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INNOVATION: Vorwärts immer, rückwärts immer!

Die Manipulation von Zeit in ‚All Walls Must Fall‘ verschafft einen einfallsreichen Musik-Trip durch Ost-Berlin

[ PC (getestet) | Mac OS | Linux ]

In etwa zehn Stunden explodiert am Alexanderplatz in Berlin der Fernsehturm. Also, eigentlich ging der Alex bereits in einem nuklearen Feuerball hoch. Würden Sie jetzt in der Zeit zurück versetzt, was täten Sie in Ihren letzten zehn Stunden, wenn Sie von dem bevorstehenden Ereignis wüssten? Wild in der Berliner Nachtclub-Szene feiern, um sich ein letztes Mal in wummernden Elektrobeats zu verlieren – zwischen kühlen Longdrinks und erhitzten Körpern? Oder nehmen Sie all Ihren Mumm zusammen, um einen solchen Anschlag zu verhindern? Ach, wissen Sie, kombineren Sie beides doch einfach gleichzeitig.

Als der Fernsehturm am Alex in einem Feuerball explodiert, führt eine turbulente Reise durch ein Ost-Berlin, in dem die Mauer nie fiel. (Abb. eigener Screenshot, PC)

Im rundenbasierten Strategiespiel ->All Walls Must Fall des Berliner Entwicklerstudios ->inbetween games setzt eine mysteriöse Organisation die Spielenden als bärbeißigen Agenten mit Cyberarm in einem alternativhistorischen Berlin ab. Dort steht die Mauer noch immer, denn der Kalte Krieg fand nie ein Ende. Wie die kargen Handlungshäppchen immerhin deutlich machen, befindet man sich auf der östlichen Seite der Mauer. Mittels einer Überwachungsdrohne kommunizieren diffus bleibende Auftraggeber mit dem Agenten. Als Urheber des Anschlages machen jene sogleich westliche Agitation aus. Das Setting wirkt, als hätte die Trance-Szene der neunziger Jahre mit dem Art Design der Achtziger ein Kind gezeugt, um es dann in eine historisch konservierte Zukunft des Ost-West-Konfliktes zu schleudern. Mit sarkastischen Kommentaren fügt sich der Agent in seine Rolle als einsamer Ermittler. Offenbar schlägt er sich jedoch nicht zum ersten Mal durch den zehnstündigen Korridor vor der vernichtenden Explosion. Ermüdet von seinen strapaziösen, jeweils zehnstündigen Zyklen kommentiert er die Erfolgschancen des Unternehmens meist resigniert.

Mit klugen Ideen mischen die Entwickler mit Rundenbasierter Taktik und Rogue-like gleich zwei Spielformen auf – zudem in einem faszinierenden Setting. (All Walls Must Fall – Early Access Gameplay Trailer, in: Kanal inbetweengames via Youtube, 6.11.2017)

Zentrales Element der Spielmechanik ist die Manipulation von Zeit, um die rundenbasierten Missionen zu bewältigen. Bloß zehn Stunden bleiben, um in den Berliner Nachtclubs die Urheber des Anschlags ausfindig zu machen. Verplempert man zu viel davon in der einen Mission, fehlt dieser Handlungsspielraum in späteren Aufträgen. Klärt der Agent allerdings zuvor uneinsehbare Räume auf, erhält er eine Art Zeitpunkte gutgeschrieben, die er durch seine Handlungen stetig verbraucht. Sobald seine Reserve allerdings auf Null fällt, scheitert die Mission in der Zukunftsvergangenheit. Verschiedene Fertigkeiten und freischaltbare Waffen erleichtern ihm das temporale Handwerk.

Für das Werk eines kleinen Indie-Studios ist das Spiel bemerkenswert innovativ, besitzt aber wohl auch wegen der Teamgröße von drei Personen einige spielerische Schwächen. Der treibende Soundtrack gehört sicherlich nicht dazu. Selbst wenn man dem elektronischen Musikstil nichts abgewinnen kann, nötigt doch dessen genialer Einsatz Respekt ab: An die pressenden Beats schmiegt sich jede Bewegung von Gegnern, die Körper der tanzenden Mengen und die Bewegungen des Agenten selbst. Das erzeugt eine beeindruckende Atmosphäre…

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INNOVATION: Zeit, zu leben

In einer Welt von Teenagern spielt DontNod mit „Life is Strange“ erneut auf Zeit

(PS3 (getestet) | PS4 | XBox360 | XBoxOne | PC )

Die Pubertät ist eine schreckliche Zeit – für alle Beteiligten. Der Körper verändert sich, die Hormone fahren Achterbahn und auf der Suche nach dem eigenen Selbst entsteht Reibungsenergie selbst über die Wahl des morgendlichen Müslis. Dies zu bewältigen, erfordert eigentlich schon eine Superkraft. Ehrlich, wie haben wir bloß alle diese Phase überlebt – mehr noch: wie haben das unsere Eltern durchgehalten? Wie soll es da erst jemandem ergehen, der ausgerechnet dann entdeckt, tatsächlich eine mächtige, übernatürliche Kraft zu entwickeln?

