NEWS: Camera Obscura

„WarCo“ begegnet Kriegsgräueln allein mit einer Kamera

In Max Frischs berühmtem ->“Homo Faber“ blickt die namensgebende Hauptfigur des Romans stets durch das Okular einer Kamera. Faber ist ein Technokrat, der, ganz in seinem technischen, rationalistischen Weltbild als Ingenieur aufgehend, die ganze Welt stets durch seine Kamera wahrnimmt. Doch die inszenierte Sammlung gestellter Filmschnipsel lässt ihn nur wahrnehmen, was ihm gefällt. So schafft ihm die Kamera eine Distanz zur restlichen Welt, bis die ausgeblendeten Ereignisse seines Umfeldes seine Welt zum Einsturz bringen.

Wie eingeengt der Blick durch eine Kamera ist und wie gefährlich es ist, sich dessen nicht bewusst zu sein, zeigt sich vor allem in Zeiten des Krieges. Doch gerade auf die Gräuel eines Krieges geht ein Videospiel kaum ein, geschweigedenn ein Shooter. Jüngst ist mit dem unausgegorenen ->Homefront gerade der Versuch fulminant gescheitert, die grausame Härte gegen Zivilisten in einem Videospiel zu inszenieren.


Mit Blut auf dem Objektiv ahnt man: in manchen Filmen gibts kein Happy-End.

Der Entwickler ->Defiant Development aus dem ausralischen Brisbane wechselt nun mit uns die Perspektive und lässt uns, allein mit einer Kamera bewaffnet, in den Krieg ziehen. Als Journalist Jesse deMarco streifen wir in „WarCo – The News Game“ durch die Krisengebiete unserer heutigen Welt in Afrika und dem Nahen Osten. Geduckt, auf der Suche nach aussagekräftigen Bildern. Ohne Waffen. Nur mit unserem Aufzeichnungsgerät bestückt und darin nur begrenztem Speicherplatz.

Ob dieser Wechsel der Perspektive spielerisch etwas taugt, dürfte stark von den Aktionsmöglichkeiten des Kameraspielers abhängen. Richtig gemacht, könnte hier jedoch ein völlig neues Spielgefühl entstehen, indem Seiten des Krieges gezeigt werden, die in Heroenschauspielen wie ->Modern Warfare oder ->Battlefield in dröhnendem Patriotismus untergehen…

Kriegshandlungen

Was gefilmt wird, entscheidet der Spieler als Kriegskorrespondent selbst. Die Bezeichnung „WarCo“ ist die Kurzform des englischen „War Correspondent“. Dessen Material geht in einen Nachrichtenbeitrag ein, der wiederum ins Web hochgeladen werden kann, um ihn dort mit denen anderer Spieler zu vergleichen.

In den Zentren der Konflikte
In den Zentren globaler Konflikte fällt der Durchblick schwer - trotz Kamera

Ähnliches boten bereits die Entwickler von ->Global Conflicts:Palestine, um die giftige Macht von Medien zu zeigen, welche die Informationen ihrer Korrespondenten für die Öffentlichkeit komprimieren müssen. Spürbar wird hier auch, welche Folgen es hat, wenn Netzwerke aus Korrespondenten mit einer Vielfalt an Meinungen aus finanziellen Erwägungen abgeschafft werden. Das ist schließlich schon heute Realität. Der Einheitsbrei aus Agenturmeldungen kann solche Eindrücke sicher nicht ersetzen.

Nach Informationen der australischen Sektion des Webportals ->kotaku (Quelle: ->Tracey Lien: WarCo. The First Person Shooter Where You Never Fire a Gun, 16.09.2011) hat sich der Gründer des Studios fachliche Hilfe besorgt. Denn Filmemacher Robert Conolly und Journalist Tony Maniaty  beraten das Entwicklungsteam für ein möglichst authentisches Spielerlebnis. Als dessen Anspruch soll angeblich gelten, dass sich selbst Journalisten auf Kriegseinsätze mit dem Spiel vorbereiten könnten. Was immer das dann heißen mag, schließlich kann sich zwar jeder aus Bildern der Nachrichten und Anti-Krieg-Filmen das mögliche Repertoire der optischen Eindrücke über erbärmliche Schandtaten zusammenreimen.

Weapons of Mass Distraction

Was dies jedoch spielerisch bedeuten wird, bleibt unerkundetes Neuland. Zumindest will uns das Spiel in Geiselnahmen, Hinterhalten und an Straßensperren auch vor moralische Entscheidungen stellen: Sollte man eine Sterbende für die Nachrichten filmen? Bringt man Kinder unter Beschuss in Sicherheit oder richtet man das Objektiv auf die Täter? Darf man sich für exklusive Bilder zum Büttel eines Regimes machen?

Mit den syrischen Ereignissen im Hinterkopf, wo Präsident Assad seine Untertanen vor den Augen einer untätigen Weltöffentlichkeit meucheln lässt, sind dies beklemmend plausible Fragen. Angesichts getöteter und verletzter Journalisten in dieser Krise stellt sich auch die Frage danach, wie sehr man sich selbst in Gefahr bringen muss, bzw. noch darf.

