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NEWS: Krämerseele

Grand Ages: Medieval verleiht dem Mittelalter Größe

Kurz vor dem Ende der Belagerung legt sich gespenstische Stille über das Heerlager. Kein Bewaffneter ist noch da. Nur ein paar abhängige Landgrafen scharren mit ihren Männern im Gefolge ungeduldig mit den Füßen. Vermutlich wären auch sie jetzt gern woanders. Der weit größere Rest des Aufgebots hat sich bei Nacht und Nebel davon gemacht. Da haben wohl alle Beschwörungen nichts geholfen, nur noch ein paar Tage auf den Sold zu warten. Verdammt, dabei wäre die belagerte Stadt als Knotenpunkt von mehreren Reichsstraßen und einem schiffbaren Fluss doch perfekt als Handelszentrum geeignet gewesen. Ach was, dann wird halt eine Gegenstadt gegründet.

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Mit einem Sprecher unter Valium springt Dramatik nicht recht über – zu unrecht, denn Grand Ages: Medieval ist eine der besten Wirtschaftssimulationen der letzten Jahre geworden. (Grand Ages: Medieval – Release Trailer (Deutsch) / Kanal Kalypso Media via Youtube)

Reichen die finanziellen Mittel nicht mehr aus, brechen angeworbene Truppen eiskalt jede Kampfhandlung ab. In ->Grand Ages: Medieval kosten militärische Auseinandersetzungen eine Menge Geld und Schweiß, und sind daher als Maßnahme nur im Notfall zu empfehlen. Grundsätzlich ist es natürlich keine schlechte Idee, ein paar Truppen auszuheben, die entlang von Handelswegen Wegelagerer aus ihren Rüstungen kloppen. Der Schwerpunkt des Spieles aber liegt eindeutig auf dem Handel unter und auf der wirtschaftlichen Entwicklung von Städten. Die mittelalterliche Krämerseele findet in der Wirtschaftssimulation des deutschen Entwicklers ->Gaming Minds Studios aus Gütersloh alles, was ihr Herz begehrt. Maximal fünf Handwerksbetriebe pro Stadt, je nach Häufigkeit gewisser Grundrohstoffe wie Kohle, Eisen oder Getreide die einen sinnvoller als die anderen, bilden automatisch Schwerpunkte im Handelsnetzwerk.

Und Europa wächst bei ->Grand Ages: Medieval nicht nur im spätmittelalterlichen Sinne zusammen, sondern auch spielmechanisch: Erstmals kann man sich frei auf dem Kontinent bewegen, allerdings sind dadurch die Ausmaße der Spielwelt schlicht gigantisch. Diese Weite kann einem das Spiel durch zu lange Wege vergällen, immerhin benötigen Reisende gerade zu Anfang außerordentlich viel Zeit über die Karte. Wem das zu zögerlich voran geht, der kann sich in der Vorauswahl auch auf Ausschnitte der Europakarte konzentrieren. Dennoch liegt gerade der Reiz darin, sich als aufstrebender spätmittelalterlicher Handelsfürst quer durch den ganzen europäischen Kontinent zu fräsen.

httpvh://youtu.be/h6JKoR9X3MI
Mit dem Charme einer Steuererklärung präsentiert sich auch der offizielle Tutorial-Trailer, der in die Spielmechaniken einführt. Dabei fesselt das hochkomplexe Gefüge des Wirtschaftens eigentlich sehr gut. (Grand Ages: Medieval – How to play Trailer / Kanal Kalypso Media via Youtube)

So sehr auch damit die bürgerliche Aufstiegsphantasie durch Reichtum inszeniert wird, leidet die Simulation dadurch an einem akuten Mangel religiöser Lebensweltlichkeit. Zumindest, wenn man tatsächlich das hohe und ausgehende Mittelalter als Maßstab anlegt. Keine Spur zum Beispiel findet sich vom so elementaren Stiftungswesen, das zwar auch der Versorgung Angehöriger diente, aber doch auch dem eigenen Seelenheil. Schön wäre gewesen, wenn Aspekte solcherart eingegangen wären. Schon ->Crusader Kings 2 zeigte 2012, dass die Adaption mittelalterlicher Verhältnisse auch spielmechanisch gewinnbringend sein kann, indem der Strategiegigant akribisch die europäischen dynastischen Verhältnisse von adeligen Häusern und ihr Prestige integrierte. Zum Beispiel unter Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse bei Kaufleuten hätte in ->Grand Ages: Medieval eine eindrucksvolle Spielwelt entstehen können, so aber ist sie lediglich enorm groß geworden. Denn abgesehen von der geografischen Weite erinnert das Spiel doch sehr an die Vorgänger ->Rise of Venice und ->Port Royale und ->Patrizier aus eigenem Hause.

