NEWS: Der vergessene Krieg

Wie man den Ersten Weltkrieg in Szene setzt – und wie nicht

Der Zweite Weltkrieg wurde in Videospielen bereits so häufig aufgegriffen, dass es vor wenigen Jahren sogar gestandenen Redakteuren von Spielemagazinen zu viel wurde. Auch die Spielerschaft zeigte sich zunehmend genervt. Mit ->Call of Duty: Modern Warfare gelang dem Entwickler ->Infinity Ward 2007 ein Befreiungsschlag, indem das Setting zu dem namensgebenden modernen Kriegsgerät und – nicht ganz unumstritten – zeitgenössischen Schauplätzen schwenkte. Anstelle des Zweiten Weltkrieges werden nun aber diese seit bald zehn Jahren fortlaufend aufgegriffen. So häufig, dass sich nun die Ersten wiederum darüber aufregen.



Bereits die Modifikation Battlefield 1918 griff ab 2004 den Ersten Weltkrieg als Shooterszenario auf - und steht damit weitgehend allein. (Battlefield 1918 (V3.1) 2012 Teaser / Kanal RinoD via Youtube)

Andere Schauplätze haben es dagegen schwer. Den Ersten Weltkrieg zum Beispiel thematisiert kaum ein Spiel. Wenn doch, konzentriert sich die Anwendung bemerkenswert auf zwei Genres: Simulationen und Globalstrategie. Dies zeigte vor Kurzem Steffen Bender, der in seinem Buch ->Virtuelles Erinnern aus erinnerungskultureller Sicht untersuchte, wie Videospiele die Konflikte des 20. Jahrhunderts inszenieren. Shooter sind – anders als bei den obigen Schauplätzen – nicht darunter, obwohl die Modszene schon immer gezeigt hat, dass daran durchaus ein Kundeninteresse besteht. Modder verwandeln in Teilen oder vollständig (als Total Conversion) im Handel erhältliche Spiele mit Modifikationen (Mods) um. Auf diese Weise entstand zu dem Team-Taktik-Shooter ->Battlefield 1942 von 2002 auch die Mod ->BF1918, die das Kriegsgerät des Ersten Weltkriegs in das Hauptspiel integrierte. Adventures aber, in denen der Plot durch die Kombination von Gegenständen durchrätselt wird, oder Rollenspiele, die ihren Schwerpunkt stark auf die charakterliche Fortentwicklung der Spielfigur legen, sucht man zu diesem Kontext vergebens.

Nun sind aber gegenwärtig zwei Spiele zum Ersten Weltkrieg in der Entwicklung, die unterschiedlicher kaum mit dem historischen Stoff umgehen könnten und die gleichzeitig von dem durch Bender aufgezeigten Schema abweichen. Der eine Kandidat namens ->Verdun inszeniert den ersten industrialisierten Massenkrieg als Shooter. Im zweiten, dem Actionadventure ->Valiant Hearts: The Great War, werden fünf Figuren in die Hölle der Schützengräben hinabsteigen und – dem Vernehmen nach – nicht alle wieder heraus kommen. Auch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive geht einer der beiden Titel im Grabenkrieg unter…

An diesen beiden Spielen wird sehr anschaulich, wie extrem unterschiedlich Entwickler mit historischen Materien umgehen können. Auch wenn sich keines der beiden Spiele explizit als Instrument versteht, als Lehrsoftware Geschichte zu vermitteln, erfahren Spieler doch auf sehr verschiedenartige Weise etwas über diese Zeit. Im Kontrast zueinander legen beide zudem offen, wie erheblich sogar die Wahl des Genres dafür ist, was ein Videospiel über historische Inhalte aussagt.

Schuss ins Blaue

Im Falle des Shooters steht vor allem die Spielbalance im Vordergrund. Hier gibt es traditionell nur zwei Gruppen, die gegeneinander zu Felde ziehen, selbst wenn das Spiel mehr Kriegsparteien anbietet. Diese treten dann je nach Schauplatz gegeneinander an. Sind die jeweiligen Gegner mit ihren spielbaren Klassen schlecht abgewogen, zerstört das Missverhältnis jeglichen Spielspaß und auch seinen zentralen Sinn. Denn vorrangig sollen in einem Mehrspielershooter die Reflexe und kluges taktisches Vorgehen entscheiden, wofür häufig auch die enge Abstimmung im Team erforderlich ist.

