KOMMENTAR: Bunkermentalitäten

Zwei Gamesredakteure werden von ihrer eigenen Chuzpe überrumpelt

Was könnte geeigneter sein, um meine neue Tätigkeit in der ->Public History an der ->Universität Hamburg einzuläuten, als sich mit dem jüngsten Aprilscherz zweier Branchenveteranen zu befassen, die schon geraume Zeit über Videospiele berichten. Es könnte kaum ein besseres Beispiel dafür geben, wie relevant es ist, sich mit dem öffentlichen Gebrauch von historischen Zusammenhängen in Medien allgemein und in der Gamesbranche im Speziellen auseinanderzusetzen. Zudem passt das Datum, an dem ich meinen neuen Job antrat – und auch das ist wohl letztlich kein Aprilscherz gewesen (siehe ->IN EIGENER SACHE: Morgendämmerung vom 9. April 2014).

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Der Kanal SiegHain war zwar als Aprilscherz gemeint, erhielt jedoch so viel positives Feedback, dass er jetzt wohl doch auf Sendung geht. (SiegHain! Der neue Spielekanal / Kanal SiegHain via Youtube)

->Fabian Siegismund war lange Jahre ebenso gut gelaunter wie fundierter Redakteur bei der ->Gamestar, dem deutschsprachigen Flaggschiff im Videospielejournalismus. Mittlerweile kreuzt er auf ->Youtube unter anderem mit dem Format ->BattleBros. Er kündigte an dem von mir zunächst übersehenen Datum zusammen mit einem weiteren Youtuber einen neuen Kanal an. Dieser zweite im Bunde ist ->David Hain, der mit seinem Hauptchannel ->BeHaind recht erfolgreich ist und als einer der ehemaligen Moderatoren beim WebTV-Sender ->Giga dafür auch professionelles Rüstzeug mitbringt.

Nun wäre an dieser Nachricht nichts Besonderes, werden doch auf Webplattformen täglich neue Formate erfunden, um die Nutzer bei Laune zu halten. Wenn aber der angekündigte Kanal ->SiegHain getauft wird, die Moderatoren in Uniformen der Wehrmacht gekleidet sind, mit zeitgenössischen Pistolen hantieren und vor eine Bunkerkulisse gegreenscreent werden, seufzt der erinnerungskulturell geschulte Zuschauer zunächst einmal: „Achherrje!“ Zumal, wenn er so wie ich darauf hereinfällt und die Ankündigung für bare Münze nimmt.

Mein erstes Stirnrunzeln glättete sich jedoch, nachdem ich mir das Video mehrmals angesehen hatte. Die Vorstellung der beiden Moderatoren, die aufgegriffene Thematik und die Reaktionen von Zuschauern und Videospielern warfen einige bedenkenswerte Fragen an die deutsche Erinnerungskultur auf. Allein schon, weil dieser Trailer Anlass gibt, darüber nachzudenken, wandelte sich meine vormalige Skepsis zu vorsichtiger Unterstützung…

Natürlich ist es gerade bei einer Plattform wie ->Youtube ganz vernünftig, bei allen politischen und geschichtlichen Themen wach und vorsichtig zu bleiben, schließlich kann hier jeder nahezu beliebige Inhalte veröffentlichen. Auch wenn Erotik und nackte Körper deutlicher Sanktionierung durch die Betreiber unterliegen, wird in der Regel nackte Barbarei extremer Ideologien unter dem Placet der Meinungsfreiheit geduldet. Das ist natürlich gerade da hochproblematisch, wo Feinde der deutschen Verfassung ihre Thesen propagieren, der Gerichtsstand von Server und Anbieter jedoch weit im kalifornischen Ausland liegt.

Und so sollte man gerade auf einer solchen Plattform hellhörig werden, wenn islamistische Fundis, glatzköpfige Betonhirne oder linksextreme Politikverdreher Thesen zu Tagespolitik, Erziehung von Kindern, der Rolle der Frau, dem Holocaust und dem Dritten Reich publizieren. Man muss sich dann auch nicht wundern, wenn bei den meisten Nutzern die Sensibilität gegen rechte Parolen im Netz ziemlich ausgeprägt ist.

