Hardy Dreier entwirft Szenarien der gemeinsamen Zukunft von Kino und Gaming
Was geschieht, wenn tollkühne Männer vor ihren flimmernden Kisten zu Hause festhängen, um sich digitalen Spielen zu widmen? Richtig, viele ihrer Frauen gehen aus, denn noch immer spielt nur ein bedauerlich geringer Anteil da mit – in zweierlei Hinsicht.
Tatsächlich hat dies in einem bestimmten Alterssegment der Gesellschaft spürbare Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Kinogänger, mit Folgen für das Unterhaltungsangebot. Hardy Dreier, freier Dozent für den Medienbereich, führte am 10. Mai 2010 in seinem Vortrag bei der -> Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) durch die Kinolandschaft und die Konsequenzen ihrer Veränderungen. Dabei zeigte er neben Entwicklungen in der Branche auch den wechselseitigen Austausch mit der Games-Industrie. Unter dem Titel „Games und Kino – Konkurrenz, Koexistenz, Kooperation“ diskutierte er in der Ringvorlesung Games an der Hochschule am Berliner Tor (siehe ->NEWS: Blick über den Rand der Plattform vom 13. April 2010) neben diesen branchenspefizischen auch die erzählerisch-inhaltlichen Synergien und Konkurrenzen der beiden Medienformen. Daraus postulierte er Chancen zur Kooperation oder zumindest für die Koexistenz.
Für die Zukunft brachte er allerdings auch ein paar schlechte Nachrichten mit – zumindest für eher männliche Sehgewohnheiten. Auffällig ist die Zunahme von eher auf weibliche Zuschauer getrimmten Inszenierungen in dem oben genannten Altersquerschnitt. Wenn Kinobetreiber also nicht die Vorführung von ->Sex in the City und ->Twilight zur Regel machen wollen, so benötigen sie offenbar neue Konzepte. Hardy Dreier entwarf ein paar Ansätze für die zukünftige Entwicklung von Kinos und Games…
Tradition gegen Moderne – Die harten Zahlen
Jeder Prognose liegt die Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes zugrunde. Daher lieferte auch Dreier zunächst eine umfassende Beschreibung der Kino-Branche und ihrer Zahlen. Den etwa 146 Millionen Besucher der Kinos in Deutschland in 2009 habe nicht jeder Film gleich gut gefallen. Etwa 30% der Filme erwirtschafteten den Löwenanteil des Umsatzes. Dabei sei aus der Besucherentwicklung ein eindeutiger Trend ablesbar: „Tendenziell gehen immer mehr Gäste in eine stets kleiner werdende Zahl von Topfilmen.“
Dabei seien die Sehgewohnheiten natürlich auch von den TV-Sendern geformt worden. Das Fernsehen habe seit 1995 in immer größerem Maße auf Spielfilme als Unterhaltungsform gesetzt. Waren es damals etwa 4.000 Film im Jahr, zeige das TV heute etwa 13.000 Filme per annum. In 40% der Fälle seien die Filme bereits in Koproduktion mit den Sendern entstanden.
Diese große Marktmacht zeigt sich daher auch in den Summen, welche die deutschen Länder als Kulturträger für Filmprojekte zur Verfügung stellen. In der Summe über alle Förderinstanzen hätten allein 2008 307,4 Mio. € bereitgestanden, zu denen noch ein gewisser Anteil der öffentlichen-rechtlichen Sender aus der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) zu addieren seien. Damit sei unverkennbar, dass Deutschland erheblich größere Mittel für traditionelle Filmproduktionen ausgegebe, als sie der zukunftsträchtigen Games-Branche gewidmet würden.
Dieses Missverhältnis dürfte sich noch weiter verschärfen, so stellte Dreier in Aussicht: Da die europäische Union ihre Richtlinien zur Produktwerbung in Filmen geändert habe, dürfte Produkt-Placement eine wachsende Rolle bei der Finanzierung einnehmen. Dabei würde der gegenwärtige deutsche Rekordhalter „Der Wixxer“ mit ca. 30 Platzierungen, die dramaturgisch zentral eingebaut wurden, sicherlich schon bald auf die Plätze verwiesen. Dabei bemühe sich die Branche auch um computergestützte Methoden, je nach Zielmarkt bestimmte Marken auf Platzhalter in den Filmen zu kopieren. So würde beispielsweise bei einer Pepsi-Dose in Deutschland der bekannte Schriftzug glänzen, dieser dagegen in Indonesien durch die ortsübliche Schrift ausgetauscht – sicherlich ein lukrativer Markt, wenn es denn funktionieren wird.
