Potenziale mittelalterlicher Inszenierungen in digitalen Spielen
>>>Teil 1: Geschichte und die Forschung an Digitalen Spielen >>>Teil 2: Die Schwierigkeiten mit der Geschichte als Inhalt >>>Teil 3: Inszenierung militärischer Strategie >>>Teil 4: Inszenierung wirtschaftlichen Aufbaus >>>Teil 5: Inszenierung individueller Narration (in Vorbereitung) >>>Teil 6: Inszenierungen des Mittelalters – Ein Zwischenfazit (folgt)
Welche Präsentationsformen des Mittelalters sich im Genre der militärischen Strategie entwickelt haben, illustriert der dritte Teil des Beitrags unter Anderem mit dem Fallbeispiel Medieval 2 – Total War.
Zugrichtung
Dieser Teil ist nun der erste, der eingehend konkrete Beispiele betrachtet. Natürlich kann aber der Versuch, digitale Spiele bezüglich mittelalterlicher Darstellungen zu systematisieren, nicht umfassend und erschöpfend sein. Viel zu viele Spieletitel greifen dafür auf diese Epoche zurück. Um den Rahmen nicht zu sprengen, ist die Auswahl auf die exemplarische Erläuterung wesentlicher Meilensteine in der Entwicklung zu beschränken. In der Regel bilden diese Orientierungspunkte auch die Gruppe der am häufigsten verkauften Games ihrer Gattung. Jeder der drei herausgestellten Typen wird jeweils durch einen vorausgehenden Überblick eingeleitet. Danach dient ein aktuelleres Beispiel als ausführlichere Fallstudie, um aus den gesammelten Informationen repräsentative Eigenschaften der Inszenierung zu filtern.
Dabei ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass nur Titel berücksichtigt wurden, die sich an eine plausible Darstellung des Mittelalters heranwagen. Somit fallen natürlich alle diejenigen heraus, die zum Beispiel Magie in ihr Setting integrieren, alternative Parallelhistorien entwerfen oder sich allein mit optischen Anleihen aus dieser Zeit begnügen. Auf die Schwierigkeiten mit Darstellungsformen von Geschichte wurde bereits in den zurückliegenden beiden Teilen des Beitrags eingegangen.
Richtungsstrategie
TYP 1: Militärische Strategie – MilestonesDie verbreitetste Anwendung des Mittelalters findet sich in militärischen Strategiespielen, die häufig auch wirtschaftliche Aspekte integrieren, da diese erst die Militärmaschinerie ermöglichen. Somit ist der Kern des spielerischen Handelns, militärische Infrastruktur zu errichten, neue Technologien zu erforschen und tragfähige Wirtschaftskreisläufe zu etablieren. Dies kann in Echtzeit geschehen oder rundenbasiert, also abwechselnd mit menschlichen oder computergesteuerten Gegnern. Militärische Dominanz und Expansion dient dazu, die eigenen Ziele durchzusetzen, und ist somit zentraler Selbstzweck. Dieser Spieltyp entspricht dem weitaus größten Anteil von digitalen Spielen mit mittelalterlichem Hintergrund. Dabei ist häufig das Mittelalter nur eine Teilepoche für ein Spielerlebnis durch längere Züge der Menschheitsgeschichte.
Barbarossas Streben nach einem geeinigten Reich führt auch in Age of Empires 2: Age of Kings zu Konflikten mit Papst und lombardischen Städten (hier Let’s Play der ersten Mission)
Man könnte weit mehr Beispiele nennen, als hier Platz fänden. Den ersten großen Schritt aber in Richtung einer glaubwürdigen Mittelalterdarstellung machte ->Age of Empires 2: The Age of Kings (1999) nicht nur dadurch, dass es sich allein auf das Zeitalter zwischen dem Fall Roms und dem 15. Jahrhundert konzentrierte. Neben 13 europäischen Fraktionen, die Spieler im freien Spiel übernehmen konnten, führten sie auch fünf historische Kampagnen durch Geschehnisse der Zeit (z.B. mit Erläuterungen zu dem Wirken von ->Attila, dem Hunnen, oder ->Friedrich Barbarossa (Links zu histor. Erläuterungen des Spiels)). Jedes Volk antwortete in seiner eigenen Sprache auf die Eingaben des Spielers. Das Spiel nahm die Relevanz von Burgen und ihrem leicht verwundbaren Vorland auf. Rudimentäre Wirtschaftskreisläufe ermöglichten ihren Aufbau, Verbesserungen und die Erhebung von Truppengattungen wie die Errichtung mittelalterlichen Belagerungsgeräts. Auch die Versorgung der Truppen zum Beispiel durch Getreide nahm eine wesentliche Rolle ein. Der Titel bot verschiedene Truppenarten und Belagerungsgerät der Zeit. Zudem ordnete er die Epoche durch Begleittexte in einer Hintergrundbibliothek ein. Dieser Titel setzte Maßstäbe und Konventionen, die noch heute ihre Gültigkeit haben.
