Schlagwort-Archive: Diplomatie

NEWS: Nur der halbe Widerstand

Das Addon „La Résistance“ erweitert ‚Hearts of Iron IV‘ um Agenten und Widerstandskämpfer – schlingert dabei aber im Fahrwasser der eigenen Spielmechanik

Berühmt, und zugleich berüchtigt, teilen sich die Meinungen über das Globalstrategiespiel ->Hearts of Iron IV. Zum Zweiten Weltkrieg bietet ->Paradox Interactive wohl das komplexestes Zusammenspiel von Systemen in einer Weltkriegssimulation, die sich überhaupt auf dem Markt befindet. Auf einer strategischen Karte des gesamten Globus, nehmen die Spielenden das Schicksal eines beliebigen Staates in die Hand. Sie entscheiden, ob sie in die militärischen Auseinandersetzungen eingreifen. Oder ob sie sich gar mithilfe von Diplomatie und Bündnispolitik versuchen, aus dem globalen Krieg herauszuhalten. Im Gegensatz zu den Vorgängern verläuft der Krieg zudem sehr viel offener.

Der Ankündigungstrailer betont 2019 den französichen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, allerdings lassen sich die Mechaniken auch in anderen Konstellation anwenden – etwa im faschistischen Spanien unter General Franco. (Video: Hearts of Iron: La Resistance – Announcement Trailer #PDXCON2019, in: Kanal Paradox Interactive via Youtube, 19.10.2019)

Am 25. Februar nun erscheint mit ->“La Résistance“ eine Erweiterung, die Agenten, Widerstand und Besatzungsmechaniken hinzufügt. Sie schraubt damit die Komplexität der ohnehin schon schwierigen spielmechanischen Systeme noch weiter nach oben. So erlaubt die Ergänzung heimliche Maneuver mit Agenten bei gegnerischen Staaten auszuführen, mit Besatzern zu kollaborieren und Maßnahmen aus Besatzersicht, um Gebiete zu sichern. Im Laufe der Zeit können Spielende sich an historischen Vorbildern von Geheimdiensten versuchen. Sie können einen individuellen Spähverein aber auch nach eigenen Vorstellungen aufbauen.

Das Hauptspiel wird von den Einen für seine strategische Komplexität gerühmt, die unterschiedliche Spielweisen ermöglicht. Für die anderen erscheint die Reihe Hearts of Iron wegen des vermittelten Geschichtsbildes eher berüchtigt. Widerstand und Geheimoperationen bergen für diese Zeit erhebliche historische Herausforderungen, will man sie in einem Spiel umsetzen. Kollaboration und Partisanen, Widerstandskämpfer und feindliche Agenten definierten und behandelten die Kriegsparteien alle sehr unterschiedlich. Etwa faschistischen Deutungen sollte ein solches Addon besser nicht auf den Leim gehen…

Der spanische Bürgerkrieg bietet als Szenario wohlüberlegte Entwicklungspfade – von Faschisten über Royalisten hin zu Republikanern bis hin zu Kommunisten. Gleichwohl abstrahiert die Spielperspektive die katastrophalen Wirkungen auf die Menschen zu technischen und statistischen Entscheidungen. (Hearts of Iron IV – La Resistance – Spanish Civil War – Part 1, in Kanal: Paradox Grand Strategy via Youtube, 27.1.2020)

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INNOVATION: Gebietsreform

Überraschend macht eine Neuerung ‚Civilization VI‘ zum besten Reihenableger – trotz einer trotteligen KI

(PC (getestet) | OS X | Linux )

Hinterhältig rottet die englische Königin eine Angriffsallianz zusammen, und zwingt mir zum wiederholten Male ihre Kriege auf. (Abb. eigener Screenshot, PC)
Hinterhältig rottet die englische Königin eine Angriffsallianz zusammen, und zwingt mir zum wiederholten Male ihre Kriege auf. (Abb. eigener Screenshot, PC)

