DGBL: Alles Gute zum Dreißigsten

Mit dem „Game Dev Tycoon“ durch die Videospielgeschichte

Viele Geschichten der Softwarebranche beginnen mit einer Garage und einem klugen Kopf. In nächtelanger Entwicklungsarbeit, bewaffnet mit Kaffee und Fast-Food, treibt ein Einzelkämpfer der Spieleentwicklung sich selbst an, um eine Vision in Code zu gießen. Dann vergehen im besten Fall fünfunddreißig Jahre voller kreativer Ideen und Erfolge und aus Vatis Garage wird ein multimillionen Dollar schweres Unternehmen, das Teil einer weltumspannenden Industrie geworden ist und die kulturelle Evolution der Medien antreibt.

Bis ein Entwickler-Studio so aussieht, ist viel Arbeit, ein waches Auge und ein Quäntchen Glück nötig (Abb: Screenshot Offizielle Seite)
Bis ein Entwickler-Studio so aussieht, ist viel Arbeit, ein waches Auge und ein Quäntchen Glück nötig (Quelle: Screenshot / Offizielle Seite)

Wenn der Spieler des Independent Games ->Game Dev Tycoon nicht zuvor über eine fehlerhafte Engine, unzulängliches Personal, falsch gewählte Konsolenplattformen oder die gierigen Griffel von Publishern stolpert, könnte die Zukunft seines eigenen Entwicklerstudios tatsächlich so aussehen. Das Spiel bildet die endlosen Fallstricke auf diesem Pfad trotz minimalistischer Facebook-Optik sehr gut ab und treibt mit seiner komplexen Mechanik den Spieler ständig zum Umdenken. Es ist für PCs unter Windows oder Linux über die Vertriebsplattform ->Steam oder die Seiten des Entwicklers erhältlich und kostet ca. 9 Euro.

Der Game Dec Tycoon führt durch dreißig Jahre Gameshistorie (Abb: Logo, Offizielle Seite)
Der Game Dec Tycoon führt durch dreißig Jahre Gameshistorie (Quelle: Logo / Offizielle Seite)

Die Komplexität steigt mit dem Wachstum der Firma und der technologischen Fortentwicklung, wobei Aspekte im Game Design, der technologischen Grundgerüste, des Vertriebs, der Personalführung und mehr zu beachten sind. Auch wenn sich die Entwickler Patrick und Daniel Klug von ->Greenheart Games nicht trauen offizielle Namen und Handelsmarken zu nennen, so sind die Vorbilder des Govodore G64 oder des Nivendo Gamelings doch für Kenner der Branchenhistorie unschwer zu ekennen. Damit schaffen sie neben einem komplexen und fordernden Spiel auch gleichzeitig eine virtuelle Geschichtsstunde über die Grundprinzipien der Videospiele, ihrer Entwicklung und der boomenden Branche – mit einer Einschränkung…

Denn, wenn sie auch natürlich dazu dient, dass die Entwickler sich namensrechtlich absichern, ist die Einschränkung, keine Orginalbegriffe der Gameshistorie zu verwenden, aus Sicht einer Geschichtsinszenierung für das gesamte Spiel von großem Nachteil. Im Grunde kann so jemand nur etwas über die Spielegeschichte lernen, wenn er bereits wesentliche Akteure und Plattformnamen ableiten kann. Anfängern, die nicht in den letzten fünfunddreißig Jahren mit diesen großgeworden sind, dürfte dies sehr schwer fallen.

Allerdings gibt es darüber hinaus noch Vieles zu erfahren. Der Spielverlauf zeigt die technologischen Fortschritte auf, die beispielsweise die Spieleengines, also die Kernprogramme, die Motoren der Games, veränderten. Erkennbar wird ebenfalls, wie sehr die anfänglich sehr große Zahl immer neuer Konsolenplattformen zusätzlichen Druck auf die Entwickler ausübte. Sie mussten reagieren, wollten sie nicht vom Markt geweht werden. Damit zwingen schon diese äußeren Einflüsse die Spielefirmen, sich zu vergrößern und der höheren Komplexität anzupassen. Ein Einzelkämpfer in der väterlichen Garage kann solche Leistungen nicht mehr stemmen, Kollegen müssen her, ein größeres Büro folgt.