->Empire Earth folgte 2001 und erlaubte das Spielen mit der gesamten Menschheitsgeschichte, doch auch das Mittelalter nahm eine wesentliche Rolle ein. Die Komplexität der Rohstoffgewinnung und der wirtschaftlichen Kreisläufe war deutlich erhöht, basierte beides doch auf einer größeren Zahl von Rohstoffarten, von denen einige erst im Spielverlauf mit dem technologischen Fortschritt erschienen. Das Spiel verlieh durch Kriegsnebel (Fog of War) ständiger Erkundung durch Aufklärungseineiten eine besondere Bedeutung. Historische Persönlichkeiten verhalfen den eigenen Truppen zu besseren Fähigkeiten und konnten mit den Zeitaltern zu anderen bedeutenden Personen der entsprechenden Zeit fortentwickelt werden. Einheiten waren individuell aufrüstbar, was die Flexibilität und Vielfalt erhöhte. Dies zeigte zudem, dass militärische Einheitentypen z.B. des Mittelalters keineswegs völlig gleichförmig in Stärke und Ausrüstung waren. Spieler erhielten zudem knappe, historische Informationen zu jedem Truppentyp.
Territorien und Einflussräume sind eigentlich wesentliche Elemente strategischer Überlegungen, spielten jedoch erst ab -> Rise of Nations (2003) eine wesentliche Rolle im Genre. Zwar kämpften Spieler schon zuvor, um die Hoheit über die Einflusssphäre eines lokalen Schlachtfeldes, erst hier aber wurden Einflusszonen auf einer Globalkarte eingeführt, die wirtschaftliche und taktische Vorteile auf übergeordneter Ebene verschafften. Prosperierende Siedlungen dehnten die Einflusssphären auf Kosten der Nachbarn aus, gleichwohl konnten Händler noch immer passieren. Dies ist eine bemerkenswerte Darstellung von Durchlässigkeit des vormodernen Handels auch in Kriegszeiten, selbst wenn dieses Konzept wohl kaum glaubwürdig auch für neuzeitliche Nationalstaatskriege sein kann – was das Spiel leider dennoch glauben macht.
<<Rise of Nations – Screenshot – Globalstrategie>>
-> Empire Earth II (2005) (Link zum Test der Gamestar, 13.5.2005) führte spürbare Wettereffekte ein. Diese hatten prinzipiell Einflüsse auf Sichtweite, Bewegungstempo und Schlagkraft der militärischen Einheiten, allerdings fehlte ihnen der Wechsel von Jahreszeiten, um die aus meteorologischen Phänomenen hervorgehenden Folgen für die Menschen authentisch nachzuzeichnen. Die Relevanz von Territorien stieg erheblich an, da sie beispielsweise nur eine gewisse Zahl von Einwohnern ernährten. Dadurch wurde die Expansion in Nachbargebiete notwendig, auch wenn dort erstmals nicht nur feindlich gesinnte Nachbarn vorzufinden waren. Mit friedliebenden Naturen konnten sogar Verträge geknüpft werden.
