverkauft werden. Im Spielsektor hingegen ist üblich, einzelne Episoden zu erstehen. Andere hingegen werden ausgelassen, sei es nun, weil das Setting nicht interessiert oder der Schwerpunkt mal auf Schusswechseln oder Rätseln liegt. Dieser relevante Unterschied liegt also an der aktiven Rolle des Konsumenten. Will der Entwickler nicht immer nur denselben Spielertyp bedienen, muss er davon ausgehen, dass Spieler von Fall zu Fall Episoden auslassen. Doch wie kann ein Entwickler dann erreichen, dass das Spielerlebnis in etwa dasselbe bleibt?

Will er keine beliebigen generischen Episoden produzieren, die nicht nur keinen Bezug zueinander hätten, sondern auch keine Nachwirkung im Haupterzählstrang der Serie, steht er deswegen vor großen Herausforderungen. Es gibt Anschlussprobleme, weil Charaktere aus Nebenhandlungen im Hauptspiel oder im roten Faden der Serie erscheinen müssten, sobald sie in der Nebenhandlung bedeutend genug wären. Auswirkungen der Downloaderlebnisse auf die Spielwelt müssten berücksichtigt werden. Gleichzeitig dürften Spieler, welche die Episoden nicht erstehen, nicht über Logiklücken in ihrer Spielversion stolpern. Scheut man diesen Aufwand, bliebe nur ein Serienformat übrig, dass lediglich aus Spin-Offs einer Hintergrundwelt mit seichter Handlung und flachen Charaktere bestünde. Ein übergreifendes Serienerlebnis, das sich mit der Qualität guter TV-Serien messen könnte, wäre so kaum erreichbar.

Der Twist für die Handlung

Den besseren Ausweg aus diesen Problemen – wenn auch einen komplizierten – zeigt wiederum die Trilogie der ->Mass Effect-Reihe. Hier konnte ein Spieler den Speicherstand am Ende eines jeden Teiles in den nächsten mitnehmen. Dafür wurde eine Importfunktion erschaffen. Nun ist natürlich ein Dreiteiler nicht ganz dasselbe wie eine Serie, das Grundprinzip bleibt jedoch vergleichbar. Damit wurden jedoch nicht nur Charakterwerte, Optik und Ausrüstung importiert, vielmehr prägten die Entscheidungen, welche im jeweiligen Vorgänger getroffen wurden, die Spielwelt des Nachfolgers.

Starb eine Nebenfigur, gab es sie konsequent in den folgenden Teilen nicht mehr. Charaktere, die mit der Hauptfigur Shepard zusammengetroffen waren, erinnern sich an ihn und seine Entscheidungen mit Konsequenzen für das persönliche Verhältnis. Ließ man im ersten Teil die letzte Königin eines gefährlichen Insektenvolkes frei, anstatt sie zu verbrennen, so half sie im zweiten Teil und führte in der letzten Episode zu einer unerfreulichen, dann zu einer erfreulichen Entwicklung. Ein anderes Beispiel: Bei einem Feuergefecht konnte im ersten ->Mass Effect nur einer von zwei Kampfgefährten gerettet werden, wodurch der Spieler verantwortlich für den Tod des anderen wurde. So veränderten sich sowohl Charaktere als auch Spielwelt unterschiedlich, je nach Spielweise durch jeden einzelnen Spieler. Man mag finden, dass die Einflüsse durch die Spieler nicht tief genug gingen, immerhin aber nutzte mal ein Entwickler die enormen Möglichkeiten digitaler Erzählnetzwerke. Die Bindung, welche diese Mittel an Charaktere und Spielwelt erzeugen, ist jedenfalls beeindruckend. Immer wieder löst ein dramatisches Wiedersehen mehr Emotionen aus als andere Spiele in ihrem ganzen Verlauf.

Doch entspricht so eine Trilogie von mehrjähriger Entwicklungszeit natürlich nur bedingt der Forderung Klampfls nach mehr Serienformaten mit P4C-Content. Auch die DLCs aber fügten sich bei aller oben formulierter Kritik an dieser Spielereihe in ähnlicher Weise ein. Das Beispiel des oben genannten Protheaner-DLC zeigte beeindruckend, wie viel Potenzial bereits in einer nur wenige Stunden langen Episode liegen kann.