Die richtigen Leute…

Doch zieht dieser Schritt neue Probleme nach sich. Jetzt kann man selbst als Gründer nicht mehr alle Prozesse der Entwicklung unter eigener Regie behalten – man muss lernen zu delegieren. Dafür aber wird spezialisiertes Personal benötigt, das rekrutiert werden muss: In Ausschreibungen können erhebliche Summen dafür investiert werden, mittels Demowettbewerb, Algorithmentests oder Design-Showreels kluge Köpfe aufzutreiben. Diese haben unterschiedliche Fertigkeiten, die sich zwar fortentwickeln lassen, dennoch ist eine genaue Abstimmung nötig, wie das Team zusammen gesetzt werden soll. Sonst entwickeln vier Mitarbeiter der Firma in kurzer Zeit eine technologische Topengine, haben jedoch keinen blassen Dunst mit welchem Inhalt sie diese füllen sollen.

Auch diese Fähigkeiten haben die beiden Klugs plausibel gewählt. Neben dem Designtalent und technologischem Können sind die Arbeitsgeschwindigkeit und der Forschergeist eines Mitarbeiters entscheidend. Es kann durchaus von Vorteil sein, wenn sehr verschiedene Spezialisten an einem Projekt arbeiten, da ein technologisches Ass bessere Engines produziert, ein Design-Guru hingegen exzellente Levelbauten erlaubt. Fühlt sich hier jedoch einer überarbeitet, kann die ganze Produktion zusammenbrechen. Ein vollkommen ausgewogenes Personaltableau erzeugt jedoch eher keine Spitzentitel.


Da kommen selbst erfahrene Beobachter der Branche ins Knobeln: Let's Player Hijuga spielt vor (Quelle: Youtube Kanal von Hijuga)

Den Fortschritt in der Entwicklung verbildlicht das Spiel durch aufploppende Bläschen über den Köpfen der Mitarbeiter, die in vier Kontos eingehen: In den Sparten Game Design, Technologie und Forschung sieht man gern zu, wie die Zahlen steigen, immerhin ist eine besonders fortschrittliche Technik elementar zum Beispiel für Actionspiele. Der vierte Bereich zählt jedoch die gefundenen Bugs, also die Fehler, die das Erlebnis oder die Handhabung des Games beeinträchtigen oder gar beenden. Mit zunehmender Komplexität des Projektes muss eine erhebliche Zahl von Bugs bekämpft werden, bevor das Produkt die Händlerregale ziert. Werden diese nicht beseitigt, um zum Beispiel schneller Profit zu generieren, beißen die Games-Magazine sich daran fest, die Umsätze brechen ein und die Fans sind nachhaltig enttäuscht. Setzt man jedoch zur Finanzierung auf Investitionen durch Publisher, also durch die Unterstützer im Vertrieb, handelt man sich jedoch möglicherweise feste Fristen zur Veröffentlichung ein, und das Spiel muss unfertig in den Handel. Bei Produktionen auf Blockbusterniveau zwingt den Entwickler oft der Kostendruck zum Rückgriff auf Vorschüsse durch diese Partner – die das im Optimalfall ja auch sind.

Ohnehin gibt es eine große Vielfalt an Optionen für die Produktion, die eine unterschiedliche Zusammensetzung von Kollegen erfordern. Sind es zu Anfang kleine Spiele, können durch Forschung mittlere, große und schließlich Blockbuster-Titel (AAA) projektiert werden. Schon bei der mittleren Stufe müssen an den drei entscheidenden Punkten des Entwicklungsprozesses, den sogenannten Milestones, Aufgaben an geeignete Mitarbeiter delegiert werden. Darunter fallen Sparten wie die Engine, Soundqualität, Weltdesign und Dialoge, auf die je nach Spieltyp mal mehr, mal weniger Arbeitszeit verwendet werden sollten.

Zu einem großen Teil hängt der Erfolg eines Spieles auch im ->Game Dev Tycoon von der richtigen Gewichtung seiner Bestandteile ab. Legt man großes Gewicht auf die Technik und wenig auf Dialoge floppt ein jedes Abenteuerspiel. Ein Strategiespiel lebt hingegen von einem plausiblen Gameplay in einem gut durchdachten Setting. Alles unterhalb zeitgemäßer Grafik oder struntzdoofe Begleiter durch eine mangelhafte Künstliche Intelligenz lassen den Erfolg eines Shooters wie eine Seifenblase platzen. Das alles ist jedoch völlig unerheblich, platziert der Spieler sein Produkt für die falsche Altersgruppe mit einem undurchdachten Genre auf der zur Zielgruppe nicht passenden Plattform – ob nun Konsole, Handhelds, Mobile oder PC. Je umfangreicher das Spiel ist, umso mehr Kapital steht dabei auf dem Spiel. Schon bald sind nämlich immer mehr zusätzliche Komponenten zu integrieren, die im Laufe der dreißig Jahre währenden Geschichte der Spieleentwicklung zum Standard hinzukommen. Spieler erwarten dies schließlich sogar gnadenlos.