Dass hier erst ->Civilization 4 (2005) als erster Vertreter der längsten Tradition im Strategiesektor erwähnt wird, liegt daran, dass die Reihe in diesem Teil Religion und Kultur als maßgebliche Faktoren für Einflusszonen einführt. Diese Reihe stellt traditionell die gesamte Menschheitsgeschichte dar, so dass das Mittelalter nur eine Teilepoche des Spielerlebnisses ist. Historische Persönlichkeiten vervielfachen als gelegentlch erscheinende Einheiten die Wirkung von kulturellen Zentren. Die Simulation von religiösem und kulturellen Einfluss führte erstmals so weit, dass Städte in andere Herrschaftssphären wechseln konnten, die mit religiös-kultureller Strahlkraft anziehend wirkten – ohne Schusswechsel oder den Einsatz aggressiver wirtschaftlicher Dominanz. Eine solche friedliche Einflussnahme machte es dem Gegner schwer, mit der Repression militärischer Garnisonen dagegen zu halten. Dies ist keineswegs eine geringfügige Änderung der Spielprinzipien. Für das Genre zuvor muss das Konzept starrer Landesgrenzen zumindest bis in das Zeitalter von Nationalstaaten sehr kritisch gesehen werden, da beispielsweise im Mittelalter keineswegs feste, kontrollierte Grenzen vorlagen. Die in diesem Ableger der Civilization-Reihe vorliegende Idee kultureller Einflusszonen, die sich wechselwirkend einander überlagern, bildet in dieser Hinsicht gerade die mittelalterlichen Begebenheiten deutlich besser ab.
Die altehrwürdige Civilization-Reihe wird mit dem vierten Ableger um kulturell-religiöse Einflüsse historisch sinnvoll erweitert (Neben der grundsätzlichen Funktionsweise des Titels erläutert das Video der PCPowerplay ab 2:30 min auch diesen Aspekt.)
In vielerlei Hinsichten ist -> Medieval 2: Total War (2006) das gleichzeitig repräsentativste und zudem fortschrittlichste Stück für Software des hier beschriebenen ersten Typs. Es dient daher im Anschluss als Fallbeispiel, um es näher zu betrachten. Dass der Titel nach all den Jahen noch immer am fortschrittlichsten das Mittelalter darstellt, liegt sicherlich auch daran, dass sich der Spieltyp sich grundsätzlich in Bezug auf historische Aspekte lange nicht über ihn hinaus weiter entwickelte. Zudem wurden andere historische Szenarien wie bei ->Empire: Total War (2009) die Konflikte des 18. Jahrhunderts um die englische Vormachtstellung verfolgt. Andererseits suchen Spieler wie Branche in einem sich selbst befeuernden, rückbezüglichen Designkreislauf zunehmend nach Erlebnissen aus der Ego- bzw. Schulterperspektive wie in einem Shooter. Solchen Beispielen wird sich der Abschnitt zum dritten Typ noch widmen. In der Regel aber wird dort das Mittelalter ohne jegliche Reflexion als vereinfachte Staffage missbraucht (z.B. -> Mount&Blade (2008) od. -> War of the Roses (2012)).
Erst -> Crusader Kings 2 (2012) brachte in die mittelalterliche Militärstrategie wieder einen neuen Impuls. Das Spiel erhebt Dynastien und Heiratspolitik als historische Elemente auf ein gänzlich neues Niveau. Hier soll jedoch nicht ausführlich das wiederholt werden, was bereits in einem zurückliegenden Beitrag ausgeführt wurde (->INNOVATION: Die liebe Verwandtschaft vom 10. Oktober 2012).
Strategiegipfel
TYP 1: Fallbeispiel Medieval 2 Total WarIm Trailer zu Medieval 2 dominiert das Kriegsgetümmel. Dies ist jedoch nur ein Aspekt des Genreprimus…
Als Fallbeispiel wird nun ->Medieval 2: Total War in den engeren Blick genommen. Es kombinierte 2006 eine rundenbasierte Weltkartenebene mit Echtzeit-Schlachtfeldern, die den natürlichen Landschaften der jeweiligen europäischen Spielgebiete nachgebildet wurden. Relevanten Einfluss erlangen auch hier Wettereffekte, die allerdings gegenüber dem Genre um den Wechsel von Sommer und Winter erweitert waren. So erdrückte die winterliche Witterung wie in der damaligen Wirklichkeit das mittelalterliche Leben und ließ Kriegsmaschinerie und Wirtschaft in Dämmerschlaf versinken. Von frühmittelalterlichen Startbedingungen ausgehend, trieb der Spieler seine gewählte Fraktion, z.B. das Heilige Römische Reich, zu militärisch-ökonomischer Größe. Dabei ist wirtschaftliche Prosperität kein Spielziel, sondern Mittel zum Zweck fortgesetzter Expansion. Dafür ist ein funktionierendes städtisches Netzwerk aufzubauen, wofür das Umland nur eine geringe Rolle spielt.
