NEWS: Literarisches Quartett

Hohe Literatur verträgt sich bislang nicht mit Festplatten

Man möchte sich schon seit Längerem fragen, warum es literarischer Stoff zwar in die Fernseher und Kinos schafft, jedoch nur selten für digitale Spiele aufgegriffen wird. Es würde sicherlich eine helle Freunde sein, wenn zukünftig einmal ein Literarisches Quartett wie die legendären Vier aus der ZDF-Sendung um Marcel Reich-Ranicki ihre schlagfertige Diskussion um die Handlung von Videospielen entspinnen würden.

Nur grobe Klötze helfen gegen die Satansbrut
Nur grobe Klötze helfen gegen die Satansbrut

Mit ->Dante’s Inferno will Electronic Arts jetzt einen der größten literarischen Schätze des italienischen Spätmittelalters als Actionspiel aufgreifen. Wenn man die grafische Qualität von EA-Titeln zugrunde legt, ist dies sicherlich keine schlechte Idee – dass allerdings das inhaltliche Niveau gehalten wird, könnte man dagegen auch befürchten. Allerdings tragen ->Visceral Games, die Macher des Gruselschockers ->Dead Space, für den Ausflug in das Inferno der Hölle die Verantwortung. Dieses Spiel war eine Offenbarung an Atmosphäre und Ideen im Action-Horror-Genre – es bleibt zu hoffen, dass die Entwickler für Alighieris Dämonentanz noch ein paar Stufen an spielerischer Tiefe hinzufügen können.

Zugrunde liegt die zwischen 1307 und etwa 1321 von Dante Alighieri geschaffene „Göttliche Komödie“, in welcher der Ich-Erzähler sich, von falschen Leidenschaften getrieben, in die Hölle hineinwagt. Nach einem Leidensweg durch neun Kreise der Hölle gelingt der Aufstieg nur durch den Diebstahl des Felles von Satan persönlich und die Läuterung auf den sieben Stufen der sieben Totsünden. Letztlich gelangt die Ich-Person geläutert aus der Hölle und entsagt all den falschen Leidenschaften.

Wenn es EA gelingt, die Vielfalt der Erzählung Alighieris einzufangen und nicht nur ein lineares Kampfspiel mit abgekupferten Endgegnern aus der literarischen Vorlage zu produzieren, könnte dies einer neuen Qualität von Spielen den Weg auf den Markt ebnen.

Wie wäre es mit einer Umsetzung des Gesellschaftsromans „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann als eine Art ->Die Sims? Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ könnten die Entwickler von ->Bioshock actionreich umsetzen. Auch müsste es doch möglich sein, eine Handlung eines „Hamlet“ von Shakespeare in ein Rollenspiel einzubinden. Ein Schelmenroman wie der „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dessen satirische Erlebnisse vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa spielen, wäre ebenfalls ein Festessen für Spielegourmets.

Aber zur Zeit scheint es ja schon zu revolutionär, von Ubisoft zu verlangen, dass den Spielen unter dem Namen des Autors Tom Clancy auch dessen Bücher zugrunde liegen. Andere Kandidaten für eine digitale Hochkultur gebe es allerdings zur Zeit auch noch nicht so viele. Erste Gehversuche waren bislang noch nicht sehr überzeugend.

Spannende Geschichten boten nicht nur die Sagen der Antike, von deren Pantheon und anderen mystischen Gestalten sich eine Reihe von Spielen bereits bediente. Zahlreiche Rollenspiele und Actiontitel würfeln dabei allerdings so viele Inhalte durcheinander, dass dabei die Vorlage kaum mehr erkennbar bleibt, wie z.B. bei ->Titan Quest. In ->Rise of the Argonauts wundert es daher auch kaum noch dass die Mutter von Herkules plötzlich als Frau des Jason auftritt. Dass die Figuren antiker mystischer Geschichten nicht unbedingt klischeearm auftreten, scheint die Entwickler nicht davon abzuhalten, noch mehr Klischees in ihre ohnehin schon sämigen Handlungssaucen einzurühren.

Die Kriminalgeschichten über Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle oder die um Hercule Poirot von Agatha Christie sind in Adventures umgesetzt worden, diese Spiele tragen oft aber nicht den Qualitäten der Vorlagen Rechnung. Umständliche, teils unglaubwürdige Rätsel und stocksteife Charaktergestaltung lassen vermuten, dass hier nur die Bekanntheit einer großen Lizenz ausgeschlachtet wird.

Auch bei dem Ego-Shooter ->S.T.A.L.K.E.R. – Shadow of Chernobyl dient die utopische Erzählung „Picknick am Wegesrand“ der beiden Brüder und Science-Fiction-Autoren Arkadi und Boris Strugazki lediglich als inspirative Kulisse für eine fantastische Begründung der Tschernobyl-Katastrophe von 1986. Auch wenn man den Entwicklern von CD Project zugute halten muss, dass dieses Buch mehr als nur einen offenen Faden beim Leser hinterlässt, und damit kaum direkt umgesetzt hätte werden können.

Es ist sicherlich richtig, dass Spiele zwar Kulturgut sind. Allerdings haben sie selbst noch nicht dazu beigetragen, dass man von einer digitalen Hochkultur im Sinne einer hohen Literatur sprechen könnte. Der Film hat jedoch auch seinen Weg gefunden, nach seinen heute zu belächelnden Anfängen herausragende Kunst zu schaffen. Ob der Weg zu einer hohen Kunst der Spiele über die Versoftung von Literatur führen wird, darf sicherlich angezweifelt werden. Neue Kunst entsteht nunmal nicht durch die Nachahmung von anderen Künsten, sondern durch die Reflexion dieser Künste auf ein neues Medium. Dies will im Klartext bedeuten, dass nur die reine Versoftung von herausragenden literarischen oder filmischen Vorlagen nicht reichen wird. Digitale Spiele müsse ihren eigenen Weg jedoch erst finden, um bewunderswerte Kunstwerke zu schaffen.

Es dürfte jedoch nicht schaden, bei der Bearbeitung bereits bestehender herausragender Werke wie zum Beispiel der „Göttlichen Komödie“ das nötige Handwerkszeug zu erlernen. Entwickler sollten grundsätzlich einen stärkeren Blick in die Geschichte werfen, wo bereits faszinierende Geschichten erdacht wurden, von deren Kraft viele Videospiele heute noch meilenweit entfernt sind. Erst dann werden wir vermutlich eines Tages genüsslich im Fernsehen beobachten können, wie das Literarische Quartett eine Wiedergeburt erlebt, um sich digitalen Spielen zu widmen.

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