INNOVATION: Nimm es ruhig persönlich

In „This War Of Mine“ taumeln Zivilisten durch die Grauen des Krieges

(PC (getestet) | OS X | Linux | Android | iOS )

Was bis vor Kurzem so als Kriegspiele bezeichnet wurde, sind eigentlich keine. Ob die Reihe nun ->Battlefield oder ->Call of Duty heißt, ihre Ableger inszenieren Gefechte in pittoresken, und doch sterilen Umgebungen, denen es völlig abgeht, die Folgen von bewaffneten Konflikten deutlich zu machen. Sie glorifizieren oft sehr stereotype Heldengestalten, sind voller Pathos, der als Tiefgründigkeit missverstanden wird, und ihre Schlachten werden in Gebieten ausgetragen, die menschenleer sind. Sind zwanzig Minuten verstrichen, lädt der Server das Spielfeld einfach neu. Eine Zauberhand renoviert die zerbombten Gebäude und räumt die rauchenden Trümmer beiseite.

httpvh://youtu.be/1cGZ-19yfks
Das Multiplayer-Schwergewicht Battlefield 4 erlitt eine Buchlandung mit der Kampagne für Einzelspieler, die theatralischer und pathetischer kaum hätte sein können. Der Mehrspielerpart ist zwar seriengetreu ein hervorragendes Gefechtsspiel, aber Kriegsspiele sind solche Team-Shooter nicht. (Battlefield 4: Offizieller Singleplayer-Storytrailer / Kanal EA – Electronic Arts (deutsch) via Youtube)

Ich möchte nicht darauf hinaus, Team-Taktik-Shooter dafür zu kritisieren, dass sie nicht reflektiert genug wären oder nicht genug Tiefgang hätten. Ihr spielerischer Schwerpunkt liegt nunmal auf dem schnellen taktischen Wettkampf zwischen annähernd ausgeglichenen Teams – wie ein Räuber- und Gendarm-Spiel des digitalen Zeitalters, mit mehr Bombast und spannender als das frühere Getobe durch den Wald. Mich selbst fesseln die wendungsreichen Schlachten der ->Battlefield-Reihe immer wieder.

Allerdings hängen sich immer mehr Multiplayer-Shooter den Mantel einer Handlung um, der Einzelspieler anziehen soll. Oft entsprechen diese Kampagnen eben genau den oben genannten bedenklichen Kriterien. Hier treten dann auch Zivilisten in Erscheinung, jedoch oft nur für den kurzen Moment, wenn sie in die Quere bewaffneter Verbände kommen, fliehen oder evakuiert werden. Diese Spiele sind also Gefechtsspiele, die den Titel Kriegsspiel nicht verdient haben. Dass Shooter sich mit Fragen von Kriegsfolgen viel intensiver befassen können, zeigte das klug inszenierte ->Spec Ops: The Line von den deutschen Entwicklern ->Yager aus Berlin. Dem Studio gelang es mit denkwürdigen Erfahrungen dem Spieler sein militärisches und moralisches Handeln vor Augen zuführen und durch kräftige Schockmomente infrage zu stellen (siehe ->DGBL: Der Geruch von Phosphor am Morgen, in: Keimling vom 15. August 2013).

Ein Leben in den Ruinen, ständig in Gefahr und ohne jeden Schutz transportiert This War of Mine des polnischen Entwicklers 11bit studios (Abb. Ausschnitt eigener Screenshot)
Ein Leben in den Ruinen, ständig in Gefahr und ohne jeden Schutz transportiert This War of Mine des polnischen Entwicklers 11bit studios in die Köpfe der Spieler (Abb. Ausschnitt eigener Screenshot)

Es musste erst das kleine polnisch Indie-Studio ->11bit studios kommen, um den Fokus auf das Leid der Zivilisten zu lenken, die während eines Krieges in den Trümmern von Stadt und Staat zu überleben versuchen. Damit fügt es nicht nur eine Facette moderner Kriege hinzu, die aktueller nicht sein könnte. Schließlich muss man den Blick nur in Richtung der schwelenden Ukraine oder des arabischen Flächenbrandes wenden. Vielmehr beweist ->This War Of Mine eindrucksvoll, dass Spiele mehr leisten können, als Spaß zu machen. Für die schonungslose Erfahrung, die Spielern die hässliche Fratze ihres Spiegelbildes vorhält, gewannen die Entwickler 2015 den ->Deutschen Computerspielpreis (DCP) in der Kategorie ->Bestes Internationales Spiel. Einen Vorgeschmack auf das fordernde Spielerlebnis geben die Entwickler mit der Webseite ->warisnotachoice.com , in der interaktive Trailer die teils gravierenden Nachwirkungen von Entscheidungen aufzeigen.