Unter dem Diktat der Spielmechanik merzen Entwickler auch etwaige historische, waffentechnologische Unterschiede aus. Gewehre oder Fahrzeuge werden einander angeglichen, um keiner Seite einen dominanten Vorteil zu verschaffen. Gegebenenfalls genannte historische Schauplätze dienen als abstrakte Kulisse, ohne dass etwa Versorgungslinien oder eine zahlenmäßige Übermacht einer Seite eine Rolle spielen würden. Oft sind diese historischen Orte zur besseren Spielbarkeit auf Ausschnitte beschränkt, da sich die in der Regel 16-48 Spieler sonst auf eine zu große Fläche verteilen würden. „Operation Market Garden“ und die Karte „Stalingrad“ bei ->Battlefield 1942 waren dafür gute Beispiele, in denen die niederländische Luftlanderegion und die Wolgastadt nur sehr stilisiert nachempfunden wurden. Entwickler bilden geographische Orte (zumeist) nicht akkurat nach, sondern kennzeichnen sie durch Landschaftsformen, eine typische Farbgebung und regionale Vegetation sowie durch die Architektur vor Ort. Insgesamt nimmt damit der Schlachtort für die Spieler in einem Shooter wenig Rücksicht auf den eigentlichen geschichtlichen Rahmen.

Bender führt in seinem Buch auch aus, dass der Erste Weltkrieg sich wegen der langwierigen statischen Stellungsschlachten mit fortlaufendem Artilleriebeschuss grundsätzlich schlecht als Shooterszenario eigne. In diesem Genre gehört es zur zentralen Spielmechanik, dass sich Spieler gegen Spieler messen, flink mit kreativen Ideen und Taktiken austricksen und wechselnde Ziele erreichen, wie zum Beispiel das, einander strategisch wichtige Landmarken abzujagen. Ein festgefahrener Stellungskrieg passt zu einem solch dynamischen Spielgeschehen natürlich wenig.



Das Gameplay aus der Beta-Version offenbart, wie Spieler die Inszenierung wahrnehmen. (Verdun Beta Gameplay / Kanal VerdunGame via Youtube)

Diesem Urteil stemmt sich der Multiplayer-Shooter ->Verdun des niederländischen Independent Studios ->Black Mill Games entgegen, das aus einem Kreis von drei Personen besteht. Darin treten auf beiden Seiten mehrere vierköpfige Squads gegeneinander an, historische Schauplätze des Ersten Weltkriegs für sich zu entscheiden. Den Entwicklern ist nach eigenem Bekunden besonders wichtig, dass die Kooperation der Vierer-Teams spielentscheidend wird. Andererseits wollen sie die Schlachtfelder Verduns möglichst genau nachbilden, in deren dynamisch verlaufende Frontlinien man direkt springen können soll. Was der Anspruch von Genauigkeit – im Hinblick auf meine einleitenden Anmerkungen zu Shootern – genau bedeuten mag, ist für mich noch nicht erkennbar. So ist die Wortwahl sehr aufschlussreich, wenn davon die Rede ist, die drei Schlachtfelder würden auf echten Schauplätzen des Jahres 1916 „basieren“. Hier wird wohl wieder sehr abstrahiert. Wer das Spiel ausprobieren möchte, sollte sich auf der Distributionsplattform ->Steam von ->Valve im ->Early-Access-Programm informieren, in dem der Shooter bereits vor der offiziellen Veröffentlichung spielbar ist.

Übrig bleibt von dem historischen Szenario des Ersten Weltkriegs in diesem Multiplayer-Shooter dann nur die rein materielle Staffage aus Waffen, Gebäuden, Uniformen und Fahrzeugen. Zugegeben sind diese in Videospielen oft äußerst akribisch recherchiert, häufig erkunden sich Entwickler zum Beispiel im Falle des Zweiten Weltkriegs bis zur letzten Schraube in Panzermuseen wie bei ->Brothers in Arms: Hell’s Highway von ->Gearbox oder nutzen Originalbaupläne von U-Booten der Wehrmacht wie bei ->Silent Hunter 4 aus dem Hause ->Ubisoft Romania. Der historische Mehrwert davon ist höchstens ein musealer, und selbst in einer Museumsausstellung würden zusätzliche Schautafeln erläutern, was der Besucher da sieht.

Erklärungen zu den Zielen und Gründen für einen Kriegseintritt der beteiligten Mächte sind bei einem Multiplayerspiel nicht zu erwarten, ebensowenig dürften die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse der Parteien einen Auftritt jenseits von filmartigen Zwischensequenzen haben. Immerhin wäre zu hoffen, dass diese wegen des weniger aufgeladenen Szenarios im Gegensatz zu Spielen zum Zweiten Weltkrieg, nicht ganz so von Pathos der Siegermächte durchtränkt, präsentiert werden. Leider ist diese Überformung im Kontext des Zweiten Weltkriegs recht häufig zu beobachten.