Augenblick

In dieses Umfeld platzte der als Scherz nicht wirklich erkennbare Spot. Fabian Siegismund und David Hain schlüpften in Uniformen deutscher Landser, um zwei deutsche Soldaten in einem angeblich jetzt erst wieder entdeckten Bunker zu verkörpern. Verwirrt und doch fasziniert nehmen sie daher moderne Erzeugnisse der Medienbranche in Augenschein und kommentieren sie. In Anlehnung an diverse nicht mehr ganz taufrische Scherze, die schon seit Jahren in der Gamingszene kursieren, ordnen sie zum Beispiel ->Call of Duty: Modern Warfare in das Fantasy-Genre ein. Schließlich müsse es ein Paralleluniversum sein, würden Amerikaner die Deutschen auf dem Schlachtfeld besiegen.

Weitere Auszüge gefällig? Ein Soldat stellt fest, der Multiplayer-Shooter ->Team Fortress von ->Valve handele von einem deutschen Arzt, der seine Truppen zum Sieg führen würde. Das sei ausgezeichnet. Der andere wirft aber ein, dieser Arzt heile auch den russischen MG-Schützen, und er sei nicht sicher, ob das der Führer gutheißen würde. Als der eine dem anderen von dem Spiel ->Wolfenstein: The New Order (->Bethesda/->Machine Games) berichtet („Yeeeeeees, we like se title!“), muss er einräumen, dass sich dort ein weissrussischer Widerstandskämpfer seinen Weg durch Reihen von Wehrmachtssoldaten freischießt. Sein Ziel sei es, das Vaterland zu stürzen. Das versteht der andere nicht, denn warum solle irgend jemand den Bösen spielen wollen. Auch das iPhone bekommt sein Fett weg – es müsse sich um eine deutsche Geheimentwicklung handeln.

Das Ganze bekommt eine besonders merkwürdige Note dadurch, dass die beiden Soldaten die meiste Zeit englisch sprechen – mit betont aufgesetztem deutschen Akzent und eingestreuten deutschen Worten und Sätzen. Besonders befremdlich ist die englischsprachige Version, die als alternativer Trailer (siehe das eingebundene Video) veröffentlicht wurde. Als dann der Name des Kanals ->SiegHain erscheint, ist der Schriftzug natürlich auch noch mit dem Reichsadler garniert.

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Die vollständig englischsprachige Version des Trailers wirkt noch befremdlicher als das Original. (Sieg Hain! The Trailer / Kanal BattleBros via Youtube)

Ein Hantieren mit diesem Thema ruft eigentlich ebenso schnell falsche Freunde hervor, wie es kritische Hysteriker provoziert. In diesem Fall aber lief aber alles ganz anders. Es blieben die üblichen Massen an radikalen Hetzkommentaren aus, ebenso aber blieb auch die Armee der politisch Überkorrekten in ihren Kasernen. Im Gegenteil brandete eine Welle von unterstützenden Bemerkungen über die beiden überraschten Youtuber herein. Die interessierten Abonnenten summierten sich binnen Kurzem auf mehr als 15.000. Das ist schon eine beachtliche Leistung für einen Kanal, in den zu diesem Zeitpunkt außer dem besagten Video nichts weiter eingestellt war.

Blick hinter die Kulissen

Um zu entschlüsseln, was die Nutzer denn so an der Inszenierung fasziniert, sollte man das Video gründlich kontextualisieren. Besonders gilt dies, wenn man bewerten möchte, ob das denn nun ein geeigneter Umgang mit der deutschen Geschichte sei.

Wie wichtig das ist, kann man schon allein daran erkennen, dass der Name des Kanals ->SiegHain nur auf den ersten Blick eine bloße Effekthascherei ist, die sich an den damaligen deutschen Gruß anleht. Er ist eine ebenso passende wie hintergründige Kombination aus den Nachnamen der beiden Youtuber SIEGismund und HAIN. Damit wird greifbar, wie sehr dieses Projekt mit der Reputation beider in der Netzgemeinde und der Videospielebranche steht und fällt. Sie sind beide langjährig Redakteure von Fachmedien gewesen, die sich einer großen Bekanntheit erfreuen. Durch ihre dortigen Aktivitäten und Äußerungen haben sie sich einen Stand erarbeitet, der ihnen Glaubwürdigkeit und eine gewisse Seriosität verleiht.