Um diese Machtzentren zu erhalten und zu fördern ist strategisch-diplomatischer Weitblick erforderlich. Nicht nur, um sich im europäischen Reigen gegen andere weltche Mächte durchzusetzen, auch die römische Kirche mischt im Konzert mit. Päpstlichen Anordnungen sollte ein Herrscher daher zügig Folge leisten. Beachtet er die Dekrete der Kurie nicht oder verschleppt ihre Ausführung, droht die Exkommunikation. Dieser Auschluss aus der Christenheit war rechtlich, religiös und sozial sehr weitreichend und konnte durchaus zu Feldzügen der papsttreuen Herrscher gegen den Ausgeschlossenen führen. So zeichnet die historische Inszenierung des Spieles global übergeordnete politisch-strategische Elemente mittelalterlicher Herrschaft gut nach, verzichtet leider jedoch auf dynastische Aspekte und untergeodnete Stufen territorialer Herrschaft. Dies gelingt ->Crusader Kings 2 deutlich besser.
… denn vor jedem Schlachten steht der wohlüberlegte Aufbau eines Herrschaftsgebietes.
Medieval 2 verweist auf historische Entdeckungen oder Ereignisse zu ihrer jeweiligen Zeit durch ein Nachrichtenfenster. Damit fügt sich der technologische Fortschritt, wie zum Beispiel die Übernahme des Schießpulvers, in den chronologischen, historischen Ablauf ein. Es handelt es sich vorwiegend um technisch und wirtschaftlich bedeutende Errungenschaften des Zeitalters, die dem Kriegsfortschritt dienen. So wird die menschliche Entwicklung auf eine institutionalistisch-technologische Dimension beschränkt. Damit einher geht, dass dies den Eindruck befördert, das Mittelalter sei zeitlich und regional in allen anderen Feldern, bspw. sozial, uniform und monolithisch gewesen.
Vom Spieler errichtete Bauwerke, über deren Bau auch die Forschung erfolgt, zeigen sich auf den Schlachtfeldern. Gebäude können dort taktische Vorteile verschaffen, jedoch auch gebrandschatzt werden. Ebenso sind Vergrößerungen von Städten und ihre eher militärische oder ökonomische Ausrichtung optisch erkennbar. Die Funktionen von Gebäuden sind sehr eng auf die Spielmechanik beschränkt. Beispielsweise dienen Kirchen quasi marxistisch dazu, Kriegsvolk und Bevölkerung zu beruhigen und damit das Reich regierbar zu halten. Um die entscheidenden Funktionen, wie der allgemeinen Religiosität der Menschen einen sozialen Ort zu geben und Vorstellungen um das Seelenheil zu kanalisieren, sind die Sakralbauten beschnitten.
Waffentechnik und Einheiten erscheinen zunächst sehr authentisch dargestellt. Kämpfer unterscheiden sich sogar innerhalb einer einzelnen Truppeneinheit durch verschiedene Panzerung und den Zuschnitt von Wappenröcken. Verschiedenen Zwecken der Kriegsführung stehen diverse Einheitentypen wie belagernde Triboke, leichte oder schwere Reiterei und Fußkämpfer wie Bogenschützen bereit, sofern die dafür notwendigen Gebäude errichtet wurden. Die Vorstellung ist ein wenig putzig, dass Schießstände benötigt worden wären, um mittelalterliche Kämpfer mit Bögen auszustaffieren und an ihnen zu trainieren. Eine solche Ausbildung hatte mit der Aushebung von mittelalterlichem Kriegsvolk wenig gemein, entspringt eher einem modernen Bild kasernierter Truppen. Die Kämpfer der Truppentypen sind zudem für alle beteiligten Fraktionen gleich ausstaffiert, wenn man mal vom Wappenrock absieht. Diese werden in stereotype Farben getaucht, so marschieren die Heere des Kaiserreichs egal in welchem Phase des Zeitalters immer uniform in habsburgischem Wespenlook. Dies ist eine starke Vereinfachung, gab es doch ein einheitliches Auftreten aller Beteiligten auf den Schlachtfeldern zu keiner Zeit.