Keineswegs macht dies ->Grand Ages: Medieval zu einem schlechten Spiel. Die ->Gaming Minds Studios verstehen ihr Handwerk und liefern ein ansehnliches Handelsspiel und eine fesselnde, rund laufende Wirtschaftsimulation aus, die hauptsächlich über die zeitgenössischen Waren und technischen Errungenschaften an die mittelalterliche Welt knüpft. Für eine mittelalterliche Erfahrung fehlen jedoch einfach zu viele Faktoren. Wenigstens führt die Weite der Landschaft vor Augen, wie groß die Distanzen zwischen Orten waren, wie beschwerlich das Reisen und wie gefährlich. Gerade das ständig bedrohte Leben auf den langen Handelsreisen entlang der Landstraßen macht aber deutlich, dass ->Grand Ages: Medieval ein sehr weltliches, städtisches, funktionales und an Glauben sehr armes Mittelalter inszeniert. Denn neben dem Profit war es letztlich der Glaube, der selbst einer Krämerseele die Kraft verlieh, diese Widrigkeiten auf sich zu nehmen, um ein paar Tuche im fernen Flandern zu verkaufen.

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IN EIGENER SACHE: Verbündete in dünner Luft

5 Jahre KEIMLING und wenig Grund zum Feiern

Wer einmal Bergwandern war, der kennt das Phänomen. Im Aufstieg bleibt oft die Luft weg, und je höher man kommt, umso mehr wirkt man wie ein auf das Land geworfener Fisch. Die dünne Luft lässt nach Atem ringen. Was einem jedoch niemand – wohl aus taktischen Gründen – zuvor sagt, ist, dass der Abstieg noch viel anstrengender wird. Ständig stemmt man sich dagegen, durch zu großen Schwung ins Rutschen zu kommen und tief hinabzurauschen.

2014 wird eine Zäsur - auf die eine oder andere Weise...
2014 ist eine Zäsur - auf die eine oder die andere Weise...

Als ich vor fünf Jahren mit den ersten Beiträgen zu diesem Blog begann, hatte ich zwar nie blauäugig gedacht, mit meinem Anliegen auf höchste Gipfel der Games-Branche oder der Geschichtswissenschaft zu stürmen. Allerdings hätte ich auch nie erwartet, dass die Bretter auf beiden Seiten so dick zu bohren wären.

Dabei sind die Befunde immer noch dieselben wie 2009. Auf der einen Seite geht es mir nach wie vor mit meinem Blog um einen intensiven Diskurs über Innovationen in digitalen Spielen, die nicht notwendig etwas mit Geschichte zu tun haben müssen. Auf der anderen Seite hat sich noch immer ein bemerkenswerter Gegensatz nicht relativiert: Videospielen wird von historischer Seite immer noch nicht die nötige fachliche Aufmerksamkeit entgegengebracht, wohingegen die Entwickler zwar vermehrt, aber weitgehend unreflektiert das historische Feld beackern.

Zwar habe ich in diesem Blog viele über die Jahre Hintergründe zu einer Vielzahl von digitalen Spielen zusammengetragen und auch strukturell Strömungen und Spielprinzipien im historischen Kontext aufgezeigt. Die Zäsur, die jetzt nach dem Ablauf der ersten fünf Jahre eingetreten ist, lässt mich jedoch die Notwendigkeit erkennen, über die Informationen dieses Blogs hinaus mit diesen Befunden aufzuräumen. Ein neuer Ansatz muss dem zur Seite gestellt werden, da das Problem weit über die reinen Sachfragen an Videospiele hinausgeht…

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DGBL: C.S.I. 1947

„L.A. Noire“ erweckt die Vierziger zum Leben – oder zum Tod

Man kann mich als Historiker für Vieles begeistern. Die Geschichte der Vereinigten Staaten am Ende der Vierziger Jahre gehörte bislang nicht dazu. Die grassierende Kommunistenphobie, gepaart mit einem überschwänglichen Patriotismus nach dem erfolgreich geführten Weltkrieg, gefällt mir ebenso wenig wie die rigiden gesellschaftlichen Verhältnisse in Bezug auf die Geschlechterrollen und die Rassenfrage oder die zur Schau getragene religiöse Inbrunst mit inquisitorischer Mentalität. Für mich stand diese Zeit immer für Orientierungslosigkeit, politisch und gesellschaftlich der Leerlauf vor dem Beginn einer Übergangsphase.

