Company of Heroes inszeniert eine Geschichte der alliierten Landung im Zweiten Weltkrieg
Was ist das Erste, das im Krieg flöten geht? Die Wahrheit, glaubt man einem bekannten Bonmot. Was ist spätestens das Zweite? Die Übersicht, natürlich. Ob nun in römischen Feldschlachten, Napoleons Feldzügen oder dem Kampf um Verdun: fällt der erste Schuss, ist die Befehlskette nur noch bloße Illusion. Auch am 6. Juni 1944, als die Landungsoperation Overlord der alliierten Truppen gegen die Wehrmacht in der Normandie begann, endeten geordnete Pläne und klare Befehlsstrukturen in dem Moment, als sich die Ladeluken an den schwankenden Landungsschiffen öffneten. Binnen weniger Minuten waren hunderte Leben ausgelöscht, zahlreiche Fahrzeuge vernichtet, und das Wasser vermengte sich mit Strömen aus Blut und Diesel. An Funksprüche war da nicht zu denken, direkte Worte verhallten im Lärm der Geschütze und Gewehrsalven sowie unter dem Geschrei der Sterbenden. Nach erbitterten Gefechten war schließlich die erste Bunkerlinie gestürmt… und an neue Befehle war überhaupt erst wieder zu denken.
Eben dies ist lediglich die einleitende Mission in den Strategieklassiker ->Company of Heroes, den der kanadische Entwickler ->Relic 2006 veröffentlichte. Das damals ebenso innovative wie heute noch fesselnde Strategiespiel in Echtzeit war am Markt sehr erfolgreich. Der Spielverlauf folgt der Geschichte der Fox und der Able Company, die während und nach der Landung in Nordfrankreich an alliierten Operationen beteiligt waren. Das Spiel endet mit dem Sieg über die deutschen Truppen im Kessel von Falaise, südlich von Caen, im August 1944.
Abgesehen von frischen Ideen für das Gameplay im Strategiegenre, etablierte ->Company of Heroes 2006 auch einen neuen Umgang mit Geschichte in digitalen Spielen im Allgemeinen und mit der des Zweiten Weltkriegs im Speziellen. Dies liegt vor allem an narrativen wie spielerischen Perspektiven und den damit verbundenen Mechanismen, aus denen das Spiel Authentizität zu erzeugen versucht. Insbesondere ist es die in Strategiespielen notwendig hohe Übersicht des kommandierenden Spielers über das Schlachtgeschehen, die im Kontrast zum oben einleitenden Absatz dieses Artikels steht.
Neben dem Datum der Landung, das sich heute zum siebzigsten Mal jährt, steht das Spiel gegenwärtig zusätzlich in einem weiteren für Historiker spannenden Fokus. Wer das Spiel noch aus älteren Tagen besitzt, wird sich beim Versuch einer Neuinstallation wundern: Es ist in früheren Versionen nicht mehr lauffähig. Infolge der Übernahme des Entwicklers 2013 durch ->SEGA, nachdem der ursprüngliche Publisher ->THQ im Jahr 2012 insolvent wurde, wurden die Server der Originalversion von ->Company of Heroes abgeschaltet. Alles Patchen half da nichts, die Software ließ sich aufgrund einer Vielzahl von Fehlermeldungen nicht mehr zum Laufen bringen. Die Recherche im Web ergab, dass sich mit dem Service ->Steam von ->Valve eine Alternativlösung gefunden hat, die ->Company of Heroes wieder in Funktion versetzt. Nicht aber so, wie zuvor.
