Far Cry 4 verlegt den Schauplatz ins asiatische Hochgebirge
Scheppernd und klimpernd rumpelt ein bunter Reisebus über zerrüttete Straßen und quält sich mühsam über den Bergpass. An Bord ist unter Anderen Ajay Ghale, der aus der fernen westlichen Welt angereist ist, um die Asche seiner Mutter in ihrer Heimat Kyrat zu verstreuen. Die Grenzkontrollen allerdings gestalten sich jedoch etwas unorthodox, denn Ajay wird schon erwartet. Die Grenzer eröffnen das Feuer. Erst als ein Hubschrauber herandonnert, verstummen die Waffen.
Als wäre er ein extravaganter Galerist, dem New Yorker Künstlerbezirk SoHo entlaufen, entsteigt Pagan Min dem Heli in einem tief rosafarbenen Anzug und mit wasserstoffgefärbten, hochgegeelten Haaren – in dieser Umgebung hätte die schillernde Figur auch einem Dimensionsriss anstelle eines Hubschraubers entsteigen können. Als erfahrener Spieler erwartet man nicht, dass sich jetzt alles zum Guten wendet, doch Min entschuldigt sich zunächst höflich für die „Unannehmlichkeiten“ des Gefechts. Mit der Hauptfigur scheint ihn – zumindest fürs Erste – Persönliches zu verbinden. Irgendwas Verwandschaftliches. Die freundliche Begrüßung hindert ihn jedoch nicht daran, dem für das Gefecht verantwortlichen Offizier vor den Augen seines Gastes eine sehr endgültige Lektion mit einem Kugelschreiber zu erteilen. Danach schaltet der cholerische Psychopath wieder in den Kumpelmodus, wischt sich das Blut aus dem Gesicht und bittet zu Tisch.
Schon der dritte Teil der Far Cry-Reihe war unter anderen gelungenen Elementen wegen solch faszinierender Gegenspieler ein zurecht hochgelobtes Spiel. Daneben brillierte ->Far Cry 3 (2012) mit einer Coming-of-Age-Geschichte über das Reifen zum Mann, rabiate Gewalt und wie sie ihren Urheber verändert. Nun steht ein weiterer Meilenstein der digitalen Spielwelten in den Regalen. ->Far Cry 4 erschien am 18. November für PC, die gegenwärtige und die letzte Konsolengeneration. Es verlegt den Schauplatz von den tropischen Inselwelten des Vorgängers in die Höhenzüge des Himalaya. Damit schafft es nicht nur eines der abwechslungsreichsten Open-World-Spiele überhaupt, sondern konstruiert auch eine fesselnde Kulisse aus einem abstrakten Modell des himalayischen Bergstaats im Umbruch.
Durch eine interaktive Tierwelt, vielseitige Landschaften und die mehrdimensionalen Charaktere wurden faszinierend lebendige Schauplätze zur eigentlichen Kernkompetenz der Reihe. Glaubwürdige Figuren aber gelangen erst dem dritte Ableger. Dagegen führte das erste ->Far Cry, das noch aus den Händen des deutschen Studios ->Crytek stammte, bereits 2004 weitläufige Areale in das Shootergenre ein, das bis dahin eher linear geblieben war. Auch der grafische Detailreichtum blieb ein zentrales Markenzeichen der Reihe. In ->Far Cry 2 (2008) zum Beispiel, nun in Händen von ->Ubisoft Montreal, scheiterte zwar das Storytelling und manche Spielmechanik furios. Dafür wurde in einem gigantischen, frei befahrbaren Gebiet einem Querschnitt zentralafrikanischer Topografie, Flora und Fauna Leben eingehaucht – besondere Momente wie ein Steppenbrand oder ein Wildwechsel waren atemberaubend. Dennoch entschloss sich Ubisoft, mit Teil 3 wieder zurück zu den Ursprüngen auf tropische Inselketten zu rudern.
So schön dieser Inseltrip auch war, hat nun das fiktive Bergreich Kyrat um einiges mehr an Abwechslung zu bieten. Zwar finden sich hier auch stark bewaldete, Dschungeln ähnelnde Areale, voll mit bissigem Getier und versteckten Geheimnissen. Über die Steppen in mittleren Höhen führen die frei befahrbaren Straßennetze jedoch auch in steile Klüfte bis hin zu schneeumtosten Bergfestungen. In alle diese Schauplätze wird Ajay im Laufe des Spieles vordringen, nur bleibt kaum Zeit, sie zu genießen.
Kyrat befindet sich in einer flächendeckenden Rebellion gegen Pagan Min und seine königlichen Milizen, die nicht gerade zimperlich vorgehen. Aijay lernt aber schnell, dass auch die hehren Ziele der Rebellen nicht ganz so hehr sind und nicht minder unsensibel verfolgt werden. Dazwischen tummeln sich noch Drogendealer und andere Gruppierungen, eine Berghöhle fungiert als Gladiatorenarena und an bestimmten Stellen gewährt das mythische Shangri-La einlass in eine Welt aus Blut, Kreidestaub und rätselhaften Maskenkriegern. Dazwischen – im Streufeuer – leben tatsächlich noch Menschen in teils malerischen Bergdörfchen.
Wenn einem nicht laufend Kugeln um die Ohren fliegen würden, könnte man ständig debil grinsend in der Gegend stehen bleiben und die vielfältige Lebendigkeit des Gebirgsreiches begaffen. Derartig dicht ist die stilisierte Umgebung, eine Hommage an die Gebirgskulturen Tibets oder Nepals. Und auch mich ruft der Himalaya… seit Wochen schon kann ich ihn hören. Sie auch? Umso besser, denn Far Cry 4 bietet einen kooperativen Modus, in dem zwei Spieler die offene Welt gemeinsam durchstreifen können. Also los, Koffer packen. Wer weiß, wie lange ich hier unbehelligt stehen kann, um auf Sie und ihre Koffer zu warten.
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