IN EIGENER SACHE: Zurück im Vorposten

Die Dissertation ist eingereicht, endlich kann es in diesem Blog weitergehen

In meinem vorherigen Beitrag bat ich um ein wenig Geduld, weil es mir im letzten halben Jahr enormen Zeitaufwand und erschöpfend viel Energie abverlangte, die Arbeiten an meiner Dissertation abzuschließen. Daher legte ich im September schweren Herzens das Blog vorübergehend auf Eis. Der Ausnahmezustand traf viele private, aber auch berufliche Bereiche meines Lebens. So stellte ich meine Mitarbeit im ->Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele (AKGWDS) ein und ließ unsere Hamburger ->AG Games ruhen. Rückblickend waren diese Entscheidungen – so schwer mir diese Rückzüge fielen –  sinnvoll und wichtig, um mein Mammut-Projekt zu beenden. Nun kämpfe ich mich langsam aus dem Erdrutsch an liegengebliebenen Verpflichtungen nach oben.

Meine Dissertation untersucht digitale Spiele als Erinnerungskulturelle Wissenssysteme. Sie entwickelt ein Arbeitsmodell, das geschichtswissenschaftliche Perspektiven sinnvoll strukturiert. Dessen Anwendung auf das Fallbeispiel ‚The Secret World‘ erwies sich als gewinnbringend. Im Januar 2018 reichte ich die Dissertation der Prüfungskommission ein. (Abb. eigenes Foto)

Daher setzt auch meine Arbeit zu historischen Inhalten digitaler Spiele, innovativen Spielprinzipien und deren technikkulturelle Geschichte hier wieder ein. So manchen Beitrag meines Blog seit 2009 nutzte ich quasi als eine externe Speichererweiterung für meine Doktorarbeit, damit Leserinnen und Leser diverse Aspekte meines Textes an detailreicheren Artikeln vertiefen können. Als Dissertationsblog aber war er nie gemeint. Daher endet meine Arbeit auch nicht damit, dass die Dokterarbeit nun an der Universität Hamburg eingereicht ist. Als geschichtswissenschaftlicher Vorposten im weitgehend unerschlossenen Niemandsland von digitalen Spielen, die historisch inszenieren, bleibt er mir sogar äußerst wichtig. Von Beginn an trieb mich eine zentrale Motivation: Ich möchte Forschenden und Studierenden verständlich neue Perspektiven auf Geschichte in und um digitale Spiele aufzeigen, aber eben auch Lehrende an Schulen, Entwicklerinnen und Entwickler sowie journalistisch Interessierte mit einbeziehen. Meine Projekte in den vergangenen Jahren bewiesen mir überaus eindeutig, wie gewinnbringend ein Austausch unter diesen Gruppen für alle Beteiligten ist.

Dass es also endlich weitergehen kann, erleichtert mich sehr. Schließlich brennen mir seit einem halben Jahr große und kleine Themen unter den Nägeln, zu denen zu schweigen ich verdammt war. Ein paar Beispiele, die erklären, warum es so feurig brannte, nennt dieser Beitrag weiter unten. Als nächstes aber fußt zunächst ein neuer Blogartikel auf der Zusammenarbeit mit dem ->Talk-Show-Format gts7000. In ihrer Sendung am 8. März werden Historikerinnen und Historiker unter dem Leitmotiv „History Making on Playstation?“ darüber diskutieren, wie digitale Spiele Geschichte inszenieren. Mich baten die Veranstalter um einen Beitrag dazu, worüber ich mich sehr freue. Ich stelle eine Art Forderungskatalog zur Diskussion, wie sich die Geschichtswissenschaft meiner Ansicht nach völlig neu gegenüber digitalen Spielen aufstellen muss…

Das Ende einer langen Reise

Die jüngsten Monate führten in der Dissertation alle Fäden zusammen, die ich in den vielen vergangenen Jahren aufgenommen hatte. Da kam einiges zusammen. Die Erkenntnis wuchs im Laufe der Zeit, dass digitale Spiele wesentlich mehr an historischen Inszenierungen zu bieten haben, als in der Geschichtswissenschaft zur Kenntnis genommen wird. Das betrifft die Darstellungen von historischen Epochen, Zugriffsmöglichkeiten über verschiedene Teildisziplinen und anregende Impulse aus anderen geisteswissenschaftlichen Gebieten, dem Spielejournalismus und aus dem Game Design. Auch historische Aspekte der Spielkultur und der technologischen Entwicklungen ordnet die Forschung bislang wenig adäquat ein. Als verantwortlich dafür stellte sich beispielsweise heraus, dass die Frage bislang nicht beantwortet ist, was denn überhaupt das Historische an einem digitalen Spiel verkörpert. Zudem fehlt ein Verständnis für den medialen Charakter digitaler Spiele und ein Diskurs darüber, was dieser für die historischen Inszenierungen bedeutet.

