INNOVATION: Götterwache

„Gods Will Be Watching“ setzt neue Maßstäbe für das Adventure-Genre

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Die Zukunft sieht in etwa so aus, als hätte ich mir die Brille abgesetzt. Grob verpixelte Gestalten hantieren mit schlaksigen Bewegungen vor klotzigen Hintergründen. Doch schon nach wenigen Momenten im Science-Fiction Adventure ->Gods Will Be Watching wird deutlich, dass sich hinter der grobschlächtigen Optik spielmechanisch und erzählerisch das genaue Gegenteil verbirgt. Das Spiel versetzt in tiefsinnige Szenen, in denen es kein moralisch richtiges oder verwerfliches Handeln gibt, zumindest keines, das der Entwickler ->Deconstructeam aufdrängen würde. Der Maßstab ist die Moral der Spielenden selbst.

Gods Will Be Watching erzählt Episoden einer wendungsreichen Geschichte und verwendet einen eigenwilligen Grafikstil. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)
Gods Will Be Watching erzählt Episoden einer wendungsreichen Geschichte und verwendet einen eigenwilligen Grafikstil. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)

Veröffentlicht beim amerikanischen Publisher ->Devolver Digital, versetzt ->Gods Will Be Watching die Spieler in komplexe, lebensgefährliche Zäsuren, in denen mit einem begrenzten Zeitkontingent wohlüberlegt gehandelt werden muss. Dabei bleibt es jedoch stets ein Adventure in Point&Click-Manier, in dem traditionell Gegenstände oder Personen angeklickt werden, um Rätsel zu lösen und damit die Handlung voranzutreiben. Niemand muss also befürchten, unter wirklichen Zeitdruck zu geraten.

Die Protagonisten geraten in schwierig zu bewältigende Krisen. Trotz des Pixellooks erzählt es von schwer wiegenden Themen wie Folter oder Geiselnahme sehr erwachsen und außerordentlich gewalttätig. (Abb.: Eigener Screenshot)
Die Protagonisten geraten in schwierig zu bewältigende Krisen. Trotz des Pixellooks erzählt es von schwer wiegenden Themen wie Folter oder Geiselnahme sehr erwachsen und außerordentlich gewalttätig. (Abb.: Eigener Screenshot)

Die Entwickler haben jedoch einen besonders innovativen Kniff in das Genre der Abenteuerspiele eingefügt: viele Handlungen in den brenzligen Situationen verbrauchen oder gewinnen Zeit. Trödelt man durch unüberlegte Schritte zu viel, entgleist die Handlung zügig aus der Kontrolle des Spielenden. Kombinationsrätsel gibt es in dem Sinne also nicht; es ist die Abfolge von Aktionen, die hier zur Lösung kombiniert werden muss. Sie werden schwitzen, wenn ihre Spielfiguren eine Geiselnahme oder zwanzig Tage Folter überstehen müssen. Ein wirklich atemberaubender Spielansatz – ernsthaft…

Glauben Sie noch nicht? Ich gebe Ihnen ein Beispiel, ohne zu viel von der Handlung zu verraten: Gleich zu Anfang befindet sich der Spieler als Geiselnehmer in der kritischen Position, sein Team zu unterstützen, Geiseln zu sichern und eine heranrückende SWAT-Einheit fernzuhalten. Die Widerstandsgruppe, von allen anderen Anwesenden als Terroristen verschrien, will sich aus den Datenbanken einer Raumstation die Baupläne für eine Biowaffe herunterladen. Eines der Teammitglieder ist daher vollauf mit dem Download beschäftigt, ein weiteres hackt das Sicherheitssystem und, während die Geiseln verängstigt im Raum hocken, gibt ein dritter Feuerschutz. Seine Aufgabe ist es, den Sicherheitsdienst fernzuhalten.

Nun hält der Spieler das Heft in der Hand und muss die Situation lange genug auf einem schmalen Grad balancieren, um den Download zu ermöglichen. Die Geiseln können beruhigt werden, dann riskiert der Spieler aber, dass sie aufmüpfig werden und ihn zu überwältigen versuchen. Man kann sie auch anbrüllen, oder ihnen gar Gewalt antun, um sie zu disziplinieren. Mit zunehmender Angst steigt jedoch ihre Entschlossenheit, einen Fluchtversuch zu wagen. Sogar sie anzuschießen oder zu erschießen, ist möglich. Eine angeschossene Person, die mitten im Raum vor den Augen der Geiseln verblutet, erschwert jedoch verständlicherweise ihre Beruhigung. Außerdem ist eben dieser Umgang mit den Geiseln ein gutes Beispiel, dass der Spieler darüber entscheidet, wie weit er moralisch zu gehen bereit ist. Schließlich gibt es stets mehrere Lösungswege.