Die Völker der Galaxis befinden sich zum Ende des dritten Teils der Geschichte von Mass Effect am Rande ihrer Auslöschung durch uralte Maschinenwesen, die Reaper genannt werden und offenbar in regelmäßigen Zyklen das All von biologischen Wesen säubern. Dies soll als Hintergrund genügen, um nicht zu viel der grandios inszenierten Geschichte zu verraten. Der oben erwähnte Commander Shepard fand dies in den vorangegangenen Teilen heraus und viel über die Motivation der Angreifer – die Völker der Galaxis zogen es jedoch vor, darüber zu schweigen und ihn kalt zu stellen. Als die Invasion nun beginnt, stehen alle unvorbereitet da. Die Botschafter der Völker erinnern sich an die Commander und seine Warnungen. Also reaktivieren sie ihn, um den Widerstand der Galaxis zu organisieren und jegliche Informationen zu sammeln, die den aussichtslosen Krieg ein wenig weniger aussichtslos werden lassen.



Die Erinnerungsfetzen aus der Zeit der Protheaner im DLC From Ashes zu Mass Effect 3 bergen viele wichtige Hintergrundinformationen (Quelle: Cutscenes From Ashes / Kanal von User Kanzaki415 via Youtube)

In dieser Lage erreicht Shepard die Nachricht, dass eine Ruine der Protheaner entdeckt worden sei. Dabei handelt es sich um eine sehr weit entwickelte Zivilisation, die im letzten Vernichtungsfeldzug der Reaper zugrunde ging. Eingebettet in das Kommunikationssystem seines Kreuzers „Normandy“ erhält der Spieler über eine Email Kenntnis von der Mission. Der Zielort wird auf einer galaktische Navigationskarte eingeblendet, die auch im Hauptspiel die Missionen anzeigte. So entsteht durch die neuen Inhalte im Spiel nicht einmal ein wahrnehmbarer Bruch.

Schon früher hatte Commander Shepard Kontakt mit protheanischen Relikten und ist empfänglich für die darin gespeicherten Erinnerungen – also macht er sich auf die Suche. Jeweils zwei Mitkämpfer nimmt der Spieler stets mit auf die Missionen. Dabei sind die Reaktionen auf Ereignisse und die Gespräche darüber immer andere, je nachdem, für welche Begleiter man sich entscheidet. Schon dies macht den erlebten Plot der Aufträge immer einzigartig.

Manch einen der Begleiter tangiert die Geschichte der protheanischen Vorfahren kaum. Klug gewählt aber, erfährt man mehr als andere Spieler – zum Beispiel, indem man die blauhäutige Asari namens Liara mitnimmt, die eine der wenigen Experten der Galaxis für die Geschichte des eingegangenen Volkes ist. Dieses Mal stoßen sie jedoch nicht einfach nur auf ein Artefakt, wie zuvor schon einige Male, sondern auf eine Schlafkammer. Zwischensequenzen von Erinnerungen lassen den Spieler daran teilhaben, wie die letzten Momente der Protheaner ausgesehen haben. Zudem hat tatsächlich ein Überlebender der Protheaner in der Kapsel überdauert. Da auch andere auf diesen gerne Zugriff hätten, wird die Luft schnell laserhaltig. Nach Abwehr der Angreifer öffnen Shepard und seine Kompagnons den Schlafsarg und entlassen tatsächlich einen Protheaner in ein verwirrendes neue Leben, zehntausend Jahre nach der endgültigen Auslöschung seiner Spezies. Nach diesem Abschluss des eigentlichen Kampfeinsatzes verbleibt der Befreite auf der Normandy und erhält dort Quartier.

