REPORT VORORT: Datenrauschen

Hardy Dreier zeigt das Abendrot der Medienanlysen

Mit Konsolen kann man nicht surfen und im Netz kann man nicht spielen. Das ist zwar völlig unsinnig, weil jeder Browserspieler und jeder Konsolero dem widersprechen dürfte – und dennoch bilden solche Abstrusitäten das überzeugte methodische Mantra namhafter Analysefirmen. Das tatsächliche Verhalten der Nutzer diverser Mediensorten kann so jedenfalls nicht adäquat nachvollzogen werden. Zudem brechen die Medienlandschaften zur Zeit schneller um, als man ein solches Mantra aufsagen könnte.

Hardy Dreier von ->Digital Mariachi, einem Startup in Hamburg, dessen innovative Ideen der Geheimhaltung unterliegen, ist langjähriger wissenschaftlicher Kenner, der Daten des Marktes, ihrer Erheber und auch der Defizite ihrer Erhebungen. Durch den Dschungel verschiedener Datenbasen, gefärbter Analysemethoden und einschränkender Prämissen schlug der Dozent am 23. April 2012 am Mediencampus Finkenau in Hamburg weitgehend gerade Schneisen – so gut dies ein Urwald eben erlaubt. In dessen dichtem Blattwerk versuchte er unter dem Titel „Medienzeit = Spielezeit? Medienzeitbudgets und Spiele“ die Zeitkontingente zu identifizieren, die wir alle vor TV, Konsolen oder im Web verbringen. Keine leichte Herausforderung, wie sich zeigte.

Mit dem Aspekt der „Zeit in Games“ startete die ->Ringvorlesung „Games“ des ->GamecityLab an der ->Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg bereits am 16.4. in eine neue Saison. Zu wiederholten Male präsentieren dort verschiedenste Akteure aus Wirtschaft, Medien und Wissenschaft ihre Perspektiven auf die Welt der digitalen Spiele…

Selbstauferlegte Schranken

In der Vorlesung von Dreier nun illustrierten zahlreiche Tabellen und Diagramme massive Verschiebungen in der Mediennutzung. Und dies zeigte sich selbst, obwohl er darauf hinwies, dass durch Motivationen bedingte Beschränkungen viele Studien aufweichen, zumindest aber schwer vergleichbar werden ließen. So hat zum Beispiel die bundesweite Abdeckung mit medienrelevanten Endgeräten auf vielen Plattformen volle Sättigung erreicht – TV-Geräte, Konsolen, PCs, Smartphones, meist sind in Haushalten mehrere davon vorhanden. Smartphones und Tablets sind offenbar insbesondere in Familien auf dem Vormarsch.

Mediennutzung ist zunehmend Internetnutzung, bei den Jüngeren in wachsendem Maße mobil. Dabei ist nicht jede Webnutzung auch gleichzeitig Medienkonsum. Einen großen Anteil besetzen für die Jüngeren partizipative und aktive kommunikative Funktionen der Datennetzwerke, wie ->Facebook oder ->twitter.

Und eben hier erwächst den Analytikern auch ein grundlegendes Problem, dass in einem solchen Medium nicht mehr die traditionell erhobenen Nutzungsarten auseinander dividiert werden können. Dies führt zu methodischen Schwächen der wissenschaftlichen Erhebungen und so zu schwindender Verlässlichkeit der Studien. Schmunzelnd ergänzt Dreier, dass dies „natürlich nicht an die große Glocke gehängt wird.“ Medienkonzernen und Werbekunden sei so etwas schwer zu vermitteln.

Ignorierte Parallelität

So werde auf die schwindende Ausschließlichkeit der Plattformen verbreitet mit Ignoranz reagiert: die parallele Nutzung von TV und Web nehme beispielsweise zwar zu, verlässliche Methoden, dies auch parallel zu erfassen, seien jedoch rar. Immer mehr Plattformen decken mehrere Nutzungsformen ab, wie z.B. Internet via TV oder IP-TV via Web. Manches Institut verzeichne jedoch immer noch in seiner Statistik bei jedem Einschalten von Konsolen achselzuckend, dass dann wohl in jedem Fall gespielt werde. Angesichts der verbreiteten Webfähigkeiten der Konsolen entferne sich diese Annahme von einem plausiblen Abbild des Nutzerverhaltens.

