KOMMENTAR: Hauptsache Blut (Teil 1)

Unrealistische Gewaltexzesse verhageln mittlerweile das Spielgefühl

V.A.T.S. uuuup?!
V.A.T.S. uuuup?!

Mit Hilfe des taktischen Zielsystems V.A.T.S. ermöglicht -> Fallout3 jedem Spieler Erfolgserlebnisse, der für Shooter-Verhältnisse eher untalentiert wäre. Das Spiel pausiert, die Wahrscheinlichkeit,  einen Treffer in die gewählte Körperzone des Gegners zu landen, wird angezeigt und mit einem einfachen Klick schießt das Projektil aus der Waffe. Trifft die Kugel den Gegner zelebriert eine in Zeitlupe verlangsamte Szene das zerberstende Körperteil.

Wo noch vor fünf Jahren in den meisten Spielen Blut meist sparsam eingesetzt wurde, um als Feedback für erfolgreiche Treffer zu dienen, scheint sich die Gewalt auch für den offensten Beobachter der Branche immer mehr zum Selbstzweck zu entwickeln. So stellten beispielsweise neben dem eben genannten Endzeit-Rollenspiel -> Fallout3 auch der Horror-Shooter -> F.E.A.R. 2 – Project Origin, das MMORPG -> Age of Conan und das spielerisch eher dürftige -> Prototype bisher Dagewesenes in den Schatten.

V.A.T.S. coming?

Wichtige Titel der diesjährigen Entertainment-Messe E3 wie das 2010 erscheinende „Aliens vs. Predators“ oder Bethesdas -> Wet unterstreichen, dass die ausschweifende Darstellung von Blut und Gedärm scheinbar Mainstream wird. Was ausgerechnet die Chefs von -> Bioware, einer zurecht weltberühmten Schmiede für Rollenspiele, jüngst verkündeten, passt daher auch nicht so recht zur Wirklichkeit. Angeblich werde in Zukunft Gewalt und ihre Darstellung in Spielen nicht mehr so wichtig sein wie zur Zeit noch, sagten die beiden Gründer des Enwicklers der Branchen-Webseite -> gi – gamesindustry.biz (Artikel). Allein der Glaube daran fehlt, wenn man sich gegenwärtige Produktionen aus dem Hause Bioware ansieht: In dem Action-Rollenspiel -> Dragon Ages beispielsweise werden ebenfalls Tankwagen von digitalem Blut über einer Fantasiewelt ausgegossen. Und auch die Fortsetzung -> Mass Effect 2 geizt nicht mit dem Einsatz von futuristischer Waffengewalt.

Natürlich… erwachsenen Spielern ist ja freigestellt, ob sie diesen Trend mitmachen. Schließlich ist der Gewaltgrad eines Spieles in erster Linie Geschmackssache, solange der Jugendschutz Minderjährige vor blutrünstigen Titeln bewahrt. Daher steht in diesem Kommentar keine Debatte über die Paragrafen gegen Gewaltverherrlichung im  Strafrecht an. Auch die Funktionsweise der USK soll hier nicht diskutiert werden. Und auf die oft verbreiteten Platitüdenstudien aus dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens (KFN) soll ebenfalls nicht näher eingegangen werden.

Ressourcen verballert

Interessant ist für den KEIMLING dagegen die Frage, welchen Sinn die zunehmende Ausweitung digitaler Bluteffekte haben soll. Spielerisch beschädigen sie eher die Glaubwürdigkeit eines Szenarios. Wenn Gegner in blutigen Partikeleffekten zerspritzen, Körperteile schon durch einen Treffer mit Papierkrampen auseinander fetzen oder mehr Hingabe in das verteilte Blut auf der Wand fließt, als in die Darstellung der Levelarchitektur selbst, setzen Entwickler ihre kostbare Arbeitszeit schlicht falsch ein…

In jedem steckt ein rosa Stoffhase

Der bereits 2007 erschienene Multiplayer-Team-Shooter -> Team Fortress 2 aus dem Hause -> Valve Corporation zeigt recht genau, vor welchen beiden Alternativen die Spieleentwickler bezüglich der Gewaltdarstellung stehen. Natürlich handelt es sich bei Team Fortress 2 um eine comicartig überzeichnete Auseinandersetzung zwischen zwei militärischen Gruppen, dennoch überraschte die 2007 veröffentlichte, angelsächsische Version mit einem sogar für die Abstraktionsebene von Cartoon-Grafik sehr expliziten Darstellungsgrad.

Wird darin ein Spieler abgeschossen, so zerlegt er sich oft in seine Einzelteile – eingeblendete Sprechblasen weisen dann auf Namen und Funktion herumliegender Organe. In der deutschen Version wurden die blutigen Fleischklumpen allerdings durch Bauteile von Maschinen und Spielzeuge ersetzt – mancher Gefallene zersprang in Stoffhasen oder Gummientchen oder hinterließ die Bauteile eines Kinderdreirads. Während manche erwachsenen Spieler die erneute Bevormundung durch die Jugendschützer beklagten, erschloss sich vielen anderen die zum Szenario und Grafikstil passende Komik hinter dieser Änderung.