Letztlich sind die großen Schlachten auf natürlich nachgebildeten Schauplätzen jedoch das Herz des Spieles.
Seit den frühen Civilization-Spielen hat sich die „Civilopaedia“ als guter Ton unter Strategietiteln etabliert. Sie sind im Detailgrad stark unterschiedliche Nachschlagewerke zu historischen und sozialen Zusammenhängen, Gebäuden, Technologien, Einheiten und Anderem. Auch in Medieval 2 erläutern oft anekdotische Kurztexte verschiedenste Bestandteile des Mittelalters, denen jedoch ihre angelsächsische Perspektive eingeprägt ist. Das Entwicklerstudio ->Creative Assembly ist zwar multikulturell zusammengesetzt, den Hintergrundrecherchen ist jedoch der Standort Australien anzumerken. Wird zum Beispiel das Heilige Römische Reich erklärt, zeigt sich Unverständnis über die mangelnde Durchsetzungskraft des Kaisers und die vermeintliche Schwäche des Reiches. Dass im Reich viel wichtige Funktionen die mächtigen Kurfürsten wahrnahmen und viel Macht auf sich konzentrierten, kollidiert mit einer zentralstaatlichen oder gar nationalstaatlichen Perspektive ebenso wie mit der Spielmechanik.
Diese bedenkliche Verkürzung von Informationen findet sich auch bei der Funktonsweise von Spieleinheiten wieder. So ist es möglich neben Spionen und Attentätern auch Händler, Priester und Imame sowie Prinzessinnen auszubilden, die alle politisch-diplomatische Aufgaben wahrnehmen. Prinzessinnen dienen dazu, feindliche Generäle zu bezirzen, um diese zum Überlaufen zu bringen. Zusätzlich erlauben sie, diese in das herrschaftliche Gefolge einzubinden. Ihre Verheiratung sorgt für Nachfolger in den Linien, die wiederum als loyale Generäle eingesetzt werden können. Vergleichbar funktionieren die Charaktere der Geistlichen, die heidnische oder islamische Gebiete loyal zur Religion der eigenen Herrschaft werden lassen. Händler dienen der wirtschaftlichen Verflechtung von Siedlungen und sammeln auf der Strategiekarte verteilte Rohstoffe. Nun sind ja nicht alle diese Aspekte grundlegend falsch, der Eindruck jedoch diese Vorgänge seien zentralstaatlich organisiert worden, entsteht jedoch und ist historisch nicht korrekt. Außerdem werden hier die Figuren zu sehr auf ihre Rollen als Agenten der Herrschaft zurecht geschnitten.
Dass millitärische Charaktere im Mittelalter durch intensive Heiratspolitik loyal zur eigenen Herrschaft gebunden wurden, steht zwar außer Frage. Allerdings hielt die dynastische Kosmetik überregionale Gebilde auch in diplomatischer Hinsicht zusammen, verflocht den Hoch- und Niederadel über Reichsgrenzen hinaus und sorgte ebenso für intrigantes Machtgeschacher wie für lebenswichtige informelle Übermittlung von Nachrichten quer durch Europa. Medieval 2 thematisiert Dynastien zwar im Gegensatz zu anderen Titeln wenigstens, ihm gelingt so aber nur ein fader Abklatsch dieser wichtigen mittelalterlichen Dimension. Crusader Kings 2 inszeniert dies, wie oben erwähnt, wesentlich plausibler.
Szenarien wie die Schlacht von Agincourt bieten Einblick in entscheidende Schlachten des Mittelalters.
Immerhin liefert das Spiel auch einige historische Schlachten mit, deren Szenarien ein Sprecher kommentiert und Textfelder weiter erläutern. So können Spieler den Abstieg des Deutschen Ordens durch die erfolglosen Kämpfe bei Tannenberg nachvollziehen, den Triumpf englischer Langbogenschützen über die französischen Ritter bei Agincourt herbeiführen oder Richard Löwenherz‘ Kollision mit den Sarazenen nahe Arsuf befehligen. Letztlich bleiben diese Schlachten jedoch eine taktische Herausforderung, keine historische, ist ihr Verlauf doch nicht vorgegeben. Ausgehend von den gleichen Schlachtaufstellungen könnte der gegenteilige Ausgang auftreten, schließlich wäre das reine Nachspielen der Abläufe ziemlich langweilig. Ein digitales Spiel bleibt strukturell dazu gezwungen, spielerische Freiheit dem historischen Verlauf überzuordnen. Informativ sind die Erläuterungen zu Kriegszügen und Hintergründen dennoch, obwohl sie auf Fragmente kondensiert sind.