Die englische Königin verbreitet zum wiederholten Male Lügen über mich. Ist das zu fassen? Kaum ein Jahrhundert ist es her, dass ich ihr eine Lektion erteilte. Da durchbrachen meine Ritter mit aller Wucht die Verteidigungen an englischen Städten, nachdem Ihro Hoheit mit anderen Reichen eine Invasion einleitete – von allen Seiten. Dieses Mal entsende ich Panzer, sprenge mit der Artillerie Löcher in die englische Versorgung und lasse meine neuen Flugzeuge erste Angriffe fliegen. Meinem Vormarsch ist nichts entgegenzusetzen, also sollte ich mich freuen. Tue ich aber nicht, denn mich ärgern solch unsinnige Kriege. Dieser Waffengang lässt zwar im Spiel nur Zahlen schrumpfen, doch stehen sie für die sterbende englische Bevölkerung. Schon nach kurzer Zeit verlassen meine Einheiten das Nachbarland, und sichern nur noch die Grenzen, um einen Frieden auszuhandeln.

Eigentlich wollte ich dieses Mal absichtlich aggressiv spielen. Um die militärische Variante von ->Civilization VI zu testen – gerade entgegen meines bevorzugten Spielstils – baute ich eine leistungsfähige Wirtschaft auf, kräftige Produktion und wehrhafte Stützpunkte. Doch, so sehr ich mich auch bemühte, ständig fiel ich schon nach kurzen Gefechten in meine friedlichen Grundmuster zurück. Als Eroberer mache ich wohl keine gute Figur. Während andere sich fröhlich mit Atombomben bewerfen, scheue ich den Verlust an virtuellem Leben, die Zerstörung oder gar Verseuchung der Umgebung und die maßlose Verschwendung von Wohlstand.

httpvh://youtu.be/5KdE0p2joJw
Der Trailer zum Release inszenierte routiniert, aber stimmungsvoll verschiedene Eindrücke von historischen Momenten. Das spielehistorische Ausmaß des entscheidenden neue Infrastruktur-Programms für das Stadtumland ist jedoch der eigentliche Star des sechsten Teiles. (Civilization VI Launch Trailer | Kanal Sid Meier’s Civilization via Youtube)

Es waren schon immer ganz andere Aspekte als die Kriegerischen, die mich an der Reihe faszinieren. Kämpfe langweilen mich in der Regel eher. Sie halten mich nur von meinen eigentlichen Plänen für den Aufbau ab. Es liegt nicht daran, dass ich nicht auch anders könnte; etwa in der artverwandten Rundenstrategie von ->XCom: Enemy Unknown liebe ich die Herausforderung taktischer Rundengefechte sehr. Nur dreht sich für mich die Zivilisationsgeschichte eben um andere Paradigmen als kriegerische. Dabei gehe ich sicher nicht weniger expansionistisch vor, aber meist friedlich, vertraglich, mit Handel, wissenschaftlich stark und kulturell strahlend – diese Faktoren erscheinen mir als die eigentlichen treibenden Kräfte der menschlichen Geschichte. Irgendwie prägen sie dadurch meine Spielweise. Alles Andere erscheint mir als archaischer Rückfall.

SSo viel mehr als nur Kriegführung: Civilization VI bietet Wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Religion, arrangiert um eine blühende Stadtkultur. (Abb. eigener Screenshot, PC)
So viel mehr als nur Kriegführung: Civilization VI bietet Wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Religion, arrangiert um eine blühende Stadtkultur. (Abb. eigener Screenshot, PC)

 

Ein neues Konzept von ->Civilization VI unterstützt mich stärker denn je in meiner Spielweise. Das 2016 erschienene Strategiespektakel ist schon der sechste Haupttitel in der altehrwürdigen Reihe des Entwicklers ->Firaxis Games. Die runderneuerte Spielmechanik lenkt mich immer wieder – selbst in mutwilliger Zerstörungsabsicht – auf konstruktive Bahnen. Das liegt entscheidend an der neuen Relevanz des städtischen Umlands für alle Spielweisen. Nachvollziehbar beeinflussen sich die Landschaften mit der dortigen Infrastruktur, mit Gebäuden und zivilisatorischen Wundern – und alle gleichzeitig mit- und untereinander. Diese Gebietsreform macht ->Civilization VI aus historischer Sicht zu einem der besten, wenn nicht dem besten Teil der Reihe.

