DGBL: Subtext, Stanley! Subtext!

In „The Stanley Parable“ gehts um Vieles, am Rande aber nur um Stanley

Tagein, tagaus sitzt Stanley in seinem Büro. Er drückt Knöpfe. Warum, weiß er nicht. Welche, sagt ihm der Computer. Und er ist dabei glücklich. Erst als niemand sonst mehr im Gebäude ist, passt auch ihm das nicht. Viel gravierender erscheint ihm aber, dass ihn nun der Computer auch nicht mehr auffordert, irgendwelche Tasten zu drücken. Stanley steht also auf und verlässt sein Büro.

Stanley spricht nicht, teilt uns nicht mit, was er will und warum er etwas tut. Alles, was der Spieler ihn machen lässt, alles, was er sagen könnte, kommentiert ein Erzähler, der hervorragend gewählt ist. Von seiner Ausdrucksstärke lebt das gesamte Spiel. Denn im Grunde handelt es sich ja bei der Independent-Perle ->The Stanley Parable von ->Galactic Cafe nur um das Spiel mit Stanleys Versuchen, einen Ausweg aus dem Gebäude zu finden.


Abb: Stanley folgt den Anweisungen des Computers - bis keine mehr kommen (Collage Offizieller Screenshot/Schriftzug)
Abb: Stanley folgt den Anweisungen des Computers - bis keine mehr kommen (Collage Offizieller Screenshot/Schriftzug)

Der Erzähler kommentiert jedoch nicht nur, sondern reagiert auf die Handlungen und Weigerungen des Spielers, versucht ihn zu beeinflussen, manchmal sogar zu täuschen. Dabei wird er unterwürfig, weinerlich, zuweilen wütend, hinterhältig, manchmal betreibt er sogar aktiv Stanleys Ableben. Überhaupt ist hier der Erzähler der Star. Er hält alle Zügel in der Hand, je nachdem, wie der Spieler Stanley entscheiden lässt. Er hat sogar die Macht, vorherige Erfahrungen umzustoßen, beklagt sich über das repititive Skript und behauptet, Stanley aus dessen Vorgaben rauszuhelfen.

Sogar über die vermeintlichen Enden des Spiels hinaus, geht er auf Neustarts durch den Spieler ein. Die Krönung erfährt dieses narrative Konzept, als der Haupterzähler plötzlich durch eine Frauenstimme ersetzt wird, welche nun in einer weiteren Ebene die Erzählung des Erzählers kommentiert. Wenn der Spieler an einer Stelle versucht, dem eigentlichen Spiel zu entkommen, gelangt er in eine schweigende Erzählebene: Es eröffnet sich ein Museumstrakt, indem der Entwicklungsprozess dokumentiert wird. Dies ist der einzige Ort, in dem der Erzähler nicht fortlaufend spricht. Dort kann er es ja auch nicht, denn er ist selbst Teil des Spiels, das da dokumentiert wird.



Nach der eigentlichen Erfahrung ist tief zu bohren. (Offizieller Trailer / Quelle: Youtube, GSTrailers)

All diese Kniffe machen ->The Stanley Parable zu einem Juwel, das jeder gespielt haben sollte, den Experimente mit Erzählungen reizen. Nicht jeder wird dabei alle Ebenen des Spieles auf Anhieb verstehen. Meiner Ansicht nach erkennt man dies auch an der Berichterstattung der meisten Magazine und Webseiten zu Videospielen. Unter dem Deckmantel, man wolle dem Spieler seine eigenständigen Erfahrungen nicht nehmen, tarnen viele scheinbar nur, dass sie es nicht verstanden haben. Ähnliches geschah jüngst schon bei den Reviews von ->From Esther (siehe ->INNOVATION: Esthers animierte Parabel, in: KEIMLING, 3.8.2012) Und das Spiel wäre keine Parabel, schlummert noch jenseits der Erzählebene einiges unter der Oberfläche dieses Spiels…

Wer aber tatsächlich nichts interpretiert haben möchte, der möge die folgenden Absätze überspringen. Um das Spiel gebührend würdigen zu können, muss man jedoch alle Ebenen verstehen. Gerade hier auf diesen Seiten kann ich daher nicht vermeiden zu spoilern, wie es im Gaming-Deutsch heißt. Ich bin sogar dazu genötigt. Auf der Hand liegt erstens natürlich zunächst die sichtbare Ebene von Stanley – nur an einer Stelle durchbrochen von einer Fremden, die neben der Leiche Stanleys steht.