Gipfeltreffen
TYP 1: Militärische Strategie – EigenschaftenAngesichts der Ausgestaltung der historischen Szenarien tritt die berechtigte Frage in den Vordergrund, die an viele obige Spielelemente gerichtet werden kann: Was nimmt der Akteur aus dem Dargebotenen überhaupt historisch auf? Nichts, pauschalisieren die einen – nur Verfälschtes, sagen die nächsten und rümpfen die Nase. Wie häufig, wenn etwas so eindeutig behauptet wird, ist die Wahrheit weit komplexer, selbst wenn die Frage bislang keineswegs abschließend beantwortet werden kann.
So gehen Schlachten keineswegs im historischen Sinne vor sich, Priester dienten freilich nicht kaiserlichen Expansionsgelüsten und Reiche wurden nicht zentralistisch in den Krieg geführt. Und dennoch erfahren Spieler etwas über König Richards Aufmarsch im Heiligen Land, sehen die Rahmenbedingungen mittelalterlicher Staatenlenkung vor sich und kämpfen mit authentischen Truppengattungen. Der Gedanke, dass dies nicht zumindest bei einem Teil der Spieler zu aufkommenden Fragen aus historischem Interesse führen solle, erscheint doch sehr unglaubwürdig.
Dennoch kranken die historischen Inszenierungen an manchen Stellen. So bestätigt sich der Verdacht auf ein teleologisches Weltmodell, denn die Expansion zu einem Weltreich unter eigener Führung bleibt das Ziel, und zwar das einzige. Die spielinterne Historie kennt daher auch keine offenen Enden der Entwicklung, schließlich bauen die Erfindungen und Technologien aufeinander auf und greifen wie Zahnräder ineinander. Relevant ist nur, was zum Ziel passt – das schränkt die Entwicklungslinien retrospektiv sehr ein, dient natürlich aber dazu, den Spieler nicht in Sackgassen zu manövrieren oder zu verwirren. So geraten auch die Erklärungsmuster und Modelle des Vergangen sehr monokausal, wenn im Beispiel Religiosität nur als Aspekt erscheint, die Bevölkerung zu befrieden. Auch wenn es unstrittig ist, dass es diese Funktion auch gab, die einzige Komponente oder gar vom weltlichen Herrscher betrieben, war sie sicherlich nicht. Sämtliche Wirtschaftskreisläufe sind, der Spielmechanik entsprechend, auf die militärischen Ziele ausgerichtet. Infrastruktur, die zum Beispiel auf die Versorgung der Landbevölkerung mit Brot und Fleisch ausgerichtet wäre, existiert nicht; ja, selbst die Landbevölkerung existiert durch die Konzentration auf die Städte im Spiel nicht. Die Rolle mönchischer Schriftkultur für die Verbreitung auch technologischen Wissens wie dem Bierbrauwesen findet überhaupt nicht statt. Alles, was an Wirtschaft nicht die Kriegsmaschinerie befeuert, kommt nicht vor. Von Sozialem oder Kulturellem an sich oder deren Bedingungen für die Ökonomie tritt nichts in die Spielmechanik ein, allein die Erklärungstexte versuchen sie gelegentlich anzureißen. Zwar knapp formuliert, erläutern sie dennoch wenigstens die spielrelevanten Aspekte von Produktion, Gellschaft und Technologien, gespickt mit Anekdoten, in einem ein Nachschlagewerk in der Tradition der berühmten „Civilopaedia“ des Klassikers Civilization.