Fünf Freunde

Einen ganz anderen Weg der historischen Inszenierung beschreitet da das Action-Abenteuer ->Valiant Hearts: The Great War, welches vom Entwickler ->Ubisoft Montpellier stammt. Das Team ist keineswegs ein unbekannter Neuling, zeichnen sie doch für das eindrucksvolle ->Beyond Good & Evil verantwortlich, das leider am Markt durchfiel, und dennoch zu den gelungenen erzählerischen Perlen der Spielegeschichte zu zählen ist. Auch der ebenso metaphysische wie physikalische Experimentierbaukasten mit Südsee-Flair  ->From Dust stammt aus dem dortigen Brutkasten (siehe dazu meinen Artikel ->INNOVATION: Staub zu Staub vom 5. Juli 2013). Bei ->Valiant Hearts nun liegt der Schwerpunkt auf einer Erzählung, die aus den Sichtweisen von fünf spielbaren Figuren kombiniert wird. Ein vergleichbares Vorbild zu grafischem Stil, Setting und Spielweise des 2D-Rätsel-Adventures existiert bislang meines Wissens nicht. Verantwortlich für den einzigartigen, und doch stimmigen Comiclook ist die hauseigene ->UbiArt Framework-Engine.

Von dieser verspricht sich Creative Director ->Paul Tumelaire in einer ->Stellungnahme gegenüber der PCGames (10. September 2013), anlässlich des hundertsten Jahrestages vom Ausbruchs des Ersten Weltkriegs diese vergessene Zeit auf eine neuartige Art und Weise ins Gedächtnis zu rufen und erfahrbar zu machen. Die Engine sei zudem hilfreich, um ein künstlerisch ausdrucksstarkes Spiel zu erschaffen, das eine auf die Charaktere konzentrierte Geschichte aufweist, unterhält und intensive Emotionen erzeugen werde.



Von Valiant Hearts gibt es bislang noch kein Gameplay zu sehen, der Ankündigungstrailer zeigt lediglich die angestrebte Stimmung. (Valiant Hearts: The Great War Anounce Trailer / Kanal Ubisoft via Youtube)

Am Ehesten könnte man ->Valiant Hearts wohl zwischen Wimmelbildspielen und Point-&-Click-Adventures einordnen, gewürzt mit einer Prise Actionspiel. Erstere bieten oft handgezeichnete und detailreiche Hintergründe, die nach Objekten durchsucht werden müssen, um die Handlung voranzutreiben. Abenteuerspiele setzen auf die Kombinationsgabe der Spieler. Darin müssen Gegenstände gefunden, miteinander richtig verbunden und an der korrekten Stelle im Spiel angewendet werden. Häufig sind vielfältige Gespräche mit Spielfiguren nötig, um entscheidende Hinweise für die Rätsel zu erhalten. Gegen das ruhige, geduldige Knobeln in Adventures stehen Actionspiele eigentlich im Gegensatz. Überzeugend ist die Integration beider Elemente bislang nur 2010 im „Indiana Jones“-Klon ->Lost Horizon von ->Animation Arts gelungen – und da auch nur in homöopathischer Dosis. Daher ist mit Spannung zu erwarten, wie ->Ubisoft Montpellier diesen Spagat hüftschonender gestalten will.

Der Hintergrund des Spieles erscheint schon einmal außergewöhnlich, lassen sich die Entwickler doch bei ->Valiant Hearts von realen historischen Briefen aus dem Ersten Weltkrieg inspirieren. Multiperspektivisch erzählen sie daraus eine berührende Geschichte, in der vier einander Fremde darin verwickelt werden, einen jungen deutschen Soldaten wieder mit seiner französischen Liebe zu vereinen. Die Pfade der Figuren sollen sich dabei immer wieder kreuzen und die Fronten übergreifen, wobei wohl auch ein Hund eine gewichtige Rolle spielen wird. Bestimmende Themen der Handlung sollen Freundschaft, Liebe, Aufopferung und Tragik werden. Im offiziellen ->Ubisoft-Blog sind mittlerweile noch mehr Details veröffentlicht worden. Stimmungsvoll erzählt, könnte hier ein großer narrativer Wurf auf uns zu kommen, selbst wenn das Spiel nur über digitale Vertriebsplattformen erscheinen wird und damit wohl eher ein Vergnügen mit kurzer Spieldauer bleiben dürfte.

Der Titel wird also mit Oral History bzw. Egodokumenten durch die Briefe und durch eine besondere Behandlung von Erinnerungsorten wesentliche Grundkonzepte von geschichtswissenschaftlicher Arbeit berühren. Diese Ansätze verknüpfen die Entwickler zudem mit einer multiperspektivischen netzwerkartigen Narration.