Damit allerdings hat sich das Problem der Spielbarkeit nur verschoben, bis ->Steam den Titel nicht mehr unterstützt oder vielleicht sogar selbst irgendwann das Zeitliche segnet. Das Beispiel dieses Meilensteins der Strategietitel zeigt daher eindringlich, dass sich die historische Fachwissenschaft nicht nur auf der Ebene des Gameplays und der Narration mit digitalen Spielen befassen sollte, sondern auch wegen der Problematik ihrer Bewahrung…
Vorfeldaufklärung
In seinem Buch ->Virtuelles Erinnern. Die Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen setzte sich Steffen Bender 2012 intensiv mit historischen Inszenierungen verschiedener Videospiele und ihren Schauplätzen auseinander. Dabei griff er auch Darstellungen des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen Genres, am Rande tangierte er auch ->Company of Heroes. Was er im Laufe seiner umfassenden Pionierarbeit zum Beispiel zu der viel beschworenen Authentizität oder crossmedialen wie remediierten Motiven ausführt, möchte ich hier nicht näher ausbreiten. Grundsätzlich aber empfehle ich auch an dieser Stelle wieder gerne die Lektüre seines Buches, um einen Überblick über die thematische Bandbreite zu erhalten, mit der kriegerische Konflikte des 20. Jahrhunderts in Videospielen vorkommen. Letztlich verfolgt er einen erinnerungskulturellen Ansatz, der in meinem Blogbeitrag nicht das zentrale Anliegen ist.
Hingegen befasste sich Timo Koschig explizit mit dem Fallbeispiel ->Company of Heroes aus geschichtswissenschaftlicher Sicht. Im Rahmen eines meiner Seminare an der Universität Hamburg erstellte er 2013 ein ->Blog, in dem er eine vierwöchige Analysephase zu dem Videospiel dokumentierte. Als ein Bestandteil der Veranstaltung „Die Vereinbarkeit des Unvereinbaren – Geschichtsbilder in Videospielen“ untersuchten Studierende im Sommersemester 2013 an der Universität Hamburg je ein Fallbeispiel und erläuterten ihre Untersuchungen in ihren Blogs – ein paar davon sind auch in Koschigs Blogroll verlinkt. Um dies auch fundiert tun zu können, hatten wir zuvor gemeinsam quellenkritische Werkzeuge aus der Literatur erarbeitetet. Koschig stellte auf dieser Basis viele aufschlussreiche geschichtswissenschaftliche Aspekte des Strategiespiels dar, weshalb ich auch diese Studienleistung sehr zur Lektüre empfehle.
Allerdings bespricht er den ersten Teil der Serie zusammen mit seinen Addons, also den später erschienenen Updates oder Ergänzungsprogrammen. Mir liegt aber viel daran, auch wegen des heutigen Jubiläums des D-Day zunächst den Blick auf die originale Kampagne im ursprünglichen ->Company of Heroes zu lenken. Bei Koschig finden sich detaillierte Beschreibungen des Gameplays und der Erzählweisen, prinzipielle Gedanken zur Räumlichkeit und zum Modell der Simulation des Krieges. Zudem setzt er sich mit Fragen der Authentizität und Kontrafaktischer Geschichtsschreibung auseinander. Für eine vier Wochen laufende Untersuchung im Rahmen eines Studienkurses sind seine Ergebnisse bemerkenswert, auch wenn sie als knappe Seminararbeit sehr deskriptiv bleiben. Doch auch seine Herangehensweise ist nicht mein Anliegen für diesen Beitrag.
Historische Kumpanei
Der folgende Abschnitt konzentriert sich vorwiegend auf die inneren Sichtwinkel, Prozesse und Methoden bei der Visualisierung von Geschichte durch das Spiel. Vor allem möchte ich stärker als die oben Genannten darauf eingehen, in welchem Kontrast die verschiedenen Blickwinkel im Spiel aus historischer Sicht zueinander stehen. Dafür ist zunächst wichtig, die innere narrative Perspektive des ursprünglichen Originals von ->Company of Heroes zu beleuchten, also ohne die nach dem Erfolg später veröffentlichten Addons.