Die Optik aber ist des Spieles größtes Problem – zumindest gemessen an dem, was bisher zu sehen war. Im Genre der First-Person-Shooter (FPS) sind Spieler von effektgeladenem Bombast verwöhnt wie in den „Modern Warfare“-Spielen. Sie erleben zudem Animationen von Bewegungen und ihren Übergängen, die durch die Technik hinter Sportsimulationen fast so flüssig geworden sind wie im echten Leben. „Battlefield3“ verwendet hierfür das Motion-Capturing, das ->EAs Madden Football-Serie zu fließenden, agilen Bewegungen verholfen hat.



Bewegung! Bewegung! Bewegung!

So werden heute weder stockende Animationen wie in der Augsburger Puppenkiste, noch Plastilingesichter, noch matschige Texturen und auch keine schlappen Effekte mehr verziehen. Sicher: hat ein Titel tieferen Sinn und eine mitreißende Handlung, sind die Spieler geneigt, auch mal ein bis zwei Augen zusammen zu kneifen – jedoch nur bis zu einer gewissen Schmerzgrenze. Bei allem, was es bisher zu sehen gab, scheint der Entwickler trotzdem selbst diese feundlich durchhängende, grafische Messlatte zu reißen.

Die Wahl der Waffen

Seit einiger Zeit ist es leider recht still um das Projekt geworden. Sollte es in der Versenkung verschwinden, wäre dies abgesehen von diesen Äußerlichkeiten wirklich sehr bedauerlich. Die Webseite zur Präsentation ist zur Zeit jedenfalls offline (->defiantdev.com/warco/). Schließlich kann der Titel mit dem innovativen Anspruch durchaus punkten. Allein, es reicht heute nicht mehr aus, ein Videospiel mit dem Etikett „Serious Game“ zu labeln, um es nur durch seinen hehren Anspruch unter die Kunden zu bringen – nach Jahren des Missbrauches an dieser Kategorie vertraut ihr am Markt niemand mehr.



Stell Dir vor es ist Krieg und alles simuliert.

Darüber hinaus hat jüngst der frankfurter Shootergigant ->Crytek mit einer Gefechtssimulation zu Ausbildungszwecken gezeigt, was in diesem Software-Segment auch bei ernsthafteren Anwendungen grafisch möglich ist. Die Umgebung für das Gefechtstraining der Firma ->RealTime Immersive, die eine Tochter von Crytek ist, basiert auf der deutschen ->CryEngine in der dritten Generation. Den Wenigsten ist bewusst, dass die Schöpfer von Meilensteinen wie dem ersten ->FarCry und ->Crysis von Anfang an auch ihre Engine für nicht-spielerische, sachliche und technische, architektonische und industrielle Zwecke anboten. Obendrein sind sie auch damit sehr erfolgreich, denn mit Spielen allein könne man keine verlässlichen Umsäze machen, eröffnete vor Jahren Cervat Yerli, Gründer der Firma, in einem Interview. Vielleicht sollte Defiant schlicht über eine Lizensierung der mächtigeren CryEngine3 nachdenken. Kunden und Umsatz werden es ihnen danken.

Defiant verspricht, in einem sonst zunehmend auf konsoliges Gameplay mit atemberaubenen Effekten fixierten Genre, die Perspektive auf unsere Wahrnehmung von Krieg und Leid in der Welt zu lenken. Für diesen innovativen Ansatz allein, gebührt den Entwicklern Dank. Schließlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die weitaus meisten Menschen undifferenziert das Fernsehbild für kühle Realität halten und nicht für ein konstruiertes Abbild der Außenwelt.

Der Blick durchs Objektiv zeigt allein aufgrund seines Namens nicht das Sachliche, das Faktische – sondern einen durch viele Faktoren beeinflussten Ausschnitt der Ereignisse. Auch deswegen ist und bleibt Frischs Roman ein stets aktuelles Buch – für das hiermit eine Leseempfehlung ergeht.

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2 Gedanken zu „NEWS: Camera Obscura“

  1. Vielen Dank für den Tipp, davon hatte ich bislang noch gar nichts gehört. Nach einer kurzen Recherche scheint es jedoch um das Projekt nicht unbedingt gut zu stehen. Auf der Website des Entwicklers findet sich kein Hinweis zum Spiel, die von dir genannte Adresse liefert einen Fehler und die letzten Meldungen dazu scheinen schon gut ein Jahr alt zu sein. Hoffentlich ist das Projekt nicht schon gestorben. PS: Ich hab gelesen, dass die Idee zum Spiel nicht von Defiant stammt, sondern von besagtem Journalist Tony Maniaty.

  2. Danke für die Hinweise. In der Tat ist es sehr still um die Firma und die Personen geworden. Ich schrieb ja, dass die Seiten offline sind, was kein gutes Zeichen ist. Die Idee ist wohl wirklich von Maniaty, allerdings habe ich zu dem Dokumentar und Filmemacher auch keine weiteren Infos. Jemand bei Facebook aktiv?

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