Es handelt sich also nicht um irgendwelche nach Rampenlicht gierenden Hinterbänkler, die sich zuhauf bei Videoplattformen produzieren, sondern um bekannte, in gewisser Weise verlässliche Größen mit Reputation. Damit hängt vermutlich auch zusammen, dass nicht nur viele Zuschauer -auch ich – ihren Kanal zunächst als ernsthaft wahrgenommen haben, sondern diesen beiden Personen speziell auch zutrauen, ein solches Format als Satire zielsicher und einfühlend zu entwickeln.

Bekannt aus Film und Fernsehen

Denn die Thematik, ob und wie das Dritte Reich und seine Schergen in Kunst und Kultur aufgegriffen werden dürfen – und das ist ein offenes Geheimnis – ist hoch aufgeladen mit vielerlei Emotionen und Interessen.

Als Robert Harris 1992 mit seinem Buch ->Vaterland ein Paralleluniversum zeichnete, in dem ein alternder Hitler das Dritte Reich bis in die sechziger Jahre rettete, um nun auf seine alten Tage Friedensverhandlungen mit Kennedy einzuläuten, begegnete ihm teils heftiger Gegenwind. Harsch wurde zum Beispiel kritisiert, dass die Grundlage des Buches, die Bürger des Reiches hätten vom Mordbetrieb der Nazis nichts gewusst, Wind in den Segeln der Apologeten sei. Es würde all jene bestätigen, die schon immer behauptet hätten, man habe von der Ermordung der Minderheiten nichts wissen können.

Dabei war ja gerade der Ausgangspunkt von Harris Überlegungen ein leicht anderer. Er stellte die Frage, wie die Geschichte hätte verlaufen können, WENN die deutsche Mehrheit und vor allem das Ausland nichts gewusst HÄTTE. Der Spiegel traf daher 1992 auch in einer Rezension nicht den richtigen Tenor. Der Rezensent schrieb, es wäre Harris um die Frage gegangen: Was wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte? (->Holocaust für Horror-Freunde, in: Der Spiegel 39/1992 vom 21. September 1992) Auch in der Kritik an der theatralen Inszenierung des Stoffes durch Frank Castorf kommen daher noch fast zehn Jahre später weder Buch noch Bühne gut weg. (Siehe zu Buch und Inszenierung ->Peter Kuemmel: Albert Speer der Komik, in: Die Zeit 18/2000 vom 27. April 2000).

Man kennt aus dem Bereich des Films ebenfalls diese oft sehr angespannt und überladen geführte Debatte. Die Verfilmung des Buches ->Der Untergang von Joachim Fest im Jahre 2004 und hier auch besonders die Verkörperung eines abgewirtschafteten Hitlers durch Bruno Ganz wurden mit viel Lob bedacht. Sein Anspruch auf Authentizität aber, den Bernd Eichinger als Produzent nicht müde zu betonen wurde, sahen Historiker kritisch (Siehe ->“Ich halte mich an die Geschichte“. Interview mit Bernd Eichinger, in: Der Spiegel 17/2003 vom 19. April 2003 und die Kritik daran durch ->Michael Wildt: „Der Untergang“ – Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen 2/2005, H.1). Viele herangezogene Stimmen kritisieren den angeblichen Versuch des Filmes, die Deutschen von einer Kollektivschuld zu entlasten. Das Fehlen einer nichtdeutschen Perspektive trage obendrein noch dazu bei, Opfer nur in den durch den Film gezeigten Deutschen zu sehen. Das verschiebe unzulässig die Perspektive. Machtlos, so bedauerte Wildt, seien die differenzierten Deutungen von Historikern angesichts solch kraftvoller, bildmächtiger Inszenierungen.

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„Der Untergang“ provozierte ein weit auseinander gehendes Spektrum von Meinungen und gab Anlass zum Streit über Deutungshoheiten. (Downfall – Deutscher Trailer mit engl. UT / Kanal filmportal via Youtube)