Abb: Ausrichtung und die zuständigen Mitarbeiter des Entwicklungsprozesses entscheiden über Erfolg und Misserfolg (Abb: Screenshot / Offizielle Seite)
Abb: Ausrichtung und die zuständigen Mitarbeiter des Entwicklungsprozesses entscheiden über Erfolg und Misserfolg (Quelle: Screenshot / Offizielle Seite)

Daher muss bald eine erhebliche Energie in Forschung gesteckt werden, und zwar in Form von Hirnschmalz wie auch Kapital. Sehr hilfreich sind dabei Game Reports, die nach der Veröffentlichung Kenntnisse über den richtigen Genremix, die Zielgruppen, die Tauglichkeit je nach Plattform und die richtige Kombination der Entwicklungskomponenten sammeln. Plus- und Minussymbole unterstützen dann zukünftige Produktionen, indem sie unterschiedlich starke Tendenzen für obige Faktoren visualisieren. Wer möchte kann diese Erkenntnisse nach dem ersten Durchspielen in die Gründung eines weiteren Studios mitnehmen, denn nur einen Bruchteil der Hinweise erhält man beim ersten Mal. So erspielt ein Spieler nach und nach eine eigene Datenbank zentraler Informationen zu Entwicklungsprozessen.

Die Hinweise der Rezensionsmagazine allein reichen als Feedback jedenfalls nicht, die das entwickelte Spiel nach seinem Release in einem kurzen Statement bewerten und benoten. Von ihnen hängt Wohl und Wehe des Umsatzes sowie die Meinung der Fanbasis ab. So muss ein Entwickler über Umfang und Richtung des Marketing rechtzeitig entscheiden – reichen Magazinanzeigen oder müssen es weltweite TV-Kampagnen sein? Jährlich trifft sich die gesamte Branche zudem auf wichtigen Gamesmessen, so dass zu entscheiden ist, mit welchem Portfolio und welchem Portemonaie man sich einen Messestand leisten will. Immerhin bietet sich hier die Chance besondere Spiele, den Ruf des Entwicklers und technische wie spielmechanische Innovationen zu hypen – denn ein gekonnt gesteuerter Hype lässt die Verkäufe explodieren.

… mit dem richtigen Forschergeist

Um Spiele technisch und spielmechanisch weiterzuentwickeln, existiert eine überwältigende Auswahl. Zunächst sind Speicherstände eine sinnvolle Neuerung, niemand mag bald mehr minimalistischen Sound auf die Ohren bekommen, Abenteuer sollen möglichst interaktive Handlungen mit verschiedenen Enden erhalten und Charaktere in Rollenspielen mit vielen verschiedenen Fertigkeitenbäumen modifizierbar sein. Auch in technischer Hinsicht wünschen sich Spieler immer mehr: eine offene Spielwelt, die dynamisch reagiert, veränderliches Wetter oder auf den Spieler reagierende Ökonomien. Auch die Technik der Engine muss immer mehr können. All diese Komponenten müssen regelmäßig in eine neue Version dieser Engines verbaut werden, was sehr viel Zeit erfordern kann, ohne dass dadurch Geld verdient wird. Das geht also nur, wenn das Studio ein genügendes Polster erwirtschaftet hat. Später muss eine ganze Abteilung für grundlegende Forschungsfragen unterhalten werden, die sich mit breiteren Themen befasst. Die Mitarbeiter versuchen herauszufinden, welche Folgen das Internet hat, erkunden Distributionswege oder forschen nach Mechanismen in Massively Multiplayer Online Spielen (MMOGs).