L.A. Noire ist nicht nur ein Game Noir, sondern vor allem ein Portrait der US-Nachkriegszeit (Quelle: Wallpaper / Offizielle Seite)
L.A. Noire ist nicht nur ein Game Noir, sondern auch ein Portrait der US-Nachkriegszeit. (Quelle: Wallpaper / Offizielle Seite L.A. Noir)

Auf das Detektivspiel ->L.A. Noire ließ ich mich daher nur ein, weil das Spielprinzip erfrischend innovativ ist, und ich keinem Open-World-Titel aus dem Hause ->Rockstar lange widerstehe. Der australische Entwickler ->Team Bondi besetzte zudem so ziemlich jede Sprechrolle mit realen Schauspielern und übertrug ihre Emotionen in bislang nie wieder erreichte Gesichtsanimationen. Nein, meiner Ansicht nach nicht einmal bei Willem Dafoe und Ellen Page, die den Charakteren in ->Beyond: Two Souls Ausdrucksstärke verliehen. Dabei ist die englische Sprachausgabe der Atmosphäre besonders zuträglich, merkt man doch gleich, dass Profis hinter dem Mikrophon standen. Deutsche Synchronsprecher hätten diese Qualität niemals erreicht; und sie hätten die Illusion wohl auch zerstört, in einem Abbild von Los Angeles unterwegs zu sein.

Erst die detaillierte Mimik und Gestik macht es zudem möglich, im Spiel eine wesentliche Polizeiarbeit zu verrichten: Befragungen von Zeugen und Verhöre von Verdächtigen durchzuführen, um Taten zu rekonstruieren und Lügner zu entlarven. Denn die Hauptfigur Cole Phelps, die der Spieler im Gutteil der Kampagne steuert, steigt im Polizeidienst der Stadt der Engel auf und fällt schließlich wieder sehr hart. Dabei muss er die Zeugenaussagen mit dem Auftreten und der Mimik der Befragten in Einklang bringen. Mit jedem Fall wird diese Aufgabe ein bisschen komplexer.



Zur Polizeiarbeit gesellen sich verwobene Handlungen mit historischen Hintergründen vor einer aufwändigen Rekonstruktion von Los Angeles. (Quelle: Orientation Trailer / Kanal Rockstar via Youtube)

Doch darüber hinaus ist die Inszenierung des Settings von Los Angeles in den Vierziger Jahren sehr überzeugend. Damit sind nicht nur die Nachbildungen historischer Gebäude wie des ->Hauptbahnhofs oder des Stadtarchivs gemeint oder die hundert (100!) historischen Fahrzeugtypen. Vielmehr macht sich das Spiel viele gesellschaftliche Themen der Zeit so gut zum Inhalt, dass es trotz aller Film-Noire-Allüren ein plausibles, einzigartiges Abbild einer kulturellen Teilsphäre der U.S.A. in der Nachkriegszeit erschafft…

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DGBL: Das Ende der Finsternis (Teil 4)

Potenziale mittelalterlicher Inszenierungen in digitalen Spielen


>>>Teil 1: Geschichte und die Forschung an Digitalen Spielen
>>>Teil 2: Die Schwierigkeiten mit der Geschichte als Inhalt
>>>Teil 3: Inszenierung militärischer Strategie
>>>Teil 4: Inszenierung wirtschaftlichen Aufbaus
>>>Teil 5: Inszenierung individueller Narration (in Vorbereitung)
>>>Teil 6: Inszenierungen des Mittelalters – Ein Zwischenfazit (folgt)

Wie das mittelalterliche Wirtschaften in digitalen Spielen dargestellt wird, zeigt der vierte Teil dieses Beitrags im Überblick und detaillierter am Beispiel Anno 1404.

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