Das ist interessant, weil der Erzähler – und das ist die zweite Ebene – offenbar einen lebendigen, handelnden Akteur benötigt, um erzählen zu können. Ist Stanley tot, kann er nicht handeln. Auch der Spieler ist dann zur Untätigkeit verdammt, ein anderer Beobachter muss her. Dieser Unterschied wird besonders an den Übergängen sichtbar, wenn es aufgrund der Taten des Spielers oder der Launen des Erzählers notwendig wird, das Spiel neu zu beginnen. Der Neustart wird kommentiert, der Erzähler spricht mit dem Spieler. Offenbar schreibt er dem Spieler selbst bei einem Neustart noch die aktive Rolle zu. In dieser Schicht des Spieles geht es also um Erzählperspektiven, die Machtkompetenzen von Erzählern und Spielern sowie verschiedene Erzählformen.

Genau an dieser Schnittstelle kommt nun eine dritte Ebene hinzu. Stanleys Parabel wäre keine Parabel, wenn hinter den geschilderten Schichten des Spieles nicht noch eine tiefsinnigere Ebene stehen würde. Die Handlungen des Spielers führen nicht nur in verschiedene Gebiete und Erzählstränge mit verschiedenen narrativen Formen, sie führen auch in tiefere Sinnbilder der Logik des heutigen Game Designs in Videospielen. Gekonnt halten die Macher der Gamesbranche den Spiegel vor. Besonders wird dies merklich, wenn der Erzähler ratlos scheint, was der Spieler eigentlich für ein Spieldesign wünscht. Kurzerhand findet man sich in Klonen der erfolgreichen Spiele ->Minecraft und ->Portal wieder, die der Erzähler beide wie geschnittenes Brot anpreist.

Spielt man Stanleys Parabel mit dieser Brille, so stößt man schmunzelnd auf viele Gameplayelemente wie sinnlose, aktionistische Knopfdrückerei bei eigentlich festgelegten Levelskripten. In zwei anderen Fällen von Game-Design-Beispielen folgt der Spieler einerseits schlauchige Gängen, in denen er weder rechts noch links seinem eigenen Ende ausweichen kann, oder es öffnen sich kurzerhand alle Türen, so dass der Spieler orientierungslos in eine Open World entlassen wird. Als der Erzähler dies erkennt, spendiert er keinen roten Faden – vielleicht wäre dies der Symbolik-Overkill gewesen – sondern eine breite gelbe Linie. Warum diese als Trademark gekennzeichnet ist, hat sich mir noch nicht ganz erschlossen. Ich habe aber einen Verdacht, der jedoch so vage ist, dass ich ihn nicht äußern werde. Kurze Zeit später eskaliert diese Linie wild über Wände und Objekte, um schließlich hinter einer Deckenverkleidung zu verschwinden. Wieder hält das Spiel einem Grundprinzip den Spiegel vor, geschieht es doch oft, dass Entwicklern nach gewisser Spielzeit der eigene rote… Entschuldigung… der eigene gelbe Faden abhanden kommt.

Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele, die man als gelungen für die drei Ebenen anführen könnte. Da ich jetzt aber genügend erläutert habe, worum es sich bei der Parabel in Stanleys Spiel eigentlich handelt, will ich nicht auch den Rest des Spielerlebnisses verraten. Das Zusammenspiel der drei Ebenen, die Reflexionen und Rückgriffe auf das Spiel selbst, können auch nur von innerhalb nachvollzogen werden. Ein geschriebener Artikel – wie meiner – reicht schlicht nicht aus, um das komplexe, kunstvolle Geflecht vollständig nachzuempfinden.



Nur ein Beispiel für den Weg Stanleys durch seine Parabel. (Quelle: Walkthrough von Benutzer TerakJK, Youtube)

Wer also ->The Stanley Parable nicht gleich das Spiel kaufen möchte, das es nur als Download bei ->Steam gibt, dem lege ich eineinhalb Stunden an zwei Youtube-Videos nahe. Ja, richtig, viel länger als zwei Stunden ist das Spiel nicht – es ist aber auch nicht nur ein Spiel, sondern Fleisch gewordener Subtext. Da zählt jede Minute zehnfach. Einem Video aber ist die eigene aktive Spielleistung in diesem Fall besonders vorzuziehen. Es geht ja gerade um die Rolle des Spielers in Videospielen, und diese ist nur schwer in einem Video einzufangen. Es ist in etwa vergleichbar mit dem Unterschied, als würde man ein Reisevideo dem eigentlichen Reiseziel vorziehen. Viel von der ursprünglichen Erfahrung würde einem entgehen, denn auch für ein Video drückt man nur stupide Knöpfe. Für eine echte Erfahrung muss man aufstehen und rausgehen.

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