Das Spiel urteilt nicht moralisch über die Entscheidungen von Spielenden, wenn er oder sie z.B. wie hier eine Geisel erschießt. Wie weit sie zu gehen bereit sind und mit welchen Mitteln, definieren lediglich ihre eigenen Vorstellungen. Aber die Konsequenzen daraus sind schwer vorherzusehen. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)
Das Spiel urteilt nicht moralisch über die Entscheidungen von Spielenden, wenn er oder sie z.B. wie hier eine Geisel erschießt. Wie weit sie zu gehen bereit sind und mit welchen Mitteln, definieren lediglich ihre eigenen Vorstellungen. Aber die Konsequenzen daraus sind schwer vorherzusehen. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)

Auch das SWAT-Team drängt, alarmiert durch verletzte oder gar getötete Geiseln, schneller vor. Außerdem ist das erfolgreiche Hacking des Bordcomputers kaum zu erreichen, wenn der Protagonist nicht auch noch diese Arbeit koordiniert. Er entscheidet parallel, ob zwischendurch eher Sicherheitssysteme zurückgedrängt werden oder ob der Download unterstützt wird. Als wäre dies nicht schon komplex genug, sind die Geiseln nicht alle gleich: ein Herr im braunen Anzug scheint ihr Vorgesetzter zu sein, weshalb dieser einen großen Einfluss auf das Verhalten der anderen hat. Das kann je nach Spielweise zum Vorteil gereichen oder auch nicht.

Wer noch nicht genug Druck damit verspürt, dass das Programm nicht eindeutig offenlegt, wie viel Zeit genau eine Handlung gewinnt oder kostet, der erhöht halt den Schwierigkeitsgrad. Dann kommen auch noch zufällige Elemente ins Spiel. Der Wiederspielwert ist also mindestens ebenso enorm wie das Frustrationspotential. Führen zwar zahlreiche Wege zum Ziel, muss man das Zusammenspiel der Handlungen und ihrer Folgen erst einmal entwirren. Das gelingt oft nur dadurch, dass man Lehren aus gescheiterten Versuchen zieht. Sehr motivierend ist deshalb eine Übersicht am Ende eines jeden Kapitels, die zeigt, für welche Varianten sich andere Spieler entschieden haben. So packt es den Ehrgeiz, wenn es anderen gelang, mehr Geiseln zu retten oder den Hack ohne Zusatzhilfen zu bewerkstelligen.

->Gods Will Be Watching zeigt wieder einmal, wie die Games-Branche sich mit vermeintlich unumstößlichen Dogmen im Kopf selbst blockiert: Shooter müssen dies, Strategiespiele müssen das, niemand will mehr Weltraumsimulationen, das Adventuregenre ist tot. Alles Mumpitz, den Pioniere immer wieder selbstbewusst überwinden. Nachdem Abenteuerspiele nun schon länger nicht mehr tot sind, hat es das ->Deconstructeam vollbracht, mit deren streng schematischer Form zu brechen. Die sogenannten Point&Click-Spiele galten als unabänderbar: Kombinationsrätsel, dialoglastig, bis auf wenige Ausnahmen eher comedyhaft. Mit einer originellen, variablen Spielmechanik, spannenden Szenarien und sehr erwachsenen Themen beweist ->Gods Will Be Watching das genaue Gegenteil.

Jedes Kapitel variiert das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten, immer jedoch verbrauchen Aktionen Zeit oder gewinnen sie. Im zweiten Kapitel müssen zwei Figuren Folter an 20 Tagen überstehen, und sich an diesen Tagen jeweils anderen Herausforderungen stellen. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)
Jedes Kapitel variiert das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten, immer jedoch verbrauchen Aktionen Zeit oder gewinnen sie. Im zweiten Kapitel müssen zwei Figuren Folter an 20 Tagen überstehen, und sich an diesen Tagen jeweils anderen Herausforderungen stellen, um zu überleben und gleichzeitig nicht die eigene Fraktion zu verraten. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)

Und auch an die pixelige Optik hat man sich nach der ersten Irritation bald gewöhnt. Das ist auch essentiell, muss man doch die Gestik der Spielfiguren interpretieren können – nicht nur deswegen, weil die Emotionen der Geiseln sonst schwer einzuschätzen sind. Gleich im zweiten Kapitel gerät man mit zwei Widerstandskämpfern in ein Verhör, wo es ebenso überlebenswichtig ist. Dabei geht es ausgesprochen brutal zur Sache. Leider kann die eigene Gruppierung zunächst nur einen einzigen Mann einschleusen. Das ist viel zu wenig, um die Geiseln sofort lebendig aus dem Komplex zu befreien. Durch den ersten Tag bereits von Folter malträtiert, erfahren die beiden nur, dass sie zwanzig Tage überstehen müssen bis Verstärkung anrückt.

Doch jede gestandene Information macht sie in den Augen ihrer Peiniger überflüssiger. Daher müssen sie häßliche Misshandlungen über sich ergehen lassen, um nicht alle Karten zu verspielen. Sterben aber dürfen und wollen sie natürlich auch nicht. Ein einziger zudem noch verbleibender Ausweg: Lügen. Das glückt aber nur, je übler sie ihre Peiniger bereits zugerichtet haben. Ist der körperliche Zustand schlecht, kann man es auch mit Betteln versuchen – gelegentlich auch mehrfach. Gehen die Folterer darauf ein, verbessert sich durch die entstehende Atempause die Gesundheit leicht. Um das alles zu beurteilen, muss der Spieler sowohl die Folterer einschätzen lernen als auch die Leidensfähigkeit der Gefangenen. Die Zukunft mag also grafisch grobschlächtig sein, unter der Haube strotzt sie nur so vor Feinsinn.

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