Die Kampagne schlägt sich bewusst und eindeutig auf die Seite der amerikanischen Frontsoldaten. In dieser Erzählweise konsequent, ist das Spiel daher auch in keiner Mission aus der Sicht von Wehrmachtssoldaten spielbar. (Diese deutsche Perspektive liefert allerdings später das eigenständig lauffähige Addon ->Company of Heroes: Opposing Fronts nach – zusammen mit einer britischen Kampagne.) Im Hauptspiel können deutsche Truppen lediglich in Schlachten zwischen mehreren Spielern als Fraktion ausgewählt werden. Dort sind sie natürlich viel weniger in den historisch-erzählerischen Kontext eingebunden als die amerikanische Seite, deren Erlebnisse und Motive die Kampagne ständig begleiten. In diese Sichtweise fügen sich auch die filmischen Sequenzen ein, welche, zwischen den Kampfeinsätzen mit einer sonoren Veteranenstimme vorgetragen, in die übergeordneten militärischen Entwicklungen einführen.
Durch den Einsatz einer tragenden, greisen Sprechstimme werden selbst diese größeren Kampfverläufe personalisiert und emotionalisiert. Dafür sorgen auch Äußerungen des Sprechers nach folgendem Muster: „Oder mit den Worten meines kommandierenden Offiziers: Die Hölle öffnete ihre Tore!“ Darüber hinaus gehende historische Vorgänge derselben Zeitspanne werden nicht betrachtet, so dass sich der historische Rahmen des Spieles stark auf den Schlachtenverlauf in der Normandie und das (inszenierte) subjektive Empfinden der Soldaten vor Ort begrenzt. Nur für die Dauer der Installation liefern mit Texten versehene Standbilder ein paar tiefergehende Informationen zu den Hintergründen des Kriegsverlaufs. Zumeist sind sie recht nüchtern verfasst, zwischendurch bricht aber schlagartig Pathos herein.
Hinzu kommt nun aber, dass ->Company of Heroes nicht einfach nur – vermeintlich objektive – Ereignisgeschichte abspult, wie viele Konkurrenten im Genre und auch in Shootern es damals wie heute tun. Sicherlich hängt diese gänzliche andere Darstellungsform sehr mit der gewählten soldatischen Perspektive und den häufigen emotionalen Referenzen zusammen, jedoch trägt dazu auch im Vergleich mit anderen Videospielen der relativ kurze Zeitraum des Kampagnenverlaufs von zwei Monaten bei. Es existiert jedoch noch ein anderer Kniff: ->Company of Heroes lenkt einleitend, innerhalb der Missionen die Wahrnehmung des Spielers bewusst auf die Akteure kleiner Kampfgruppen. Beispielsweise in der zweiten Mission, in der alliierte Luftlandetrupps der Fox-Kompanie deutsche FlAK-Stellungen ausheben müssen. Eine Filmsequenz zeigt nicht nur beklemmend, wie undeutlich Freund und Feind auszumachen waren, als sich die gelandeten Soldaten in der Nacht orientierten und sammelten. Eine bedrückte, verängstigte, aber pragmatisch zielgerichtete Stimmung der Truppführer wird in knappen Worten deutlich.
Nimmt man dies alles zusammen in den Blick, entsteht eine emotionale Bindung an die Figuren der Alliierten, die Ängste, Sorgen und Tapferkeit vermittelt und das Anliegen der Soldaten zu dem der Spieler werden lässt. Das Spielerlebnis wird so mit persönlicher Tiefe versehen, wie es keinem anderen mir bekannten Strategietitel gelingt. Dadurch, und auch das ist bemerkenswert im Spielekosmos, stehen manche Äußerungen der geschundenen Soldaten auf der untersten Ebene gelegentlich auch in einem wohltuenden Kontrast zur patriotisch aufgeladenen Narration im Hintergrund. Insgesamt sind Ähnlichkeiten in der stark auf Personen zentrierten Präsentation zu der 2001 für ->HBO aufwendig produzierten und inszenierten Serie ->Band of Brothers nicht von der Hand zu weisen.
Über-Oberbefehlshaber
Im Kontrast zur gesamten Erzählweise steht nun die spielerische Perspektive innerhalb der Schlachtfelder. Über einem Frontabschnitt der Missionskarten schwebt der Spieler, als würde er die Kämpfe tief in einem Flugzeug überfliegen. Obendrein kann er den Neigungswinkel dieser Sicht verändern und damit näher ins Geschehen eintauchen, spielerisch aber ist diese Sicht meist ungeeignet, fehlt auf diese Weise doch jede Übersicht.