->Bioware hat es aber verstanden, damit die Erzählung nicht aufhören zu lassen. Nach jeder weiteren Mission kann man den neuen protheanischen Begleiter Javik für kurze Gespräche aufsuchen. Der neue Gast zeigt sich dabei keineswegs so, wie die Nachwelt sich gern die Protheaner ausgemalt hat. Als Krieger eines gescheiterten Krieges verfügt er kaum über nützliche Informationen, offenbart eine große Überheblichkeit anderen Völkern gegenüber und versteht den Sinn von Allianzen nicht. Sein Volk ordnete sich einst die anderen Spezies als Vasallen in einem faschistoid-imperialistischen Sklavenhalterstaat unter. Immerhin treibt ihn seine Rachsucht an der Seite von Shepard auf das Schlachtfeld, um Reapern den Garaus zu machen. Auch dort kommentiert er entscheidende Ereignisse.

Die Auflösung am Ende

Dieses gewiss recht ausführliche Beispiel zeigt das Potential, das in einer geschickten Serienerzählung liegt.  ->Bioware stellte keine abgeschlossene Episode neben die Haupthandlung, sondern ließ ihre Inhalte durch verschiedene Mittel geschickt in den Hauptplot ausfransen. Diesen Kniff erreichten die Entwickler erstens durch die Reaktionen der bestehenden Begleiter von Hauptfigur Shepard auf die Download-Mission, zweitens die bedeutenden Informationen zum Hintergrund der Welt von Mass Effect sowie drittens den Einfluss des neuen protheanischen Begleitercharakters auch durch dessen Wortmeldungen im Hauptspiel.

Natürlich wird das Gesamterlebnis dadurch schwer kalkulierbar, besonders, wenn es keinen roten Faden mehr wie in einer Hauptkampagne à la Mass Effect gäbe. In einem vollständigen digitalen Serienformat einer Videospielmarke, in dem Spieler sowohl die Reihenfolge der Inhalte bestimmen könnten als auch, ob sie Teile überhaupt konsumieren wollen, potenzieren sich die möglichen Kombinationen erheblich. Natürlich kann es einem findigen Skriptschreiber auch unter den Bedingungen einer Serie gelingen, einen belastbaren roten Faden zu flechten. Trotzdem bliebe es ein anspruchsvolles Experiment, alle Fäden der Einzelepisoden zu verweben, ohne dass die Einen bemängeln, ihnen würden wichtige Inhalte vorenthalten, die anderen, man würde einzelne DLCs inhaltlich zu vorsichtig gestalten.



Dass F2P und erzählerische Tiefe kein Widerspruch sein müssen, zeigt The Secret World (Quelle: Launch Trailer / Kanal EA via Youtube)

Wie gut allerdings einzelne Storystränge sogar in einer Serie verflochten werden ķönnten, zeigt das narrative Meisterwerk und Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG) ->The Secret World aus 2012, das Klampfl als Beispiel leider nicht erwähnt. Dort schufen die Entwickler wohl für ein Videospiel einen der besten Erzählräume aller Zeiten, indem sie ein Grundthema um lebendig gewordene Legenden und Mythen anlegten. Die sehr verwickelte Hintergrundgeschichte offenbart sich durch die zahlreichen einzelnen Quests in der Welt, die eine große Vielfalt an interessanten Charakteren in den drei Hauptgebieten Nordamerika, Ägypten und Rumänien vergeben. Andeutungen und direkte Verweise auf weitere Aufträge und Ereignisse in der Spielwelt lassen das Gesamtbild – also den roten Faden – nach und nach entstehen. Als das Abomodell bei dem Titel scheiterte, jedoch ohnehin monatliche Inhaltsupdates in Form von Ausgaben wie bei Zeitschriften geplant waren, stieg Entwickler ->FunCom quasi auf ein Pay4Content-Modell um. Seither werden inhaltliche Erweiterungen einzeln in die Spielwelt abverkauft. Diese Episoden passen sich nicht nur wundervoll in das vorhandene Universum ein, sie entwickeln auch den Hintergrundplot sorgfältig weiter.



Updates, genannt Issues, treiben die Handlung des MMOs an verschiedenen Fronten voran (Quelle: Issue 6 Preview / Kanal FunCom via Youtube)

Gerade das Schicksal dieses MMORPGs wirft aber auch die Frage auf, wie viel die Kunden überhaupt bereit sind, für Erzählinhalte zu bezahlen. Noch existieren Daten darüber höchstens in den Schubladen von Entwicklern und Publishern, spricht man persönlich mit ihnen, scheint eine gelungene Geschichte meist eher als Beiwerk verstanden zu werden und vom Bauchgefühl der Game Designer abzuhängen. Es wäre Zeit für eine verlässliche Marktanalyse aus der freien Forschung, was denn die Kunden genau an Geschichten interessiert. Wie viele sind in welcher Altersgruppe so sehr an guten Plots interessiert, dass sie für wie viele Stunden in welcher Komplexität wie viel Geld auf den Tresen legen würden? Was wäre dabei der ideale Serienrythmus? Alles bislang unbeantwortet.

