KOMMENTAR: Indie Fresse, Crowd!

Das unredliche Verhalten von Entwicklern spielerfinanzierter Projekte gefährdet den Boom innovativer Ideen

John Walker platzte der Kragen. Nein, nicht dem mit dem Whiskey, sondern dem international bekannten Journalisten ->John Walker, einem der Gründungsmitglieder der britischen Webseite ->RockPaperShotgun. Als er ein Interview mit ->Peter Molyneux führte, einem von mir sehr geschätzten, und doch zu recht umstrittenen Spieleentwickler, warf Walker ihm rundheraus die Frage an den Kopf: „Do you think you’re a pathological liar?“ (siehe ->Peter Molyneux Interview: „I haven’t got a reputation in this industry anymore“, in: RockPaperShotgun vom 13. Februar 2015). Den weiteren Verlauf des Interviews, dem eine heftige Kritik an Molyneuxs gegenwärtigem Projekt ->Godus vorausgegangen war, als emotional zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Selten lagen Nerven auf beiden Seiten in der Branche so blank.

Warum das Interview von Rock Paper Shotgun mit Peter Molyneux emotional so explosiv geriet, klärt nur ein tiefer Blick in die Branche. (Abb.: eigener Screenshot, Webseite RPS)
Warum das Interview von Rock Paper Shotgun mit Peter Molyneux emotional so explosiv geriet, klärt nur ein tiefer Blick in die Branche. (Abb.: eigener Screenshot, Webseite RPS)

Dass Molyneux die Ansprüche seines Projektes ->Godus nicht mit dessen offensichtlichen Defiziten in Einklang bringen konnte, thematisierte ich anfang dieses Jahres auch schon in einem Blogartikel (siehe ->INNOVATION: Die Götter müssen bekloppt sein vom 28. Januar 2015). Walker war über die Kombination aus dem rudimentären Stand des Projektes und der Weigerung Molyneuxs dies zuzugestehen, zunehmend aufgebracht. Salve um Salve prasselte auf den verdutzten Entwickler Kritik ein, die von falschen Versprechungen an die Kunden handelte. Schließlich hatten die Spieler Molyneuxs Projekt auf einer Spendenplattform vorfinanziert. Und die Liste dieser falschen… nun, sagen wir, noch nicht eingelösten Versprechen ist sehr lang.

Dass allein hätte aber kaum genügen dürfen, um einen erfahrenen, professionellen Journalisten wie ->John Walker derart außer Fassung zu bringen. Unermüdlich peitschten die Fragen auf den Entwickler ein, zufriedenstellende Antworten indes gab es nicht. Letztlich ließ sich Molyneux nur zu einigen fast schon peinlichen, selbstmitleidigen Äußerungen hinreißen: solche Gespräche seien der Grund, weshalb er sich in der Games-Branche nicht mehr wohlfühle und kein Standing mehr habe. Das tut mir zwar sehr leid, die Ursache dessen sind jedoch nicht die fragenden Journalisten, sondern sein Verhalten – und das anderer Entwickler auch. Da fällt auch mir, den seine einfallsreichen Spiele oft begeistern, nur wenig zur Verteidigung ein.

httpvh://youtu.be/V0P9yYG0G5I
Im Community-Update des Entwicklers 22cans vom Februar 2015 schwingt die Spannung wegen der zahlreichen kursierenden Vorwürfe mit. Es gelingt Molyneux nicht plausibel, die Bedenken zu zerstreuen: Dass zum Beispiel ein Mitglied der PC-Community eingestellt wurde, ist für denjenigen möglicherweise ganz schön, nur ist wenig glaubwürdig, dass er ein geschrumpftes Team kompensieren kann. (Godus Community Update Februar / Kanal 22cans via Youtube)

Führt man sich vor Augen, wie emotional das Interview verlief, scheint sich dahinter viel mehr zu verbergen als nur ein schlechter Tag zwischen zwei Gesprächspartnern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich an dieser Stelle eine grundsätzliche Spannung zwischen Entwicklerbranche und Konsumenten entladen hat, die nicht nur Molyneuxs ->Godus betrifft. In jüngerer Vergangenheit verhielt sich so mancher Spieleentwickler nicht sonderlich professionell und vertrauenswürdig. Jedenfalls nicht so, wie man es von jemandem erwarten würde, der im Vorhinein Geld von Kunden erhält, um die eigenen Spielkonzepte zu verwirklichen.

Ein solches Crowd-Funding ermöglicht, wenn es verlässlich durchgeführt wird, große Chancen für Spielideen, die ein Publisher sonst nie veröffentlicht hätte. Andererseits mehren sich mittlerweile Berichte wie bei ->Godus, in denen die Ankündigungen von Entwicklern zu den Spielinhalte und -funktionen in keinem Verhältnis mehr zum realisierten Stand und den teils erheblichen Finanzvorschüssen stehen. Darunter finden sich neben Molyneux durchaus weitere namhafte Größen der Branche. Setzt sich dieser Trend fort, könnten die Entwickler schon bald so viele Förderer vergrätzt haben, dass dem Crowd-Funding der Todesstoß versetzt wird. Wer die lethargische Branche vor den durch Spieler finanzierten Ideen erinnert, in der innovationsarme Großpublisher die Fäden in der Hand hielten, dem dürften solchen Aussichten schlagartig die Haare schlohweiß färben…

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