Die Überflugperspektive ist als Analogie zu Aufklärungsflügen an sich nicht unangemessen; der Detailgrad des Überblicks und die Möglichkeiten, die der Spieler als oberster Kommandeur hat, aus diesem Blickwinkel ins Schlachtgeschehen einzugreifen, sind es hingegen schon. Da werden, nimmt man allein die Optionen im Infanteriesegment, Squads eilig hinter niedrige Mauern gescheucht, Bunker mit Explosivpaketen sturmreif gesprengt, Granatwerfer per Hand ausgerichtet und taktisch positioniert, Minen an Kreuzungen verlegt und Gebäude gestürmt – alles von Hand des Oberkommandeurs, des Spielers, persönlich.
Zusammen mit einer dynamischen Kleinstkarte im linken unteren Bildeck hat der Spieler stets feindliche Truppenpräsenzen und bedrohte Sektoren übersichtlich vor Augen, zumindest solange der Kriegsnebel sie nicht verhüllt. Der Kriegsnebel bzw. Fog of War bezeichnet die Bereiche, in welche die Truppen des Spielers keine Einsicht haben, weil ihr Sichtfeld per se nicht weit genug reicht oder durch Hindernisse verstellt wird. Auf allen geschilderten Ebenen beißt sich die spielerische Weitsicht also mit den realen Verhältnissen im Gefechtsfall erheblich.
Und auch die globalen Handlungsoptionen sind sehr viel weitreichender, als es eine wirkliche Schlachtsituation hergeben würde. Zwar sind auf den Schlachtfeldern dieses Spiels als Flaggenpunkte markierte strategische Positionen einzunehmen, was sich im Vergleich zu anderen Vertretern des Genres eher an der taktischen Realität im Einsatzgebiet orientiert. Andererseits symbolisieren diese Punkte Ressourcen, die in Form von Personal, Treibstoff und Munition das Potential des Spielers für Aktionen feststecken. Abwegig ist dabei, im Boden Frankreichs Erdöl zu finden und es unter Gefechtsbedingungen zu Treibstoff aufzubereiten. Auch mehr Soldaten durch diese Punkte zu generieren, erscheint abstrus, wenn man nicht annehmen mag, dass das alliierte Oberkommando Nachschub schickt, sobald nur der besetzte Raum größer wird. Explizit erklärt das Spiel diesen Prozess ohnehin nicht.
Zudem ist der Spieler als Kommandeur auch dafür verantwortlich, eine Basis zu errichten. Dies ist ein Zugeständnis an Konventionen des Strategiegenres, in dem bei den weitaus meisten Titeln Rohstoffanlagen errichtet werden müssen. Die gewonnenen Ressourcen dienen dazu, Fertigungsgebäude zu errichten, mit denen wiederum Einheiten produziert werden können. Man muss ->Company of Heroes zugute halten, dass es versucht, diese Konvention behutsam auf das Szenario der Normandie zu übertragen. Schließlich ist es nicht direkt notwendig, Ressourcen gewinnende Anlagen zu konstruieren, sie fließen ja aus den eroberten strategischen Punkten herein. Als Fertigungsanlagen kann man die zu errichtenden Gebäude eigentlich auch nicht bezeichnen. Zur Rekrutierung dient eine Kaserne, die durch ein größeres Zelt symbolisiert wird und in der Truppen aufgestellt werden. Fahrzeuge rollen aus einer Art Werkstatt. Wohlwollend könnte man dies noch akzeptieren, da die Dauer der Produktion vestanden werden könnte als die Zeit, in der Nachschub an Einheiten an die Front verlegt wird. Aber auch dies stellt das Spiel nicht klar. Weitere Gebäude, die errichtet werden können, sind zum Beispiel Bunker und befestigte Stellungen für Geschütze und Maschinengewehre. Für alle diese Konstruktionen sind Pioniere als Einheiten essentiell, was auch nicht völlig abwegig ist.
