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Zwei Bücher helfen der Forschung an digitalen Spielen auf große Sprünge

Jahrelang habe ich, Nico Nolden, als Autor von KEIMLING in diversen Beiträgen und Vorträgen lamentiert, es gebe keine wissenschaftlich zufriedenstellende Beschäftigung damit, wie Geschichtsthemen in digitalen Spielen dargestellt werden. Da tummelten sich seit den Neunzigern viel zu viele Autoren, die bestenfalls ältere Spiele noch aus eigener Erfahrung, meist jedoch das gesamte Medium nur aus einer Außenperspektive kannten. Nun ist jedoch ein lang ersehntes Wunder geschehen… nun, eigentlich sogar gleich zwei.

Mit gleich zwei Veröffentlichungen brachte das Jahr 2012 außerordentlich fundierte Analysen hervor, die nicht nur reine Beschreibungen eines Spielekatalogs blieben. Mit ihrer theoretischen Einbettung in bereits erprobte historische Methoden weisen Sie den Weg in die Zukunft der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu dem Thema…

Zum Einen befasst sich Steffen Bender (Bender, Steffen: Virtuelles Erinnern. Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen (=Histoire, 23). Bielefeld 2012.) mit strategischen Spielen, Fahrzeugsimulationen und Shootern, die sich historische Vorlagen in kriegerischen Konflikten vom Ersten Weltkrieg bis hin zu jüngeren Konflikten wie im Irak suchen. Dabei wendet er das Konzept der Erinnerungskultur auf das digitale, interaktive Medium an. Seine allgemeinen Ausführungen zu Genres, Authentizität von Geschichtsbildern oder der Wiederaufnahme von Motiven aus Filmen, die geschichtliche Themen aufgreifen, sind mit vielen Beispielen gespickt. Seine Kritik ist so präzise, wie sein Blick auf mögliche Verbesserungen scharf ist. Auch für Entwickler und Publisher sind seine Auuführungen daher lesenswert. Allein – durch seinen Zuschnitt auf das 20. Jahrhundert ist der Gegenstand seiner Untersuchung natürlich recht beschränkt, weshalb seine Aussagen bisweilen etwas zu definitiv ausfallen.

Ebenso wegweisend für die Geschichts- und Medienforschung ist die Dissertation, die Carl Heinze vorgelegt hat: Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel (=Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen, 8). Bielefeld 2012. Darin untersucht Heinze einige Spiele, die spezifisch das Mittelalter thematisieren, und versucht festzulegen, was überhaupt genau ein „historisches Computerspiel“ ausmacht. Dabei verlässt er nach meinem Dafürhalten dort den rechten Weg, wo er Fantasywelten noch als Darstellungen des Mittelalters ausmacht, allerdings tut dies der Qualität des übrigen Buches keinen Abbruch. Theoretisch verortet auch er Videospiele über einen geschichtskulturellen Zugang.

Zunächst war es für mich natürlich ein Schock, dass Heinze viele Beispiele ebenso gewählt hat, wie ich es für meine sechsteilige Reihe zur historischen Darstellung in diesem Blog getan habe (siehe ->DGBL: Das Ende der Finsternis. Potenziale mittelalterlicher Inszenierungen in digitalen Spielen). So ist das eben in der Wissenschaft: Kommt man zu langsam voran, wird einem eben die Butter von der Stulle gekratzt.

Allerdings gibt es auch bei einer grundsätzlich ähnlichen Wahl von Beispielen noch genügend, was ich kritisieren würde oder zu ergänzen hätte. Daher gebe ich dieses Vorhaben nicht auf, sondern lasse die Publikationen einfließen. Andererseits verfolgt mein Beitrag ja auch nicht den Anspruch theoretisch vollständig in der Forschungslandschaft aufzugehen, eher soll er einen weiten Überblick über Fragen, Probleme und den Untersuchungsgegenstand der digitalen Spiele geben. Durch die beiden jetzt veröffentlichten und wegweisenden Bücher hat der Diskurs der Geschichtswissenschaft meiner Ansicht nach gerade erst richtig begonnen.

Detaillierte Rezensionen, in denen ich auch bereits erschienene Rezensionen an anderer Stelle mit diskutieren möchte, sind in Vorbereitung. Deren Einbeziehung ist vor allem deswegen wichtig, um mit dem Zeigefinger auf die trotz dieser beiden Publikationen offenen Wunden im geschichtswissenschaftlichen Diskurs hinzuweisen.  Wie es nun mal ist, wenn man ein Projekt nebenberuflich betreibt, wird dies jedoch erst nach und nach geschehen.

Für die Zwischenzeit empfehle ich zwei Rezensionen zu den Büchern, verfasst von dem Forscher ->Philipp Schwarz (zu Heinze) einerseits und meinem Kollegen an der Universität Hamburg, ->Lutz Schröder (zu Bender) andererseits.

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