INNOVATION: Werner, die Russen kommen…

Mit „World in Conflict“ erobert Massive den Thron im RTS-Genre

1989 war für die Nordhalbkugel ein Jahr der Freiheit. Jahrzehntelang hatten sich im Systemkonflikt zwischen dem kommunistisch-sozialistischen Block der Welt und dem westlichen, den Atlantik überspannenden Bündnis waffenstarrende Truppenverbände gegenüber gestanden. Als wären all die Krisen nur böse Träumereien gewesen, die in dieser Zeit oftmals an den Rande des nuklearen Amargeddons geführt hatten, verflüchtigte sich die blutende Narbe des Eisernen Vorhangs gewaltlos aus Europa – fort in die Geschichtsbücher.

Doch was wäre geschehen, wenn in diesem Jahr nicht alles so sauber abgelaufen wäre? Man erinnere sich nur an die brutalen Gewalttaten des chinesischen Regimes auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Dort hatten im Juni 1989 selbst nach offiziellen Zahlen hunderte Chinesen ihr Leben dafür gelassen, dass sie nach Mitbestimmung und Demokratisierung aufbegehrten. Sie waren noch nicht einmal unbedingt alle gegen den Kommunismus an sich auf die Straße gegangen. Die Kugeln des Militärs achteten jedoch nicht auf Nuancen.

Was wären die Folgen davon gewesen, wenn in Moskau die Hardliner die inneren Machtkämpfe für sich entschieden hätten. Wären die Leipziger Montagsdemonstrationen dann vielleicht mit sowjetischen Panzerketten niedergewalzt worden? Hätte der Westen dem einfach tatenlos zusehen können? Oder hätte sich ein globaler militärischer Konflikt daraus entwickelt?

worldinconflict
WiC pustet das Genre durch

Das Echtzeitstrategiespiel ->World in Conflict griff diese Fragen 2007 auf und beantwortet sie in optisch faszinierenden militärischen Schlachten mit modernem Kriegsgerät, ausgetragen auf westlichen Schauplätzen wie Seattle oder Berlin. Eindeutig auf den Multiplayer-Part hin ausgefeilt, überzeugte das Gameplay mit frischen Ideen, der Konzentration auf bestimmte Truppentypen und einer zerstörbaren Spielumgebung.

Leider versagte das rundum gelungene Innovationsfeuerwerk, allerorten mit hohen Wertungen versehen, an den Kassen. Daran waren entgegen allen späteren Schuldzuweisungen an die Innovationen vor allem ein verfehltes Marketing im Vorfeld und ein Bruch mit der Spielmechanik von der Einzelspieler-Kampagne hin zum Mehrspielererlebnis verantwortlich…

Auf dem Vormarsch

In seiner Complete Edition bzw. zusammen mit dem Addon „Soviet Assault“ ergänzte der Entwickler ->Massive Entertainment aus Schweden im Februar 2009 die ursprüngliche Plot-Kampagne um die sowjetische Perspektive. Durch diese kleinen Kniff, ursprünglich bereits für die Erstveröffentlichung geplant, wirkte die zuvor bereits beeindruckende Handlung wesentlich abgerundeter.

Das Addon erzählte somit die Geschichte des Hauptspieles nicht neu, sondern erweiterte sie – ein interessanter Ansatz, den sich ruhig auch andere Spiele zu Herzen nehmen könnten. Als die Sowjetunion 1989 vor den Trümmern der kommunistischen Sphäre steht, entschließen sich die erwähnten Moskauer Hardliner in der Hauptkampagne, den Dingen nicht einfach ihren Lauf zu lassen. Konventionelle Truppen werden auf breiter Front für einen gewaltigen Schlag in Europa zusammengezogen. Dieser Angriff, den der Spieler entlang der Berliner Mauer erlebt, dient jedoch nur zur Ablenkung von einem viel gewagteren Unternehmen.

Überrascht von dem schnellen Vorstoß sowjetischer Truppen mitten im geteilten Deutschland und Landungen in Norwegen sowie Südfrankreich, werden die NATO-Verbündeten weit zurückgetrieben. Als die meisten amerikanischen Truppen zur Unterstützung nach Europa beordert werden, erscheinen Containerschiffe unbekannter Kennung vor dem Hafen von Seattle. Die zahlenmäßig weit unterlegenen Truppen entlang der US-Westküste stehen mit einem Mal einer insgeheim darin verschifften Streitmacht der Roten Armee gegenüber. Sie haben dem Vormarsch der Rotarmisten nichts entgegenzusetzen. Ein letzter Ausweg für Washington scheint so verzweifelt wie bitter – der Einsatz von Atomwaffen im eigenen Land. Bevor sich die nukleare Verzweiflungstat jedoch in der Großstadt Seattle wiederholen kann, bahnen sich auf sowjetischer Seite Veränderungen an, die dem Krieg eine neue Richtung verleihen.