Wenn Klampfl also danach verlangt, die Branche müsse sich verändern, muss sehr viel mehr als ein Impuls durch sie gehen. Sonst bliebe ein Pay4Content-Markt reines Wunschdenken. Noch bedauerlicher aber wäre es, wenn der Versuch, die an sich reizvolle Idee umzusetzen, an mangelhafter Vorüberlegung scheiten würde.

Immerhin, die Zeiten sind heute andere als noch bei den Gehversuchen eines ->Advent Rising oder der Episoden von ->Half-Life 2. Die Kunden haben bereits verbreitet Vertriebsplattformen wie ->Valves ->Steam, ->Origin von ->Electronic Arts und ->Ubisofts ->Uplay hingenommen, die ursprünglich als Maßnahmen des Kopierschutzes aufgezwungen wurden. Mittlerweile haben die Unternehmen jedoch erkannt, dass sich zumindest am PC-Markt solche Maßnahmen nur aufrecht erhalten lassen, wenn der Servicecharakter dominiert, nicht das Verlangen nach Kopierschutz. So verbessert sich der Komfort dieser Plattformen auch im Verkauf und als Dienstleistung stetig. Zudem führt im Gegensatz zu früher aus so gut wie jedem Haushalt ein Breitbandkabel in das Internet, so dass selbst Gigabyte relativ günstig via Netz zu beziehen sind. Obendrein hat sich in Zeiten deutlich kürzerer Vollpreisspiele als noch vor zehn Jahren die Akzeptanz auch für kurze, bezahlpflichtige Downloadepisoden erhöht.

Noch weitere Indizien sprechen dafür, dass die Zukunft der Erzählung im digitalen Medium als Pay4Content schlummern könnte. Eine solche Erzählstruktur ist quasi die natürliche Folge digitaler Netzwerkstrukturen, wie sie schon 1997 ->Janet Murray in ihrer akribischen Analyse ->Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace vorhersagte. Zudem entwächst die Struktur der Spielerschaft den Kinderschuhen. Viele Spieler haben selbst Kinder und Beruf, weshalb sie schlicht nicht mehr Zeit für Spielinhalte von dutzenden Stunden Dauer aufbringen können. Vergnügen im Multiplayer mit Freunden zu erleben, ist da auch seltener möglich. Dies führt zu mehr Konsum von Einzelspielerinhalten. Ein steigendes Durchschnittsalter könnte wie in Film und Literatur anstelle von actionreicher Kost ebenfalls zu mehr Interesse an guten Erzählungen führen. Diese Vermutung lässt sich im Übrigen auch auf mein zentrales persönliches Thema erweitern: auf historischen Inhalten basierende Erzählungen. Hier fehlen allerdings ebenfalls Marktanalysen.

Im Prinzip liegt Klampfl also keineswegs falsch, wenn er die Zukunft von Inhalten für Einzelspieler in Pay4Content sieht. Es wird jedoch sicherlich nicht allein als eigenständige Gattung bestehen, sondern wie bisher in vielen Spielarten auch in groß angelegten Blockbustern vorkommen. Wegen der oben genannten Aspekte ist seine Analyse auch nicht umfassend genug. Die Mass Effect‐Reihe und die anderen Beispiele verdeutlichen jedoch, wo noch offene Fragen bestehen. In jedem Fall aber dürfte es sich für die Branche auch in finanzieller Hinsicht lohnen, sich mit diesen Fragen an den Komplex des Pay4Content viel intensiver auseinander zu setzen, als es bislang der Fall ist. Unbezahlbare Erlebnisse sind eben doch bezahlbar –  und viel wichtiger, sie werden auch gern bezahlt, wenn sie denn richtig gemacht sind.

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