NEWS: Bytes unter der Marskrume

In Fernost lässt dtp an einem „Otherland“ – MMORPG werkeln

Generationen von Forschern suchten erfolglos nach einer Antwort, ob es Wasser direkt unter der Oberfläche des Marses gibt. Milliarden wurden bisher in verschiedenste Raumsonden investiert. Enttäuscht müssen jetzt alle Raumfahrtnationen akzeptieren, dass eine Besiedlung des Nachbarplaneten wohl nicht möglich ist, denn unter seiner rostigen Krume befinden sich nur Bits und Bytes.

Hier werden Abenteuer geschmiedet
dtp schmiedet Abenteuer

Doch es gibt Entwarnung, denn diese Theorie entstammt nicht den Kreisen der NASA, sondern einem jungen Entwicklerteam aus Singapur. ->RealU, deren Webseite zur Zeit noch nicht mehr als Jobangebote präsentiert, ist ein hundertprozentiges Tochterunternehmen des Hamburger Publishers ->dtp entertainment. Die Hamburger lassen RealU zu den Otherland-Romanen des Autors Tad Williams ein ->Otherland MMOG entwickeln. Angeblich basiert das Spiel, das nicht vor 2011 erscheinen wird, auf der ->Unreal-Engine 3 von ->Epic Games – daher vielleicht der Name des Entwicklers.

Nach den ersten Atemzügen schon sehr ambitioniert.
Bereits nach den ersten Atemzügen sehr ambitioniert.

Die Entwickler verlauteten bislang noch wenig über die möglichen Spielwelten, die in das Digitalprodukt letztlich hinen gelangen. In einem bereits bekannten Szenario, das den Mars als Spielwelt anbietet, können sich die Benutzer allerdings gegenseitig Löcher in ihre digitalen Eingeweide feuern. Geht ein Schuss daneben und in den Boden, erzeugt er keinen Krater, sondern legt den Programmcode frei. Offenbar ist also die virtuelle Oberfläche einer jeden Welt relativ dünnhäutig programmiert, wenn sie bei Beschuss gleich ihre edelsten Programmteile freilegt. Zumindest aber weist dieser geschickte Kniff immer darauf hin, das man sich immer noch in einer Simulation befindet.

In der Vision des Autors Williams für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts ist das Internet zu einer virtuellen Parallelwelt geworden, die für eine Vielzahl von Menschen über Hardware-Implantate zugänglich ist. Noch mehr Personen als heute verlegen einen großen Teil ihres Lebens in diese digitale Realität, gleichzeitig bietet sie sogar körperlich extrem benachteiligten Menschen Teilhabe an sozialem Leben. Allerdings trägt diese Welt ein dunkles Geheimnis in sich, das Kinder dauerhaft ins Koma versetzt. Wegen ihrer zahlreichen fantasievollen Einfälle und Handlungswendungen war die ->Otherland-Tetralogie außerordentlich lesenswert – und nicht zuletzt wegen der eindringlich beschriebenen Schauplätze.

Auch im Spiel gelangen die Benutzer über einen zentralen Treffpunkt, die „Lambda Mall“, in das Spiele- und Arbeitsnetzwerk der virtuellen Realität. Zahlreiche Welten laden dort zur Weiterreise ein. In den Büchern gab es – um nur ein paar Beispiele zu nennen – gigantische Urwälder mit überdimensionierten Insekten, ein Weltkriegssetting, das Alte Ägypten nebst dort herumwandelnder Götterwelt und sogar eine Märchenphantasie, die  in das Mobiliar einer gebirgshohen Einbauküche eingezogen war.

Wenn die Entwickler auch gut daran täten, sich bei dieser Vielfalt der Szenarien an den Büchern zu bedienen, kann die Handlung natürlich nicht so linear wie in der Vorlage ablaufen.  Einer Multiweltstruktur muss auch eine vergleichbare Narrationsform folgen. Geplant ist, dass jeder Spieler seine eigene Geschichte erfahren soll, dabei selbst die Welten durchreist und auf Figuren aus den Romanen trifft. Für die Verlässlichkeit der Informationen bürgt ein enger Kontakt von RealU mit dem Autor. Nach Aussage von Andrew Carter, dem Chef des Entwicklerstudios, war Tad Williams in der Konzeptphase sehr aktiv beteiligt. Ob diese Aussage bedeutet, dass er es jetzt nicht mehr ist, sei mal dahingestellt.

Bisher sind noch nicht viele Informationen über das Spiel bekannt, allerdings zeigt die feine Neuerung des freilegbaren Programmcodes, dass die Entwickler sich um die Glaubwürdigkeit des Spielerlebnisses bemühen. In diesem Projekt schlummern über diese Idee hinaus jedoch noch andere Herausforderungen. Sollte RealU damit ernst machen, wegen der Modularität der Welten neue erzählerische Konzepte und Strukturen zu etablieren, könnte Otherland innovative Impulse auch an andere MMOGs senden.

Angesichts der faszinierenden Romanvorlage würde es ein Loch in der Glaubwürdigkeit des Szenarios hinterlassen, wenn statt der neuen narrativen Konzeption einfach auf Altbewährtes zurückgegriffen würde. Das würde dem Titel viel von seinem Reiz nehmen und damit wäre es nicht so leicht zu flicken wie das Loch im Marsboden. Dort wird ein Problem nämlich sehr einfach gelöst. Tritt ein Spieler an eine  beschädigte Stelle, kann er beobachten, wie der Programmcode sich bereits selbständig wieder repariert.

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