KOMMENTAR: Paintball verboten, Winnenden gesühnt

Das System funktioniert. Die Koalition in Berlin hat sich darauf verständigt, schärfere Regeln im Umgang mit Waffen zu erlassen, um Konsequenzen aus dem Leid der Opfern von Winnenden und früherer Amokläufe zu ziehen. (->Presse) Wer allerdings glaubt, dass damit diese Meldung schon am Ende sei, der ist schief gewickelt.

Es sind halt Wahlkampfzeiten, weshalb das Kabinett im gleichen Zuge ein Verbot von „Paintball“ beschloss, ein Sport, in dem die Sportler mit Luftpistolen Farbbälle aufeinander feuern, um sich damit zu markieren. Nur zur Erinnerung: Tödliche Waffen bleiben auch nach dem Kabinettsbeschluss weiterhin in diesem Land legal…

Wahlkampfzeiten sind wunderliche Zeiten. Da werden Versprechungen gemacht, an die sich nach der Wahl niemand erinnern kann. So ging ja auch die SPD nach den letzten Bundestagswahlen mit der Ansage in die Koalitionsverhandlungen, dass es keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben werde. Dagegen hielt die CDU eine Erhöhung von zwei Prozent für nötig – geeinigt wurde sich dann auf eine Steigerung um 3%. Mittelwertberechnung mal anders.

Nach den Wahlen ging dann der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering die verwunderte Presse an, dass man Politiker nicht nach den Wahlen daran messen dürfe, was sie im Wahlkampf gesagt hätten. Das sei unredlich. Der Bürger fast sich bei solchem Spektakel nur noch an den Hintern – schließlich wäre der Kopf viel zu schade dafür.

Im Wahlkampf allerdings tut jedoch Politikermund so einiges kund. Beispielsweise wird Joachim Herrmann, Innenminister von Bayern, nicht müde, die von ihm nie genauer definierten „Killerspiele“ mit „Kinderpornografie“ zu vergleichen. Man fragt sich dabei, worüber man sich mehr ärgern soll: die übertriebene Verurteilung von Videospielen, die das Hobby tausender geistig gesunder Menschen in Deutschland sind, oder die in dem Vergleich ebenfalls enthaltene Verharmlosung von Kinderpornografie.

Nun also trifft die politische Scharfmacherei einen Sport, den sicherlich nicht viele Menschen in Deutschland ausüben. Aber die Menge an Menschen kann kein hinreichender Grund dafür sein, leichtfertig Erwachsenen in ihre Freizeitgestaltung einzugreifen. Man muss Paintball sicherlich nicht mögen – ich wüsste auch nicht, ob ich damit meinen Spass hätte. Aber nur weil man etwas persönlich nicht mag, darf man es anderen Erwachsenen nicht verbieten. Wo bleibt da das Selbstbestimmungsrecht. Auch wenn es manchen Staatsfeteschisten in Berlin nicht mehr geläufig sein mag, haben wir eine Verfassung, die jedem Freiheiten einräumt – und zwar auch die Freiheit, einen solchen Sport zu betreiben. Ich würde ja auch nicht die Bayreuther Festspiele verbieten wollen, nur weil Wagner meinen Ohren Schaden zufügt. Dann gehe ich halt nicht dort hin.

Wo sind denn die wissenschaftlichen Beweise für die angebliche These, dass Paintball – auch Gotcha genannt – den Waffengebrauch und das reale Schießen mit Waffen auf Menschen trainieren würden? Die „Waffen“, mit denen sich die Sportler gegenseitig markieren ähneln viel mehr Airbrush-Pistolen für die Lackierung von Autos oder Flugzeugen als tödlichen Waffen. Man muss schon sehr viel Wahlkampfenergie mitbringen oder von dem Verbotsgegenstand überhaupt keine Ahnung haben, um darin das Einüben des Tötens mit Waffen zu sehen.

Das Üben des möglichst genauen Zielens jedenfalls mit wirklichen Waffen, deren Verhalten man damit im Gegensatz zu Paintball physikalisch korrekt zu beherrschen lernt,  kann man dagegen ungestraft in jedem Schützenverein der Republik als Sport betreiben. Gegen den entsprechenden Waffenschein kann man sogar großkalibrige Waffen in den eigenen Besitz bringen. Auch gegen die Aufbewahrung von echten Schusswaffen in Wohnhäusern hat die Politik in ihrem jüngsten Beschluss nichts – in Worten: NICHTS – unternommen. War dies aber nicht die eigentliche Lehre aus Winnenden, dass Tötungsinstrumente in Wohnungen nichts zu suchen haben? Alles wurde bereits wieder vergessen. Die armen Polizisten müssen nun wie Hausierer von Tür zu Tür tingeln und nett fragen, ob sie mal in den Waffenschrank spähen dürfen – grotesk. Als ob es tatsächlich dem Schießsport nützlich wäre, wenn die Waffen zu Hause gelagert würden. In Süddeutschland wurden parallel zu diesen Debatten mit dem Hinweis auf Winnenden mehrere Veranstaltungen des deutschen eSports von Kommunen abgesagt, gleichzeitig durfte unweit des Tatortes eine der größten europäischen Waffenmessen stattfinden. Wer daran nicht erkennt, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, dem ist wohl nicht zu helfen.

Man könnte sich jetzt als passionierter Computerspieler mit dem Gedanken zurücklehnen: „Paintball? Betrifft mich nicht!“ Doch weit gefehlt. Natürlich betrifft die willkürliche Entscheidung des Bundeskabinetts jeden, der ein Hobby hat, das als das nächste Wahlkampfplacebo für eine verunsicherte Bevölkerung herhalten könnte – so auch die immer wieder gerne verteufelten „Killerspiele“. Wie beim Paintball-Sport gibt es keinerlei wissenschaftlichen  Hinweise darauf, dass irgendeine belastbare Beziehung zwischen gewalthaltigen Videospielen und tatsächlich gewalttätigem Verhalten herzustellen ist – geschweigedenn zu Amokläufen.

Wer solche Behauptungen aufstellt, handelt entweder aus fahrlässigem Unwissen oder mutwillig aus politischer Überzeugungen. Moralisch entrüstete Überzeugungstäter wie der Kriminologe Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) blasen jedoch  schon seit Jahren mit halbseidenen Studien zum Gewaltaspekt bei Jugendlichen Sturm gegen die Volksseuche „Killerspiel„. Was, wenn sich auch diese Moralisten demnächst im Bundeskabinett durchsetzen und genau so wie im Fall von Gotcha ohne wissenschaftliche Belege für ihre wirren Thesen auskommen?

Nach all den Jahren, in denen wir im Namen der Terrorbekämpfung immer mehr Bürgerrechte abgegeben haben, versucht der Staat immer stärker auch in die private Sphäre hineinzuregieren. Paintball ist dabei erst der Anfang, der noch keine große Zahl von Menschen betrifft. Aber das Prinzip, mit dem  der Staat beginnt, aus moralischen Gründen die Freizeitgestaltung von Erwachsenen zu steuern, darf nicht Schule machen. Das ist eine bedenkliche Entwicklung, doch nur wir als Wähler können solcher Willkür mit unseren Stimmen etwas entgegensetzen.

Ich empfehle, im September dringend darauf zu achten, wo Sie Ihr Kreuzchen setzen – nur setzen Sie es.

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