Packend erzählen die Zwischensequenzen in filmreifen Animationen von den Erlebnissen einer Einheit, deren eine Führungskraft namens Parker der Spieler verkörpert. Die 3D-Filme binden gekonnt in die Emotionen der Hauptfiguren ein. Entscheidungen und Entwicklungen der Charaktere werden glaubwürdig, nachvollziehbar und wendungsreich vermittelt. Mehr als ein Mal verharrt man mit offenem Mund vor der Inszenierung, die sehr bedrückend vermittelt, welche Folgen ein Krieg für die Menschen vor und hinter dem Gewehrlauf hat. Sehr vorsichtig kann man World in Conflict wegen der eindrücklichen Darstellung persönlicher Schicksale, Versagensängste und Menschlichkeit schon fast als Antikriegsspiel bezeichnen. Allerdings muss man wegen des Multiplayer-Parts natürlich relativierend hinzufügen, dass dort naturgemäß jegliche kritische Bewertung des Vorgehens fehlt.

In eine neue Welt

Die taktischen Ziele der Missionen liefert das Spiel nicht weniger wendungsreich über Kommentare von professionellen Sprechern. Ganze Frontabschnitte können sich dabei drehen. Dabei ist ebenso zügiges wie planvolles Umordnen der Truppen erforderlich. Umso schwieriger ist diese Reaktion auf neue Herausforderungen wegen der ersten Innovation, mit denen World in Conflict aufwartet. Im Gegensatz zu den meisten Strategiespielen bauen die Spieler keine komplexe Basen auf, um dort Technologien zu erforschen, die zu neuen Einheitentypen führen. In einem der realen Welt möglichst nachempfundenen Welt wäre dies auch ein unverzeihlicher Logikbruch. Massive Entertainment löste diese Logiklücke anderer Genretitel sehr elegant – die Einheiten werden über dem Terrain, das ein Spieler kontrolliert, von Transportflugzeugen abgeworfen und gleiten an Fallschirmen ins Kampfgebiet. Allerdings hat es dieses System der Landezonen bereits in den vorherigen Spielen der ->Ground-Control-Reihe aus dem Hause Massive gegeben – also keine echte Innovation mehr.

Ohne Koordination läuft hier gar nichts
Ohne Koordination läuft hier gar nichts

Neu ist allerdings, dass man sich im Gefecht für eine von vier Truppen-gattungen entscheiden muss. Daher kann ein Spieler nur entweder 1) mit kämpfenden und transportierenden Hubschraubern, 2) Unterstützungstruppen wie FlARaks oder Reparatureinheiten, 3) verschiedenen gepanzerten Kampffahrzeugen und 4) Infanteristen in die Kämpfe eingreifen. Dieser  Zwang zur Entscheidung führte im Vergleich zu anderen Titeln aus dem Genre der Echtzeitstrategie zu einem weit größeren Drang der Spieler nach Koordination. Daher wurde ein Head-Set aus Kopfhörern und Mikrofon für eine schnelle Kommunikation zur Pflicht, immerhin mussten sich in jeder Schlacht bis zu acht Spieler pro Seite koordinieren. Treffen Einheitengattungen im Kampf aufeinander so sind manche Typen effektiver gegen einen Angreifer als andere. Infanteristen sind – in Wäldern versteckt – gefährlich für Helikopter und Panzer, im freien Feld jedoch durch einen Artillerieschlag schnell hingestreckt. Die Artillerie ist behäbig und oft mit einem einzigen gezielten Schuss zerstört. Allerdings feuert der Spieler, der über Artillerie verfügt, mit seiner Luftabwehr jeden anfliegenden Hubschrauber aus der Luft. Hubschrauber schießen mit ihren Raketen auch die schwersten Panzer zu Altmetall, Panzer wiederum machen kurzen Prozess mit Fahrzeugen und Infanteristen. Ein gut ausbalanciertes Team, das sich gut koordiniert und gemeinsam vorrückt, kann auch eine gegnerische Truppe aus mit mehr Mitspielern besiegen, das sich nicht an die Grundregeln hält.

Auch die Zahl der Einheiten je Mitspieler blieb durch die Menge der verfügbaren Verstärkungspunkte relativ zu andernen Genrevertretern sehr gering – zwischen vier und zehn Einheiten führt ein Spieler in die Schlacht. Durchgehend ihren zeitgenössischen Pendants nachgebaut beeindrucken die Gestaltung der Einheiten und ihre detailreiche Animation sehr. Mehr als die genannte Zahl an Truppen kann man auch kaum sinnvoll durch die Gefechtskarten dirigieren, verfügt doch jede über eine aktive Kampf- und eine passive Verteidigungsfähigkeit. Sinnvoll eingesetzt erfordern diese beispielsweise bei einem Panzer den gezielten Einsatz panzerbrechender Munition im ersten Fall und einem schützenden Tarnnebelwerfer auf der anderen Seite.

