DGBL: Der Geruch von Phosphor am Morgen

Spec Ops – The Line: ein Shooter-Lehrstück des Grauens

Die erste Ladung befördert eine Kamera aus dem Granatwerfer, die über dem Lager von Soldaten gemächlich niedersinkt, das da zu Fuße der eigenen Stellung liegt. Als die Aufnahmen über den Bildschirm eines Laptops flackern, haben die Soldaten des eigenen Trupps alle Hände voll zu tun, den daran angeschlossenen Werfer mit Granaten zu bestücken. In denen wiederum steckt Phosphor, das höllenheiße Feuersbrünste entfacht. Davon künden die gellenden Schreie der Gegner, die Rauchfahnen und die zerplatzenden Fahrzeuge im Camp.


Evakuieren geht anders - in Dubai lief etwas gewaltig schief (Quelle: Offizielle Seite)
Evakuieren geht anders - in Dubai lief etwas gewaltig schief (Quelle: Offizielle Seite)

Allein – vor Augen hat man nichts davon. Ähnlich der heftig kritisierten Mission „Death from Above“ von ->Call of Duty: Modern Warfare, in denen via grau verrauschtem Mini-Bildschirm eine AC-130 Flying Fortress ein Dorf mit Munition vollpumpte, präsentiert sich das Grauen im Fallgebiet der Granaten auch hübsch sauber in Schwarzweiß auf dem Laptop. Das, so denkt man, soll jetzt der Anspruch des deutschen Entwicklers ->Yager sein, der mit ->Spec Ops: The Line das erste Anti-Kriegspiel erschaffen wollte? Hockte der Spieler nicht bloß fünfzig Meter vor dem Lager, so wäre nicht einmal das Kreischen der Sterbenden vernehmbar. Der Spieler könnte auch per Satellit aus einem anderen Teil der Welt schlachten. So aber scheint im Hintergrund gedämpft aus der Zukunft zu rufen, was nach dem Gewissen des Spielers greifen wird.

Doch, was dann im Spiel und mit dem Spieler geschieht, ist eine ebenso grausame wie eindringliche Lektion des Krieges, wie sie bislang noch kein Videospiel erreicht hat. Aus dieser Perspektive ist ->Spec Ops: The Line ein echtes Meisterwerk, das sich vor seinen Film- und Buchkollegen nicht zu verstecken braucht…

Denn, noch während man sich als Spieler über das kühl inszenierte Töten ärgert, vermeldet einer der Soldaten des Teams: „So, das wars.“ Das samte Camp steht in Flammen, jede Gegenwehr ist unwahrscheinlich. Die Soldaten klettern über die Barrikaden und stehen vor der durch sie selbst herbeigerufenen Vorhölle. Hier beginnt der Anti-Kriegs-Aspekt, der von Yager ebenso blutig und abstoßend wie aufrüttelnd und erschütternd in den Spieler getrieben wird. Ich habe selbst schon viel gespielt, auch grausames, auch blutiges, das in Deutschland indiziert war. Was ich allerdings hier sah, werde ich dagegen so schnell nicht vergessen.

Dem Team wie auch mir als Spieler werden die eigenen Greueltaten vor Augen geführt. Langsam schreiten die Angreifer durch das zerstörte Lager, Rauch wabert überall und Brände flackern im verdunkelten Tageslicht. Kleine Flocken von Asche und immer noch brennendem Phosphor segeln behäbig durch die Luft. Die drei Soldaten husten alle paar Schritte, so sehr reizt jeder Atemzug. Zerfetzte Körper bedecken den Boden, einige Opfer torkeln blind, verbrannt und sterbend über den rußschwarzen Sandboden. Dabei reden sie wirr und staksen wie Zombies aus ->The Walking Dead. Das ist nicht einfach nur bedrückend, die Spuren des eigenen Wirkens sind beschämend.

Einer der eigenen Soldaten kommentiert zunehmend ungehalten, dass der Spieler ihn als kommandierender Offizier zu diesem Grauen gezwungen hat. Später noch schaukelt sich dieser Konflikt im Team hoch, bis zur handfesten Prügelei unter Feindfeuer. Fürs erste jedoch wandern die drei weiter, bis sie vor einem schwer verletzten Offizier stehen, der wie ein Käfer auf dem Rücken liegt und aufzustehen versucht. Als er die drei kommen hört, stöhnt er gepresst: „Warum?“… „Wir haben geholfen!“ … und stirbt. Fassungslos blicken die beiden Soldaten, denen der Spieler den Angriff befahl, auf die verkohlte Leiche – und ebenso verachtend auf den Spieler selbst. Doch damit nicht genug.



WARNUNG: Der Angriff auf das Lager und sein Nachspiel sind eine heftige Lektion auch für Zuschauer älter als !!! AB 18 !!! (Quelle: Mitschnitt Mission / Youtube)

Hat man die Szene eigentlich schon als gewohnten Eindruck von Anti-Kriegsfilmen wie ->Platoon oder ->Apokalypse Now abgelegt, eindrucksvoll zwar wegen der eigenen interaktiven Täterrolle, aber doch schon bekannt, schlägt das Spiel einem unvermittelt mehrfach mit der Faust mitten ins Gesicht.

Wenige Schritte weiter, in einem tunnelartigen Durchgang liegen, kauern Duzende wie zu Skulpturen hart gebrannte Menschen. Es sind Zivilisten. Das Bild von der letzten Szene des Angriffs via schneeigem Laptopscreen kehrt vor das eigene innere Auge zurück – als eine Gruppe fliehender, veremeindlicher Soldaten vor dem Inferno davon laufen will. Ich, der Spieler, habe das angerichtet. Ich habe die Granaten geschickt. Auf unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder. Das Gefühl beklemmend und beschämend zu nennen, ist viel zu wenig.

