KOMMENTAR: Last Day of „Fallujah“

Umstrittenes Kriegsspiel „Six Days in Fallujah“ vor dem Aus

Die letzten Tage des Jahres 2004 waren die fürchterlichsten in der jüngeren Geschichte von Fallujah. Als amerikanische Truppen im November 2004 in die irakische Stadt stürmten, blieb kaum ein Stein auf dem anderen. In einem der schwersten Gefechte überhaupt in dem zerrissenen Land, verloren mindestens 1200 Iraker ihr Leben – doch wer glaubt schon daran, dass in einer übel mitgenommenen Stadt im Zweifel alle Opfer gefunden wurden. Andere Quellen schreiben von 1500 Toten, doch wie sollte man bei dieser Zahl beschwören, dass auch sie ausreichen würde. Über Verletzte schweigen sich alle Angaben aus.  Zudem war und ist der Erfolg der Offensive stark umstritten. Noch immer gilt Fallujah als Hochburg von radikalen Islamisten.

Marines und Atomic Games wagen sich in vermintes Gebiet
Marines und Atomic Games wagen sich in vermintes Gebiet (Quelle: Atomic/Konami)

Laut Informationen des PC-Spiele-Magazins ->Gamestar ließ schon wenige Wochen nach den Gefechten ein US-Publisher namens ->Destineer Publishing die Rechte an dem Namen „Six Days in Fallujah“ eintragen. Damit hatte man – um es vorsichtig auszudrücken – recht früh ein Interesse an der Kulisse dieser Auseinandersetzung für ein Videospiel angemeldet. Offenbar trifft man aber mit diesem Setting empflindliche Nerven, denn seit der Ankündigung des Taktik-Shooters im März 2009 durch den Publisher Konami hagelte es Kritik in der Weltpresse. Konami ruderte schließlich reuig zurück (->Quelle) – eine Veröffentlichung des Shooters wird es bei dem Publisher nicht mehr geben.

Es drängt sich natürlich schon die Frage auf, warum die Öffenlichkeit so aufgebracht reagiert, wenn die Stadt Fallujah in einem Videospiel erscheint. Etwas weitgehend Normales scheint es doch längst zu sein, wenn in Spielen deutsche Tigerpanzer in den Ardennen rollen oder amerikanische Phantombomber den vietnamesischen Dschungel mit Napalm einäschern. Warum also die Empörung? Liegt es an der zeitlichen Nähe? Oder an der Perspektive? An den Qualen der Verletzten und Sterbenden oder dem Leid der Hinterbliebenen auf Seiten der US-Soldaten wie der Iraker?

Regelmäßig gibt es natürlich Kritik an den Inhalten von Videospielen. So hat es schon immer Kritik an den Weltkriegsshootern gegeben. Im Fall von ->Call of Duty 5 – World at War gab es kürzlich beispielsweise starke Ablehnung gegen die sehr blutrünstige Darstellung von japanischen Taktiken im Dschungelkampf. Dem jüngsten und fünften Teil aus der ->Resident Evil-Serie, einem Vertreter aus dem Genre des Survival Horrors,  sagte man latenten Rassismus nach. Denn das Spiel führte die Hauptfiguren nach Afrika, wo ein Virus die Bevölkerung zu untoten Gestalten mutierte. Naturgemäß kämpften die Spieler gegen überwiegend dunkelhäutige Einwohner der Region, was in den Augen der Kritiker den Vorwurf des Rassismus begründete.

Einen erheblichen Unterschied gibt es jedoch bei den kritisierten Elementen dieser Spiele im Vergleich zur Debatte um das Fallujah-Spiel. Bei den obigen Fällen stand nicht das Setting im Mittelpunkt der Angriffe, lediglich Spielelemente erschienen unpassend. Niemand warf in der Öffentlichkeit den Entwicklern lautstark vor, dass es geschmacklos gewesen war, ein Spiel vor der Kulisse des 2. Weltkrieges stattfinden zu lassen. Ebenso wenig fand sich Ablehnung, die Handlung eines Horrorspieles nach Afrika zu legen.

Dass „Six Days in Fallujah“ öffentlich so unter Beschuss geriet, lag hingegen eindeutig an dem Bezugsort, den sich die Entwickler ausgesucht hatten. Noch hat niemand überhaupt Spielelement zu Gesicht bekommen, allein der Name der Stadt sorgte für heftige Proteste. Nur ein Mal zuvor hatte die Ankündigung von Sony 2003, ein Spiel über den Irakkrieg zu entwickeln, eine ähnlich heftige öffentliche Reaktion auf ein Spiel hervorgerufen (Auch der ->Spiegel berichtete.) Bei beiden Spielen brandete der Protest hoch, weit bevor es überhaupt Bilder oder anderen Content zu sehen gegeben hätte.

Peter Tamte, der Chef des Entwicklerstudios  ->Atomic Games beteuerte im ->Wall Street Journal (Quelle), dass Atomic mit dem Spiel eine neue Form von Dokumentation wagen wolle. Games seien keine Spielzeuge, sondern düften komplexe Themen der Zeit genau so aufgreifen, wie es Musik, Fernsehen und Filme bereits täten.

Dafür treibt man wahrlich einen großen Aufwand, denn das Kriegsgeschehen wurde aus Tagebüchern von Soldaten und mündlichen Berichten rekonstruiert. Satellitendaten dienten zur genauen Analyse der Umgebung und selbst das brachiale taktische Vorgehen der US-Armee in der Stadt werde Eingang finden, so Tamte. Angeblich hatte die Armee damals lieber Bulldozer oder Luftangriffe gegen Gebäude eingesetzt, anstatt verlustreich durch die Türen eines jeden Haus zu stürmen.