Letztlich durchleuchtet meine Dissertation also im ersten großen Teil welche Auffassungen des Historischen in digitalen Spielen in der Branche und der Wissenschaft kursieren. Sie erschließt die Medialität digitaler Spiele in Bezug auf historische Inszenierungen und erörtert auf dieser Grundlage einen geschichtswissenschaftlich geeigneten, methodischen Umgang mit ihnen. Dass der fachliche Diskurs sich um Schwerpunkte konzentriert, dabei erhebliche Lücken aufweist und manche Bereiche noch gar nicht aufgreift, erläuterte ich an einer großen Zahl von Beispielen. Insgesamt ließen sich daraus vier geschichtswissenschaftliche Erkenntnisinteressen kondensieren: Geschichtsbilder, zeithistorische Rückkopplungen, eine technikkulturelle Geschichte digitaler Spiele und Erinnerungskulturelle Wissenssysteme. Aus den Befunden entwickelte ich zusammen mit einem Begriff des Historischen ein geschichtswissenschaftliches Arbeitsmodell, mit dem sich Forschende vergleichend digitalen Spielen nähern können.

Gerade für Massively-Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPG) –  oder kürzer: Online-Rollenspiele – produzieren Entwicklerinnen und Entwicklern weitläufige Spielwelten, wo historische Inszenierungen in den verschiedensten Varianten zu finden sind. Mit dem dortigen historischen Wissensangebot interagiert jedoch nicht nur ein Spieler oder eine Spielerin, große Spielergemeinschaften handeln gleichzeitig in und mit der Spielwelt und kommunizieren über ihre historischen Aspekten. So entsteht eine Erinnerungskultur. Daher untersuchte ich das Fallbeispiel ->The Secret World intensiv entlang der zuvor entwickelten Kategorien als Erinnerungskulturelles Wissenssystem, was meiner Ansicht nach zu faszinierenden Ergebnissen führte.

Was diese Ergebnisse angeht, muss ich jedoch um Geduld bitten, denn meine Dissertation reichte ich am 31. Januar an der Universität Hamburg in das Prüfungsverfahren ein. Daher wird es noch eine Weile dauern, bis die Prüferinnen und Prüfer ihr Urteil fällen. Wenn jedoch alles gut geht, dann könnte ein Druck bereits im Herbst 2018 folgen.

Es brennt! Es brennt!

Mir brennen seit dem September so einige historische Themen zu digitalen Spielen unter den Nägeln, denen ich mich nun langsam wieder widmen kann. Erschöpfend kann ich sie hier gar nicht rekapitulieren. Viele Themen von historischer Relevanz berührten im letzten halben Jahr digitale Spiele. Beispielsweise fuhr das Endzeit-MMO ->The Division vor mehr als einem Jahr herbe Kritik ein, weil es angeblich den Homeland Security Act unreflektiert umsetzte und ein fragwürdiges Menschenbild zeichnete. Ich kam erst viel später als die anderen Kritiker dazu, das MMO bis in jeden Winkel zu erkunden, und erlebte ein ganz anderes Spiel. Mir scheint, dass diese Diskrepanz an unterschiedlichen Spielertypen und Spielweisen liegen könnte.

Der Bombast-Blockbuster ->Call of Duty World War II ließ mir ebenfalls die Finger jucken. Die Inszenierung des Zweiten Weltkrieges ab der Landung in der Normandie ist nicht nur atemberaubend, sondern atemberaubend rückwärtsgewandt. Mit beeindruckender Grafik kroch hier ein Relikt des vorigen Jahrhunderts aus dem Kriegsnebel hervor, ignorierte fünfzehn Jahre spielekultureller Fortentwicklung und inszenierte ein Narrativ der ‚Greatest Generation‘, das ich eigentlich überwunden glaubte.

Ähnlich könnten populäre Geschichtsinterpretationen auch bei einem Mittelalter-Rollenspiel problematisch sein, das in der kommenden Woche erscheint. Im Januar eröffnete ein Kollege aus dem ->AKGWDS scharf eine Debatte, die im Spielejournalismus einige Wellen schlug. Jan Heinemann kritisierte die Berichterstattung über ->Kingdom Come: Deliverance heftig, weil niemand thematisiere, wie das arg nationalistische Geschichtsbild des Lead-Entwicklers des heiß erwarteten Rollenspiels das inszenierte Mittelalterbild gefährlich verzerren könne. Mich haben die Enthüllungen über den Designer, den ich eigentlich sehr bewundere, betroffen gemacht, regelrecht enttäuscht. Dass er die Spielejournalisten dazu brachte, sich einmal mit dem ideologischen Überbau digitaler Spiele zu befassen, fand ich großartig. Allerdings halte ich die Schärfe der Anklageschrift gegen das Spiel selbst für verfrüht, weil es schlicht noch nicht veröffentlich ist. Ich kann also noch gar nicht beurteilen, wie und ob sich die Einstellungen des Designers in der vermuteten Art dort niederschlagen. Und bei der angeblichen Spieldauer des Titels wird ein Beitrag dazu hier im Blog wohl eher länger auf sich warten lassen.