httpvh://youtu.be/RtZC9RAoFzo
Dass selbst die Folgen wohlüberlegter Entscheidungen in einem Kriegsgebiet unabsehbar sind, zeigen 11bit studios eindrucksvoll im aktuellen Trailer aus zwei Perspektiven. (This War Of Mine – War is not a choice / Kanal 11bit studios via Youtube)

Begleitend zu dieser Ehrung offenbarte sich jedoch auch, wie weit die deutsche Spielekultur noch davon entfernt ist, selbst einen reifen, erwachsenen Umgang mit einem solchen Spiel zu pflegen. Und das, obwohl gerade viele Vertreter im Journalismus über Games und in der Videospiele-Wirtschaft diesen von der Gesellschaft immer wieder einfordern…

Stubenhocker

In ->This War Of Mine organisiert der Spieler das Leben von ein paar Überlebenden in einem Haus, das noch von kaum mehr als Kratern und Löchern zusammengehalten wird. Auch wenn die Kämpfe zunächst weitergezogen zu sein scheinen, sind diese Menschen krank, verletzt und traumatisiert. Die Straßen sind durch randalierende Banden immer noch unsicher, doch es genügt nicht, einfach in der Ruine auszuharren. Nahrung ist knapp, Trinkwasser und Medizin sind nicht vorhanden, von Waffen und Munition ganz zu schweigen. Selbst etwas so Einfaches wie ein Bett ist ein zu Anfang unerreichbarer und unbeständiger Luxus.

Mit viel Aufwand schafft der Spieler für alle, die überlebt haben, ein Umfeld, in dem das auch so bleiben kann. Meist jedoch nur vorrübergehend. (Abb. Eigener Screenshot)
Mit viel Aufwand schafft der Spieler unter Zeitdruck für alle, die überlebt haben, ein Umfeld, in dem das auch so bleiben kann. Werkbänke, Filteranlagen, ein Radio, ein Bett – das sind wesentliche Errungenschaften, die meist jedoch nicht von Dauer sind. (Abb. Eigener Screenshot)

Grafisch ist das Ganze nicht sehr aufwändig. Auf verschiedenen zweidimensional gezeichneten Etagen, bewegt der Spieler die Bewohner mit der Maus durch das Gebäude. Die optische Erscheinung transportiert beeindruckend gut eine bedrückend kalte, grau schattierte Atmosphäre, wenn auch die Soundkulisse dahinter stark im Hintergrund bleibt. Allerdings erwartet bei diesem Setting wohl auch niemand besondere grafische Opulenz. Allerdings sind Lichtquellen und Schatten wirklich sehr gut gelungen. Spielmechanisch gesehen, setzt der Spieler seine Schützlinge tags an Aufgaben, lässt sie sich verpflegen oder verarzten, gärtnern oder etwas konstruieren. Diese Vorgänge kosten Zeit, die kontinuierlich abläuft. Es ist so viel zu tun und jede unbedachte Handlung verschwendet Gelegenheiten für lebensnotwendige Schritte. In der Nacht hingegen muss die teils lebensgefährlichenNachbarschaft erkundet werden. Tags wäre dies glatter Selbstmord.

Aus den Trümmern und Müllbergen der eigenen Ruine lassen sich nach und nach ein paar Dinge bergen, die verwertet werden können. Bretter, um die gesprengten Wänder abzudichten – gegen Wind und neugierige Blicke von außen, gegen verräterrisches Licht der Kerzen von innen. Das Material reicht jedoch vorn und hinten nicht. Zum Beispiel müssen Behelfsbetten her, damit überhaupt an erholsamen Schlaf zu denken ist. Für die Kranken und Verletzten müssen einfache medizinische Hilfsmittel konstruiert werden, helleres Licht als Kerzen spenden Lampen mit Batterien oder gar Stromgeneratoren und ein Regensammler mit Kohlefilter wäre klasse. Allerdings möchte man nicht nur vegetieren, also bessert vielleicht ein Buch die Laune, eine Gitarre, Kaffee oder ein paar Zigaretten. Wirklich essentiell wäre ein Kontakt zur Außenwelt über ein Radio.

Eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten bietet das Handwerksystem im Spiel mit dem lebenswichtige Geräte und Werkzeuge hergestellt werden können. Sind genügend Ressourcen gesammelt worden, können komplexere Gegenstände zusammengebastelt werden. (Abb. eigener Screenshot)
Eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten bietet das Handwerksystem im Spiel mit dem lebenswichtige Geräte und Werkzeuge hergestellt werden können. Sind genügend Ressourcen gesammelt worden, werden deren Varianten immer komplexer. (Abb. eigener Screenshot)

Außendienst

Ein solches Gerät kann sogar überlebenswichtig sein, müssen die Spielfiguren doch regelmäßig im Schatten der Nacht auf heimliche Erkundungstour gehen, um wertvolle Materialien zu erbeuten. Nur so kann die lebenserhaltende Wunschliste abgearbeitet werden. Hat man im Radio erfahren, welche Gegenden besonders gefährdet sind, erkundet es sich gleich viel sicherer. Je weiter man sich vom Unterschlupf entfernt, wird der Ausflug nicht nur umso riskanter, man läuft auch Gefahr, vom Opfer zum Täter zu werden. Denn der Spieler dringt nicht nur in unbewohnte Gebäude ein, sondern in Orte, in die andere sich zurück gezogen haben.

Bricht die Nacht herein, ändert sich das Gameplay und einer der Überlebenden muss auf Plündertour gehen - mit allen Gefahren und moralischen Fallstricken. (Abb. eigener Screenshot)
Bricht die Nacht herein, ändert sich das Gameplay und einer der Überlebenden muss auf Plündertour gehen – mit allen Gefahren und moralischen Fallstricken. (Abb. eigener Screenshot)

Das Spiel zeigt früher oder später die gravierenden Konsequenzen des eigenen Handelns auf, wenn man zum Beispiel vor der Wahl steht, einer Familie den kompletten Kühlschrank auszuräumen oder einem Kranken den Verbandskasten. Gestattet die Not der eigenen Leute dieses Verhalten? Und was wäre, wenn sich alle so verhalten? Wo sind die Grenzen des Spielers selbst? Und führt das Verhalten derÜberlebenden nicht letztlich in den eigenen Untergang? Oder noch viel schlimmer: gibt schon allein das Überleben dem Handeln recht?

Versinkt die Sonne in den Häuserschluchten, müssen die Überlebenden die Umgebung erforschen, um Brauchbares zu plündern. Häufig zum Schaden anderer Überlebender. (Abb. eigener Screenshot)
Versinkt die Sonne in den Häuserschluchten, müssen die Überlebenden die Umgebung erforschen, um Brauchbares zu plündern. Häufig zum Schaden anderer Überlebender. (Abb. eigener Screenshot)

In einem Fall stehen plötzlich ein paar Personen vor der Tür. Das hält nicht nur davon ab, in der kontinuierlich ablaufenden Zeit des Tages die Menschen im Unterschlupf zu versorgen oder ihnen neue Hilfsmittel zu bauen. Sofort ist man alarmiert, denn was ist, wenn diese fremden Menschen etwas Böses im Schilde führen? Ist es ein Hinterhalt? Sind sie Kundschafter, die nur die Schwächen der eigenen Gruppe finden wollen, um später anzugreifen? Möglicherweise wollen sie auch zu den Überlebenden stoßen und haben keinen eigenen Schutz mehr für die kommende Nacht. Also öffnet man schließlich doch die Tür…

…und erlebt eine Überraschung. Die Besucher erzählen freundlich, dass sie nicht weit entfernt wohnen und verschenken ein paar Lebensmittel aus ihrem Garten. Wer hätte das gedacht! Und sie wollen dafür noch nicht einmal etwas haben. Nach einem kurzen Plausch verabschieden sie sich wieder. Solche Szenen machen deutlich, dass es ->This War Of Mine außerordentlich gut versteht, mit den kleinsten Elementen Unsicherheit und Unbehagen zu übertragen. Daneben jonglieren die Spieler mit den existentiellen Aufgaben, die nicht alle zu lösen sind – schon gar nicht gleichzeitig.