Überladen ist meiner Ansicht nach diese Debatte vor allem deswegen, weil sie verschiedenen Genres historischer Publikationen nicht unterschiedliche Schwerpunkte zugesteht. Sie abstrahiert auch nicht unterschiedliche Grade dessen, was zum Beispiel Authentizität in einer wissenschaftlichen Publikation und einem publikumswirksamen Spielfilm jeweils bedeutet und unterscheidet. Nicht duldbar ist für Wissenschaftler oft, dass Deutungen von Laien in ihr Interpretationsregime hineinregieren. Dabei vernachlässigen sie, dass auch ihr textliches Medium Schranken hat, sie selbst nicht unangreifbar Narrative aus ihren Quellen konstruieren und zum Beispiel im Bereich der Emotionen und Mentalitäten Flanken offen lassen, die durch andere Medien geschlossen werden. Natürlich sorgt das Konstrukt von Vereinbarungen, was denn wissenschaftliche Arbeitsweisen seien, für eine gewisse Verlässlichkeit der historischen Ergebnisse. Dieser Konsens ändert jedoch nichts daran, dass es Bereiche gibt, für die es zum Beispiel keine Quellen gibt oder dass auch wissenschaftliche Arbeiten stets Interpretationen sind. Füllt ein Medium wie der Film diese Lücke plausibel, kann man ihm doch nicht ernsthaft ein Existenzrecht als Rekonstruktionsversuch absprechen.

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Die übliche Diskussion, ob man denn dürfe, was man da tue, musste sich besonders die Satire „Mein Führer“ von Regisseur Dani Levy gefallen lassen. (Mein Führer – Deutscher Trailer / Kanal filmportal via Youtube)

Noch viel problematischer wird es, besonders in der deutschen Erinnerungskultur, wenn Personen und Themen der nationalsozialistischen Herrschaftszeit als Satire verarbeitet werden. Am Prominentesten war in den letzten Jahren diese Auseinandersetzung sicher durch Dani Levy’s satirischen Film ->Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (2007) vertreten. Dieter Graumann, stellvertretender Vorsitzender vom Zentralrat der Juden in Deutschland, ging mit dem Film hart ins Gericht (->“Mein Führer“: Massive Kritik an Levys Hitler-Satire, in: Spiegel Online vom 9. Januar 2007), während Hauptdarsteller Helge Schneider enttäuscht war, dass er die Person Hitlers nach dem Schnittprozess nicht mehr als zentralen Schwerpunkt des Films wiederfand (->Helge Schneider: „Ich kann über diesen Hitler nicht lachen“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2010). Levy soll sich verteidigt haben, dass er den kompletten Umschnitt nur vorgenommen habe, weil das Testpublikum entsetzt von der Konzentration auf Hitler gewesen sei. Daraufhin habe er in einer neuen Schnittfassung der jüdischen Geschichte wesentlich mehr Raum gegeben. Diese Äußerung, die aus einem Interview am 8. Januar 2007 mit dem Sender ->3sat stammen soll, konnte ich leider nicht verifizieren (->Eintrag zum Film bei Wikipedia DE).

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In einem Gespräch mit der Deutschen Welle erläuterte Dani Levy 2007 seine Perspektive auf die Person Hitlers. (Journal Interview: Dani Levy – Regisseur / Kanal DW (deutsch) via Youtube)

Aufseiten der gedruckten Satiren erging es ->Timur Vermes 2012 wieder sehr ähnlich. Seinem Roman ->Er ist wieder da! liegt die Annahme zugrunde, Hitler selbst würde eines morgens in unserem Jetzt mitten in Berlin erwachen und auf die Medienbühne zurückkehren. Er stellt zur Diskussion, was wohl geschehen würde, wenn der Führer unfreiwillig von der Gesellschaft als Kabarettnummer missverstanden würde. Im Buch gelingt es ihm dadurch, wesentlichen Einfluss auf die Medienlandschaft zu erlangen – mit allen daraus folgenden Möglichkeiten politischer Geltungskraft. Man mag den Humor in dem Roman als sehr plakativ und wenig hintergründig empfinden, seine Bezeichnung als „plumpen Einfall“ (->Oliver Jungen: Diktator sucht Volk. Böses Erwachen – Die Hitler-Satire von Timur Vermes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. November 2012) ohne „literarische Qualität“ (->Cornelia Fiedler: Ha, ha, Hitler. Bestseller-Roman „Er ist wieder da“, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2013) ist jedoch schlichtweg verunglimpfend. Auch bei Fiedler spielt wieder herein, dass „sich der Autor dazu hinreißen [läßt], seinen Hitler als humorigen Gesellen zu zeichnen und das wirkt letztlich verharmlosend.“ Jungen findet „[d]er Führer ante portas […] kommt einfach viel zu sympathisch rüber.“

