Unter Protest verlässt die Gamestar die Jurys des Deutschen Computerspielpreises
Die Vereinten Nationen sind eine klasse Sache. Hunderte Vertreter von Staaten diskutieren und verhandeln Streitereien, anstatt untereinander mit Panzern die Grenzen unsicher zu machen. Räte und Kommitees einigen sich auf Verfahrensregeln, um die besten Lösungen für politische Probleme zu finden, Resolutionen zu beschließen, weltweite soziale Fragen anzupacken oder kulturelle Orte zu ehren. Eine wirklich feine Sache.
Nun, bis wirklich ernste Probleme auftreten jedenfalls, bei denen Sicherheitsinteressen der großen Weltmächte berührt sind. Dann sitzen diese nämlich im Sicherheitsrat zusammen und beratschlagen über die Köpfe aller anderen hinweg, was denn zu tun sei. Besonders problematisch ist diese Sondertruppe dann, wenn eine Sicherheitsmacht das Gefühl hat, es solle in ihrem eigenen Vorgarten gekehrt werden. Dann mögen sich alle anderen so einig sein, wie sie auch immer wollen, dieses Land kann mit sturem Veto jede Maßnahme bequem verhindern. Gerade jüngst wurde diese Fehlkonstruktion wieder in der Ukraine-Krise deutlich; von Syrien ganz zu schweigen.
- Der Show-Reel von den Nominierten zum DCP2014 zeugt von einer großen Vielfalt der Games-Kultur in Deutschland. (Nominierte Deutscher Computerspielpreis 2014 / Playlist via Youtube)
Erstaunlich viel hat diese perfide Organisationsstruktur neuerdings mit dem ->Deutschen Computerspielpreis (DCP) zu tun, nachdem die Jurys – wohl nach dem Geschmack besonders konservativer Kräfte in der Politik – in der Vergangenheit viel zu unabhängige Entscheidungen trafen. Eine befremdliche Vetokonstruktion wurde daraufhin dem Preis in die Satzung geschrieben, welche die Sinnhaftigkeit der gesamten Veranstaltung infrage stellt. Zwei bekannte Journalisten der ->Gamestar, des deutschen Flaggschiffs für Spieleberichterstattung, haben aus diesem Grund ihre Jurytätigkeit niedergelegt. Und das nur wenige Tage vor der Verleihung des DCP2014 am 15. Mai 2014. Diese Entscheidung machten sie in einem ausführlichen Videostatement öffentlich.
- Aus Protest warfen am 13.5. Heiko Klinge und Andre Peschke dem Deutschen Computerspielepreis ihre Jurymitgliedschaft vor die Füße. (Absage an den Deutschen Computerspielpreis – Stellungnahme / Kanal Gamestar via Youtube)
Obwohl der DCP zum ersten Mal erst 2009 aufgelegt wurde, hat er bereits mehrmals veritable Skandale produziert. Mittlerweile wirft die Skandalserie die Frage auf, ob die innere institutionelle Struktur der Veranstaltung nicht eher ihrem Zweck abträglich ist. In meinen Augen haben ->dieses Jahr die Gewinner zwar ihre Trophäe in der Tat alle sehr verdient. Besonders gefreut hat mich, dass die Kollegen des ->Games-Master an der ->Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg auch dieses Jahr wieder einen Preisträger hervorbrachten: ->Scherbenwerk – Ein Bruchteil einer Ewigkeit beerbt damit das letztjährige Gewinnerprojekt in der Nachwuchskategorie mit dem Namen ->GroundPlay.