Zudem wird jetzt dadurch deutlich, dass man hier nicht das Lager der Gegner zerlegte. Offenbar haben sich die amerikanischen Truppen in verschiedene Fraktionen gespalten –  diese Gruppe hatte offenbar vor, tatsächlich ihrem Auftrag nachzukommen, die Zivilisten aus dem von abnormen Sandstürmen verwüsteten Dubai zu evakuieren. Ich als Spieler habe also auch noch den durchgeknallten Abtrünnigen der US-Division in die Hände gespielt, die im Namen von Recht und Ordnung Lynchjustiz vollführen. Das hinterlässt einen sprachlos und mit offenem Mund…

…bis der nächste Schock folgt: Tiefer im Tunnel kauern zwei Gestalten – Arm in Arm. Eine Frau hält ihre Tochter umschlungen und versuchte wohl mit der Hand deren Augen vor dem grellen Schein der Brandgeschosse zu schützen. Die beiden hat das Feuer zu einem starren Denkmal gegen den Krieg festgebrannt, die Hand der Mutter ist mit dem Gesicht des Kindes verschmolzen. Nur wenige Momente der Spielegeschichte haben sich so intensiv in meine Seele gebrannt wie dieser Moment, dieses Bild und die gekonnte Hinleitung.

Wer sich nun voll Ekel abwendet und wieder in das Lamento einfällt, Videospiele dürften das nicht und jenes, der hat die eigentliche Lektion neben kalter Brutalität und Gewalt, ihrer vermeintlichen Alternativlosigkeit und dem Grauen an Soldaten und Zivilisten nicht begriffen. Anders als bei Filmen, in denen man sich wohlfeil über die Täter beklagt und kopfschüttelnd doch irgendwie das Gefühl in sich trägt, man selbst würde so schändlich niemals handeln, liegt beim Videospiel alles anders. Im Wechsel der Perspektive vom passiven kritischen Beobachter zum interaktiven überforderten Täter, den eine Fehlentscheidung zum Kriegsverbrecher werden lässt, liegt eine enorme Kraft der Überzeugung. Man lernt, es sind die überhasteten Entscheidungen von unter Druck stehenden Gutmenschen, die binnen Momenten dutzende Menschenleben kosten und infernalisches Grauen über alle anderen bringen.

Militärische Gewalt wird auf viel zu komplexe Zusammenhänge losgelassen, die nicht nur durch Waffengewalt nicht lösbar sind, sondern in kürzester Zeit auch noch jeder Kontrolle entgleiten. So geschah es in Vietnam, so erging es den Sowjets in Afghanistan, ach, welcher Waffengang ist nicht so gelaufen. Die drei Soldaten des Spec-Ops-Trupps haben ebenfalls dieses Problem beim nächsten Kontakt. Überlebende des Angriffs feuern mit allem auf sie, was sie nur haben. „Da sind die Mörder!“, „Killt die Bastarde!“, schreien sie dem Team und mir entgegen. Verdient, wie man selbst denkt, und schon klopft wieder das Gewissen hinter den Schläfen. Doch ist an eine Klärung unter Gefechtslärm nicht mehr zu denken, und wieder tötet man die Falschen.

Den Berliner Entwicklern ist somit gelungen zu zeigen, dass Videospiele sich nicht nur an komplexe, unbequeme Vorlagen aus Film und Literatur heranwagen dürfen, sondern aus ihrer ganz eigenen interaktiven Perspektive heraus auch unbedingt sollten. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie von dem Film Apokalypse Now inspiriert wurden und der dort zugrunde liegenden Erzählung ->The Heart of Darkness von Joseph Konrad. Hatte schon der Film die kolnialkritische Novellenvorlage aus Afrika nach Vietnam versetzt, wendet sie nun das Videospiel auf den zerstörten Glanz des heutigen Dubai an, um menschliche Abgründe zu zeigen und erfahrbar zu machen.



!!! AB 18 !!! Wie schlecht bestellt es um die Psyche der Hauptfigur steht, zeigen die vier verschiedenen Enden allen Zuschauern !!! AB 18 !!! (Quelle: Zusammenschnitt Enden / Youtube)

Dabei hält es über die Vorlagen hinaus, dem glitzernden, prunken Dubai sein labiles Gleichgewicht als Protzpalast unter Wasserknappheit inmitten eines sandigen Niemandslandes vor. Auf ihrer Erkundungsmission finden die Soldaten zum Beispiel ungelenk gefertigte Kinderpuppen, die aus den seidenen Überresten des Wohlstands genäht wurden. Ihre Augen besetehen aus den Brillianten edelster Geschmeide, deren Wert nun weit unter dem eines Glases Wasser rangiert. Yager versteht es so, dem aufgegriffenen Stoff eine zeitgemäße neue Note aufzuprägen. Auch leisten sie gegen Ende des Spieles Großartiges, um die psychische Zerrüttung der eigenen Spielerfigur fortzuentwickeln.

Entscheidend für die hohe narrative und didaktische Qualität dieses Spieles ist jedoch, dass es die bekannten beobachtenden Formen einer Anti-Kriegshaltung aus Film und Buch konsequent durch die eigene Wahrnehmung des Spielers in der Täterperspektive bereichert. Ebenso eindringlich wie die Phosphorgranaten brennen sich so die Lektionen in das Bewusstsein des Spielers. Ebenso, wie sich der rußige  Rauch nach dem Angriff noch lange über dem Grauen hielt, wirken auch die dunklen Schwaden des Erlebten lange noch in den Gedanken des Spielers nach. Wie könnte es ein besseres Lob an das erste wirkliche Anti-Kriegsspiel geben?

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