Nicht nur der Eingang des Wohnheims ist eine Baustelle, sondern auch die Psyche der unsicheren Max. Und dann noch eine Superkraft. (Abb.: eigener Screenshot PS3)
Nicht nur der Eingang des Wohnheims ist eine Baustelle, sondern auch die Psyche der unsicheren Max. Und dann erhält sie auch noch eine Superkraft. (Abb.: eigener Screenshot PS3)

Maxine Caulfield trägt im Episodenspiel ->Life is Strange des französischen Entwicklers ->DontNod Entertainment eine solche Gabe und Bürde in sich: Sie kann in einem kurzen Rahmen die Zeit manipulieren. Das entdeckt sie, als sie damit ihre Freundin Chloë rettet: ein Halbstarker fuchtelt im Streit mit einer Waffe vor ihr herum und drückt ab. Max sieht ihre Kindheitsfreundin sterben. Doch plötzlich friert die Zeit ein, und Max erhält eine Chance, ihre Freundin aus der lebensbedrohlichen Lage zu befreien. Ihre Superkraft dreht die Zeit kurzerhand bis vor den Tatzeitpunkt zurück.

Nun kann sie versuchen, Stellschrauben an der Ausgangssituation zu verdrehen, um den Angriff abzuwenden. Doch nicht nur in Todesgefahr ist die Fähigkeit nützlich. Später lassen sich mit ihrer Hilfe und etwas Hirnschmalz auch Kombinationsrätsel lösen. Zum Beispiel endet der Versuch, ein Werkzeug aus großer Höhe zu angeln, damit, dass es hinter einen Kühlschrank fällt. Arrangiert man die Ausgangslage neu, kann man sich den Sturz sogar zunutze machen. Auch in Gesprächen hilft der Zeitsprung, denn selbst dem grimmigsten Trucker erhellt sich das Gemüt, wenn man ihn nach seiner Zugmaschine ausfragt. Baut man diese Erkenntnisse wieder typengenau in den erneuten Durchlauf des Gesprächs ein, nimmt es womöglich einen anderen Verlauf.

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Bürde und Gabe zugleich: Max erhält die Macht, kurze Zeitphasen zu manipulieren. (Live is Strange Launch Trailer | PS4 / Kanal GameSpotvia Youtube)

Schon bei ihrem letzten Spiel, dem Action-Adventure ->Remember Me, manipulierten die Entwickler von ->DontNod an der Zeitachse herum (siehe ->NEWS: Vergissmeinnicht vom 20.9.2012). Nun, genau genommen, griff ihre damalige Protagonistin Nilin nicht direkt in die Zeitabläufe ein, sondern arrangierte mit ihrer Veranlagung die Erinnerungen anderer Menschen um. So machte sie zum Beispiel einem korrupten Staatsdiener weis, er habe alkoholisiert im  Delirium seine Frau getötet. Ohne Kraft, mit dieser vermeintlichen Erinnerung weiterzuleben, trieb Nilin ihn auf diese Weise in den Selbstmord. Das Actionspiel warf damit interessante Fragen zur Konstruktion von Identität durch Erinnerungen auf, aber auch zur Vergänglichkeit verschiedener Ereignisuniversen und zu vermeindlich unabänderlichen Zeitläufen. Es scheint, dass die Entwickler dieser Gedanke dauerhaft fasziniert.