Sprachlose Stimmen

Um zu verstehen, wie Menschen in solchen Notlagen handeln, welche Ängste, Sorgen und Zwänge sie bestimmen, wandte sich das Team von ->11bit studios an Zeugen der Belagerung von Sarajevo. Von 1992 bis 1996 belagerte die serbische Armee die bosnische Stadt in der wohl längsten Einkreisung des modernen Kriegszeitalters. Besonders im ersten Jahr der Belagerung setzten serbische Kräfte massiven Artilleriebeschuss ein, um die Einwohner zu zermürben. Sie errichteten dafür Stellungen in den Bergzügen rings um den Talkessel, in dem sich die Stadt befindet. Von dort aus nahmen serbische Sniper auch gezielt Zivilisten unter Feuer. Zwischen all den kriegerischen Gräueln konnten die UN nur wenig Linderung verschaffen, indem sie die Stadt über die Luft unterstützte, gleichwohl genügte die Versorgung nicht. Unter Lebensgefahr fällten die Menschen die Bäume der Stadt und klaubten zusammen, was in den Feuerpausen zu finden war. Und dies jahrelang. Wer die Folgen dieser Blockade für den Alltag der Menschen genauer verstehen will, dem sei die anthropologische Studie des städtischen Lebens von Ivana Maček empfohlen, für die sie bereits in Kriegszeiten zu untersuchen begann (Maček, Ivana: Sarajevo under Siege. Anthropology in Wartime, Philadelphia 2009).

Mit Zeitzeugen dieser empörenden Katastrophe sprachen die Entwickler, um ihre Produktion vorzubereiten, und zeigten ihnen die Ergebnisse. Nicht nur die Recherche war wegen der unfassbaren Gräuel belastend, verriet Karol Zajaczkowski, PR-Mann des Teams, im Interview mit der deutschen Branchenzeitschrift ->Making Games (Shifting The Focus. War From The Civilians‘ Point Of View, in: Making Games 2/2015, S. 16-21). Auch die heftigen emotionalen Reaktionen der einstigen Opfer, denen das Spiel gezeigt worden war, seien ungewöhnliche Erfahrungen und schwer zu verarbeiten gewesen. Zwar würden alle Beteiligten an ->This War Of Mine diese persönlich wichtigen Erlebnisse nicht missen wollen, das Team sei sich jetzt aber auch einig, mit dem nächsten Projekt erst einmal etwas weniger Belastendes zu programmieren.

httpvh://youtu.be/gotK5DLdVvI
Um die Geschehnisse in einer Kriegszone nachempfinden zu können, schenkten 11bit studios Überlebenden des Kessels von Sarajevo Gehör. (This War of Mine Launch Trailer – The Survivor / Kanal 11bis studios via Youtube)

Es sei dabei wichtig zu verstehen, dass das Spiel nicht explizit von Sarajevo handele. Das, was in ->This War Of Mine geschehen könne, beschreibe genauso gut die Lage in Syrien oder der Ukraine. So sei der Ort relativ unerheblich, grundsätzlich werde die Lage von Zivilisten in Zeiten von Kriegen thematisiert und inszeniert. Alerdings kann man das Szenario anhand der Kleidung und der Objekte einem im weitesten Sinne europäisch-westlichen Schauplatz zuordnen. Durch dieses Stilmittel rückt Leid und Unglück aber auch näher in das heimische Wohnzimmer der Spieler aus diesen Regionen im Wohlstand.