An diesem Beispiel zeigt sich, dass es zwei unterschiedliche Arten gibt, mit Gewalt in Spielen umzugehen: einerseits mit immer mehr virtuellem Rot, andererseits mit kreativem Gamedesign. Natürlich ist es nicht bei jedem Spiel möglich, es wie in Team Fortress 2 umzuwandeln – dort war der ohnehin schon vorhandene Comicstil günstig. Andererseits könnte man als Entwickler auch anfangen, mit innovativem Spieldesign, besonders detailierten Texturen oder intelligenten Aufgaben zu punkten, anstatt plump an blutige Urzeitinstinkte zu appellieren.

What is F.E.A.R.?

Keinesfalls sind nämlich Gewaltaspekte in eine Spiel völlig unnötig, auch wenn Moralisten diese Position oft vor sich her tragen. Man sollte daher auch ehrlich darauf hinweisen, dass Spiele für Erwachsene Gewalt und ihre Darstellung nicht kategorisch ausschließen müssen. Manche Geschichten würden schlicht gar nicht funktionieren, müssten sie ohne virtuelles Blut auskommen.

Der Gruselshooter -> F.E.A.R. von 2005 griff auf einen sehr hohen Gewaltgrad zurück und verunreinigte Korridore, Labors und Bürokomplexe literweise mit Körperflüssigkeiten. Vor der Erzählung des Spieles hatte eine Forschungseinrichtung mit Menschen herumexperimentiert, um telepathisch begabte Menschen für militärische Zwecke einzusetzen. Dabei wuchs, während sich der Spieler durch zahlreiche Gebäude kämpfte, das verwirrende Beziehungsgeflecht zwischen drei Figuren: einem aus dieser Einrichtung geflohenen, amoklaufenden Psychopathen namens Paxton Fettel, zweitens einer übersinnlich begabten, psychisch nicht weniger auffälligen Gestalt namens Alma und drittens der Hauptfigur des Spielers.

Ungewaschene Füße, übel gelaunt, aber ein feuriges Temperament
Dreckfüße, übel gelaunt und feuriges Temperament

Während sich Psychotelepath Fettel buchstäblich in die Gehirne seiner Opfer fraß und gleichzeitig Heerschaaren gut ausgerüsteter Sicherheitskräfte gegen den Spieler schickte, erschien Alma mal als kleines Mädchen, mal als greise Frau oder als schwarzer Nebel. Allerdings ließ  auch dieses beunruhigende Geschöpf von seinen bemitleidenswerten Opfern neben Unmengen von Blut kaum mehr als die Knochen übrig. In der überwiegend atemberaubend prickelnden Atmosphäre des Horrorspieles jagte jede kleine Blutspur oder retrospektive Gewaltvision Schockschauer über den Rücken des Spielers. Je mehr der Spieler über die Fähigkeiten der Hauptfigur erfuhr, umso deutlicher wurde, dass es eine verborgene Verbindung zwischen allen dreien geben musste. Der Spieler erwartete bald hinter jeder Ecke neue blutige Visionen, schon kleinste Hinweise an Spielblut stachen als Menetekel weiterer Gewaltorgien hervor. Es wäre einfach lächerlich zu behaupten, eine solche Geschichte über Quälerei, Horror, militärische Experimente, Psychopathen, ferngesteuerte Soldaten und Gewalt würde blutlos daherkommen können, ohne Glaubwürdigkeit einzubüßen.

No F.E.A.R. anymore…

fear2_blut
Spielerisch sinnlose Sensationsgeilheit auf Säfte

Als Lehre jedoch gewinnt man aus dem 2008 erschienenen Nachfolger -> F.E.A.R. 2 – Project Origin, dass mehr Blut und Gewalt nicht auch größere Schauer auf den Rücken der Spieler hervorrufen. Stimmig ist es jedenfalls nicht, wenn ganze Körper von Gegenspielern durch den Beschuss in große Blutblasen zerplatzen – das wirkt einfach nur wie eine aufgesetzte Sensationshatz. Mal davon abgesehen, dass man sich ästhetisch natürlich lange darüber streiten kann, ob eine solche Darstellung hübsch ist oder nicht – in dem von der Geschichte her ähnlich strukturierten zweiten Gruselshooter störten diese gegenüber dem Vorgänger deutlich heftigeren Gewaltakte das Spielerlebnis empfindlich. Als Spieler wurde man jedes Mal neu aus der Illusion einer realitätsnahen Welt im Spiel herausgerissen. Für jeden war ersichtlich, dass Waffen in dieser Form überhaupt nicht auf Körper wirken können.

Daher stellte man sich als Spieler stets die Frage, wozu die Blutorgie dienen sollte, wenn sie schon nicht realistisch aussah. Das Gefühl stellte sich ein, in 3D-Design von abtrennbaren Gliedmaßen und in zerstäubende Partikeleffekte waren Ressourcen der Entwicklung geflossen, die an anderen Stellen dringender gebraucht worden wären. Durch immer dieselben Einrichtungsgegenstände und andere Objekte ausgestaltet, variierten die Levelinhalte nicht sehr – eintönig gab sich schließlich die Umgebung. War die künstliche Intelligenz im Vorgänger von 2005 von meist großer Raffinesse, wirkte sie in F.E.A.R. 2 oft tumb. Auch hatten die Leveldesigner ein veraltetes Schlauchdesign für die Level abgeliefert. Hier hätte das Budget wesentlich sinnvoller verwendet werden können… und gruselig wirkte die überzogene Blutspende auch nur noch bedingt.

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[Fortsetzung folgt in -> KOMMENTAR: Hauptsache Blut (Teil 2)]

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