Das Strategiespiel ->World in Conflict, das der mittlerweile zu ->Ubisoft gehörende Entwickler ->Massive Entertainment 2007 veröffentlichte, löst dieses Problem wesentlich charmanter, indem es auf den Bau von Basen schlicht verzichtete. Kommandiert werden kleine, zum Beispiel auf Panzer oder Luftabwehr spezialisierte Truppenteile, deren Verluste nur wieder aufgefüllt werden können, wenn man mit der Zeit wieder Nachschubpunkte erhält. Die Kamera hingegen war noch freier über das Schlachtfeld beweglich, allerdings wurden Sichtlinien der eigenen Freundseite in Echtzeit einberechnet. Interessant ist dieser Vergleich vor allem deswegen, weil die Erzählweise des Spiels einem ähnlichen Muster folgt, wie es oben anhand von ->Company of Heroes nachgezeichnet wurde. Lediglich das Szenario lehnt sich nur bedingt an ein reales historisches Vorbild an, handelt ->World in Conflict doch davon, wie sich die Sowjetunion im Wendejahr 1989 weltweit eskalierend aufbäumt anstelle friedlich in den Orkus der Geschichte zu gehen.
Wie schon angedeutet, hat der Spieler auch bei ->Company of Heroes den direkten Durchgriff auf alle Truppenteile, die sich unter seinem Kommando auf dem Schlachtfeld befinden. Diese Aufgabe ist spielerisch von hoher Komplexität, müssen doch Soldaten in Deckung gehalten werden, Panzer sind mit der Front zum Gegner auszurichten und Truppen müssen, nach Gattungen ausgewogen, an den strategischen Punkten und in Gebäuden vorausschauend platziert werden. Und das geschieht in der Regel an mehreren Fronten gleichzeitig. Trupps können zudem Spezialwaffen auflesen und steigen in Erfahrung und Rängen auf, was wiederum neue Fähigkeiten freischaltet. Bei dem Genannten handelt es sich nur um einen kleinen Ausschnitt aus den notwendig zu berücksichtigenden Faktoren, die unter dem unablässigen Stress feindlicher Bewegungen und Angriffe abgewogen werden wollen. Aus der hohen Komplexität des Gameplays folgt ein notwendig direkter Einfluss des spielenden Befehlshabers, der mit realen Gefechtssituationen einfach nicht zusammen passen will.
Frontbegradigung
Gerade der Kontrast aber zwischen den zwei Perspektiven – der weiten Befehlsmacht auf der einen Seite und der sehr persönlichen Erzählweise aus der Perspektive einer kleinen Zahl amerikanischer Soldaten in einem kurzen Kriegsabschnitt – macht ->Company of Heroes zu einem ganz besonderen Beispiel historischer Inszenierungen in Videospielen. Diese Darstellungsweise wiederholt ->Relic auch für die Addons ->Company of Heroes: Opposing Fronts und ->Tales of Valor. Mir geht es in diesem Beitrag also nicht um – durchaus berechtigte – Fragen zur Authentizität einer solchen Kombination, und auch die Akuratesse der dargestellten historischen Zusammenhänge an ist nicht der eigentliche Punkt, auf den ich mit meinen Ausführungen hinaus möchte.
Weswegen ich ->Company of Heroes als Historiker für ein besonders bemerkenswertes Videospiel halte, fußt auf eben diesem Zusammenspiel der Perspektiven. Es unterstreicht, in welcher Bandbreite und in welcher Skalierung historische Inszenierungen in Videospielen möglich sind. Auf der einen Seite wird mithilfe der untersten soldatischen Ebene im Einsatz eine rein alliierte Geschichtsperspektive tradiert, die jedoch natürlich auch für sich allein eine berechtigte Überlieferung ist. Bei dieser Methode ist lediglich die Frage, ob die Wortbeiträge der Soldaten den Erinnerungen der Frontkämpfer entstammen oder ob sie aus dem Stift eines Drehbuchautoren geflossen sind. Es ist bedauerlich, dass ->Company of Heroes die Quellen nicht offenlegt.
Natürlich habe ich dann auch die Perspektive von Entwicklern im Ohr, dass es sich um ein Unterhaltungsprodukt handelt, nicht um eine wissenschaftliche Publikation. Das ist natürlich richtig, bedeutet aber nicht, dass nicht zumindest für die Interessierten optional die Quellen offengelegt werden könnten. Es gibt genügend Spieler, die sich eifrig tiefer in die Hintergründe historischer Inszenierungen einlesen möchten. Zudem dürfte es für Relic eine Kleinigkeit sein, da der Entwickler im Vorfeld sicher reichlich Literatur zur Hintergrundgeschichte gesammelt hat. Eine ausgewiesen referenzierte Geschichtsschreibung entlang von persönlichen Erlebnissen im Rahmen historischer Ereignisse kann, fachlich einigermaßen reflektiert durchgeführt, eine sehr gewinnbringende Darstellungsweise sein und wird ja auch durch Zeitzeugenbeiträge in TV und Film häufig verwendet.
Was die Gefechtsperspektive angeht, handelt es sich natürlich um ein Spiel. Dessen Handlungsoptionen werden durch das gewählte Gameplay diktiert, weshalb die große Übersicht, das Durchgreifen mithilfe schneller, wechselnder Kommandos und die aktive Verantwortung des Spielers für jedes noch so kleine Detail schlichtweg hingenommen werden müssen. Vielleicht gäbe es bessere Arten dies zu inszenieren. Ein paar Vorschläge dazu zeigte das Beispiel World in Conflict. Zudem verändert sich schnell das Spielerlebnis zu einer Simulation, versucht man Realismus um jeden Preis durchzusetzen. Meist lässt eine solche Akkuratesse dann den richtigen Spielfluss missen.
Der Unterschied zwischen ->Battlefield 4 vom schwedischen Entwickler ->D.I.C.E. und ->Arma 3 aus dem tschechischen Studio ->Bohemia Interactive liegt genau darin: Während erstere sich auch unter Abstrichen beim Grad des Realismus mit sehr flüssigem Gameplay an ein breites Publikum wenden, haben die Tschechen eine Philosophie, die jeden Spieler durch einen hohen Grad an Realitätsnähe extrem fordert, dadurch aber auch für langatmiges Belauern entlang der Feindfronten sorgt oder den Tod durch eine Kugel von einem gegnerischen Sniper nach etlichen Minuten, in denen der Spieler an eine feindliche Stellung herangerobbt ist. Will man also einen hohen Spielfluss erzeugen, muss ein Entwickler auch mit großer Abstraktion arbeiten.
Diese Abstraktion ist natürlich eine Interpretation. Da jedoch niemand – auch nicht unter Historikern – die Begebenheiten in der Normandie im Sommer 1944 vollkommen „rekonstruieren“ kann, ist beides an sich auch kein Problem. Alles, was wir heute über die Geschichte zu sagen haben, sind abstrakte Annäherungen auf Basis von verbalen und materiellen Überlieferungen. Wir Historiker kategorisieren, strukturieren und ordnen sie dann narrativen Bögen zu, die als Abbilder einer möglicherweise mal ähnlich geschehenen Geschichte alles sind, was wir heute noch über die Vergangenheit zutage fördern können. Das mag jetzt ein bisschen sehr wissenschaftlich geschwurbelt klingen, bedeutet jedoch im Grunde nicht mehr, als dass auch Historiker ein Puzzle aus Befunden zusammensetzen wie es die Entwickler bei ->Relic in ihrer alliierten Kampagne getan haben. Liegt bei einer wissenschaftlichen Arbeit das Erkenntnisinteresse auf der Perspektive amerikanischer Soldaten in den nordfranzösischen Kampfhandlungen, so wird vielleicht sogar ähnliches wie in der Kampagne des Videospieles herauskommen.
