In „Watch Dogs“ wird die Welt zu einem besseren Ort gehackt
Man kennt das: an der Kasse stehen dutzende Menschen und es geht wieder nicht vorwärts. Meist liegt es ja an Rentnern, die den ganzen Tag keine Zeit hatten und erst zur Ende der Bürozeit Kleingeld im Supermarkt zählen kommen. Oder halt an dem lokalen Säufer, der seine PIN vergessen hat. Verdutzt stellt man dann aber fest, dass dieses Mal alle einen selbst anstarren und der Kassierer wie festgefroren dasitzt.
Erst dann fällt der Blick auf die großen Plasmaschirme hinter der Kasse, auf denen das eigene Konterfei zu sehen ist… umrahmt von einem Fahndungsaufruf … wegen Kinderschändung. Noch während man verwirrt auf die auch für einen selbst überraschende Neuigkeit starrt, stürmen Polizisten das Geschäft, werfen einen nieder. Wehrlos am Boden schießt ein einziger Gedanke durch den Kopf: „Was soll ich gemacht haben?“ In der frei begehbaren Metropole Chicago im Open-World-Titel ->Watch Dogs von ->Ubisoft, der auf der Videospielemesse ->E3 2013 in Los Angeles eine der wenigen, wirklichen Überraschungen darstellte, muss eine solche Frage nicht unbedingt an Amnesie oder einer herausragenden Fähigkeit zur Verdrängung liegen.
Die dortige Welt einer nahen Zukunft ist von vernetzter Kommunikation so sehr durchzogen, wie sie schlimmsten Albträumen von Datenschützern entsprungen sein könnte. Und die Spieler werden dies beim Erscheinen des Titels 2014 zum Guten, wie im Bösen nutzen…
Kameras, Ampelanlagen, Kunstwerke, Fernsehprogramme, Autos, Kühlschränke, Notrufe – die Liste dessen, was manipuliert werden kann, ist erschreckend lang. Und manipuliert wird, was manipuliert werden kann. So entsteht auch ein völlig neuartiges Einzelspielererlebnis, da Spielern die Einmischung in Partien anderer erlaubt wird, um durch Ablenkung von Verfolgern zu helfen oder bösartig die Tour zu vermasseln. Das erinnert ein wenig an das Konzept hinter dem eingestellten Shooter ->The Crossing der ->Arkane Studios, in den Mitspieler als besonders starke Gegner hätten einsteigen sollen.
Im Kern handelt der Open World Titel mit unfassbarer grafischer und atmosphärischer Brillianz von einem Mann namens Aiden Pearce, der mit seinem Smartphone in einer pulsierenden Großstadt Geheimnissen und Verbrechen auf den Grund geht, indem er fremde Datennetze hackt, Emails abfängt und sich in Kameras wie Telefongespräche einklinkt. Also quasi der feuchte Traum der amerikanischen NSA. Ein aufschlussreicher Gameplay-Trailer zeigt die vielseitigen Vorgehensweisen anhand einer Rettungsmission, in der ein anderer Hacker vor den Behörden gerettet werden soll. Auch Aiden selbst ist von den Sicherheitskräften nicht gern gesehen, die ihm sein Wunderhandy einerseits neiden, es dadurch andererseits aber auch fürchten.
Erstmals verschmelzen durch die technischen Möglichkeiten auch Einzelspiel und Mehrspielererlebnis. Ubisoft zeigte auf der Entertainment-Messe in Los Angeles eindrucksvolle Sequenzen, wie ein Helfer, verbunden durch das Internet, einen Polizeihubschrauber abstürzen lässt, Poller durch die Motorhauben von Verfolgern jagt und schließlich mit einer Textnachricht die Werbetafeln verziert, die vermeldet: „gut gemacht“. Dies wäre ein bisher ungekannter Zuwachs an Glaubwürdigkeit einer offenen Spielwelt, schließlich müsste man hinter jeder der Figuren in der Spielwelt einen Eindringling vermuten. Und während man sich fröhlich durch die Welt hackt, müsste man sich ständig fragen, ob da nicht jemand einem über die Schulter sieht. Stimmiger könnte ein Spitzelszenario wohl kaum direkt in die Spielatmosphäre eingehen.
So schön diese Vorstellung auf den ersten Blick auch erscheint, stellt sich die Frage, was mit dem Spielerlebnis geschieht, wenn zu viel böswillig sabotiert wird. Wer sagt denn, dass nicht durch jemanden noch mehr Hubschrauber der Polizei angelockt werden, der Poller letztlich in der eigenen Motorhaube steckt und die Bildschirme „FU noob pwnd by PubiBoy2000 haxxor“zeigen. Oder schlimmere Beleidigungen, Werbespam und gar rassistische Ausfälle?
So könnte es auch dem Überraschten an der Kasse ergangen sein, der vielleicht ebenfalls einem Mitspieler auf den Leim ging. Die Laune, sich durch die Spielwelt zu hacken, könnte so deutlich geschmälert werden. Es erfordert ein erhebliches Feingefühl der Entwickler, hier ein gescheites Balancing zu erreichen, damit dieses Feature als Herausforderung verstanden wird und nicht als Belästigung. Für den fälschlich Angeklagten von der Kasse gibt es dann ja auch noch Hoffnung, schließlich könnte ein freundlich gesinnter Mitspieler ihn auf gleichem Wege wieder raushauen, wie er in die Zelle gelangt ist. Auch diese wird irgendwie vernetzt sein.
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2 Gedanken zu „NEWS: Hey, Watch Your Dog!“