Nur für Erwachsene

Nutzern, die eine gewisse Reife älterer Teenager noch nicht erlangt haben, kann ich ->This War Of Mine wegen der teils verstörenden Ereignisse, fragwürdiger moralischer Zwänge und gewalttätiger Handlungen nicht empfehlen – zumindest dann nicht, wenn sie damit allein gelassen werden. Mit Eltern oder älteren Geschwistern oder auch im Schulunterricht kann hingegen auch eine gemeinsame Spielerfahrung für jüngere Jugendliche gewinnbringend sein. Jedenfalls lohnt es sich, in Familie oder Schulunterricht dieses ungewöhnliche Werk wenigstens zu besprechen. Ob jemand sich allein auf das Spielfeld begeben sollte, hängt damit zusammen, ob jemand schon in geistig-moralisch gefestigter Verfassung ist, um auf sich allein gestellt die komplexen Zusammenhänge seines Handelns und dessen Folgen zu überblicken und zu begreifen. Sonst könnte die Botschaft in überforderter Gleichgültigkeit verloren gehen.

Dies liegt auch daran, dass ->This War Of Mine nicht im eigentlichen Sinne Spaß macht, wenn man es spielt. Zweifellos liefert es Spielern wertvolle Erfahrungen, aber statt Spaß muss man als Kategorie andere Konzepte heranziehen. Die Game Studies prägten die Begriffe von Involvement und Flow, die besser verstehen helfen, warum man begeistert von einem Videospiel sein kann, auch wenn es nicht ausgelassene Freude verbreitet. Involvement zum Beispiel ist weit mehr als nur die interaktive Beteiligung von Spielenden an einem digitalen Spiel. Der Begriff beschreibt, wie sehr die Handlung und die Erzählung sowie die spielmechanischen Herausforderungen einen Spieler einbinden. Nicht notwendig müssen da die Herausforderungen freudige Empfindungen auslösen. Es genügt zum Beispiel auch schwierige, belastende Passagen zu inszenieren, die genügend abverlangen und dadurch begeistern. Dadurch entsteht etwas, das die Game Studies als Flow beschreiben. Ein Spielflussgefühl, wenn man so will. Nicht notwendig müssen da Kategorien wie Spaß oder Fun enthalten sein.

Reifeprüfung

Dass ein Spiel wie ->This War Of Mine den ->DCP gewinnt, ist daher in mehreren Hinsichten von Bedeutung. Es zeugt davon, dass Videospiele auch mit bedrückenden Inhalten sehr wohl Anerkennung erfahren und wirtschaftlich erfolgreich sein können. Dieser Erfolg unterstreicht meine Haltung, dass Serious Games eine völlig sinnfreie Kategorie für Videospiele sind. Diese Schublade wurde von Menschen erfunden, die missverstehen, dass Spiele nicht immer nur fröhliche Spielzeuge sein müssen und für ernsthafte Inhalte daher auch keine besondere Kategorie benötigen. Computerspiele, so zeigt ->This War Of Mine eindrucksvoll, müssen nicht immer, können jedoch Kunstgegenstände sein, sozialkritisch die Gesellschaft anklagen und politisch aufrütteln. Darüber hinaus müssen sie nicht einmal wilde Orgien des Vergnügens bieten, um als beeindruckende Spielerfahrung fesseln zu können. Ich kann nur sehr hoffen, dass wir mit Spielen wie ->This War Of Mine endlich an einer Schwelle stehen, jenseits derer sich viel mehr Spieleentwickler vor komplexen, unbequemen Botschaften nicht mehr scheuen werden.

httpvh://youtu.be/cpJa2RBuroM
Der Deutsche Computerspielpreis ehrte This War Of Mine 2015 gleich in zwei Kategorien. (DCP: Die Gewinner beim Deutschen Computerspielpreis 2015 / Kanal PC Games Hardware via Youtube)

Der Vielfalt unserer Spielekultur wird dies in jedem Fall gut tun. Niemand soll auf sein hektisches, spielerisch anspruchsvolles Gefecht in Battlefield verzichten müssen. Worauf Spieler jedoch gerne verzichten, zeigte ihre teils heftige Kritik am dumpfen Pathos der Dialoge, als ->Battlefield 4 erschien. Doch offenbar ist die digitale Spielkultur in Deutschland unter Spielerinnen und Spielern bereits reifer und erwachsener als es der Journalismus über Spiele ist. So hat die Gamestar, trotz rückläufigem Printabverkauf immer noch das dominante meinungsbildende Magazin der deutschsprachigen Gameskultur, auf eine Wertung für ->This War Of Mine verzichtet.