->Civilization VI gelang damit ein großer Wurf, den nach 25 Jahren kaum jemand noch von der routinierten Reihe erwartet hatte. Und es gibt noch mehr Faszinierendes zu entdecken. Allerdings auch Problematisches… und das ist nicht allein die Erfindung der Künstlichen Unintelligenz.

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INNOVATION: Battlefield Won

Mit ‚Battlefield1‘ machen die Entwickler nicht alles am Ersten Weltkrieg richtig, aber doch Vieles besser

(PS4 | XBoxOne | PC (getestet))

Die Alarmpfeife tönt hell durch einen leicht nebeligen, doch freundlichen Morgen in Frankreich. Es ist bemerkenswert ruhig dafür, dass noch vor wenigen Stunden heftige Artilleriesalven Gebäude zersprengt und den Erdboden zerpflügt haben. Blicke ich mich um, kauern überall hinter zerborstenen Mauerresten und wellenförmig aufgepflügten Schlammhügeln Soldaten. Es sind Menschen, die der Krieg bereits verbraucht hat. Von einer heroischen Stimmung ist hier nichts zu bemerken. Durch die Alarmflöte bricht hektische Unruhe aus, und jemand brüllt, dass die nächste Gegnerwelle sehr schnell vorrücke. Kurz darauf erscheinen sie auch schon, strömen überall um die notdürftigen Barrikaden herum und eröffnen das Feuer. Dieser abrupte Einsatz überrumpelt mich selbst hinter dem sicheren Monitor etwas. Die Parole lautet, unsere Stellung zu halten, komme da, was wolle. Der Rest ergibt sich völlig unkoordiniert. Soldaten sprinten von Seite zu Seite, Getroffene schreien, schockierte Gestalten wanken ungedeckt durch das Grauen in die morgendlichen Nebelbänke hinein.

httpvh://youtu.be/c7nRTF2SowQ
Mit ‚Battlefield 1‘ dringt die Blockbuster-Reihe in den Ersten Weltkrieg vor und hat hinter der brachialen Oberfläche einige neue Ideen im Gepäck. (Battlefield Official Reveal Trailer | Kanal Battlefield via Youtube vom 6.5.2016)

Dann stehe ich plötzlich ungünstig, meine Deckung zerbirst und von mehreren Seiten erwischen mich Kugeln. Das Bild ergraut, der Name eines Soldaten erscheint und seine Lebensjahre: 1898-1918. Schon gleitet die Kamera über das Schlachtfeld in den nächsten Körper, den eines MG-Schützen. „Viele von uns kamen, und dachten, dieser Krieg wäre ein Reiferitual, ein großes Abenteuer“, murmelt währenddessen eine Stimme. „Es war kein Abenteuer.“ Mit dem Sturm der Kugeln aus dem Lauf des automatischen Gewehres klingt für einen Moment die Allmachtsphantasie des Shootergenres an, als Feind um Feind meinen Schüssen zum Opfer fällt. Dann folgen überraschte Schreie, eine Granate und das brennende Meer eines Flammenwerfers. Ich bin überfordert, wähle den falschen Weg und sehe erneut den Namen einer anderen, kaum älteren Seele, die in dem Massensterben erlosch. Eine neue Kamerafahrt folgt, ein anderer Teil des Schlachtfeldes, ein anderes Leben, dass ich nicht bewahren kann.

