KOMMENTAR: „Professor Daddel“

Hamburger Morgenpost verkennt die Bedeutung der Spielebranche

Endlich studieren auf Weltniveau ohne reiche Eltern

Als die Zeitung am 11. August 2009 einen Beitrag über den lange geforderten Studiengang „Sound, Vision, Games“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg veröffentlicht, ist die Freude zunächst groß.  Professor Gunther Rehfeld und seine Kollegen haben diesen Studiengang, der in Deutschland an einer staatlichen Hochschule bislang vergeblich seinesgleichen sucht, entgegen vieler Widerstände endlich etablieren können. Die Berichterstattung der MoPo-Redakteurin Simone Pauls über dieses Ereignis offenbart jedoch, wie viel Arbeit noch bevorsteht, um die Ernsthaftigkeit der Branche und damit auch ihre wirtschaftliche und wissenschaftlichen Bedeutung der Bevölkerung näher zu bringen.

Angesichts mehr als 300 offener Stellen allein in der hamburger Videospiele-Branche, die aus Mangel an qualifiziertem Personal nicht besetzt werden können, war der Schritt zu dem Studiengang nötig und längst überfällig. Für den Anfang lernen 20 Studenten in diesem Studiengang , wie man ein Computerspiel designt und entwickelt. Sie werden in beriebswirtschaftliche und projektplanerische Elemente eingewiesen und erhalten methodischen Unterricht und Lektionen über Spieltheorie.

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Abb: Professor Daddels ulkige Wachstumsbranche

Besonders erfreulich ist damit auch, dass sich für den Nachwuchs aus finanzell nicht übermäßig betuchten Familien endlich der Weg in diese zukunftsträchtige Branche öffnet. Zwar haben sich schon länger Bildungsinstitute in Deutschland etabliert, die in verschiedenen Ausbildungsgängen in die Gamesbranche führen. Allerdings werden für dortige Studenten horrende Gebühren verlangt, die nicht jeder mal so eben aus dem Sparbuch zauben kann. Der Studiengang ist zudem von der Stadt Hamburg im Rahmen der gamecity.hamburg mit 450.000 Euro angeschoben worden –  eine erhebliche Summe, die auch nötig ist, um mit der besten Technik arbeiten zu können. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise ist dies ein wertvolles Signal, dass die Stadt die Wichtigkeit dieser Branche erkennt und gleichzeitig Talente fördern will, die zuvor durch Papis mauen Geldbeutel vor der Tür stehen bleiben mussten.

Nachrichten aus dem Gestern

Die Diskrepanz allerdings zwischen der Bedeutung des Ereignisses und dem unterschwellig verächtlichen Ton der Zeitungsmeldung könnte größer nicht sein. Die Berichterstattung durch die Redakteurin Simone Pauls weist damit auf ein allgemeines gesellschaftliches Problem hin. Videospiele und die professionelle Beschäftigung mit ihnen in Forschung und Wirtschaft mögen vielleicht nicht mehr das Image von pickligen Einzelgängern im abgedunkelten Keller haben. Ernst genommen wird dieser gigantische Wirtschaftsfaktor immer noch nicht – seltsam, wo die Branche mittlerweile doch mehr umsetzt, als die Filmindustrie und in wenigen Jahren mehr als Musik- und Film-Industrie zusammen umsetzen wird.

Pauls nimmt als erstes das optische Erscheinungsbild des Dozenten aufs Korn und stellt fest, dass er mit seinem langen Pferdeschwanz, Kinnbart und Shirt im Schlabber-Look „ein wenig anders [sei] als andere Hochschullehrer“. Man fragt sich reflexartig, ob die Redakteurin nicht vielleicht ein paar sozialwissenschaftlichen Fachbereichen der Universität Hamburg einen Besuch abstatten sollte. Vielleicht würde sie ihre Einschätzung über das übliche Erscheinungsbild von Professoren und Dozenten doch ein wenig relativieren.  Schon allein dieser Aufmacher durch das Äußere verleitet den Leser – ob nun bewusst gewollt oder nicht – dazu, den Dozenten als Sonderling einzuordnen. Diese latente Süffisanz bestätigt auch der Untertitel des Artikels: „Neues Fach für Computerfreaks“. Freaks wecken ebenfalls Assoziationen an eine Ansammlung von sonderbaren Einzelgängern. Dies wird jedoch in keiner Weise Vertretern einer Branche gerecht, die  sich nicht nur wegen der Erfindung der Wii durch Nintendo in den letzten Jahren zum absoluten Mainstream gemausert hat.

Um die Relevanz des Studiums der Videospiele und die dazugehörige Milliardenbranche ins rechte Licht zu rücken, ist auch nicht hilfreich, dass der engagierte Begründer des Studiengangs als „Professor Daddel“ verunglimpft wird. Diese Bezeichnung durch die Redakteurin der Morgenpost steht in einem eklatanten Missverhältnis zu den Ausführungen Professor Rehfelds, der erläutert, dass es das Medium Videospiele geschafft hätte, „aus der Spinnerecke herauszukommen und für alle Zielgruppen interessant zu werden.“ Offenbar ist Frau Pauls nicht dieser Meinung.

Lachend in den Untergang

Es ist nicht allzu verwegen, bei Frau Pauls eine gewisse Abneigung dagegen zu vermuten, Videospiele für „voll“ zu nehmen. Die gewählte Sprache ist nunmal Ausdruck des eigenen Denkens. Offenbar gehört die Redakteuren nicht zu dem stetig wachsenden Kreis von Menschen, die in der Branche der Videospiele ihr Geld verdienen oder  sich der Unterhaltung durch Spiele auf PCs und Konsolen hingeben. Hier wird einmal mehr deutlich, wie unterschiedlich die Lebensweisen und das Weltverständnis in der jüngeren Generation und den älteren, nicht mit Videospielen aufgewachsenen Menschen sind.

Die Art, wie die MoPo mit einem der zukunftsträchtigsten Studiengang der Hansestadt umgegangen ist,  lässt befürchten, dass Deutschland auch in diesem Bereich international wieder den Anschluss verpennt. Während in Deutschland die Montanindustrie und die Atomobilbranche mit großen Summen am Leben gehalten werden, fehlen Geld und Bewusstsein, in diese neue Branche zu investieren. Andere Länder galoppieren uns mit staatlichen Investitionsförderungsfonds davon. Die USA sind ohnehin in ihrem Marktvolumen nicht einholbar. Frankreich stellt Millionen zur Verfügung. In Kanada wurde der Videospiele-Blockbuster „Assassin’s Creed“ mit hohen Millionenbeträgen gefördert. Unternehmen erhalten dort zudem weitgehende Steuerfreiheit.

Die meisten Deutschen bauen wahrscheinlich lieber weiter spritfressende Dinosauriere und verbuddeln Milliarden im Steinkohlebergbau und belächeln die „Spinner„, die mit Spielen Geld verdienen wollen. So kann man dem engagierten Professor nur genug Kraft wünschen, der süffisanten Abwertung durch weite Teile der älteren Generation ausdauernd entgegen zu treten. Die Jüngeren, in deren Lebenswirklichkeit digitale Medien schon längst Fernsehen und Print verdrängt haben, werden es ihm in jedem Fall danken, dass Hamburg mit dem neuen Studiengang einen Fuß in die Tür zur wirtschaftlichen, technologischen und nicht zuletzt unterhaltenden Hochtechnologie des 21. Jahrhunderts gestellt hat.

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