So wird verständlich, dass auch der hohe Anspruch an Realitätsnähe wie in ->Arma 3 stets nur modellhafte Näherung bleiben kann. Der Unterschied aber besteht darin, dass Wissenschaftler sich darauf verständigt haben, anerkannte Arbeitstechniken und standardisierte Rückbezüge auf andere wissenschaftliche Publikationen zu verwenden. Es muss ja nicht so ausführlich und akribisch sein, aber auch ->Company of Heroes hätte es nicht geschadet, wenn das Entwicklerteam seine Arbeitsweisen und zumindest einige ihrer Quellen stärker ausgewiesen hätte.
Zudem hätte man durch kleine Tricks die Mechanik auf dem Spielfeld noch durch minimale Eingriffe historisch verbessern können. Zum Beispiel hätten Lastwagenkonvois Entsatz ins Lager fahren können. Bei den Feldtruppen im Spiel war es ja auch möglich, dass in der Nähe von strategischen Punkten einzelne Soldaten die Squads als Fallschirmjäger wieder auffüllen, wenn Verluste eingetreten sind. Auch Fahrzeuge könnten im Hauptquartier angefordert werden und durch Transporter auf das Schlachtfeld geliefert werden. Doch das ist Gejammer auf hohem Niveau, schließlich handelt es sich bei ->Company of Heroes um einen Vertreter der Echtzeitstrategie, der schon erhebliches Gehirnschmalz darin investiert, historische Perspektiven auf den Feldzug in der Normandie möglichst behutsam narrativ zu inszenieren und historische Faktoren spielmechanisch abzubilden.
Den Einwand, dies sei doch ohnehin irrelevant, weil es sich ja bloß um ein Stück Unterhaltungselektronik handele, lasse ich nicht gelten. Als Teil der medialen Erinnerungskultur trägt ein solches Spiel erheblich zu Geschichtsbildern in der Gesellschaft bei, in Videospielen gerade zu dem deren jüngerer Teile. Damit ist es keineswegs nur ein Spielzeug, mit dem Kinder achtlos herumtollen, sondern ein mächtiges Werkzeug um (vermeintliches) Wissen herauszubilden und zu festigen. Damit wäre es schon wünschenswert, dass mehr Entwickler diese Rolle verstehen und mit intelligenten Kniffen den vielen historisch interessierten Spielern Ansatzpunkte für eigene, weitere Nachforschungen geben.
Wenn sich der Rauch verzieht
Was die Erinnerungskultur angeht, zeigt sich ausgerechnet bei ->Company of Heroes noch ein weiteres für Historiker interessantes Phänomen an Videospielen. Um überhaupt Zugang zur einer Erinnerungskultur um ein historisches Thema und zu den Videospielen zu erhalten, die diese Erinnerungskultur mit beeinflussen, muss auch die Nachwelt die Spiele aktivieren und spielen können. Wie im einleitenden Teil schon ausgeführt, versagt die Version von 2006 jedoch den Start, nachdem der Entwickler zu einem anderen Publisher wechselte. Zwischenzeitlich sprang zwar der Dienst ->Steam ein, allerdings nicht ganz so, wie man es erhofft hätte.
Durch die Bindung an den Service von ->Steam ist ->Company of Heroes für alle Besitzer der alten Version wieder erhältlich. Diese überarbeitete Version lässt sich aktivieren, wenn der Originalcode der Spiel-CD in die Plattform eingegeben wird. Dann kann man aber nicht mehr die alte CD installieren, ->Steam verlangt, eine mehrere Gigabyte große Steam-Version aus dem Netz herunterzuladen. Nicht für jeden ist dies mit seiner Internetverbindung ohne Weiteres zu schaffen. Außerdem bindet man das Spiel an einen Anbieter, der theoretisch auch insolvent gehen könnte. Es ist zu bezweifeln, dass der Service dann in Betrieb bliebe, womit aber sämtliche dortigen Spiele auf einen Schlag nicht mehr aufzurufen wären. Nun ist eine Pleite der Firma ->Valve, die den Service ->Steam betreibt, gegenwärtig ins Land der Phantasie zu verweisen, doch ändert das nichts daran, dass dies in ein paar Jahren vielleicht anders aussehen könnte.