Grabenkrieg

Einer der Begründer der modernen Geschichtswissenschaft, Johann Gustav Droysen, hätte seine Freude daran, beschrieb er doch sein Konzept der Geschichte als endlose Wechselwirkungen zwischen Personen, Ereignissen und Prozessen, die sich gegenseitig bedingen (->Historik). Mit diesem Gedanken entwarf er im 19 Jh. bereits das, was wir heute unter einem historischen Netzwerk verstehen. Ein historisches Denkmodell, das ->Jacob Krameritsch 2006 in seiner Dissertation ->Geschichte(n) im Netzwerk für das Zeitalter der digitalen Narration vorbildlich aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive modernisiert hat. Der Ansatz wie in Valiant Hearts kommt einem solchen Konzept von Geschichte natürlich sehr entgegen, inszenieren die Entwickler doch durch die gemeinsam verquickte Erzählung jeweils aus den Perspektiven der Hauptfiguren eben genau ein solches Netzwerk miteinander wechselwirkender Akteure, die auf einen äußeren historischen Rahmen mit seinen Ereignissen und Zwängen reagieren.

Natürlich aber ist noch nicht klar, ob diese Struktur doch nur die prosaische Erzählung betrifft oder tatsächlich auch die Sichtweisen der Akteure auf den Krieg selbst und das Europa der Zeit widerspiegelt. Sollten es den Entwicklern jedoch plausibel gelingen, eine quellenbasierte Erzählung mit der akkuraten Inszenierung des deutsch-französischen Kriegsschauplatzes und der in die Krise führenden Hintergründe zu verbinden, so könnte mit Valiant Hearts ein auch für Historiker beachtenswertes Kleinod der Spielegeschichte entstehen.

Dem gegenüber steht der Ansatz des oben erläuterten Multiplayershooters ->Verdun ausgesprochen schlecht da. Er hält sich mit einer Geschichtsdarstellung auf, die rein auf die exakte Modellierung von Gegenständen wie Waffen und Uniformen fixiert ist und drei Schlachtfelder aus dem Kontext entnimmt, die er allenfalls abstrahiert. Shooter tendieren zudem grundsätzlich nicht gerade dazu, ausführliche begleitende Informationen anzubieten (nicht einmal optional) oder wenigstens in glaubwürdige Erzählungen zu verpacken. Aktuell sorgt diesbezüglich gerade die Kampagne für ->Battlefield 4, das Flaggschiff aller Team-Taktikshooter von ->DICE aus Schweden, wegen Logiklücken, pathetischer Platitüdendialoge und vollkommen verquaster politisch-historischer Szenarien in den Missionen für betretenes Schweigen bei der Fachpresse und in Spielerkreisen.



Pathetische Platitüden vor bombastischer Kulisse mit deutlichen Lücken - die Erzählweise von Battlefield 4 ließ stark zu Wünschen übrig. (Battlefield 4 Testvideo / Gamestar.de)

Allein aber schon aus Gründen der Spielbarkeit und einer spannenden Spielmechanik kann zudem die Realität eines festgefahrenen Grabenkrieges mit andauerndem Bombardement durch Artillerie, niederhaltenden Feuergarben von Maschinengewehren und schleichenden Giftgaswolken nicht eingefangen werden. Das gewählte Genre steht also einer glaubwürdigen Geschichtsdarstellung im Wege. Die Soldaten waren häufig für lange Zeit gezwungen, in aufsteigendem Grundwasser und Kälte, zermürbend untätig, abzuwarten – ein Spiel käme so wohl kaum zustande, zumal die Jugendschützer wohl kaum den Einsatz von Giftgas als Spielelement tolerieren dürften.

Nach diesen Ausführungen ist wohl deutlich geworden, das sich die Ansätze der beiden Spiele an völlig unterschiedliche Verständnisse von Geschichte richten. ->Verdun betet das Heilige Kalb einer unreflektierten, für den Spieler unkommentierten Sachkultur an, wie die Gamesbranche im Übrigen seit jeher überwiegend vorgeht, während ->Valiant Hearts Personen und ihre Interaktionen in den Mittelpunkt stellt. Wie viel geeigneter mir das Denkmodell von Letzterem erscheint, habe ich oben ausgeführt – zumindest, wenn die Erzählung auch in den historischen Kontext eingebettet wird. Den anderen Ersten Weltkrieg kann man unter den Bedingungen getrost vergessen.

*

Ein Gedanke zu „NEWS: Der vergessene Krieg“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert