DGBL: Hamburg Respawn (PLAY14)

Workshops auf dem Festival PLAY14 erschufen Teile Hamburgs im 16. Jh. mit Minecraft

Seit vergangenem Montag ist das gigantische Potential der Klötzchen im Sandbox-Spiel ->Minecraft für Entdecker, Krieger, Künstler, Wissenschaftler und Lehrer sogar in Mammon quantifizierbar. ->Microsoft legte dem Besitzer Markus Persson für dessen Entwicklerstudio ->Mojang die unfassbare Summe von 2,5 Mrd. US-$ auf den Verhandlungstisch, nachdem Persson wohl an den Softwareriesen herangetreten war. Dies kam ebenso plötzlich wie überraschend, hatte Persson doch im März dieses Jahres die Zusammenarbeit mit den Entwicklern der Virtual-Reality-Brille ->Oculus Rift eingestellt, weil diese ein Kaufangebot von ->Facebook angenommen hatten. So schnell kann sich der Wind drehen.

Abb.: Minecraft handelt in einem der Spielmodi vom Erkunden, Erforschen und Experimentieren in spannenden, unvorhersehbaren Welten. (Abb.: eigener Screenshot)
Abb.: Minecraft handelt in einem der Spielmodi vom Erkunden, Erforschen und Experimentieren in spannenden, unvorhersehbaren Welten. (Abb.: eigener Screenshot)

Über das Phänomen Minecraft, Spielmodi und Spielmechanik hatte ich bereits 2011 sehr ausführlich berichtet. Deshalb möchte ich jeden, dem das Spiel und sein Potential unbekannt ist, auf jenen Beitrag verweisen (siehe ->INNOVATION³: Mindcraft vom 14. April 2011). Für das Hamburger Festival zu Kunst und Kultur der Videospiele, die ->PLAY14, setzte ich das Spiel auf eine besondere Art und Weise ein – die Teilnehmer an zwei ganztägigen Workshops am 17. und 18. September lud ich ein, Hamburg im 16. Jahrhundert möglichst akkurat nachzubauen.

httpvh://youtu.be/Gm13QIl7CZc
Minecraft schafft es auch in den Trailer zur Sektion „Machen“ auf der Play14, in der auch meine Workshops stattfanden. (PLAY14 Machen Trailer / Kanal insidecreativegaming via Youtube)

Hierfür hatte ich unter einem doch etwas längeren Zeitaufwand die spätmittelalterliche, landschaftliche Gestalt von Hamburgs Altstadtgebiet in ->Minecraft nach topografischen Karten vorbereitet. Um nicht aus reiner Fantasie zu basteln, standen den Teilnehmern historische Materialien und Karten zur Verfügung sowie Nachschlagewerke und ein paar ausgewählte Bildbände. Regelmäßig thematisierten wir in kurzen Diskussionspausen die Grenzen digitaler Nachbildungen von historischen Umgebungen mit einem besonderen Blick auf Videospiele, besprachen aber auch technische Voraussetzungen des Spieles und von Computern im Allgemeinen sowie Trends und Rahmenbedingungen der Gamesbranche.

Natürlich erreichten wir – um die Pointe vorweg zu nehmen – keinen vollständigen Nachbau der Altstadt, es zeigte sich jedoch schon an der Auswahl der einzelnen Bauobjekte und dafür verwendeter Materialien, wie sehr die Vorstellungswelten der Teilnehmer die belastbareren Erkenntnisse von Historiker überlagern. Schon dass die Teilnehmer das bemerkten, empfinde ich als Erfolg bei dem Vorhaben, wenn auch nicht alles so verlief, wie ich es mir erhofft hatte.

Abb.: Einige Teilnehmer des ersten Workshops leisteten fleißig Teamarbeit, um die Nikolai-Kirche zu errichten. Linkerhand eine von mir in einer Ruhepause eingefügte Schmiede. (Abb. eigener Screenshot)
Abb.: Einige Teilnehmer des ersten Workshops leisteten fleißig Teamarbeit, um die Nikolai-Kirche zu errichten. Linkerhand eine von mir in einer Ruhepause eingefügte Schmiede. Der Blick geht vom Hopfenmarkt in Richtung Burstah. (Abb. eigener Screenshot)

Die Ergebnisse in Form der bebauten Minecraft-Welt können Sie für nicht-kommerzielle Zwecke gern weiter benutzen. Dazu finden sich am Ende dieses Beitrages ein paar Links über die verschiedene Stadien der Konstruktion sowie die von mir ursprünglich vorbereitete Landschaft. Ich würde mich jedoch freuen, wenn Sie mir mitteilen, was Sie mit dem Projekt so anstellen…

Für beide Tage der jeweils siebenstündigen Workshops gewährte uns ->NEXT Hamburg Gastfreundschaft und Konferenztisch. Das war allein deswegen schon erfreulich, weil NEXT sich um die Stadtentwicklung Hamburgs kümmert, indem die Bürger zu Ideen aufgerufen werden. Damit passte die Lokalität für einen Workshop zu Hamburgs spätmittelalterlicher Stadtentwicklung wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Als Grundlage für die gemeinsame Arbeit in den Workshops erarbeitete ich eine landschaftlich nachmodellierte Karte von Hamburg mit den Flussläufen, Fleeten, Erhebungen und Dämmen wie es sie im Laufe des 16. Jh. gegeben hat. Grundlage für die Abmessungen und Höhenlinien war eine Karte von Dagmar Hagemann aus dem Jahr 1978 unter dem Titel „Hamburg im Spätmittelalter um 1500“. Technisch erlaubte mir die Modifikation ->Worldedit mit Terrain-Editoren das Altstadtgebiet wesentlich zügiger als im Einzelklotzmodus zu erstellen. Immer noch beschäftigte mich dies letztlich etwa acht Tage.

Abb. Mit rechteckigen und ovalen Formen in verschiedenen Tiefen sowie Materialien zwischen Kies und Sand legte ich mit WorldEdit zum Beispiel den Elbhafen und den Nikolaifleet an. (Abb. eigener Screenshot)
Abb. Mit rechteckigen und ovalen Formen in verschiedenen Tiefen sowie Materialien zwischen Kies und Sand legte ich mit WorldEdit zum Beispiel den Elbhafen und den Nikolaifleet an. Mittig im Bild die von den Teilnehmern recht flach angelegte „Hohe Brücke“. (Abb. eigener Screenshot)

Die Organisatoren der PLAY14 trieben für mich die Rechner auf und teilten mir mit Huel Schumacher einen ebenso erfahrenen wie technisch versierten Helfer zu, dem ich auch angesichts der nicht immer unproblematischen Teilnehmer für seine große Ruhe ausdrücklich danke. Leider musste ich Abstriche bei dem Internetzugang für die Rechner hinnehmen, mit dem die Teilnehmer eigentlich noch bestehende architektonische Anregungen sammeln sollten, da Hamburg selbst ja leider keine historische Gebäude mehr aus der angepeilten Zeit besitzt. So behalfen wir uns mit einer Recherchestation an einem Notebook, welche die Teilnehmer nutzen konnten.

Als Basis für das Projekt dienten neben Bildbänden zu typischen Gebäudestilen, Seglern oder Geräten der Zeit und ein wenig wissenschaftlicher Literatur zum Beispiel über die Verteilung des Handwerks in der Stadt auch Karten und Ansichten von Hamburg. Das Bildmaterial hatte ich bewusst aus für die private Nutzung freien Quellen zusammengestellt, damit Teilnehmer wie Lehrer es auch für ihre eigenen Unterrichtszwecke oder andere private Interessen verwenden konnten. Sie stammten aus den historischen Karten der ->Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) Hamburgs und einer privaten, hervorragend dokumentierten Zusammenstellung verschiedener Ansichten und  Karten auf der Webseite von Mediendesigner ->Christian Terstegge. Nicht zuletzt war für diesen Zweck auch die Sammlung von ->Hamburgensien Digital auf der Webseite der ->Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Carl von Ossietzky sehr hilfreich.

Auf dieser Basis ging es jedoch nicht um eine bloße Rekonstruktion, einen abstrakten Nachbau der spätmittelalterlichen Stadt. In einem zweistündigen Rhythmus unterbrach ich die Bauarbeiten, um mit den Teilnehmern wesentliche Aspekte einer solchen städtischen Wiederauferstehung zu besprechen, die einen Historiker umtreiben. Zunächst diskutierten wir darüber, was für Vorgaben ich durch die Landschaften und ihre Dimensionierung sowie die zuvor festgelegten Positionen von Gebäuden den Teilnehmern quasi aufgezwungen habe.

Zudem habe ich gewisse Ausschnitte fertiggestellt, manche aber nicht, einige sorgfältiger, einige nur grob. Ein weiterer Themenblock war dann die Errichtung der Gebäude, bei denen Materialien, Interieur und so etwas banales wie die exakte Höhe nicht einfach herzuleiten sind. Zudem hatte ich das Spiel mit Ressourcenpaketen modifiziert. ->Miza’s Realistic Mod, ->PureBDCraft und ->GrungeBDCraft verleihen den Texturen des Spieles, also den Oberflächen aller Blöcke, vollkommen unterschiedliches Aussehen und erschaffen damit eine jeweils ganz eigene historische Atmosphäre. Probieren Sie es ruhig selbst gern aus, beachten Sie aber unbedingt die dortigen Anforderungen.

Abb. Wie die Teilnehmer erkennen mussten, führen Gemälde des 19. Jahrhunderts, die angeblich eine Handelskogge zeigen, nicht unbedingt zu den richtigen Darstellungen von Handelsschiffen. (Abb. eigener Screenshot)
Abb. Wie die Teilnehmer erkennen mussten, führen Gemälde des 19. Jahrhunderts, die angeblich eine Handelskogge zeigen, nicht unbedingt zu den richtigen Darstellungen von Handelsschiffen. Im Hintergrund der Neue Kran hinter der Hohen Brücke. (Abb. eigener Screenshot)

Hier thematisierten wir auch die grobe Auflösung von Minecraft und die allgemeinen Schwierigkeiten von Entwicklungsstudios, die historische Überlieferung möglichst akkurat unter Berücksichtigung technischer Schranken in ein Videospiel zu übertragen. Bei allen Versuchen, Materialkultur möglichst plausibel zu integrieren, kommt noch hinzu, dass Alltagskultur, Lebenswelten und insbesondere Lücken in der Überlieferung nicht durch Objekte und Gebäude abzubilden sind – so sehr die Branche das auch immer wieder versucht. Damit führten uns die Gespräche auch zu der Frage, warum die Teilnehmer ausgerechnet Kirchen als Bauprojekte auswählten. Eine mögliche Erklärung: Hier liegt am Ehesten der Zugang einer bei heutigen Menschen verbreiteten erinnerungskulturellen Vorstellungswelt zum Mittelalter. Kirchen meinen alle irgendwie zu kennen, eine Wassermühle oder einen Hafenkran eben eher nicht.

Die Arbeitsprozesse unterschieden sich jedoch erheblich von Teilnehmerkreis zu Teilnehmerkreis, was am Ehesten an der Altersstruktur lag. Hier hatte ich zuvor angemeldet, bitte niemanden unter 12 Jahren einzubuchen, zwei besonders schwierige Gruppen aber waren aber deutlich jünger und zerstörten mehr Vorarbeiten als sich mit dem Thema wirklich zu befassen. Auch die Gastgeber zeigten sich wenig begeistert von dem entstandenen Chaos.

Dies wirft natürlich Fragen an mich auf, ob  das Konzept wirklich geeignet war und in welcher Weise ich das Projekt weiterführen könnte. Vorstellbar wären gemeinsame Projekte mit Archäologen, gezielt könnte man die Minecraft-Karte auch mit an Schulen nehmen. Mit ein paar davon habe ich dahingehend auch schon einmal vorgefühlt. Kontaktieren Sie mich gern, wenn Sie selbst Ideen haben, Hamburg auch bei Ihnen respawnen zu lassen.

Auch mit den Partnern von der ->PLAY14 muss sicher über viele Aspekte gesprochen werden. Hier muss ich sicherlich auch mit ein wenig Abstand auf Basis meiner Notizen urteilen. Dennoch verbuche ich schon jetzt die Workshops als erfolgreich, hatte ich doch den Eindruck, dass viele Teilnehmer tiefe Einsichten in die Hamburger Stadtentwicklung wie auch Probleme des historischen Game-Design gewonnen haben.

Wenn Sie sich selbst ein Bild von der Karte in Minecraft machen wollen, können Sie sich unter folgenden Links

-> die Rohfassung ohne Gebäude

-> die Ergebnisse des ersten Workshops

-> und die Ergebnisse des zweiten Workshops

bei ->file-upload.net herunterladen.

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3 Gedanken zu „DGBL: Hamburg Respawn (PLAY14)“

  1. Hallo Herr Nolden,
    mein Name ist Adrian Rose und ich bin Student an der C.v.O.-Universität in Oldenburg. Ich versuche gerade meine Bachelorarbeit zu dem Thema „Virtuelle Rekonstruktion im Geschichtsunterricht am Beispiel der Software Minecraft“ bei Prof. Dietmar von Reeken im Bereich der Geschichtsdidaktik zu schreiben. Haben Sie vielleicht Literaturhinweise, die ich beachten kann? Bisher ist meine Recherche etwas mau ausgefallen, da bisher die Thematik Videospiele nur als Reflexionsgegenstand bearbeitet wurde und Frau Schwarz in ihrem Sammelband ja auch eher auf die Darstellung von Geschichte in Spielen eingeht. EIn Lichtblick stellt der Artikel von Herr Craft in „the classic journal“ über seine Arbeitb mit seinen Schülern Rom virtuell zu rekonstruieren.
    Was waren ihre eigenen Erfahrungen über mögliche Probleme und Nutzen des Spiels?
    Sie wären eine große Hilfe für die weitere Arbeit.
    Wenn die Arbeit abgeschlossen ist, schicke ich Ihnen gerne auch eine Kopie. 🙂

    Mit freundlichen Grüßen
    Adrian Rose

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