Zudem diszipliniert die geringe Zahl der Truppen zusätzlich, weil eine Einheit bei erfolgreichem Einsatz in ihrem Rang und damit ihrer Leistungskraft aufsteigt. Ein Panzer beispielsweise schießt schneller und genauer und lädt seine Spezialfähigkeiten zügiger wieder auf – kriegsentscheidende Vorteile. Wird also ein sehr kampferfahrener Panzer durch einen gegnerischen Schlag zerlegt, ist dies ein herber Verlust, der innerhalb einer Partie kaum wieder ausgeglichen werden kann. Spieler werden durch diese Mechanismen zum gegenseitigen Schutz und zum durchdachten gemeinsamen Vorgehen gezwungen. Dabei handelt es sich um eine bis zu World in Conflict unbekannte Spielmechanik. Freilich kann diese Mechanik dann besonders frustrierend sein, wenn man sich in einem Team aus Neulingen oder renitenten Kooperationsverweigerern wiederfindet. In einer solchen Gesellschaft ist ein Sieg unwahrscheinlich.

Die neuen Ansätze des Spieles im Multiplayerbereich waren ebenso gewagt wie überzeugend, kamen doch noch weitere Innovationen hinzu. Die intelligente Steuerung des Titels ermöglichte den freien Flug der Kamera über das gesamte Schlachtfeld. Für inflexible Spieler, die den üblichen Genrestandard mit einer relativ festen Flughöhe der Kamera und schmalen Neigungs- sowie Drehungswinkeln gewöhnt sind, stellt das neue System durchaus eine Herausforderung dar. Daher gab es in den Vorgängertiteln aus dem Hause Massive Entertainment noch die Möglichkeit, die Steuerung auf den verbreiteten Genrestandard umzustellen. Bei World in Conflict beließ man es bei der praktischen Steuerung durch die Tasten WASD, Neigung und Drehung manipuliert die Maus. Wer nur bereit ist, sich eine Stunde mit dem System zu befassen, beherrscht es nachhaltig. Einziger Nachteil: Nach der Eingewöhnung fällt im Vergleich zu anderen Genrekollegen auf, wie umständlich die bisher weit verbreitete Form ist, die Kamera zu steuern.

Das Tor zur Spielwelt und der Liga
Das Tor zur Spielwelt und der Liga

Auch in der Organisation der Spieler ging Massive neue Wege. Für die Spieler entstand mit ->massgate.net ein eigenes Online-Ranking-System (ein sogenanntes Leaderboard), das einerseits Informationen wie die Spielzeit in den Truppengattungen oder das Verhältnis aus gewonnenen und verlorenen Spielen sammelt und vergleicht. Darüber hinaus dient Massgate der spielinternen Organisation von Spielern und sogenannten Clans (Spielervereinen). Über diese Plattform kann auch die Kommunikation im Spiel erfolgen, da Massive allerdings mit World in Conflict eine neue Marke im eSport etablieren wollte, dient Massgate vor allem der Organisation und dem Vergleich von Spielervereinigungen. Ursprünglich sollte mit der ->Electronic Sports League (ESL) eine nachhaltige Spielergemeinde mit Wettkämpfen und Preisen gebunden werden. Wegen der geringen Zahl im Erstgeschäft 2007 verkaufter Exemplare von World in Conflict konnte sich das Spiel als Ligatiteln nicht etablieren.

Abgeworben

Für den wirtschaftlichen Misserfolg waren nach KEIMLINGs Einschätzung hauptsächlich zwei Marketingfehler folgenreich. Spieler, die sich schnell über die angeblich untaugliche Steuerung oder eine undurchdachte Spielmechanik erhitzten, offenbarten eigentlich nur die eigene Unkenntnis und Inflexibilität. Wer sich wirklich mit dem RTS-Titel beschäftigte, konnte möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass diese Mechanik nichts für ihn persönlich war, sie pauschal als undurchdacht zu bezeichnen, war jedoch unqualifiziert. Zahlreiche Spieler können sich im Gegenteil heute nicht mehr vorstellen, zu alten Gepflogenheiten mit Basisbau und beschränkter Steuerungsperspektive zurückzukehren.

Die ausgezeichnete Werbekampagne im Vorfeld der ersten Veröffentlichung war mit ausgezeichneten und stimmungsvollen Trailern dazu angetan, die Spieler von dem Szenario einzunehmen. Allerdings leistete sich der damalige Publisher von Massive Entertainment, der nunmehr in ->Activision Blizzard aufgegangene Vivendi-Konzern, herbe Markting-Schnitzer.

