IN EIGENER SACHE: Morgendämmerung

Anbruch einer neuen Zeit für mich, für dieses Blog und für den Fachbereich Geschichte

Noch vor einem Vierteljahr schrieb ich in meinem Fazit über die letzten fünf Jahre, in denen ich dieses Blog bereits verfasse, dass es zu einem echten Jubiläum wenig Grund zum Feiern gebe (->IN EIGENER SACHE: Verbündete in dünner Luft vom 7. Januar 2014). Vielen Problemen, die ich sowohl in der Games-Branche als auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Videospielen sehe und in persönlichen Gesprächen oder offiziellen Vorträgen immer wieder artikuliert habe, sei nur sehr zäh und schleppend beizukommen. Es war kein besonders euphorisches Fazit von fünf Jahren Arbeit, wie man sich denken kann.

Im Verhältnis der Branche zu Forschung und Lehre liegen diese Schwierigkeiten jedoch nicht daran, dass etwa die Berührungspunkte zwischen den Bereichen zu gering wären. Seit Jahren zeigen neben den Medienwissenschaften auch Disziplinen wie die Pädagogik, die Psychologie, die Wirtschaftswissenschaften und die Soziologie, dass es an Videospielen sehr wohl viel zu untersuchen und zu lernen gibt. Auf der anderen Seite prägen diese Wissenschaften bei den Entwicklern durchaus auch das Design der Benutzerführung, Wirtschaftssysteme in Simulationen oder die Hierarchien kaskadierender Lernprozessen.

Abb.: Eine Tür in eine ereignisreiche Zukunft wurde aufgestoßen - die Aussichten sind in unserem neuen Büro im Herzen des Universitäts-Viertels schon mal nicht schlecht (Abb. eigenes Foto)
Abb.: Eine Tür in eine ereignisreiche Zukunft wurde aufgestoßen – die Aussichten scheinen in unserem neuen Büro im Herzen des Universitätsviertels schon mal nicht schlecht (Abb. eigenes Foto)

Ausgerechnet aber die historische Wissenschaft hat hier einen schweren Stand – und das, obwohl eine große  Mehrzahl aller Videospiele über historische Inhalte inszeniert wird. Dieses Manko aber liegt nicht nur an den Entwicklern, Publishern und anderen Akteuren in der Gamesbranche, sondern vor allem auch an einer kuriosen Selbstbeschränkung der historischen Fachwissenschaftlern selbst, die Videospiele als Quelle und Publikationsform gering schätzen, vorschnell mit dem Medium Film gleichsetzen oder auch schlicht – und das ist eine erstaunliche Vielzahl – keinerlei Kenntnisse über Videospiele als Gegenstand besitzen.

Mit meiner Anstellung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsfeld Public History, schenkt mir seit dem 1. April dieses Jahres der Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg großes Vertrauen, diese Defizite in den nächsten drei Jahren eigenhändig abzubauen. Neben meinen anderen Erfahrungsbereichen aus  bisherigen, beruflichen Tätigkeiten werde ich Studierende in Videospiele mit historischen Anleihen einführen, die Chancen und Risiken des Berufsfeldes aufzeigen, Rahmenbedingungen der Spiele-Entwicklung und verschiedene Formen von Prozessen und Vermittlungsmethoden in diesem Medium verdeutlichen.

Aber auch darüber hinaus stehen einige Überraschungen bevor, die mich nun doch geradezu euphorisch meiner neuen Tätigkeit entgegenfiebern lassen. Wie viel ein Vierteljahr doch ausmachen kann…

Dem Bereich Public History liegt ein sehr innovatives Konzept zugrunde, nach dem die Studierenden Projektkurse absolvieren, die von Seminaren zu Methoden und Theorien flankiert werden. Ich hoffe stark, dass ich hier auch endlich Akteure der starken Hamburger Games-Branche für gemeinsame Projektarbeiten gewinnen kann. Hatte ich zuvor immer nur als Privatmensch dafür geworben, mag jetzt vielleicht die institutionelle Anbindung Türen öffnen. Auch in die Zusammenarbeit mit der ->Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg setze ich große Hoffnungen, ist dort am Berliner Tor doch auch mit dem ->Games Master ein bewundernswert erfolgreicher Studiengang  eingerichtet – einer der wenigen Standorte der Ausbildung für die Branche in Deutschland und einer von noch viel weniger Standorten in der Ausbildung an erschwinglichen, staatlichen Hochschulen.