Dabei ist die Begründung ebenso Hohn wie peinlich: das Antikriegsspiel sei zwar fesselnd, mache aber keinen Spaß. Da ihre Wertung nach der Auffassung des Magazins jedoch eine „Spielspaßwertung“ sei, wolle die Redaktion keine Punktzahl vergeben (vgl. ->Kogel, Dennis: Ein echtes Antikriegspiel, in: Gamestar.de vom 18.11.2014). Mit einer solchen Haltung sagt Kogel sehr viel weniger über das Spiel aus, als über ein völlig unzeitgemäßes Wertungssystem der Gamestar, das alle Bemühungen für anspruchsvollere, intelligente, aber doch auch schwierige Spielinhalte vor die Stirn stößt. Wird Videospielen wie ->This War Of Mine auf diese Weise eine Sonderrolle zugewiesen, bleiben alle anderen eben nur Spielzeuge. So gelangt zum Beispiel dieses Antikriegsspiel nicht in die Mitte einer Spielkultur, sondern verbleibt an ihrem Rand in einer Art kulturellem Edelghetto.

Moralische Instanz

Dabei sollten sich eigentlich viel mehr Videospiele auf eine ähnliche Weise mit existentiellen Fragen befassen. Kaum ein anderes Medium vermag es so nachhaltig, dem eigenen Handeln den Spiegel vorzuhalten. Im weiteren Verlauf des Spieles verschwimmen die Grenzen zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse, Opfern und Tätern, und doch sind die Spielfiguren ständig Getriebene, denen oft nur wenige Sekunden für Entscheidungen zwischen Leben und Tod bleiben. So überfallen Bewaffnete nachts die Rückzugsorte von Überlebenden, Militärs und Paramilitärs terrorisieren mit Razzien, Menschen werden vergewaltigt und sinnlos gemetzelt.

Nachts brechen Bewaffnete in den Unterschlupf und nehmen sich, was sie wollen. Ist es jetzt gut oder schlecht, dass die Überlebenden keine Waffen hatten? Schließlich leben ja noch alle (Abb. Ausschnitt eigener Screenshot)
Nachts brechen Bewaffnete in den Unterschlupf und nehmen sich, was sie wollen. Ist es jetzt gut oder schlecht, dass die Überlebenden keine Waffen hatten? Schließlich leben ja noch alle. (Abb. Ausschnitt eigener Screenshot)

Je mehr Ausrüstung die Überleben benötigen oder schlicht wollen, umso weiter führt des Nachts die Plündertour vom Unterschlupf weg. In zahlreichen Situationen führt das Spiel vor Augen, wie schmal der Grat ist, auf dem man auch als Spieler zwischen seinen  Schützlingen als Opfern oder Tätern wandelt. Misst man unmoralischem Handeln zu Beginn noch keine große Bedeutung zu – schließlich ist es ja nur ein Spiel – treffen die Konsequenzen dieses Handelns nur mit umso härterer Wucht. Denn dieser Krieg ist etwas Persönliches – ein Krieg gegen sich selbst, hin und her gerissen zwischen dem Willen, die eigenen Schützlinge durch den Konflikt zu führen, und dem Wunsch, nicht die Menschlichkeit dafür zu opfern. Öfter sitzt man als Spieler mit offenem Mund vor dem, was sich auf dem Monitor abspielt.

Spätestens, wenn man den Besuchern ein zweites Mal gegenübersteht, die anfangs den eigenen Überlebenden mit ein wenig Gemüse ausgeholfen haben, versteht man, was dieses Spiel vermitteln möchte. Auf der Suche nach Brauchbarem in der Nachbarschaft dringt der nächtliche Plünderer nämlich genau in deren Haus ein. Die Hände und Taschen voller Lebensmittel und Medizin steht er also schließlich genau vor diesen hilfsbereiten Menschen in deren eigenem Unterschlupf. In ihrem eigenen Zufluchtsort siechen jedoch Überlebende krank dahin und Kinder verhungern. Wer jetzt eilig antwortet, natürlich werde er die geplünderten Fundstücke zurückgeben, sollte sich kurz Gedanken über die Konsequenzen machen. Denken Sie einmal in Ruhe darüber nach. Dafür haben Sie wenige Augenblicke Zeit, bevor Sie die Folgen einholen.

*

 

2 Gedanken zu „INNOVATION: Nimm es ruhig persönlich“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert