IN EIGENER SACHE: Verbündete in dünner Luft

5 Jahre KEIMLING und wenig Grund zum Feiern

Wer einmal Bergwandern war, der kennt das Phänomen. Im Aufstieg bleibt oft die Luft weg, und je höher man kommt, umso mehr wirkt man wie ein auf das Land geworfener Fisch. Die dünne Luft lässt nach Atem ringen. Was einem jedoch niemand – wohl aus taktischen Gründen – zuvor sagt, ist, dass der Abstieg noch viel anstrengender wird. Ständig stemmt man sich dagegen, durch zu großen Schwung ins Rutschen zu kommen und tief hinabzurauschen.

2014 wird eine Zäsur - auf die eine oder andere Weise...
2014 ist eine Zäsur - auf die eine oder die andere Weise...

Als ich vor fünf Jahren mit den ersten Beiträgen zu diesem Blog begann, hatte ich zwar nie blauäugig gedacht, mit meinem Anliegen auf höchste Gipfel der Games-Branche oder der Geschichtswissenschaft zu stürmen. Allerdings hätte ich auch nie erwartet, dass die Bretter auf beiden Seiten so dick zu bohren wären.

Dabei sind die Befunde immer noch dieselben wie 2009. Auf der einen Seite geht es mir nach wie vor mit meinem Blog um einen intensiven Diskurs über Innovationen in digitalen Spielen, die nicht notwendig etwas mit Geschichte zu tun haben müssen. Auf der anderen Seite hat sich noch immer ein bemerkenswerter Gegensatz nicht relativiert: Videospielen wird von historischer Seite immer noch nicht die nötige fachliche Aufmerksamkeit entgegengebracht, wohingegen die Entwickler zwar vermehrt, aber weitgehend unreflektiert das historische Feld beackern.

Zwar habe ich in diesem Blog viele über die Jahre Hintergründe zu einer Vielzahl von digitalen Spielen zusammengetragen und auch strukturell Strömungen und Spielprinzipien im historischen Kontext aufgezeigt. Die Zäsur, die jetzt nach dem Ablauf der ersten fünf Jahre eingetreten ist, lässt mich jedoch die Notwendigkeit erkennen, über die Informationen dieses Blogs hinaus mit diesen Befunden aufzuräumen. Ein neuer Ansatz muss dem zur Seite gestellt werden, da das Problem weit über die reinen Sachfragen an Videospiele hinausgeht…

Auch wenn mich von Kindheit an mit Videospielen eine große Leidenschaft verbindet, befasste ich mich seit 2006 zunehmend mit der Branche, ihren Akteuren, den Bedingungen der Produktion, ihren Innovationen und aus historischer Perspektive mit den Darstellungsweisen. Dabei stießen mir zwei Kernpunkte auf. Zum Einen reflektiert die Videospielebranche so gut wie gar nicht darüber warum Innovationen und historische Inhalte beim Spieler gut ankommen oder warum sie eben durchfallen. Dabei wird die Art und Weise der historischen Inszenierung überhaupt nicht hinterfragt. Zum Anderen machte und macht mich die Ignoranz auf fachwissenschaftlicher Seite rasend. So sehr man auch in Gesprächen und mit Vorträgen dagegen argumentiert, so weit verbreitet ist unter Historikern noch immer die Auffassung, mit Videospielen müsse man sich nicht befassen. Im Gegenteil ist sogar eine große Herablassung eher die Regel.

Meiner Ansicht nach ist dies ein großer Fehler, arbeiten doch Entwickler von Games zu einem stetig wachsenden Anteil mit historischen Szenarien und Figuren. Dass sich die Wissenschaft nicht mit ihnen befasst, ist nicht nur falsch, weil die von der Branche konzipierten Geschichtsbilder bereits jetzt die Erinnerungskultur eines weit breiteren und jüngeren Anteils der Gesellschaft prägen, als es Bücher und Filmdokumentationen je taten. Die historische Wissenschaft verpasst es dadurch auch, darüber in einen Dialog mit Entwicklern und Gesellschaft zu treten, die Geschichtsinszenierungen selbst zu untersuchen, ihre Aussagen über die heutige Zeit zu hinterfragen und Prozesse wie Mechaniken zu identifizieren, die strukturell Informationsprozesse beeinflussen und vielleicht sogar zu neuen Präsentationsformen in der Wissenschaft selbst inspirieren könnten.

Diese Ansichten habe ich seit 2006 zu vielen Gelegenheiten immer wieder vorgetragen, ab 2009 durch meine Beiträge in diesem Blog vielfach dokumentiert und mit vielen – positiven wie negativen – Beispielen untermauert. Dabei habe ich darauf geachtet, sowohl für Wissenschaftler verständlich zu bleiben, die sich in dem Sektor nicht auskennen, als auch für Entwickler, die große Distanz zur Wissenschaft aufweisen.

Gleichwohl ändert sich sehr wenig. Immerhin erschienen mittlerweile zwei wirklich ernst zu nehmende fachwissenschaftliche Arbeiten, die sich explizit des Umganges von Videospielen mit geschichtlichen Inhalten annahmen. Steffen Bender betrachtete die Inszenierungen von kriegerischen Konflikten in der virtuellen Erinnerungskultur von digitalen Spielen, Carl Heinze untersuchte Mittelalterbilder an einigen Beispielen. Leider bleiben sie bislang Exoten und auch den beiden Pionieren gäbe es noch einiges zu entgegnen. In diesem Forschungsfeld wurde allenfalls der erste Spaten gesetzt, gepflügt und bewirtschaftet ist es damit noch lange nicht. Bleiben die Bemühungen dabei stehen, wird das Feld keine Früchte tragen.

Es gilt, weitere zeitliche Phasen zu untersuchen, genretypische Eigenschaften, abstrakte Formen der Darstellung, die Folgen aus dem interaktiven, partizipatorischen Charakter – kurzum sind wir weit davon entfernt, im ersten Schritt ein belastbares Gesamtbild erarbeitet zu haben. Für den zweiten Schritt, daraus verallgemeinernde Erkenntnisse zu ziehen, wäre dieser Überblick aber eine notwendige Vorbedingung. Um dies zu erreichen, so wächst meine Gewissheit, kommt das Arbeitsfeld nicht ohne eine eigene Einordnung als fachliche Teildisziplin aus. Dafür tangiert diese Arbeit einfach viel zu viele Epochen, methodische Perspektiven der Inszenierung und schließt an zu viele Disziplinen wie die Medienwissenschaft oder die Lernpsychologie an, als dass man sie einfach beispielsweise einer neuzeitlichen Professur unterordnen könnte.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass man nicht einfach nur das Endprodukt „Videospiel“ betrachten kann. Fundierte Kenntnisse des Schaffensprozesses, der Arbeitsbedingungen, der Ausbildung, der Vertriebsstrukturen und, ja, auch der Geschichte der Branche sind notwendig, um die Historieninszenierung einordnen zu können und plausibel Verbesserungen vorzuschlagen. Das wird bei allen Versuchen vergessen, diese Medienform irgendeiner bestehenden universitären Struktur zuzuschlagen. Wegen der crossmedialen Beeinflussung zwischen Büchern, Theatervorstellungen, Filmen, Dokumentationen, Erinnerungsorten, der Tagespresse und anderem auf Videospiele empfiehlt es sich stark eine Disziplin aus der Taufe zu heben, die originär historisch ist, jedoch die Wechselwirkung mit den anderen Medienformen und den Akteuren der zugehörigen Branchen bewusst sucht. Eine besondere, an die deutschsprachige Wissenschaftskultur und die Ausbildungsstrukturen angepasste Form der im Ausland unter anderen Vorzeichen schon länger praktizierten „Public History“ muss dringend gefunden werden.

Daher sehe ich am Ende des fünften Jahres auch eine Zäsur für meinen Umgang mit diesem Thema im Rahmen des Blogs KEIMLING und in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Natürlich werde ich hier auch weiter Beiträge zu interessanten Aspekten des Arbeitsfeldes im Blog veröffentlichen, allerdings werde ich in diesem Frühjahr mit einigen Verbündeten in der Sache eine öffentliche Diskussion starten, um dem Ansinnen Gehör zu verschaffen. Dabei wird es natürlich wegen meiner Sicht und Erfahrung für den Anfang um Videospiele und Public History gehen. Dafür sammeln wir zur Zeit unsere Kräfte und planen, voraussichtlich eine Videoplattform zu schaffen, in der Akteure aus Wissenschaft und Branche dem Arbeitsfeld ein Gesicht geben und ihre persönliche Sicht darstellen können. Kommentarfunktionen werden dazu einladen, dass auch Dritte sich beteiligen können. In diesem Blog werde ich genauere Informationen zu gegebener Zeit veröffentlichen.

In diese Plattform setzen wir in der Tat die große Hoffnung, dass sich ein Bild einer spezifischen Marschrichtung ergeben wird, um die Einzelkämpfer zu vereinen. Denn, auch wenn man Verbündete hat, ist es empfehlenswert, ähnliche Vorstellungen über ein gemeinsames Ziel zu haben, bevor man denn lostrabt. Dies gilt besonders, wenn die Luft dünn ist und man sich gegen einen Abstieg stemmt.

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