Das ändert jedoch nichts daran, dass es prinzipiell hochproblematisch ist, was sich dort beim Videospielepreis zwischen progressiven Förderern und restaurativen Bremsklötzen zusammenbraut. Für Videospiele an sich, für die Branche und die Politik, aber vor allem für die Wertigkeit von digitalen Spielen als wichtige Kulturprodukte in Deutschland ist dieser eigentlich überwunden geglaubte Weltenkampf sehr bedenklich…
Der DCP hat von Anfang an eine skandalträchtige Geschichte, die aus seinen politischen Intentionen hinaus folgt – denn diese ergeben sich wiederum aus den seiner Finanzierung. Die Preisgelder kommen nach einem Bundestagsbeschluss vom 21. Februar 2008 hälftig aus der Politik und aus den Wirtschaftsverbänden. Nachzulesen sind die Debatte und der Beschluss von der ->Drucksache 16/7116 (24. November 2007) im Plenarprotokoll ->Plpr-Nr. 16/145 des Bundestags unter Tagesordnungspunkt 8 (S. 15309). In der Drucksache sind besonders die Punkte II./4 u. 5 mit ihren Unterpunkten relevant, in denen die Auszeichnung bewusst dem Deutschen Filmpreis gleichgesetzt wird. Er sei zu verleihen für „für qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele“, die „in Deutschland produziert wurden“ und nicht notwendig nach ihrem „kommerziellem Erfolg, sondern in erster Linie nach inhaltlichen Kriterien“ preiswürdig wären. Paritätisch aus Politik, Journalistenreihen und der Gamesbranche besetzte Jurys sollten von da an in der Theorie dazu führen, dass Videospiele in den Rang von Filmen als Kulturgut nachziehen.
Das jedenfalls ist eine Intention, auf die sich wohl viele derjenigen Personen einigen könnten, die direkt mit dem Auswahlprozess der möglichen Preisträger in den Jurys befasst sind. Die Branchenverbände ->BIU (vorwiegend Publisher) und ->G.A.M.E. (hauptsächlich Entwickler) aber haben an ihrer Investition als Geldgeber natürlich handfeste wirtschaftliche Interessen. Einerseits sind es ihre Mitglieder, die geehrt werden könnten, andererseits ist das Label DCP auch ein Qualitätssiegel, das verkaufsfördernd wirkt. Hinzu kommt, dass eine staatliche Ehrung die Branche von der wirtschaftlich Bedeutung her dem Filmgewerbe gleichstellt.
Die höheren Entscheidungsebenen der Politik haben dagegen ganz andere Gründe, warum sie Geld in den Förderpreis stecken. Gerade die ältere Generation in diesen Kreisen, aber auch medienpädagogische Bedenkenträger jeden Alters, verstehen ihn als Mittel, um Videospiele gezielt in eine „pädagogisch wertvolle“ Richtung zu lenken. Jenen geht es wohl kaum darum, die freie Entfaltung eines künstlerischen Mediums zu fördern. Sicher, auch in der Politik gibt es die einen wie die hoch aktive Staatssekretärin ->Dorothee Bär (CSU), die den netzpolitisch Sachverstand in Dobrindts Superverkehrsministerium treibt, oder Juror ->Peter Tauber (CDU), der als Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages uns Geschichtswissenschaftlern ins Stammbuch schrieb, wir sollten uns endlich mit Videospielen befassen (worauf ich in meinem ->KOMMENTAR: Bunkermentalitäten vom 23. April 2014 verwies).
Das sind aber nur die interessierten Abgesandten – sie stellen bei Weitem nicht die Leitmeinung ihrer Parteien. Und eben da liegt das Hauptproblem. Denn hier muss man sich einmal genauer ansehen, aus welcher Motivation heraus die Idee zu diesem Preis entwickelt wurde. Nach den Amokläufen der 2000er Jahre, besonders denen in Erfurt 2006 und Winnenden 2009, schossen sich Medien und Politik zusammen mit halbseidenen Wirkungsforschern auf Videospiele als Ursache für gewalttätiges Verhalten, Schulversagen und soziale Auffälligkeiten ein – der politische Kampfbegriff „Killerspiele“ war geboren.
Dass viele von den Medien verbreitete Informationen, die Amokläufer seien exzessive Videospieler gewesen, sich hinterher als Falschdarstellung erwiesen, haben die Hardliner bis heute nicht zur Kenntnis genommen. Mit detaillierten Analysen all dieser Behauptungen und Vorgänge auf der Webseite ->Stigma Videospiele konnten all die Fehler der Kritiker dokumentiert und Behauptungen wiederlegt werden. Allein, es half nichts. Gegen religiöse Ereiferung kommen Argumente halt nicht an. Dies zeigte selbst in der vergangenen Woche auch die Sendung ->“Ballern, zocken, blechen: Sind Games wirklich nur ein Spiel @ ZDFlogin, in der am 14. Mai, einen Tag vor der Verleihung, Gegner und Befürworter von Videospielen aufeinander trafen.