Nun lässt das Episodenspiel ->Life is Strange Spieler wirklich an der Zeitachse schrauben und nimmt sich dabei die Zeit, in aller Ruhe von der Protagonistin und ihrem Umfeld zu erzählen. Auch wenn die typischen Probleme einer Teenagerin und ihre melancholischen Coming-Of-Age-Monologe gelegentlich anstrengen, gelingt es ->DontNod gerade dadurch, glaubwürdig zu sein. So gibt es relativ ereignisarme Passagen, die aber gekonnt ruhige Momente inszenieren. Dem Spieler steht es zum Beispiel frei, Chloë und Max zu beobachten, wie sie des Morgens zu ihrer Lieblingsmusik im Bett dösen. Andererseits schlagen wilde Phasen deswegen umso stärker ins Spielerlebnis durch. Besonders eindrucksvoll ist es dann, wenn die Spielwelt plötzlich ins Surreale abdriftet. Denn etwas braut sich ganz gewaltig über der kleinen Stadt Arcadia Bay zusammen…

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INNOVATION: Götterwache

„Gods Will Be Watching“ setzt neue Maßstäbe für das Adventure-Genre

(PC (getestet) | OS X | Linux | Android | iOS )

Die Zukunft sieht in etwa so aus, als hätte ich mir die Brille abgesetzt. Grob verpixelte Gestalten hantieren mit schlaksigen Bewegungen vor klotzigen Hintergründen. Doch schon nach wenigen Momenten im Science-Fiction Adventure ->Gods Will Be Watching wird deutlich, dass sich hinter der grobschlächtigen Optik spielmechanisch und erzählerisch das genaue Gegenteil verbirgt. Das Spiel versetzt in tiefsinnige Szenen, in denen es kein moralisch richtiges oder verwerfliches Handeln gibt, zumindest keines, das der Entwickler ->Deconstructeam aufdrängen würde. Der Maßstab ist die Moral der Spielenden selbst.

Gods Will Be Watching erzählt Episoden einer wendungsreichen Geschichte und verwendet einen eigenwilligen Grafikstil. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)
Gods Will Be Watching erzählt Episoden einer wendungsreichen Geschichte und verwendet einen eigenwilligen Grafikstil. (Abb.: Auszug eigener Screenshot)

Veröffentlicht beim amerikanischen Publisher ->Devolver Digital, versetzt ->Gods Will Be Watching die Spieler in komplexe, lebensgefährliche Zäsuren, in denen mit einem begrenzten Zeitkontingent wohlüberlegt gehandelt werden muss. Dabei bleibt es jedoch stets ein Adventure in Point&Click-Manier, in dem traditionell Gegenstände oder Personen angeklickt werden, um Rätsel zu lösen und damit die Handlung voranzutreiben. Niemand muss also befürchten, unter wirklichen Zeitdruck zu geraten.

Die Protagonisten geraten in schwierig zu bewältigende Krisen. Trotz des Pixellooks erzählt es von schwer wiegenden Themen wie Folter oder Geiselnahme sehr erwachsen und außerordentlich gewalttätig. (Abb.: Eigener Screenshot)
Die Protagonisten geraten in schwierig zu bewältigende Krisen. Trotz des Pixellooks erzählt es von schwer wiegenden Themen wie Folter oder Geiselnahme sehr erwachsen und außerordentlich gewalttätig. (Abb.: Eigener Screenshot)

Die Entwickler haben jedoch einen besonders innovativen Kniff in das Genre der Abenteuerspiele eingefügt: viele Handlungen in den brenzligen Situationen verbrauchen oder gewinnen Zeit. Trödelt man durch unüberlegte Schritte zu viel, entgleist die Handlung zügig aus der Kontrolle des Spielenden. Kombinationsrätsel gibt es in dem Sinne also nicht; es ist die Abfolge von Aktionen, die hier zur Lösung kombiniert werden muss. Sie werden schwitzen, wenn ihre Spielfiguren eine Geiselnahme oder zwanzig Tage Folter überstehen müssen. Ein wirklich atemberaubender Spielansatz – ernsthaft…

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NEWS: Wer hat an der Uhr geBraid?

Seit das Actionspiel ->Prince of Persia – Sands of Time 2003 erschien, hat sich die Zeitmanipulation in Spielen als Spielelement etabliert. Während dort allerdings die vierte Dimension höchstens eingesetzt wurde, um eigene Fehler wieder zurückzuspulen und einen Ort des Scheiterns erneut anzugehen, führt ein kleines Downloadspiel die Idee zu ihrer bisher höchsten Evolutionsstufe.

Abb: Braidtes Spektrum der Zeit
Abb: Braidtes Spektrum der Zeit

->Braid heißt das Meisterwerk, das über diverse Downloadportale auch PC und Konsole bezogen werden kann. Das kurze, und dennoch preiswerte Stück Software lehrt den Spieler in sechs Welten immer umfangreichere Aktionen mit der Zeit. Daraus ergibt sich eine herausfordernde und dennoch kurzweilige Knobelei. NEWS: Wer hat an der Uhr geBraid? weiterlesen