Kaum ein Shooter hat sich je so intensiv und fesselnd eines der beiden Weltkriege angenommen, wie es das fünfte ->Battlefield 1 inszeniert. Die verwirrende Benennung begründeten die schwedischen Entwickler von ->Digital Illusions (DICE) damit, dass der Erste Weltkrieg die Ära des industrialisierten Massenkrieges einläutete und damit der erste moderne Krieg sei. Eine zweifelhafte Ehre, sicherlich, aber eine nachvollziehbare Entscheidung. Sicherlich verdankt dieser fünfte Teil der Battlefield-Reihe seine innovative Inszenierung auch dem Umstand, dass andere Medienformen wie der Film hierfür weder die Bildsprache, noch ikonische Szenen oder patriotischen Heldenmythos geprägt haben. ->Battlefield 1 malt also auf einer weitgehend blanken Leinwand, und das gelingt ihm recht gut.

httpvh://youtu.be/TNmxLje9wes
Dass es durchaus eine große Vielfalt gibt, mit der man den ersten Weltkrieg inszenieren kann, zeigte 2014 Ubisofts 2D-Action-Adventure ‚Valiant Hearts: The Great War‘ an einer beeindruckenden Familientragödie. (Valiant Hearts: The Great War – Come Back Trailer [US] | Kanal Ubisoft via Youtube vom 7.5.2014)

Ganz leer aber ist die Palette nicht, seit 2014 das rätselseichte französische Action-Abenteuer ->Valiant Hearts: The Great War eine neuartige Perspektive auf den Ersten Weltkrieg entwarf (siehe ->INNOVATION: Zersiebt, verlobt, verheiratet vom 6. Oktober 2014). Ähnlich wie dort wirft ->Battlefield 1 Schlaglichter auf einzelne Schicksale von Frontkämpfern. Nur sind diese nicht wie im Vorbild von 2014 untereinander verbunden, wie die vom Krieg auseinander gerissene deutsch-französische Familie und ihre Freunden. Bei dieser symbolhaften Inszenierung verschiedener Soldatentypen versucht das Spiel betont unpolitisch zu bleiben, bettet auch deswegen wohl die Kampfhandlungen nicht in einen größeren historischen Kontext ein.

httpvh://youtu.be/C-vAxVh8ins
Anstelle einer großen Kampagne inszeniert ‚Battlefield 1‘ nun mehrere packende Einzelschicksale in kleineren Happen, die jedoch wenig zusammenhängen, aus sehr besonderen Erinnerungen entspringen und kaum kontextualisiert werden. (Battlefield 1 Official Singleplayer Trailer | Kanal Battlefield via Youtube vom 27.9.2016)

Das ist ein großes Problem des so massenwirksamen Games-Produktes, selbst wenn die menschenverachtenden Entscheidungen der Generalität und die grausamen Konsequenzen für die Bodentruppen beklemmend eingefangen werden. Vielleicht ist es Ihnen beim Lesen der von mir ausgebreiteten Szenerie aufgefallen: Weil die Handlungen kaum in den historischen Kontext eingebunden werden, musste ich auch nicht erwähnen, auf welcher Seite ich spiele – es spielt kaum eine Rolle. Dennoch hebt ->Battlefield 1 kriegerische Inszenierungen in Shootern auf ein ganz neues Niveau. Brachial, packend, bedrückend und bemerkenswert einfühlsam denkt sich das Militärspektakel in den Ersten Weltkrieg hinein. Dafür sind einige Versatzstücke verantwortlich, die ich in diesem Artikel differenziert beleuchte. Aber, mal ehrlich: Wer hätte schon allein das einem Shooter zugetraut…

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DGBL: Das Ende der Finsternis (Teil 4)

Potenziale mittelalterlicher Inszenierungen in digitalen Spielen


>>>Teil 1: Geschichte und die Forschung an Digitalen Spielen
>>>Teil 2: Die Schwierigkeiten mit der Geschichte als Inhalt
>>>Teil 3: Inszenierung militärischer Strategie
>>>Teil 4: Inszenierung wirtschaftlichen Aufbaus
>>>Teil 5: Inszenierung individueller Narration (in Vorbereitung)
>>>Teil 6: Inszenierungen des Mittelalters – Ein Zwischenfazit (folgt)

Wie das mittelalterliche Wirtschaften in digitalen Spielen dargestellt wird, zeigt der vierte Teil dieses Beitrags im Überblick und detaillierter am Beispiel Anno 1404.

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