Die Erlöse von Filmen und Spielen in Deutschland ließen sich zwar beide sehen, denn auch Spiele sind seit langem keine Nischenprodukte mehr. Allerdings hätten Games keineswegs dem Film in allen seinen Vermarktungskanälen schon den Rang abgelaufen. Zwar setzt seit den letzten Jahren deren Branche mit etwa 1,5 Mrd. € erheblich mehr um, als die Höhe der Erlöse in den Kinos beträgt (ca. 1 Mrd. €). Allerdings vernachlässige diese Gegenüberstellung – so beliebt sie auch bei Vertretern der Spieleindustrie ist – die umfangreiche Nachverwertung bei Rechten an DVDs oder Videos und die Lizensierung für TV. Dort verbergen sich noch einmal 1,5 Mrd. €.
Recycling
Vor allem durch die Konzepte zur Auswertung habe die Filmindustrie einen weiten Vorsprung gegenüber der Spieleindustrie. Nach drei Hauptdimensionen richte sich die Auswertung: Zunächst verteile sich ein Film stets auf verschiedene technische Formate wie BlueRay oder DVD. Wichtig sei in zweiter Hinsicht, den Verwertungsmix auch zeitlich anzupassen – bei einem aktuellen Film in Konzentration auf die Lichtspielhäuser, bei einem älteren auf die Verleih- und Verkaufskanäle. Zuletzt unterscheide man auch sehr genau nach Regionen auf dem Globus.
Dabei spielen nach Ansicht von Dreier Lizenzsysteme die zentrale Rolle. Lizenzen werden nicht nur nach Verwertungsform vergeben, sondern auch mit einem zeitlichen Horizont. Mögliche Vertriebskanäle bei Movies sind das Kino,Video&DVD, Pay-per-View, Pay-TV und auch das Free TV.Allerdings sei die klassische Reihenfolge von Kino vor Verleih vor Fernsehen, als Windowing bezeichnet, schon lange aufgeweicht. Dies liege auch daran, dass sich die TV-Sender selbst an immer mehr Produktionen beteiligen würden und natürlich daran interessiert seien, dass die Filme schnell über den eigenen Kanal zu sehen sind.
Die Industrie gehe dabei immer modularer vor. Dabei sei entscheidend, dass die Produktion digitalisiert werde. Entstanden allein durch die 318 Rollen Film bei einem durchschnittlichen Langfilm des Jahres 2007 100.000 € an Materialkosten, so sei einfach erkennbar, welche Vorteile der Digitalvertrieb für die Industrie hat. Kinos streamen ihre Filme per Satellit oder durch führen sie von Wechselfestplatten vor.
Darin schlummere auch eine Chance für die Zukunft der Filmspielhäuser. Wenn über Satellit Filme auf dem großen Monitor faszinierten, wieso sollten dann nicht auch große Sport- und Kulturevents live im Kino zu sehen sein? Die mittlerweile weit verbreitete 3D-Technik ermögliche dann sogar noch ein Erlebnis mit räumlichen Eindruck. Fast schon besser, als tatsächlich vor Ort zu sein.
Killerspiele: Wird das Kino das nächste Opfer?
Es gebe zwar kaum wirklich belastbare Daten, um die Besucher von Kinos mit den Nutzern von digitalen Spielen zu vergleichen. Auffällig sei jedoch ein Trend, der auch 2009 angehalten habe. Die Zahl der Twens, die in die Kinos gingen, geht zurück. Gamer seien nach Studien eher besser gebildet, und immer noch zu einem großen Teil männlich. Zahlen belegen, so stellt Dreier fest, dass prozentual gesehen, immer mehr Frauen ins Kino gingen. So habe sich im Jahr 2000 das Verhältnis ungefähr die Waage gehalten (Männer: 52%, Frauen 48%), 2009 seien jedoch Frauen signifikant dominanter. 60% Besucherinnen stünden nur noch 40% männliche Kinogänger gegenüber. Fehlen würden eine Menge der Dreißig- bis Vierzigjährigen, allerdings auch 37% der 20-23 Jahre alten Männer seien ein Verlust für das Kino.