Zudem ist die Art der Abstraktion ein Problem. Oben wurde schon erwähnt, dass die Truppen allüberall gleich aussehen. Obwohl sogar innerhalb einer Truppengattung aufwändig und unterschiedlich animiert, variiert die Ausrüstung der Kämpfer und Maschinen nicht von Region zu Region. Eine Ausnahme sind lediglich spezielle Einheiten wie Kriegselefanten. Unterscheidbar werden die Fraktionen im Wesentlichen durch die Wappenröcke, und diese wiederum sind uniform und verändern sich nicht im Laufe der Jahrhunderte. Gleiches gilt für Technologien, denn unterschiedliche regionale Entwicklungsstände würden der Spielbalance schaden. Technische Entwicklungen bleiben für jede Fraktion zu jeder Zeit erreichbar, unterschiedliche Stände ergeben sich lediglich durch verschiedene Prioritäten beim Einheitenbau. Einzig die verbreitete Existenz einzelner heidnischer Siedlungen im Nordosten Europas zeigt, dass den Entwicklern das Gefälle der Entwicklung in Europa bewusst war und sie es abzubilden versuchten. Von der genannten Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten gibt es letztlich darüber hinaus keine Spur.
Dass die spielerische Freiheit von unserem Geschichtsverlauf abweichende Entwicklungen erlaubt, führt auf das Problem der „counterfactual history“. In den angesprochenen Szenarien gehen Schlachten immer anders aus als im historischen Vorbild, im Extremfall möglicherweise sogar mit einem anderen Sieger. Wenn es auch spielerisch spannend sein mag, „against all odds“ zu gewinnen, historisch sind diese Überlegungen wertlos und irreführend. Beginnend mit annähernd abgebildeten frühmittelalterlichen Ausgangsbedingungen entwickelt sich in jeder Partie das gesamte Europa anders. Was kann man von der Geschichte noch mitnehmen, wenn der polnisch-litauische König plötzlich als Alleinherrscher über die bekannte, mittelalterliche Welt herrscht?
Dennoch ist die Abstraktion nicht immer schlecht gelungen. Wenn auch natürlich problematisch ist, dass Religion quasi im Selbstzweck genutzt wird, um den Einflussbereiches in heidnische Gebiete auszubreiten, sind doch die militärisch-diplomatischen Einflüsse des Papstes und ihre Folgen für das politische Geschäft erstaunlich gut nachempfunden. Hierzu gehören die päpstlichen Einmischungen durch Dekrete, die Ausrufung von Kreuzzügen und die Straffeldzüge anderer Herrscher in Europa nach sich ziehende Exkommunikation bei Zuwiderhandlung. War ein Herrscher stark genug, konnte er diese sogar zeitweilig aussitzen, so auch im Spiel.
In der Summe muss man urteilen, dass die Darstellungsweisen und die Textinhalte von mittelalterlicher Geschichte völlig unreflektiert daherkommen und kaum Synthese aufweisen. Es wird nicht erläutert, woher die historischen Erkenntnisse stammen oder dass – und so ist es ja in der Regel, wie Wissenschaftlern sehr wohl bewusst ist – es widerstreitende Meinungen dazu gibt. Es werden keine Schlüsse daraus synthetisiert, die Darstellung bleibt sehr beschreibend und ordnet das Beschriebene kaum in umfassendere Zusammenhänge ein. Für den Spieler ist so nur schwer erkennbar, wo im großen Streufeld zwischen Fakten und Fiktion er gerade ausgesetzt wird.
Auch wenn es sich, so muss man immer wieder betonen, in erster Linie um ein Spiel handelt und nicht um eine Software mit geschichtswissenschaftlichem Bildungsauftrag, ist doch nicht in Stein gemeißelt, dass diese Defizite so bleiben müssten. Denn immerhin bewegt sich ein Spieler in einem Modell des Mittelalters, dass wesentliche Grundlinien und Funktionsweisen der Zeit transportiert. Vielleicht würden Verbesserungen ja durchaus auch zu einem neuen, besseren und innovativeren Spielerlebnis führen. Hierzu werden im Fazit (Teil 5) Vorschläge unterbreitet . Doch zunächst gibt es noch weitere Genres von Mittelalter-Spielen, die es im Folgenden ebenso auf vergleichbare Elemente historischer Darstellungen zu untersuchen gilt.
Der vierte Teil dieses Beitrags befasst sich mit der ->Inszenierung wirtschaftlichen Aufbaus.
3 Gedanken zu „DGBL: Das Ende der Finsternis (Teil 3)“