Ich hab schon an vielen anderen Stellen ausgebreitet, dass ich sehr bedauere, wie ablehnend ich die Games-Branche der (historischen) Wissenschaft gegenüber erlebe. Aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus betrachtet, liegt der Grund für die verbohrte Perspektive der Wissenschaft auf die Wirtschaft und umgekehrt häufig in einer Mischung aus Ignoranz, Vorurteilen und mangelnder Offenheit gegenüber Denkmustern anderer Lebens- und Berufswelten. Obwohl ich mich also seit Jahren für einen Austausch zwischen der Geschichtswissenschaft und der Games-Branche einsetze und dafür viele fruchtbare Ansätze vorbringe, sind die Berührungsängste  immer noch sehr groß. Dabei gerät völlig in Vergessenheit, wie viele belebende Anreize aus der einen Welt, Chancen in der anderen Welt erzeugen können – zukunftsträchtige, innovative und auch wirtschaftliche.

Erst jüngst stemmte sich wieder ein Vertreter einer großen deutschen Fachhochschule, der sich selbst als Praktiker bezeichnet und seine Studierenden sehr erfolgreich zum Abschluss bringt, in einem Gespräch mit mir gegen jede Art von Beteiligung bzw. Einmischung durch Geschichtswissenschaftler. So mancher Entwickler auch in der freien Wirtschaft nimmt Historiker als undifferenzierte Prinzipienreiter und Oberlehrer wahr. Dieser Eindruck ist auch nicht ganz unberechtigt, sieht man auf die Äußerungen von Historikern in den letzten fünfzehn Jahre zurück. Es gibt selbst heute noch eine große Zahl von Vertretern der Geschichtswissenschaft, die Videospielen jeglichen Rang als legitimen Untersuchungsgegenstand der Fachdisziplin absprechen.

Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht auch andere Exemplare – wie zum Beispiel mich – unter Historikern gibt, die in Videospielen Chancen als Vermittlungs- und Publikationswege begreifen sowie neue Möglichkeiten und Perspektiven auf historische Inszenierungen werfen helfen, anstatt an falsch gesetzten Uniformknöpfen herumzukritteln. Auch in Hamburg, an meiner Heimatuniversität, hat sich nun der Wind seit dem 1. April deutlich gedreht, wurde ich doch dort für drei Jahre am Bereich Public History angestellt. Meine Anstellung geschah natürlich nicht allein wegen meiner langjährigen Beschäftigung mit Videospielen aus historischer Perspektive – aber doch zu einem erheblichen Teil auch deswegen. Public History ging aus den „Allgemeinen Berufsqualifizierenden Kompetenzen“ (ABK) hervor und ist nun ein völlig reformierter Bereich im Historischen Seminar der Universität Hamburg. Sie nimmt sich öffentlicher Darstellungen von Geschichte im inner- wie außeruniversitären Raum an, und betrachtet damit natürlich auch Videospiele als öffentliches Forum.

Der Bereich hat erstens auch weiterhin den Auftrag, Studierenden Berufsfelder zu erschließen, die mit dem Studienfach Geschichte zu tun haben. Zweitens wird neben klassischen, hilfswissenschaftlichen Fertigkeiten auch viel Wert darauf gelegt, moderne Arbeitstechniken zu erlernen – wie Blogs zu führen oder eine Webseite zu erstellen. Drittens aber, und darauf freue ich mich besonders, wird dieses Wissen nicht mehr abstrakt vermittelt, sondern als Teil von Projektkursen gemeinschaftlich mit Vertretern von Institutionen und aus der Wirtschaft entwickelt und durchgeführt. Vielfältige Beispiele hierfür weist das aktuelle ->Kommentierte Vorlesungsverzeichnis (KVV) des Historischen Seminars bereits aus.