- Bei ZDFlogin kreuzten Befürworter und Gegner von Videospielen ihre Waffen. (ZDFlogin: Sind Games wirklich nur ein Spiel? / Kanal Elca | HD via Youtube)
Aus dieser ursprünglichen politischen Intention erklärt sich, warum Ende der 2000er der Videospielepreis geschaffen wurde. Der DCP entstand, um einer angeblich bedenklichen Entwicklung der Jugendkultur mit einer politischen Auszeichnung pädagogisch und kulturell lobenswerter Videospiele entgegenzuhalten. Während die einen also längst den Status eines Kulturgutes akzeptiert haben und die vielfältigen Qualitäten der Videospiele auszeichnen, halten andere digitale Spiele immer noch für reines Kinderspielzeug und wollen mit dem Preis eine medienpolitisches Erziehungswerkzeug durchsetzen. Das geht nicht zusammen. Vor allem dann nicht, wenn die Jury immer liberaler und aufgeschlossener mit den Spielen umgeht und 2012 sogar einen Shooter wie ->Crysis 2 des Frankfurter Studios ->Crytek ehrte. Die CDU/CSU-Fraktion und ihr medienpolitischer Sprecher Wolfgang Börnsen reagierten schon auf die Nominierung ungehalten und drohten sogar damit, die Jurys abzusetzen (->Computerspielpreis: Unionsfraktion kritisiert „Killerspiel“-Nominierung, in: Spiegel Online vom 25. April 2012).
Vor diesem Hintergrund wundert es kaum, dass die höheren Ränge der Politik ihre freigeistigen Vertreter unter den Fachjuroren enger an die Leine nehmen. Die Änderung der Satzung offenbart, wie wenig man bereit ist, sich von verschiedenen Berufsgruppen bzw. Strömungen der Gesellschaft diktieren zu lassen, was kulturell wertvoll und preiswürdig ist. Wenn sich eine Mehrheit von zwei Dritteln der Juroren – so lautet die Änderung – für einen Titel entscheidet, dem die ->USK die Plakette „Keine Jugendfreigabe“ anheftet, kann diese Sonderregelung in Kraft treten. Nur drei Vertreter können dann mit einem Minderheitenveto dafür sorgen, dass dieses Videospiel nicht den DCP erhält, sondern als „Jurypreis“ in einer Sonderkategorie ausgezeichnet wird. Dass die Mehrheitsmeinung durch Einzelpositionen zu Fall gebracht werden kann, können sich nur Bürokraten vom Rang sowjetischer Betonköpfe mit fragwürdiger demokratischer Grundhaltung ausdenken. Im Klartext bedeutet dies, dass man diesen Kreisen besser zu wissen glaubt, was Kultur ist, als alle anderen. Meiner Meinung nach ist es höchst bedenklich, wenn ein solches Votum die fachlich differenzierten Diskussionen einer Jury einfach aushebeln kann, und zwar ganz egal aus welchen Gründen.
Denn in den vergangenen Jahren führten eben die dortigen Austausche von Meinungen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Design und Politik dazu, dass in der deutschen Medienkultur eine wesentlich sachlichere und aufgeschlossenere Diskussion über Videospiele eingezogen ist – unaufgeregt, differenziert und ohne Vorurteile. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kämpfe hier keineswegs für möglichst gewalthaltige Videospiele, empfinde mancherorts explizite Gewalt sogar eher störend wie im Horror-Shooter ->F.E.A.R 3. Außerdem muss ich einräumen, dass ich ->Crysis 2 auch aus einem anderen Grund den DCP 2012 nicht verliehen hätte. Der Titel ist ein inspirationsloser, schlauchiger Grafikblender, dessen Schwächen der Entwickler ->Crytek mit ->Crysis 3 später selbst auszuwetzen versuchte. Davon unabhängig ist nicht von der Hand zu weisen, dass der DCP die deutsche Diskussionskultur über Videospiele sehr positiv beeinflusst hat. Jedenfalls gilt dies, wenn man der Auffassung ist, es täte den Videospielen gut, das Prädikat „kulturell wertvoll“ aus der Gesellschaft zu definieren. Ist man der Auffassung, man selbst habe die Hoheit über den Begriff „kulturell wertvoll“ und regiere ihn nach unten in die Gesellschaft durch, ist eine offene Diskussion eher hinderlich.