Eine ähnliche Kontroverse ahne ich für das kommende Wirtschaftsaufbauspiel ->Anno 1800 voraus. Die deutsche Traditionsreihe wechselt mit jedem Ableger die historischen Schauplätze, gastierte zwischenzeitlich sogar in der Zukunft. Dieses Mal thematisieren die Entwickler die Industrialisierung, Arbeiterrechte und Restauration im 19. Jahrhundert, wobei Waren quer durch die Spielwelt gehandelt werden. Pittoresque lassen  sich Städte mit einem Zoo voller exotischer Tiere aufwerten, die Frage aber, woher denn diese Tiere kommen, führt natürlich direkt in den Kolonialismus. Das Zeitalter der Industrialisierung ist überhaupt nicht von der überseeischen Ausbeutung der Kolonien und vom konkurrierenden Imperialismus der Nationalstaaten zu trennen. Ich bin höchst gespannt, wie der deutsche Entwickler ->Ubisoft Blue Byte dies in seiner Spielmechanik abbilden wird. Wenn nicht… uh, na hoffen wir es einfach.

Und das sind alles nur Titel mit großen Budgets, eine Vielzahl von Independent-Spielen beobachtete ich fasziniert im vergangenen Halbjahr, die interessante Konzepte in sich trugen. Das Coming-of-Age-Abenteuer ->Oxenfree etwa inszeniert eine geheimnisvolle Insel und ihren historischen Hintergrund mithilfe von Radiosendungen und Touristeninformationen, die mithilfe eines Kofferradios im Äther gesucht werden müssen. Die Hamburger von ->Osmotic Games zeigten mit ihrem Textadventure ->Orwell, was geschehen könnte, wenn Überwachungsfeteschisten allzu mächtige Werkzeuge in die Hände fielen. Ich könnte die Liste der entdeckten Perlen noch recht lange weiter aufreihen. Keine Ahnung, wie ich das aufarbeiten soll. Schließlich erscheint ständig Neues.

Tue Gutes und redet darüber…

Bevor ich aber mit Beiträgen zu diesen Spielen überhaupt beginnen kann, stelle ich für die Talkrunde ->Geschichtstalk im Super 7000 am 8. März die oben genannten Thesen zusammen. Unterstützt von dem Portal ->L.I.S.A der Gerda-Henkel-Stiftung treffen hier Historikerinnen und Historiker zusammen, um zeithistorisch relevante Themen zu besprechen. Ich freue mich sehr, dass sie in Zeiten, in denen Geschichtsklitterer in die Parlamente einziehen, offensiv in die Öffentlichkeit treten und Diskurse setzen. Themen waren etwa die Historisierung der Bundestagswahl oder jüngst die Traditionen der Bundeswehr. Manches hatte technisch Experimentcharakter, ist aber inhaltlich sehenswert.

In der kommenden Sendung am 8. März behandeln die Diskutierenden historische Inszenierungen in digitalen Spielen. Ich gebe zu, dass ich es für eine Fehlkonstruktion des Formates halte, in den Runden nicht jeweils ein paar Expertinnen und Experten die Themen für die Öffentlichkeit aufbereiten zu lassen. Die Diskutierenden betrachten digitale Spiele aus einer äußeren Perspektive und forschen nicht dazu. Missverständnisse scheinen mir daher vorprogrammiert. Die These, dass sich Expertinnen oder Experten in Details verlieren würden, teile ich nicht. Dem Moderator Georgios Chatzoudis ist durchaus zuzutrauen, dem entgegenzuwirken.

Hervorragend geeignet hätte sich etwa der Wiener Kulturhistoriker Eugen Pfister für die Runde. Allerdings freue ich mich, dass er wie einige andere Mitglieder des AKGWDS – und so auch ich – wenigstens schriftliche Beiträge und Interviews dazu beisteuern. Zu diesem gesellschaftlich virulenten und immer noch geschichtswissenschaftlich viel zu oberflächlich behandelten Thema ist eine Diskussion jedenfalls überfällig. Im Laufe der kommenden Woche folgt daher in diesem Blog das 10-Punkte-Programm, dass hoffentlich der Diskussionsrunde die nötigen Ansatzpunkte liefert. Und nach dessen Lektüre nicht vergessen: 8. März, einschalten!

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