RETRO: Konzerne auf Droge

PS3-exklusiver Shooter Haze versenkt innovative Ansätze in spielerischem Einheitsbrei

Was ist, wenn Soldaten zum Kämpfen mit Drogen vollgepumpt werden? Was ist, wenn sie die Welt comicartig wahrnehmen und die Droge alles Unangenehme aus ihrem Sichtfeld entfernt? Was ist, wenn die Kriege auf einmal um die Droge geführt werden… und die Kriegsparteien Produzenten der Drogen und ihre Konsumenten sind?

Haze heißt Eintrübung - in mehreren Hinsichten
Haze bedeutet Eintrübung: hier in mehreren Hinsichten

Free Radical Design, die Entwickler der sehr erfolgreichen Serie -> Timesplitters, wagten sich 2008 an wesentlich ernsthaftere Kost. Der Shooter -> Haze, als exklusives Vorzeigeprojekt auf der -> Playstation3-Plattform konzipiert, griff die Problematik global agierender Konzerne und ihre Ambitionen auf eigene paramilitärische Organisationen auf.  Zudem zieht sich die Frage durch das gesamte Spiel, was geschähe, wenn die dort dienenden Söldner mit Drogen zu Kampfmaschinen umgezüchtet werden.

Mantel Corp. ist dein Freund... doch wirklich!

Leider hat der als graphisches Wunder angekündigte Shooter nicht bloß die selbst auferlegte Hürde als exklusiver Vorzeigetitel gerissen…

Den Spielern wurden in Levelarchitektur, Waffenverhalten und Erzählstil technisch kein exklusives Hit-Niveau geboten. Zudem wurde die Steuerung erstens zu umfangreich ausgelegt, denn die Tasten der PS3-Controller sind teils doppelt belegt, zweitens war sie auch noch sehr ungenau. Das wäre selbst für einen Shooter zu wenig gewesen, der nur Mittelklasse-Niveau angstrebt hätte und auf mehreren Plattformen erschienen wäre. Nicht zuletzt deswegen musste das Studio ein halbes Jahr später schließen. Allerdings bot im April 2009 der deutsche Entwickler -> Crytek (Quelle: -> Gamesindustry.biz) den Mitarbeitern ein neues Heim.

Dabei ist die Leitidee von Haze herausragend, und daher auch die eigentliche Innovation, mit der das Spiel überhaupt erwähnenswert bleibt. Drogen sind schon heute ein Multimilliarden-Geschäft und einer der globalsten Märkte, den unsere Zeit kennt. Im Jahre 2023 experimentiert ein global aktives Unternehmen namens Mantel Global Industries mit dem Einsatz bewusstseinsverändernder Drogen an den eigenen Sicherheitstruppen.

Diese Droge mit dem Namen Nektar schafft den Söldnern ein harmonisches Erlebnis von Schlachtfeldern, da sie unangenehme Elemente von Kämpfen, wie Opfer und eigene Verluste ausblendet. Ein Schirm der Harmonie wird über das Bewusstsein gelegt, solange nicht eine Überdosis die Kämpfer zu wild um sich ballernden, unkontrollierbaren Killermaschinen werden lässt.

Dazu passend bedeutet Haze in der englischen Sprache „Schleier“, „Dunst“ oder „Eintrübung“, ist jedoch auch eine Art von Cannabis-Pflanzen, die in den 1970er Jahren in Kalifornien als „Original Haze“ gezüchtet wurde (Quelle: -> Suchtmittel.de). Das getestete „Produkt“ des Konzerns wird auch der Zivilbevölkerung zugänglich gemacht – zynisch als „Nahrungsergänzungsmittel“ etikettiert. Die Effekte dessen für die Gesellschaft sind zerstörerisch – entsprechend regt sich Widerstand durch Rebellengruppen. Eine dieser Gruppen öffnet auch der vom Spieler verkörperten Hauptfigur die Augen, der letztlich gegen seinen alten Arbeitgeber zu Felde zieht. Die Handlung des Spieles ist also von der Tiefe eines Pornofilmes.

Die eigene Wirklichkeit entsteht immer im eigenen Kopf

Der eigentliche Star in Haze ist daher die Veränderung der Umgebung, die sich für die Spieler durch die Einwirkung der Droge drastisch verändert. So erscheint der Kampf verlustlos, simpel und ohne Folgen, solange sich genügend Nektar in den Adern des Spielers befindet. Blut zeigt das Spiel daher konsequenterweise auch nicht. Sinkt der Anteil des Drogencocktails im Blut durch Feindeinwirkung oder fehlenden Nachschub – und er sinkt sehr schnell – , so werden die schmutzigen Details der eigenen Taten wieder sichtbar. Es wird verständlich, warum die Soldaten danach trachten, wieder in höheren Rausch zu geraten, blenden sie doch unangenehme Details damit wieder aus.

Da der Spieler mit fortschreitender Handlung zunehmed auf die andere Seite wechselt, wird durch die schrumpfenden Vorräte der Droge die Grausamkeit der Kämpfe und das irrationale Verhalten der Söldnertruppen immer deutlicher. Dieser kontraststarke Kunstgriff lässt die späteren ungefilterten Ergeinisse im Spiel noch beklemmender wirken. Der Gewaltgrad wirkt daher höher, als er objektiv betrachtet im Vergleich zu anderen Shootern eigentlich ist. Damit gelingt dem Spiel hervorragend eine neuartige Inszenierung des Erlebens von Schlachtfeldatmosphäre und wirft dabei zugleich elementare moralische Fragen zum Krieg auf.

Aus der Sicht des Rebells wird schließlich auch deutlich, wie kontraproduktiv der Einsatz von Nektar selbst für den Konzern Mantel ist – Granaten der Rebellen mit Nektar garniert, lösen Raserei unter den Söldern aus, die sich gegen einander wenden. Neben den im Spiel thematisierten Folgen für die Gesellschaft und für Einzelne ist vor dem Abspann des Spieles jedem klar, wie die zu anfang genannten Fragen in diesem Artikel zu beantworten sind.

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