Es mag sein, dass man die dort gezeichnete literarische Führerfigur gelegentlich als sympathisch empfindet. Aber das Lachen über die Groteske entsteht weniger dadurch, dass die Wiedergeburt Hitlers unseren Zeitgenossen mit bekannten historische Zitaten im wunderbar übertragenen schwurbeligen Führerduktus entgegentritt. Es geht nicht um Sympathie für einen leicht verwirrten Gast fremder Zeiten, der sich putzig zu unserer modernen Welt äußert. Vielmehr entsteht die eigentliche bittere Satire dadurch, dass sich die deutsche Gesellschaft über Hitler als angeblichen Comedy-Newcomer amüsiert, der sich mit seinen Vorkriegsthesen frei an unserer Gegenwart und den politischen Akteuren abarbeiten darf. Das Romankonstrukt zeigt, wie anfällig unsere Medienlandschaften und wie hoffähig seine Parolen noch heute in unserer Gesellschaft sind. Zum zweiten Mal nimmt man ihn und seine Thesen nicht ernst. Vermes‘ Buch wird meiner Ansicht nach daher völlig unterbewertet.

Gaming The Past

Mit Abstrichen für das nicht verifizierte Zitat von Dani Levy zeichnen die obigen Ausführungen insgesamt ein genügend klares Bild davon, wie die Debatten um die mediale Inszenierung des Themas grundsätzlich strukturiert sind. Mein Beitrag aber handelt von einem Bestandteil der Erinnerungskultur, der vergleichbaren Regeln folgt und dessen Stellung ohne die umfassende Einbettung in das Gesamtbild nicht verständlich ist: dem Bereich der Videospiele. Bislang hat sich fachwissenschaftlich erst der Historiker Steffen Bender 2013 aus einer erinnerungskulturellen Perspektive mit der Darstellung der Weltkriegsphase in Videospielen befasst. Der Schwerpunkt seiner recht gelungenen Pionierarbeit ->Virtuelles Erinnern: Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen liegt darauf, einen Katalog von Phänomenen zusammenzutragen, die in Videospielen aufgegriffen werden – unter anderem angelehnt an Filmmotive.

Leider lässt er dadurch noch viele Fragen offen, die substantiell über eine solche Bestandsaufnahme hinaus führen würden. Seine Untersuchung kann nicht zeigen, welchen Einfluss die von ihm vorgefundenen Phänomene auf die Erinnerungskultur der Spielerschaft haben, welche Erinnerungkultur sich daher mit dem Gezeigten rückkoppelt und welcher Bedeutung die aktive Funktion des Spielers bei der Entstehung von Spielszenen bzw. Erinnerungsmomenten ist. Gezielte Arbeiten dazu, die Inszenierung des Dritten Reiches und seiner Akteure in Videospielen zu untersuchen und in Bezug zur deutschen Erinnerungskultur zu stellen, existieren bislang nicht.

Auch wenn eine Reflexion über den Umgang mit historischen Inhalten wissenschaftlich und journalistisch sowie in der Branche selbst viel zu selten vorkommt, sind Videospiele und die Spielergemeinde keineswegs ein zu vernachlässigender Anteil der Erinnerungskultur. Das hat sogar die Politik erkannt. Peter Tauber, Mitglied der Enquetekommission des Bundestages für „Internet und Digitale Gesellschaft“ und studierter Historiker, bemängelte jüngst, dass geschichtswissenschaftliche Analysen von Games weitgehend fehlen würden, in denen längst „das Aufgreifen und Verarbeiten von tradierten Geschichtsbildern […] gang und gäbe ist.“ (->Peter Tauber: „‚Alles nur ein Spiel‘ – zum Geschichtsbild in Computerspielen zwei Lektürehinweise“, in: Schwarzer Peter. Blog von Peter Tauber vom 14. Oktober 2013). Warum diesem Auftrag gerade von der historischen Fachwissenschaft im Gegensatz zu anderen Disziplinen nur so zögerlich nachgekommen wird, ist mir persönlich schon lange vollkommen rätselhaft (siehe hierzu ausführlich ->DGBL: Das Ende der Finsternis (Teil 1) vom 23. Oktober 2012).