In den kommenden Jahren werde ich dort Seminare zur Berufsfelderkundung und Projektkurse unterrichten.  In diesen Veranstaltungen werde ich vor allem für meine bisherigen Tätigkeitsfelder in Archiven, an Editionen, bei Bibliotheken und bei der historischen Grundlagenforschung zuständig sein. Zudem werde ich aber auch offiziell für Videospiele und ihre Kultur zuständig sein. Dies bedeutet – ohne jetzt den Eindruck der Vollständigkeit vermitteln zu wollen – dortige historische Inszenierungen aufzunehmen und in ihnen verwendete Methoden und Prozesse zu untersuchen. Es gilt die Bedingungen der Branche für die Spieleentwicklung zu erläutern und mit Entwicklern, Publishern und anderen Akteuren in Kontakt zu treten. Nicht zuletzt sind Trends, Techniken und Perspektiven zu überblicken und von anderen Medienformen verschiedene Erzählweisen (z.B. in Netzwerkstruktur) aufzuzeigen. Im Grunde – und deswegen freut mich dieser Bestandteil meiner Arbeit besonders – deckt sich dies im Wesentlichen mit dem, was ich von jeher in diesem Blog thematisiert habe, weshalb ich das auch weiterhin tun werde.

Darüber hinaus haben mein Kollege Thorsten Logge und ich jedoch noch viele weitere Pläne, die ich jetzt nicht in aller Breite ausführen kann (und noch nicht will). Zunächst einmal muss ich in Ruhe ankommen, den Bestand an Literatur und technischen Möglichkeiten aufnehmen und meinen Kurs sortiere. Ich muss zunächst Kontakte aufbauen und mir einen Überblick über die Arbeits- und Kooperationsmöglichkeiten schaffen. Erst gegen Ende des Aprils möchte ich mich nach und nach detaillierter zu den einzelnen Plänen äußern.

Einer der wichtigsten Aspekte aber ist, dass das historische Seminar uns den Auftrag erteilte zu prüfen, wie die Public History breiter aufgestellt werden kann – man ist sehr interessiert daran, sie zu einem wichtigen Element des historischen Seminars an der Universität Hamburg zu entwickeln. Dabei sind Videospiele neben zum Beispiel Theaterstücken, Film und Dokumentationen, Radiosendungen, Literatur und Gedenksteinen wesentliche Bestandteile, die Geschichtsbewusstsein und Erinnerungskulturen in der Gesellschaft prägen. Sie alle sind als Phänomene gesellschaftlich und öffentlich wirksamer Repräsentationen der Geschichte zu berücksichtigen.

Daher werde ich neben den normalen Aufgaben und dem Unterrichtsprogramm zunächst eine AG Games mit Studierenden – von Bachelor- über Master-Studierenden bis hin zu Promovierenden – ins Leben rufen. Um aber treffsicher zu untermauern, wie Videospiele genau mit historischen Elementen umgehen, haben Historiker meist – wenn nicht bereits geeignete Konsolen und PCs als Abspielgeräte fehlen – auch keine geeigneten Aufzeichnungsgeräte. Daher haben Thorsten Logge und ich gemeinsam im vergangenen Winter ein Konzept ausgearbeitet, ebensolche technischen Geräte sinnvoll zu kombinieren. Bei der Fakultät der Geisteswissenschaften haben wir es eingereicht und waren sehr erfreut, dass die Fakultät dem Antrag zugestimmt hat. Dadurch wird es nun bald erstmals für angehende Historiker möglich sein, nicht nur über Spiele zu reden, sondern Szenen gezielt nachzustellen, aufzuzeichnen und zum Beispiel auch für Qualifizierungsarbeiten im Studium zu verwenden. Dies sind wesentliche Voraussetzungen, um akademisch professionell über Videospiele zu arbeiten. Dazu gibt es Ideen, eine Datenbank dieser Aufzeichnungen aus historischer Perspektive zu errichten.

Bis zu meiner festen Anstellung vor einer Woche aber konnte ich natürlich noch nichts näher konkretisieren. Was ich hier angerissen habe, sind aber schon genügend Pläne, um mich neben meinen regulären Aufgaben für das kommende Jahr gut auszulasten. Das ist eben das schöne, wenn die Morgendämmerung in den Tag übergeht: Man kann sich intensiv dem Tagewerk widmen. Was ich auch tun werde – und in diesem Blog beizeiten davon berichten.

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