Diese Diskrepanz wird wohl noch wachsen, wenn die nächste, die NEXTNEXT-Generation der Konsolen den Markt erstürmt. Youtube hat gerade erst Konkurrenten mit der Nachricht aufgescheucht, dass es gemeinsam mit einem der Konsolenplatzhirsche einen Videoservice entwickle (Quelle: ->Andrew Goldfarb: „Youtube developing for Next-Gen Consoles.Company seeks to create a ‚game console-based TV experience‘„, in: IGN, April 17th 2012). Spätestens dann sollte manches analytisches Instrumentarium wohl neu geschärft werden. Man könnte annehmen, Marktkenntnis sei diesen Analytikern ein Fremdwort, doch so ist es wohl nicht.

Denn es seien, so Dreier, auch die Motivationen der Anbieter von Marktanalysen nicht immer förderlich – deutlicher formuliert: die Zuschnitte der Studien kaschieren zu oft unangenehme Realitäten für die Auftraggeber. Andererseits werden schlicht aufgrund der gewählten Forschungsfragen Teile des Medienspektrums ausgeblendet. So interessiert RTL an einer Marktanalyse der Casting-Show ->DSDS besonders die klare Ausrichtung der Ergebnisse für Werbekunden. JIM- und KIM-Studien des ->Medienwissenschaftlichen Forschungsverbundes Südwest hingegen nehmen vorwiegend Kinder und Jugend in den Fokus. ARD/ZDF interessiert dann an dem Überblick zur Medienentwicklung hauptsächlich, wie sich ihre eigenen TV- und Rundfunkprogramme gegen den Onlinesektor schlagen. Grundsätzlich sei den Meisten das digitale Spielen – ob nun online oder offline – immer noch ein Ärgernis, hält Dreier in seinem Vortrag fest.

Dies liege vor allem daran, dass manche die Videospiele immer noch als werbefreie Zeit abtäten – ohne monetarisierbare Möglichkeiten der Verwertung zu sehen. Zum Beispiel das werbebegleitete Onlinesspielen im Browser wird so ausgeblendet. So wird der Anteil digitalen Spielens in ihren Studien kleingeschrieben, wenn nicht gar ignoriert. Zudem gebe es noch große methodische Defizite, tatsächliche Parallelnutzung von Medienformaten wie Web und TV gleichzeitig verlässlich zu messen. Viele Initiatoren basteln sich also aus handfesten finanziellen Interessen und methodischen Defiziten ihre Studienaussagen quasi im Eigenbau.

Zukunftsfolgen

Daraus erwachsen aber in der Auffassung von KEIMLING zwei gravierende Probleme: eines wirtschaftlich, das andere in der Wissenschaft. Sollten zum Ersten die Werbekunden oder aber im Fall der öffentlich-rechtlichen Sender auch die politische Verantwortlichen bemerken, dass die Marktanalysen nur schwer verzerrt Nutzerkreise und ihr Verhalten abbilden, dürften alle Beteiligten hohe Preise dafür bezahlen – und zwar nicht nur in Geld, sondern vor allem durch den Verlust von Glaubwürdigkeit. Außerdem hat es die Wissenschaft schwer, belastbare vergleichbare Daten herauszufiltern, wenn Voraussetzungen der Studien und Beschränkungen lediglich implizit vorliegen – hier hilft wohl nur behutsame Überlegung … und die Erfahrungen eines Dozenten wie Dreier, der den Schleier des Datenrauschen zwischen den Zeilen der Studien zu lichten versteht.

Deutlich wird aber auch, dass es noch eine Weile dauern wird, bis Medienforschung wie -wirtschaft auf wirklich verlässliche Daten zu Nutzungsformen und ihren zeitlichen Verteilungen im Tagesablauf der Mediennutzer zurückgreifen können. Die unternehmerisch aufregende Option tageszeitabhängiger, auf bestimmte Personenkreise zielgerichtete Crossover-Medienangebote wird daher wohl noch auf sich warten lassen – vorerst viel frei verfügbares Zeitkontingent also, umindest bis die Analysten endlich neue Instrumente schmieden.

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