Nein, dies ist kein vorgerendertes Bild
Nein, dies ist kein vorgerendertes Bild

Natürlich sah World in Conflict in höchster Auflösung bei Nutzung der Grafik-Schnittstelle DirectX 10 hervorragend aus, entlang von Straßenzügen zeigten sich liebevolle Designdetails und Kornfelder wogten in virtuellem Wind. Allerdings verschreckte die Kampagne, die auf diese spielerisch eher zweitrangigen Grafikschmankerl abhob, erstens alle die Spieler, die als Strategiefans ihre PCs eher nicht zu Hochleistungsboliden aufrüsten.

Darüber hinaus wird DirectX 10 nur auf Windows Vista unterstützt. Um dieses Betriebssystem schlagen jedoch viele Spieler wegen der mangelhaften Stabilität und der schlechten Benutzerverwaltung  einen großen Bogen. Hier verschreckte Vivendi ohne Not einen großen Teil der potentiellen Kundschaft, denn ohne DirectX10 sahen Landschaften, Einheiten und Effekte nur unmerklich schlechter aus. Das Spielerlebnis wurde dadurch überhaupt nicht tangiert.  Dieses Indiz würde auch erklären, warum World in Conflict in technisch besonders gut ausgerüsteten PC-Ländern wie Deutschland überdurchschnittlich erfolgreich war. Hingegen glich die Verteilung von Verkäufen in Nordamerika den weißen Flecken auf Karten der Entdeckerzeit. Dort sind PC-Systeme eher unterdurchschnittlich ausgerüstet.

Ein weiterer Kardinalfehler lag in der starken Promotion für die Ligafunktion von World in Conflict. Um die Zusammenarbeit mit der ESL wurde ein so großes Aufhebens gemacht, dass  verbreitet der Eindruck entstand, der Echtzeit-Strategie-Titel könne ohne ein aktives ESL-Konto nicht gespielt werden. Die große Mehrzahl an Spielern ist jedoch an einer aktiven Teilnahme in einer Liga nicht interessiert, so dass auch hier unnötig Spieler vergrätzt wurden.

From Dawn till Dusk

Letztlich hat World in Conflict über 2 1/2 Jahre eine kontinuierliche Spielergemeinschaft an sich binden können, obwohl widrige Umstände zahlreiche Spieler auch nach dem Kauf von dem Titel abbrachten. So war wegen der Fusion von Activision und Vivendi zu dem genannten Konzern über ein halbes Jahr nicht klar, ob überhaupt noch ein Addon für World in Conflict erscheinen würde. Als schließlich Activision Blizzard den Verkauf von Massive Entertainment ankündigte, und Ubisoft die Spieleschmiede erstand, gaben viele die Hoffnung auf und widmeten sich anderen Spielen.

Dennoch wurde das Addon Soviet Assault im Februar 2009 mit Ubisoft  veröffentlicht, enttäuschte jedoch mit margerem Inhalt die lange Zeit treuen Fans. Zwar wurde die erstklassige Kampagne sinnvoll erweitert, für die große Mehrheit an Veteranen bot das Addon nicht genug Nährwert im Multiplayer-Part, um sich dort noch einmal zu verbeißen. Jetzt, im Sommer 2009 – nähert sich daher langsam die Abenddämmerung für den Titel.

Bedauerlich ist diese Entwicklung vor allem deswegen, weil damit die Marke World in Conflict sowie ihre Spielprinzipien langfristig tot sind. Und das, obwohl eigentlich die oben beschriebenen Fehler des Publishers zur geringen Akzeptanz des Spieles bei den Strategen führte. In der Logik eines großen Publishers wie Ubisoft wäre dennoch das Risiko viel zu groß, mit einem ähnlichen Titel als Nachfolger stets negative Presse mit Hinweis auf World in Conflict zu bekommen. Besonders wegen der beschriebenen innovativen Spielkonzepte ist dieses Firmen-Fusionsopfer sehr bedauerlich, erleichterten sie doch die Arbeit in einem Multiplayerspiel überzeugend. Die Spielmechanik war durchdacht und die Organisation der Nutzer beispielhaft. Vermutlich dürften also die innovativen Elemente als Sündenbock statt der eigentlichen Marketing- und Fusionsfehler dienen.

So wird die Eroberung von Mitteleuropa durch die Rote Armee wohl eine Episode bleiben, deren zahlreiche lose Enden nicht mehr komplett aufgelöst werden dürften. Damit hat das Spiel also trotz des unhistorischen Szenarios schon einmal etwas mit dem echten Ende der sowjetischen Besatzung in Mitteleuropa gemeinsam.

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