Allerdings ist es schon bedenklich, dass laut Informationen von ->gamona.de der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA ein Investor bei dem Entwickler ist. Dass hier keine Interessenskonflikte bestehen würden, kann eigentlich nicht einmal ein naiver Vorschüler glauben. Offenbar wird auch nur die Perspektive der amerikanischen Angreifer auf die Stadt recherchiert – von der gleichwertigen Aufarbeitung aus der Sicht der betroffenen Bevölkerung jedenfalls verlautete Tamte noch nichts.

Es bleibt abzuwarten, ob die hehren Motive einer sachlichen, spielbaren Dokumentation tatsächlich im Spiel wiederzufinden sein werden. Vielleicht entpuppen sich all die schönen Worte als Marketingdampf. Das bisherige ->Portfolio von Atomic Games jedenfalls erweckt kein Vertrauen in ihre Belastbarkeit. Die bisher veröffentlichten Shooter (Close Combat-Raihe) zeugen nicht von besonders großer Selbstreflexion. Allerdings ist es noch zu früh, darüber zu urteilen, solange kein konkretes Material vorgestellt wurde.

Vermutlich wird es nach dem Ausstieg von Konami schwer werden, überhaupt noch einen Publisher zu gewinnen. Tamte jedenfalls zeigte sich im ->Interview mit dem US-Portal gamespot.com enttäuscht und überrascht von dem Rückzug des japanischen Publishers. Zwar verhandle man zur Zeit mit anderen Publishern über die Veröffentlichung des Spiels, sollten diese Unterredungen jedoch erfolglos verlaufen, stehe „Six Days in Fallujah“ vor dem Aus. Eine größere Katastrophe für einen Entwickler kann man sich nach Millionenausgaben ein Jahr vor dem Termin der Veröffentlichung wohl kaum vorstellen.

Ist denn nun die Kritik an den Entwicklern wegen des Szenarios gerechtfertigt? Das ist schwierig zu beantworten, denn natürlich ist es scheinheilig, wenn gleichzeitig verbreitet geduldet wird, dass Spieler in aller Welt in verschiedensten Titeln den Zweiten Weltkrieg nachspielen. Worin soll da im Prinzip der Unterschied liegen, wenn man die Schlacht in den Irak verlegt? Schließlich hat in der Vergangenheit beispielsweise bereits der taktische Team-Shooter ->Battlefield2 von ->Electronic Arts kaum verhohlen, dass viele der Schauplätze neben China auch auf den Irak hindeuteten.

Andererseits hat ein Entwickler sicherlich Verantwortung, mit den Gefühlen von Hinterbliebenen taktvoll umzugehen, aktuelle politische Spannungen zu beachten und keine zeitgenössischen Feindschaften anzuheizen. Letztlich wird jemand, der den Zweiten Weltkrieg am eigenen Leibe erfahren musste, auch über ein so weit zurückliegendes Setting nicht erfreut sein. Ebensowenig dürfte ein Soldat des Vietnamkrieges in dessen Kulisse eine sinnvolle Spielumgebung sehen. Deren ablehnende Reaktionen unterscheiden sich vermutlich nicht von der öffentlichen Empörung zu dem Spiel über Fallujah.

Es ist immer die persönliche Erfahrung, welche jemandem das Gefühl vermittelt, ob ein Spiel ein Spiel sein darf. Die zeitliche Nähe von Ereignissen spielt daher eine große Rolle, denn eine Mehrheit der Öffentlichkeit hat von ihnen Kenntnis. Der jüngste Irak-Krieg und seine Wunden sind bei allen Beteiligten noch frisch. Aus der Empörung jedoch wieder irgendwelche Verbotsforderungen abzuleiten, ist unzulässig. Denn Peter Tamte hat sicher recht, wenn er Videospiele als Medienform Büchern, dem Fernsehen und dem Kino gleichstellt. Somit haben auch Spiele das Recht auf freie Wahl ihrer Inhalte. Gefallen muss das niemandem.

Da die persönliche Erfahrung aus Ereignissen aber kaum selbst innerhalb einer Altersgruppe auf andere Menschen verallgemeinert werden kann, bleibt es ein Fall des persönlichen Geschmacks, ob man einen solchen Shooter nun spielen mag, oder nicht. Das Spiel dürfte ohnehin nicht unter einer Altersfreigabe von 18 Jahren zugelassen werden, so dass man Erwachsenen schon zutrauen müsste, sich selbst eine Meinung zu bilden. Jeder empfindet eine eigene Schwelle der Pietät und des Taktes.

Vor 2010 wird das Spiel – wenn überhaupt noch – ohnehin nicht fertig. Allerdings steht schon der nächste Kandidat für abendfüllende Debatten, wie Videospielen menschliches Leid darstellen, am Startblock.

In der Fallujah-Debatte unbemerkt, wurde schon für Herbst 2009 das Spiel ->Rendition: Guantanamo angekündigt. Die Entwickler von ->T-Enterprise aus Glasgow haben dafür bereits einen ehemaligen Insassen des berüchtigten Guantanamo-Gefängnisses verpflichtet, berichtete das Webmagazin ->G4TV Ende Mai.

Es scheint also, als würde der letzte Tag des Spieles über Fallujah nicht unbedingt der letzte Tag vergleichbarer Debatten bleiben.

2 Gedanken zu „KOMMENTAR: Last Day of „Fallujah““

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