- Auch für mich war Crysis 2 nicht das beste deutsche Spiel 2012, für die CDU/CSU-Fraktion wohl aber aus anderen Gründen. (Crysis 2 Story Trailer / Kanal Crysis via Youtube)
Eben diese Erkenntnis brachte die beiden Redakteure Heiko Klinge und Andre Peschke zum Austritt aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit. ->Heiko Klinge, Chefredakteur des deutschen Branchenmagazins ->making games, bei der ->GamePro und lange Jahre fachlich überzeugender Tester bei der ->Gamestar, ist in meinen Augen unverdächtig, unüberlegte impulsive Austritte vorzunehmen. ->Andre Peschke, der Zweite der beiden, ist sehr bekannt und geschätzt durch sein ehemaliges Gaming-Portal krawall.de und nach dessen Aufkauf nun auch Mitglied der IDG-Verlagsfamilie (->IDG schließt Krawall Gaming Network, in: New Business vom 13. September 2013). Er tendiert zwar zu eher deftigerer Wortgewalt als Klinge, konnte seine Positionen jedoch bislang immer durch Argumente nachvollziehbar untermauern. Auch ihm lag viel an dem offenen Diskurs über Videospiele zwischen allen Beteiligten.
Man merkt beiden in dem obigen Statement-Video an, dass sie ihren Austritt nur schweren Herzens vollzogen haben. Mir scheint sogar, sie begreifen es beide als schmerzhafte Kapitulation – für sie war allerdings eine rote Linie überschritten. Sie äußern selbst, dass sie in den vergangenen Jahren den Eindruck immer offenerer Gespräche und Meinungsaustausche in den Jurys über Videospiele erlebt hätten. Die Regelung, die nun eingeführt werde, zeige jedoch, dass politische Interessen diese Tendenz überhaupt nicht unterstützen wollten. Wenn eine Fachjury durch das Minderheitenvotum gestürzt werden könne, seien für die Zukunft freie und differenzierte Entscheidungsgespräche über kritische Kandidaten unter den Spielen wahrscheinlich Zeitverschwendung. Sie würden sich auch die Frage stellen, wie es überhaupt sein könne, dass die beiden Branchenverbände sich dieser Forderung der Politik gebeugt hätten. Dass die Juroren jetzt ohne den immensen Sachverstand der beiden auskommen müssen, kann für den DCP nur von Nachteil sein.
Letztlich ist das ganze Vorgehen für den DCP mehr als nur bedauerlich, es beschädigt die Ehrung – die unter Spielern ohnehin kaum Resonanz findet – erheblich. Man kann durchaus die Analogie des Sicherheitsrates wieder heranziehen. Auch die Bedeutung der Vereinten Nationen leidet stark darunter, dass es einen Klungelverein gibt, der aus reiner Willkür Mehrheitsentscheidungen torpedieren kann. Genau so leidet die Reputation des DCP noch weiter, wenn es bei diesem Sonderrecht für diskussionsunwillige Hardliner bleibt. Das ist einem offenen Diskurs nicht angemessen und für den deutschen Entwicklerstandort beschämend. Viel bedeutender ist jedoch, dass offenbar noch immer Politiker in diesem Land nicht verstehen, dass Kultur nicht etwas ist, was Regierungskreise von oben herab definieren. Kultur entsteht von unten – und legitimiert sich dadurch selbst. Alle Beteiligten täten sich und ihren Anliegen einen großen Gefallen, dieses Sonderrecht abzuschaffen. Ein Videospielepreis benötigt keinen Sicherheitsrat.
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