Wohl kaum zufällig handele es sich dabei in erster Linie um die ehemaligen Kinogänger eher action-orientierter Filme. Diese Zahlen seien natürlich auch der Industrie bewusst, merkte Dreier mit einem leichten Grinsen an. Es sei daher nur eine Frage wirtschaftlicher Logik, dass bald mehr Fime erschienen, die auf die weibliche Zuschauerschaft optimiert wären. Schon 2008/2009 sei diese Entwicklung spürbar gewesen.
Allerdings ginge es dem Film als Medium noch verhältnismäßig gut. Noch siege er deutlich in Konkurrenzfeldern wie der Kapitalbeschaffung, Forschung und Entwicklung, Personalanwerbung und der Produktion verwertbarer Ideen. In Frankreich, Groß-Britannien und vor allem Kanada hätten die Regierungen allerdings große Fördermittel und Steuerfreiheiten für die Spieleindustrie bereit gestellt. Eine Situation von der deutsche Game-Entwickler nur träumen könnten.
Chancen für eine friedliche Koexistenz sieht Dreier jedoch auch in den unterschiedlichen Rezeptionsformen, die Kinos und Games böten. Je nach Genre würde sich die eine Plattform oder die andere besser zur Darstellung von Inhalten eignen, da die Zuschauer bzw. die Spieler in unterschiedlichem Maße einbezogen würden – die Nähe des Zuschauers zum Geschehen verböte Spielen gewisse Darstellungen.
Sogar Kooperationen seien möglich, wenn man an crossmediale Auswertungen von Lizenzen denkt. Woher ein Thema kommt, ob nun aus dem Filmbereich oder aus den Games, sei unbedeutend. Man merke dies auch an zunehmenden Spieleverfilmungen, auch die Versoftung von Filmen verbreite sich immer mehr. Diese Trends begünstigen könnte auch, dass sich die Branchen allgemein auf die längere Verwertung von Medienmarken konzentrierten. Außerdem drängten Medienkonzerne aus dem Filmsegment mit Kapital und Know-How in die Gamesbranche, wodurch Kosten eingespart würden. Immerhin könne nun die Abteilung für digitale Animationen gleich auch Cinematics für Spiele erstellen oder 3D-Modelle für Figuren.
Hand in Hand in den Sonnenuntergang
Vor diesen Hintergründen, resümiert Dreier schließlich, sei klar, dass die Filmindustrie nicht die Konkurrenz suche. Alles strebe nach Koexistenz und Kooperation mit den Games. Die würden in der Filmwelt einfach nur als eine neue Plattform wahrgenommen, deren Inhalte man modular auswerten könne, und die man mit eigenen Inhalten bedienen könne. In Technik und Marketing steckten große Chancen gegenseitig befruchtender Kooperation. Wenn auch nicht der Film an sich, so drohe doch den Filmspielhäusern Ungemach. Das Kino dürfe in Zukunft nicht mehr ein reiner Filmpalast sein, mit Direktverkauf in Shops, 3D-Live-Events und anderen Erlebnissen deuteten die Zeichen eher auf eine neue Zukunft als audiovisueller Erlebniswelt hin.
Ob diese Entwicklungen allerdings den Schwenk zu einem überwiegend weiblichen Publikum umkehren können, ist damit nach Meinung von KEIMLING aber nicht beantwortet. Immerhin nützt es den Männern wenig, wenn ihre Frauen in den Kinos demnächst nach einem Sex in the City-Film auch noch den passenden Klamottenshop vorfinden. Allerdings könnte dafür eine bessere Qualität von verfilmten Videospielen die Männerwelt entschädigen. Schade ist nur, dass früher das Kino ein Ort des gemeinsamen Erlebens war; jetzt sieht es wohl so aus, als würde man sich bald am Eingang einen Kuss auf die Lippen hauchen, und dann in getrennte Erlebniswelten eintauchen – etwas befremdlich. Den Spaziergang Hand in Hand in den Sonnenuntergang hinein wird es dann wohl nur noch auf der Leinwand geben – oder zwischen Games-Branche und Filmindustrie.