In ‚Massive Chalice‘ verlangt ein sprechender Riesenkelch, Dynastien von Kriegern zu formen
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Blinzelnd erwache ich in einer Halle, die ein wenig schmucklos wirkt, und doch irgendwie elegant. Ein Kelch steht dort, riesig und messingfarben. Seine Silhouette umwabert ein diffuses Leuchten. Und der Kelch spricht. Nicht nur mit einer Stimme, sondern gleich mit zweien, von denen die eine weiblich, die andere männlich scheint. Ich sei auserwählt, ein Königreich zu retten. Nein, selbst könnten sie das nicht, dafür legen sie mir ihr Schicksal und das des ganzen Reiches in die Hände. Mir?! Einem völlig fremden, der gerade von einem Kelch berufen wurde?
Mit dem überdimensionalen, sprechenden Trinkbehälter, der 2013 dem Rundenstrategiespiel ->Massive Chalice seinen Namen verlieh, wirkt das Setting zunächst an den Haaren herbeigeschleift. Allerdings gelingt es dem Entwickler ->Double Fine in diesen dürftigen Rahmen eine packende Spielmechanik zu integrieren. Ein wenig an Glaubwürdigkeit gewinnt das Szenario, weil die an den Kelch gebundenen Reichsverweser selbst nicht aktiv werden können. Sie müssen über zwei Jahrhunderte die Kräfte des Bechers sammeln und dürfen dabei nicht abgelenkt werden. Am Ende dieser Frist steht der Befreiungsschlag in Aussicht: nur die Kraft des Kelches kann eine magische Monsterquelle verjagen, welche „die Kadenz“ genannt wird. Als Spieler soll man daher über die 200 Jahre im Auftrag der Stimmen ein koordiniertes Rückzugsgefecht führen.
Da die Kämpfer nicht viel älter als sechzig Jahre werden und sich in mehrere Dynastien aufspalten, müssen Spieler vorausschauend handeln. Fähige Verteidiger dürfen nicht aussterben, etwa weil die Bevölkerung nur noch Kinder und Alte umfasst. Außerdem vererben die Eltern ihren Kindern mit gewisser Wahrscheinlichkeit positive und negative Eigenschaften – etwa besondere Führungsstärke oder Kurzsichtigkeit. Also muss eine rigide Heiratspolitik das Beste aus den verbleibenden Jahrhunderten herausholen.
->Massive Chalice bietet damit ein faszinierendes Spielkonzept, ein seltsames Mischwesen zwischen innovativen Mustern von Rundenstrategie und gebrochenen Charakterentwicklungen im Rollenspiel. Es enthält aber darüber hinaus mittelalterliche, dynastische Denkfiguren, sowie beklemmend subversive, zeitgeschichtliche Anleihen an faschistische Weltbilder. Dieser Nexus wirft die Frage auf, ob ->Massive Chalice damit historisch auch Probleme schafft…