Spielgesellschaft

Im Jahr 2013 spielte ein erheblicher Teil der Bevölkerung Videospiele, bei Weitem nicht mehr beschränkt auf pickelige Teenager in abgedunkelten Abbruchwohnungen – wenn das Klischee überhaupt jemals zutreffend gewesen sein sollte. Der ->Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. (BIU), neben dem Entwicklerverband ->G.A.M.E. der zweite große Verband der deutschen Branche, ermittelte in einer Befragung durch die ->Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Jahr 2013 Daten über den Spielemarkt. Über alle Altersgruppen spielten digitale Spiele 31,5 Millionen Menschen in Deutschland, 26 Millionen davon regelmäßig (siehe ->Archiv des BIU). Nach den Zahlen des ->Statistischen Bundesamtes (DSTATIS) lebten im Land 2013 ca. 80,6 Millionen Menschen. Der Anteil von Spielern beläuft sich daher auf beachtliche 40 Prozent. Für die Altersgruppe zwischen zwölf und 19 Jahren erhebt die ->JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-)Media) des ->Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MPFS) seit 1998 jährlich Daten. Der ->Bericht für 2013 stellt auf Seite 45 fest, dass von diesen Jugendlichen sogar 83 Prozent digitale Spiele auf verschiedenen Plattformen nutzen, 45 Prozent sogar regelmäßig. Es ist völlig eindeutig, dass Videospiele ein breites Spektrum der deutschen Gesellschaft erreichen.

Wie oben erwähnt, wächst der Anteil von Spielen mit historischen Anleihen am Gesamtmarkt ständig. Dies ist nur mein persönlicher Erfahrungswert, denn leider existieren dazu keine publizierten Zahlen. ->Angela Schwarz, Professorin für Neuere Geschichte in Siegen, fragte 2010 in einem Tagungsband „Computerspiele – Ein Thema für die Geschichtswissenschaft?“ (Angela Schwarz (Hg.): „Wollten auch Sie schon immer pestverseuchte Kühe auf ihre Gegner werfen?“ Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, Münster 2010; S. 7-28 / Vgl. auch die ->2. u. erw. Aufl. 2012). Sie stellte dort eigene Zahlen vor, die sie leider aber nicht in ein Verhältnis zum Gesamtmarkt setzte. Zudem legt sie mir nicht klar genug offen, was sie denn unter einem Spiel mit historischen Inhalten genau versteht. Zumindest aber belegen ihre Daten, dass „die Zahl der Neuerscheinung […] stetig gestiegen [ist], ihre Popularität kontinuierlich gewachsen“ (hier S. 10/11).

Ob Entwickler, die historischen Kontexten in ihren Spielen eine erhebliche Bedeutung einräumen, selbst über verschlossene Daten darüber verfügen, kann ich zur Zeit nur vermuten. Insbesondere bin ich schon lange auf der Suche nach belastbaren Zahlen, wie viele Spieler im Markt aus welchen Gründen an historisch inszenierten Spielen interessiert sind. Was verstehen sie unter Authentizität? Wollen sie unterhalten werden? Wollen sie etwas lernen? Mögen sie bloß die Optik vergangener Epochen? Was genau ist der Grund, weshalb Entwickler und Publisher immer wieder auf historische Zusammenhänge zurückgreifen? Alle diese Punkte sind ungeklärt und verlangen nach einer repräsentativen Konsumentenbefragung.

Angesichts dieser Zahlen wird durch die Geschichtswissenschaft fahrlässig vernachlässigt, welch gravierend prägendere Rolle als andere Bildmedien Videospiele für die Erinnerungskultur haben, weil der Nutzer aktiv handelnd und interaktiv partizipierend Geschichte erfährt. Diesen Umstand kann man gar nicht überschätzen, da somit die historische Inszenierung nur durch den Spieler und mit ihm zusammen integrativ und immersiv überhaupt erst zustande kommt.

