NEWS: Spiel mit der Vergangenheit

Internet-Archiv lässt Spieleklassiker im Browser auferstehen

Ungläubige Blicke erntet man, schwärmt man einer jüngeren Generation von den Videospielen der Achtziger Jahre vor. Auch heutige Erwachsene, die damals keine Spieler waren, heben die Augenbrauen beim Anblick der minimalistischen Klotzgrafik. 8-Bit-Optik war noch nie besonders ansehnlich, doch störte das einst niemanden. Natürlich fehlten damals auch die Vergleichswerte zur opulenten Pracht heutiger High-End-Spiele, zu einem fesselnden Erlebnis wurden die Spiele aber ohnehin durch ihre genialen Spielprinzipien, die eben ohne überbordende Inszenierung auskamen. Diese Eindrücke sind heute jedoch kaum mehr zu vermitteln, weil verbale Schilderungen oder auf Youtube hochgeladene Videomitschnitte nicht ausreichen, um die Spielsituation und die Spielerperspektive nachzuempfinden.

Der "Console Living Room" macht alte Klassiker im Browser spielbar (eig. Screenshot)
Der "Console Living Room" macht alte Klassiker im Browser spielbar (eig. Screenshot)

Das Internet-Archiv nun bietet in einer ->Spezialsektion namens „The Console Living Room“ originalgetreue Versionen von hunderten Klassikern an, die frei im Netz mit einem Browser gespielt werden können. Dabei sind historische Perlen wie Donkey Kong oder Frogger, die Webseite lädt aber auch dazu ein, die eher unbekannten Vertreter damaliger Zeiten zu durchstöbern. Auch die Menschen, an denen diese Spiele bislang vorbei gegangen sind, haben so die Gelegenheit, das Erlebnis sehr nah am Original nachzuempfinden.

Zu diesem Zweck wurde mit dem MESS-Emulator eine eigene Scriptumgebung auf Basis von Javascript geschaffen, welche die Videospiele als Emulator für das Web betreiben kann. Ein solches Schnittstellenprogramm simuliert die historische Softwareplattform bzw. Hardware oft eines veralteten Programms. Dies ist zwar eine hervorragende Kompromisslösung, die allerdings auch Probleme birgt, die nicht einfach ignoriert werden sollten…

Denn neben bislang fehlendem Sound dieser Versionen wird auf Anhieb ein Problem an einer solchen Weblösung sichtbar, weil natürlich die originalen Eingabegeräte nicht nachgestellt werden können. Dabei handelt es sich zum Einen um Geräte wie den C64 von Commodore, die dem heutigen Spielgefühl eines PCs schon sehr nahe kommen, andererseits aber liefen viele Spiele damals noch in Arcadehallen auf speziell dafür konstruierten Automaten. Wollte man also die vollständige damalige Spielerfahrung rekonstruieren, müssten eigentlich diese Geräte aufgetrieben und irgendwo aufgestellt werden. Dies ist ein Aufwand, der weder finanziell noch vom Platz her getragen werden könnte.

Daher ist die gegenwärtige Webanwendung wohl die beste Lösung, wägt man die Ressourcenfragen und die möglichst akkurate Rekonstruktion der Spielsituationen gegeneinander ab. In Zukunft werden sich solche Probleme ohnehin potenzieren, da spätere Videospiele schon in den Neunzigern ungleich komplexer wurden. Damit müssen sehr viel mehr Komponenten emuliert werden, wodurch der Aufwand je Spiel stark steigt.

Dabei handelt es sich um Softwareplattformen wie die Generationen von Windows oder des MacOS, aber auch um abgeschottete Konsolensysteme wie die der XBox und der Playstation. Teilweise sind diese Plattformen selbst schon Geschichte, ihre Programmierung und Struktur geraten in Vergessenheit. Problematisch sind auch technisch immer aufwändigere Grafikengines, die hochrealistische Umgebungen in einem Spiel erzeugen. Hinzu kommen Herausforderungen durch Eingabegeräte wie Infrarotschusswaffen, Sonys Move-Controller und Microsofts Kinect. Wie bitte sollen solche Spiele nicht nur gelagert, sondern ihre Spielerlebnisse archiviert werden?

Das Deutsche Computerspielemuseum in Berlin sorgt sich um die langfristige Bewahrung von Spielen und Spielerlebnissen
Das Deutsche Computerspielemuseum in Berlin sorgt sich um die langfristige Bewahrung von Spielen und Spielerlebnissen (eig. Screenshot)

Vor einigen Jahren hörte ich staunend bei einem Vortrag von Andreas Lange, wie er als Leiter des ->Deutschen Computerspielemuseums in Berlin die dortige Strategie eben zu dieser Problematik entwickelte. Wie so Vieles habe ich bislang auch nicht geschafft, aus meinen ausführlichen Mitschriften einen Report zu verfassen. Ich wollte nach der seitdem verstrichenen Zeit ohnehin einmal nachfragen, wie viel von den Planungen bislang realisiert wäre, denn sein Vortrag erschien mir bereits damals sehr konkret.

In Berlin plant man tatsächlich, eine gemeinsame Weblösung mit Emulation aller bislang bekannten Softwareplattformen in einem mehrschichtigen System aufzubauen. Das Vorhaben klang keineswegs utopistisch, sondern bereits sehr fortgeschritten. Hierfür werden die Emulatoren verschiedener Betriebssysteme modular in einen Webemulator integriert, der selbst entscheidet, welche Komponenten er für ein ausgewähltes Videospiel aktiviert. Mit diesem Modell sollen auch Spiele heutiger oder zukünftiger Formate nachträglich integriert werden können. Angesichts der Komplexität dieses Verfahrens dürfte die Entwicklung der Emulatormodule und des Superemulaturs darüber kaum je abgeschlossen sein. Über den gegenwärtigen Stand werde ich mich in nächster Zukunft aufgrund meiner eigenen beruflichen Interessen an der Archivwissenschaft wohl einmal von Berlin briefen lassen. Gleichwohl betonte auch Lange, dass es ebenso notwendig wie schwierig bleibe, die Hardware betriebsfähig für die Gegenwart und die Nachwelt zu bewahren.

Im Spiel mit der Vergangenheit sind also neue Level erreicht, die Endbosse „Vergessenheit“ und „Verfall“ jedoch noch lange nicht besiegt. Dennoch sind die Emulationen im Web eine hervorragende ergänzende Lösung, um mit akzeptablem Aufwand und enormer Reichweite bis auf den heimischen Bildschirm zu zeigen, was und vor allem wie die Menschen früher spielten – selbst wenn dann die Spielprinzipien, die grafische Inszenierung oder die musikalische Untermalung ungläubiges Staunen erzeugen sollten. Probieren Sie die Titel im Internet-Archiv einmal aus. Sie werden selbst überrascht sein, mit welchem Minimalismus sich Stunde um Stunde verbringen ließ und noch immer lässt.

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