Historiker sind es da gewohnt, in völlig anderen Zeitskalen zu denken. Was ist mit dem Service in fünfzig Jahren? Kann das Spiel auch noch in 200 Jahren aufgerufen werden? Wohl kaum. Es ist das Vorrecht einer jugendlichen Branche wie der Videospielindustrie, zur Zeit keinen Gedanken an das Bewahren ihrer Produkte zu verschwenden, ähnliche Probleme hatten Tondokumente und zum Beispiel Filmprodukte auch in ihrer Anfangszeit. Doch auch die heutigen Produkte – so zum Beispiel auch ->Company of Heroes – sind eines Tages Stücke der Geschichte, von denen, wenn wir nicht aufpassen, höchstens noch textliche Beschreibungen und ein paar Videosequenzen übrig sein werden.
Bei Videospielen kommt nämlich noch ein wichtiger problematischer Faktor hinzu: Ihre Eindrücke und damit auch die historischen Inszenierungen entstehen im Gegensatz zu Büchern und Filmen nicht durch den passiven Konsum fester Produkte, sondern erst im und durch den Prozess ihrer Nutzung. Das ist ein wesentlicher, methodisch wie konservatorisch gar nicht zu überschätzender Unterschied. Somit müssten Videospiele eigentlich in der Form bewahrt werden, dass sie aktiv nutzbar bleiben. Das wirft natürlich zwei Probleme auf. Einerseits ist nicht mehr jedes Betriebssystem als lauffähige Software reproduzierbar, weshalb die Spiele gegebenenfalls nicht mehr gestartet werden können. Obendrein gibt es ein Hardware-Problem, weil Chiparchitekturen sich vollständig geändert haben und manche Geräte schlichtweg nicht mehr vorhanden sind. Das ist zudem noch auf einer spielerischen Ebene problematisch, weil auch Eingabegeräte wie Controller und Tastaturen nicht mehr vorhanden sind. Das schränkt natürlich auch das originale Spielerlebnis drastisch ein.
Außerdem vollzieht sich die Entwicklung von Videospielen so rasant wie bei keiner anderen Medienform zuvor, was die genannten Probleme verschärft. Schon jetzt verlieren wir aus diesen Gründen Videospiele Tag für Tag im zersetzenden Schlamm der Geschichte und mit jeder vergehenden Konsolengeneration oder PC-Architektur werden es exponentiell mehr Titel. Dies liegt daran, dass der Spielemarkt in den letzten zwei Dekaden erheblich expandiert ist, wodurch die Anzahl der Spiele pro Konsole ebenso explosionsartig gewachsen ist. Es ist dringend Zeit für nachhaltige technische Lösungen – ja, ausdrücklich auch aus historischer Sicht.
Dass das ->Computerspielemuseum Berlin bei der aktiven Archivierung von Spielen und ihrer Hardware ein wegweisender Vorreiter ist, habe ich bereits im Beitrag ->NEWS: Spiel mit der Vergangenheit vom 9. Januar 2014 angedeutet. Dort hatte ich auch angekündigt, mich um ein Gespräch wegen der dortigen Aktivitäten zu bemühen. Leider ist es dazu nicht gekommen. In einem Vortrag in der Ringvorlesung an der HAW Hamburg stellte vor ein paar Jahren der Leiter des Museums Ideen vor, mehrschichtige Emulatoren zu konstruieren, um Videospiele auf einer Webseite lauffähig zu präsentieren. Emulatoren sind kleine Programme, die von Fall zu Fall sogar ganze Rechner und Betriebssysteme auf neueren Modellen simulieren, um ältere Software abspielen zu können. Dieses Gespräch muss ich jetzt wohl angesichts dieser Überlegungen zu ->Company of Heroes dringend mal führen.
Würde eine solche Lösung realisiert, gäbe es endlich eine nachhaltige Anwendung, mit der es solch historisch bemerkenswerten Videospielen erspart bliebe, als Unbekannte im Schlamm der Geschichte unterzugehen wie die ersten Reihen der verzweifelten Männer bei der Landung in der Normandie, als sich die Ladeluken ihrer Schuten öffneten.
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