Die Mikroepoche um den zweiten Weltkrieg ist eine sehr beliebte Phase bei Spieldesignern und Publishern. Auch in der Community ist sie mittlerweile wieder akzeptiert, nachdem sich zur Mitte der 2000er eine erhebliche Übersättigung eingestellt hatte. Oben sind bereits mit den Shootern ein paar bedeutende Beispiele wie ->Battlefield 1942 (Team-Taktik) oder ->Wolfenstein (Action) gefallen. Der Reihe ->Company of Heroes dient das Szenario zur Strategie in Echtzeit, in dem Adventure ->Operation Wintersonne kombinieren sich Spieler durch einen mit Rätseln gespickte Spionagethriller oder sie steuern in ->Silent Hunter deutsche U-Boote auf Feindfahrt. Mittlerweile sammeln sich sogar Millionen von Spielern weltweit auf den Servern von ->World of Tanks oder ->War Thunder, um in großen Schlachtfeldern mit Kriegsgerät der Vierziger Jahre aufeinander loszugehen.

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Von der Geschichtswissenschaft schlicht zur Kenntnis zu nehmen ist, dass auch Videospiele das Dritte Reich mittlerweile vielschichtig thematisieren. (Wolfenstein: The New Order / Kanal Bethesda Softworks via Youtube)

Die Genres sind aus geschichtswissenschaftlicher wie erinnerungskultureller Sicht für sich sehr interessant, funktioniert jedes doch nach speziellen Mechanismen, die jeweils die Möglichkeiten historischer Inszenierung bedingen. So ist es umso bedauerlicher, dass eine Aufsatzsammlung von 2009, die sich ausdrücklich mit öffentlichen Darstellungen des Nationalsozialismus außerhalb der Geschichtswissenschaft befassen will, ausgerechnet den Bereich der Videospiele vollkommen ausklammert (Frank Bösch / Constantin Goschler (Hg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt a.M. 2009).

Kanalisiert

Doch, so aufschlussreich eine Beschäftigung damit wäre, geht es an dieser Stelle nicht um die Spiele selbst. Vielmehr soll der Bogen zurück zu dem entstehenden Videokanal ->SiegHain und der Gemeinschaft der Spieler außerhalb der Spiele geschlagen werden. Dabei ist natürlich problematisch, irgendwelche tiefschürfenden Aussagen treffen zu wollen, wenn Literatur dazu nicht existiert, wie diese Gemeinschaft erinnerungskulturell zu greifen ist.

Abb.: Die Diskussion zu dem angekündigten Kanal auf Youtube verlief bemerkenswert reif und differenziert. (Abb.: eigene Screenshot-Collage ausgewählter Kommentare bei Youtube)
Abb.: Die Diskussion zu dem angekündigten Kanal auf Youtube verlief bemerkenswert reif und differenziert. (Abb.: eigene Screenshot-Collage ausgewählter Kommentare bei Youtube)

Die Community aber, die sich ->unter dem Video in Kommentaren geäußert hat, lässt schon erste Rückschlüsse darauf zu. Die Diskussion war getragen von einer bemerkenswert sachlichen Auseinandersetzung darum, ob und in welcher Form ein solcher Spielekanal oder Videospiele an sich so mit der Geschichte umgehen dürfen oder nicht. Trotz anonymer Usernamen ließen sich unter den knapp 1000 Beiträgen nur vernachlässigbar wenige Personen zu unqualifizierten Ausfällen hinreißen. Unter den lesenswerten Kommentaren der Mehrheit zeigten sich ähnliche Bedenken wie bei den oben genannten Beispielen auf Film und Papier, wohingegen die Befürworter Charly Chaplins ->Der Große Diktator, Vermes ->Er ist wieder da! oder andere Medienerscheinungen als legitimierend heranzogen. Deren Tenor war, dass es sich bei dem Youtube-Kanal erkennbar um Satire handele, die – wie die dortige Diskussion ausweise – zum Nachdenken anrege.

Aber die Gegner nennen im Gegensatz zu anderen Medien noch ein anderes Argument, warum Videospieler und Videospiele sich aus solchen Debatten lieber herausgehalten werden sollten. Der in den 2000ern häufig pauschalisierte Vorwurf von Medien und Instituten wie dem ->Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), dass Videospiele Jugendliche verrohen und verdummen würden, manifestierte sich damals unter dem Label „Killerspiele“ (siehe für einen Überblick die Webseite ->Stigma Videospiele). Einige Nutzer, die das Video kommentierten, fanden es höchst schädlich, dass Siegismund und Hain mit ihrem Beitrag Pulver auf die Flinten eben dieser Gegner von Videospielen liefern würden. Das ist eine Besonderheit des medialen Diskurses um die NS-Thematik, weil dies Film, TV und Büchern in diesem Kontext niemand ernsthaft unterstellen würde. So rückte Fabian Siegismund in einer Antwort auf einen Kommentar dieses Bild sehr treffend zurecht, wie ein Auszug aus dem Wortwechsel nachstehend dokumentiert.