Abb: Eine gute Forschungsabteilung verschlingt Unsummen, zahlt sich jedoch in Wettbewerbsvorteilen aus (Quelle: Screenshot / Offizielle Seite)
Abb: Eine gute Forschungsabteilung verschlingt Unsummen, zahlt sich jedoch in Wettbewerbsvorteilen aus (Quelle: Screenshot / Offizielle Seite)

Wird da die Kohle knapp, weil Erfolge ausbleiben, steht ein Entwickler schnell mit dem Rücken zur Wand. Banken gehen wenig gnädig mit ihnen in der unsteten Branche um, und die Publisher haben ihr Geld auch nicht zu verschenken. Da ärgert es umso mehr, wenn ein teuer produziertes, innovatives Spiel zwar reißenden Absatz findet, aber lediglich als Raubkopie auf Schulhöfen und Webtauschbörsen und nicht im Handel. In so einem Fall kann ein Entwickler eventuell seine Kosten nicht einspielen. Dieses Element fehlt allerdings im ->Game Dev Tycoon, jedoch nicht, weil den Entwicklern da ein substantieller Teil des Spielemarktes entgangen wäre.

Im Gegenteil haben die Klugs eine wirklich intelligente Finte geschlagen, die an Witz und Ironie kaum zu übertreffen ist, indem sie selbst eine Raubkopie in Umlauf brachten. Weil Gegenmaßnahmen gerade bei einem Downloadspiel sehr schwierig durchzusetzen sind und teuer in der Entwicklung, entschlossen sie sich, eine Version ihres Spieles selbst in Online-Tauschbörsen anzubieten. Der Kniff dabei ist, dass diese Version einen entscheidenden Fehler hat: Ab einer gewissen Größe des Studios fallen dort Raubkopierer wie die Heuschrecken über die entwickelten Spiele her und machen damit den ->Game Dev Tycoon nahezu unspielbar. Damit haben Raubkopierer nicht nur unbewusst zur Verbreitung der Demonstrationsversion (Demo) beigetragen, sondern sich selbst durch zahlreiche aufgeregte dämliche Kommentare zum Spiel selbst bloßgestellt. Sie beklagten sich lautstark darüber, dass das Spiel so unbalanciert sei, sie wegen der Raubkopierer überhaupt nicht mehr vorankämen, das Game einfach nur schlecht entwickelt wäre. Dumm nur, dass sie sich damit selbst offenbarten – ein klassisches Eigentor.



Auch das weltweite Games-Netzwerk IGN berichtete mit einem Schmunzeln über den intelligenten Schachzug gegen die Raubkopierer (Quelle: Youtube Kanal von IGN)

Die beiden Entwickler haben nicht nur für interessierte Videospieler oder die Akteure der Games-Branche ein plausibles, forderndes und begeisterndes Modell von mehr als dreißig Jahren der Entwicklungsgeschichte von Videospielen geschaffen. Dabei wählten sie einen abstrakteren Weg als bei dem Spiel ->Evoland, über das hier im Beitrag ->DGBL: Evolutionslehre am 22. Oktober 2013 berichtet wurde, und das die Geschichte der Japan-Rollenspiele (JRPGs) selbst in ein intelligentes Spielkonzept verpackt. Neben den hauptsächlichen Teilnehmern der Videospielebranche als Kunden oder Produzenten ist der ->Game Dev Tycoon gerade dadurch aber für Forscher der Mediengeschichte ein sehr viel ergiebigeres Programm geworden, das technologische Entwicklungen deutlich breiter mit Personalbedarf, Marktstrukturen, Plattformen und der Evolution von Genres in Beziehung setzt und übersichtlich visualisiert.

Mal abgesehen davon, dass wegen der Namen und Produktbezeichnungen von Hardware und Marktteilnehmern doch ein gewisses Vorwissen erforderlich ist, um die Zusammenhänge wirklich zu verstehen, sollte das Spiel in keinem Ausbildungskanon fehlen – sowohl in der Games-Branche, als auch an Schulen und Universitäten. Es offenbart spielerisch Zusammenhänge, die ansonsten nur Jahre an Lektüre und Gesprächen vermitteln können. Damit hilft es Schülern und Lehrern in Schulen einen wesentlichen Teil der Unterhaltungsindustrie und dessen ständiger Entwicklung zu verstehen, Auszubildenden und Studierenden ein Berufsfeld zu erkunden und Forschern, Mechanismen und Prozesse an einem Modell zu veranschaulichen. Man darf daher mit großer Neugier erwarten, welche Ideen Greenheart Games und die dahinter stehenden Köpfe Daniel und Patrick Klug in den kommenden dreißig Jahren der Branchengeschichte noch auf die Beine stellen werden  – denn anders als im Spiel endet diese Geschichte wohl kaum mit dem Ablauf von fünfundreißig Jahren.

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