Abb.: Siegismund (BattleBros.) verteidigte, dass Videospiele ein Kulturgut sein wie jedes andere und ein Recht auf Satire bestehe (Abb. eigener Screenshot der Kommentare bei Youtube)
Abb.: Siegismund (BattleBros.) verteidigte, dass Videospiele ein Kulturgut seien wie jedes andere und ein Recht auf Satire bestehe (Abb. eigener Screenshot der Kommentare bei Youtube)

Die große Nachfrage und bestätigenden Kommentare zu dem Video – und das ist die eigentliche Pointe zu dem Spot – führt jetzt tatsächlich dazu, dass ->SiegHain als sporadisches Format auf Sendung gehen wird. Ein Aprilscherz als Wiedergänger, wer hätte das gedacht. Bei den beiden Moderatoren scheint mir ein solches Format in guten Händen zu sein, wie ich oben begründete. Natürlich: Man kann der Meinung sein, der gespielte Witz sei keine wirklich tiefgründige Satireform. Letztlich aber hat über die Satire nicht zu entscheiden, ob sie jedem schmeckt. Einzig wichtig ist, dass sie keine verfassungs- und strafrechtlichen Belange verletzt und Opfer nicht verunglimpft. Mir scheint das hier nicht der Fall zu sein.

Dass sich jedoch so ein Kanal bildet, und seine Moderatoren sich wie die Kommentatoren sachlich mit dem Video, mit der deutschen Geschichte und auch miteinander auseinandersetzen, zeigt, dass auch Videospiele sich in einen Diskurs setzten lassen, der dem etablierterer Medienformen in nichts nachstehen muss. Wie oben dargestellt, gibt es viele Ansatzpunkte, um den Themenkomplex des Dritten Reiches und seiner Akteure bei Videospielen sehr ähnlich dem Diskurs bei Filmen und Büchern in eine umfassendere Betrachtung der Erinnerungskultur einzubeziehen. Und doch habe ich an einigen Stellen angedeutet, dass digitale Spiele aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften wie Interaktivität, Partizipation und Immersion auch erinnerungskulturell anders zu diskutieren sind.

Siegismund fordert in einem seiner Kommentare (s. Abb.), man habe in der Gesellschaft endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass Videospiele kein „Kinderkram“ mehr seien. Was hier in Bezug auf die Medienformate gemeint ist, muss man aber auch der Geschichtswissenschaft mit auf den Weg geben. Besonders in Deutschland, das ja auch gern mit der Trennung von Belletristik und Trivialliteratur kokettiert, herrscht unter vielen Historikern noch immer eine nasenrümpfende Abwehrhaltung. Angesichts der Bedeutung dieser Medienform für breite Schichten der Gesellschaft, ist unter etablierten Historikern in den vergangenen Jahrzehnten beschämend wenig unternommen worden, diesen Faktor der Erinnerungskultur fachlich nachzuvollziehen.

Dabei fehlt es nicht an Einzelfallanalysen, sie entstehen jedoch oft im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten des akademischen Ausbildungsprozesses. Damit sind sie natürlich in ihrem Umfang wie in ihrer Tiefe sehr beschränkt und rangieren unterhalb des Radars der institutionalisierten Wissenschaftslandschaft. Gerade, weil hier zunächst eine breite Bestandsaufnahme vonnöten wäre, sind dies eigentlich Arbeiten, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten in den Diskurs einzubringen sind.

Seit Jahren weise ich auf die hier beschriebenen Defizite hin. Daher begrüße ich es außerordentlich, wenn nun Fabian Siegismund und David Hain mit ihrem neuen Sendeformat einen Anstoß aus einer anderen Richtung geben – nämlich der des Untersuchungsgegenstandes selbst. Sie haben es geschafft, eine offene Flanke der historischen Wissenschaft aufzuzeigen. Wenn diese beiden also demnächst wieder in den Bunker hinab steigen, wird es höchste Zeit für die Geschichtswissenschaft ihren Bunker endlich zu verlassen.

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